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XIV

Dies war ein Winter, so hart, wie ihn das Moselland seit langem nicht gekannt hatte. Im Gebirge oben lag der Schnee hoch, und der Fluß unten trieb mit Eis. Aus den wilden Ardennen waren Wölfe herüber in die Eifel gekommen, der Bauer sah ihre Spuren im Schnee und verschloß seinen Stall fester. Aber auch andere Raubtiere strichen umher, die waren noch mehr zu fürchten. Die Kälte trieb Banden wie Rudel Wölfe, die heißhungrig über alles herfielen. Die Dörfer zitterten vor Frost und Angst.

Die französische Behörde hatte wenig Glück mit ihren Erlassen; die Anordnungen wurden zwar befolgt, auch hie und da einer aufgegriffen, der sich an fremdem Gut verging, und man machte kurzen Prozeß mit den Kerlen. Grumbieren-Klas, der einen Zentner Kartoffeln gestohlen hatte, wurde vom peinlichen Tribunal zu Koblenz in öffentlicher Verhandlung zu zehnjähriger Kettenstrafe verurteilt. Zwei andere Diebe, Petronellen-Michel und Stiebitz-Wenzel, ein alter hinkender Mann, der ehemals Schulmeister gewesen war, und beide zur Straßenräuberbande des Bückler gehörig, wurden zu 20 Jahren verurteilt. Sie wurden in ein unterirdisches Gewölbe auf die Festung Ehrenbreitstein gebracht und dort mit Ketten aneinandergefesselt.

Ein Weib, das seit kurzem in Trittheim beigezogen war, wurde auch arretiert. Für gewöhnlich saß das dort an der Marterkapelle und bettelte, aber in ihrer Bettelbude trieb die schleichende alte Hyäne noch ein Gewerbe: man beschuldigte sie gefährlicher Hehlerei, und daß sie junge, hübsche Dirnen an die Räuber verhandelte. Die Buzliese beschwor zwar ihre Unschuld, aber ihr Leumund von früher war wider sie; vierzehnjährige Einzelhaft wurde über sie verhängt. Die Buzliese grinste, als man ihr das Urteil sprach, und zeigte auf ihre morschen Knochen: die saßen die vierzehn Jahre nicht mehr ab.

Es waren grausame Strafen, und doch schreckten sie nicht. Im Gegenteil. Nie hatte es so oft Sturm geläutet von Kirchtürmen, Dörfer verbarrikadierten sich, Tore von Städten wurden, sobald es dunkel war, sorglich geschlossen.

Ein furchtbarer Lärm schreckte die Bewohner von Moselkern in der Nacht des siebenten Frimaire aus dem Schlaf. Schüsse fielen. Und jetzt wiederum Kriegsgeschrei! Ein furchtbares Getöse, ein Geknatter sondergleichen. Zwei Heere mußten sich gegenüberstehen. Kein Mensch traute sich vor die Tür; nicht einmal aus dem Fenster zu sehen wagte man, um nach der Ursache zu forschen. Nach ein paar Stunden wurde es wieder still. Aber erst als das späte Morgengrauen kam, gingen ein paar Beherzte hinaus. Da fanden sie unweit der Häuser, am Moselufer, einen toten französischen Husaren; er war samt seinem Pferd erschossen. Nicht fernab lag ein zweiter an einem Baum, am Bein verwundet, er weinte vor Freuden, daß endlich barmherzige Menschen kamen und ihn aufluden. Und nun erfuhren es die schaudernden Bewohner, daß ihrem Ort ein Besuch der Räuber für diese Nacht zugedacht gewesen war.

In hellen Haufen hatten die Moselkern stürmen wollen. Die französische Behörde hatte aber Wind davon bekommen, sie schickte ein Pikett Husaren aus, um so die Verbrecher alle mit einemmal zu fangen. Jedoch waren die Soldaten in kriegsmäßiger Ausrüstung, so hatten die Räuber außer ihren Pistolen, Messern und Knüppeln noch den wilden Mut der auf alles gefaßten Banditen. Man lieferte sich ein Treffen gegen Mitternacht, das einer Feldschlacht nahekam. Und der Schluß war: die Husaren zogen sich nach der Moselseite zurück, die Räuber nach ihren Bergen.

Doch in der folgenden Nacht flammte zum Zeichen des Hohns die Mühle in der Schlucht der Eltz, unweit des Städtchens, auf und ward zu Asche. Auf der Burg Eltz ließ der Schloßherr die Kanone auffahren und die Zugbrücke aufziehen, er setzte sich in Verteidigungszustand; aber die Bande kam nicht. Dagegen auf dem Liegerhof, bei Treiß auf dem rechten Moselufer, brach sie ein.

Der Lieger-Bauer hörte singen, es war schon zu nächtlicher Zeit, da sah er erstaunt zum Fenster hinaus. Ein Trupp marschierte – trapp, trapp – auf sein Gehöft zu.

»He, Sakrament, haste's Fenster schon offen?« Der Lieger-Bauer schlug zu. Da klopfte es an den Laden: »Aufgemacht, gib zu essen!« Der Bauer griff nach seiner Flinte, aber der Schuß versagte. Da riß er das hintere Kammerfensterchen auf, zwängte sich durch und rannte nach Treiß, was hast du, was kannst du. Die Räuber schossen hinter ihm her. Die Sturmglocke stürmte. Als er zurückkam mit bewaffneten Bauern, brannte sein Strohdach lichterloh.

Vivat, Bruder, schlag Feuer! Flammen, Flammen. Es war, als ob die Bande sich wärmen wollte in kalter Winternacht. Es ging oftmals so, und sie waren noch frech genug, da und dort einen Vergleich anzubieten. Wer 100 Laubtaler zahlte, dem wurde nichts angesteckt; wer 50 zahlte, dem brannte nur die Scheuer ab. Ein großer Mann mit langem Bart ging als Unterhändler hin und her; er vertrat gerecht beide Parteien. – – –

Im Friedrichswald, etwa eine Stunde von Treiß, lag die Köhlerhütte des Schwarzen Peter. Sie war jetzt der Hauptversammlungsort für die Unternehmungen auf der rechten Moselseite. Dahin wandelten am Sonntag vor Weihnachten Iltis-Jakob und seine schöne Frau.

Iltis-Jakob war sonntags angetan: blaues Wams, kurze graue Hose, weißwollene Strümpfe und einen dreieckigen Hut, ganz wie ein Bäuerlein. Statt des gewohnten roten »Perpel« trug er einen derben Knotenstock unterm Arm. Hand in Hand gingen die beiden, schlenkerten die verschlungenen Hände zwischen sich, und der Mann pfiff sich eins. Er war selig; eben hatte ihm seine Anne vertraut, daß sie nun endlich Aussicht hatten, ein Kind zu bekommen. Den Jung, auf den er schon fünf Jahre wartete! Aber sein Sohn sollte einmal kein Straßenräuber und Mordbrenner werden, das schwur er sich heut in seinem ersten Glück. Eine hohe Schule sollte der besuchen, wenn es möglich war, geistlicher Herr werden, die Sünden des Vaters gutmachen durch seine Gottseligkeit. Schon sah er seinen geistlichen Herrn im langen schwarzen Rock mit der seidenen Schärpe, oder wenn er die Messe zelebrierte, herrlich angetan in Rot-Gold, von Weihrauchwolken umschwängert.

Dem Iltis-Jakob ward ganz eigen zumut, er ergriff plötzlich seine Frau, hob sie auf beiden ausgestreckten Armen und trug sie so eine ganze Weile. Sie war schwer, er schwitzte, aber er trug sie vor sich her, eine Schale der Freude. Das hätte er selber nicht gedacht, daß er noch einmal so vergnügt sein könnte wie als dummer Junge. Er fing laut an zu singen. Es kümmerte ihn nicht, daß ein paar Leute, die des Wegs kamen, ihn für einen Betrunkenen hielten. Erst als er nicht mehr schnaufen konnte, ließ er die Frau zur Erde.

Die schöne Anne lachte unbändig. Sie lachte noch mehr, als jetzt beim Wald, in den sie abbogen, Moyses Mohnsam aus Bridel hinter ihnen dreinkeuchte. Der war sehr betulich; er bot dem Jakob Schnupftabak an und schenkte ihm gleich die ganze Dose, er mochte denken: lieber gut Freund.

Moyses Mohnsam wollte eine Sau holen gehen, die er erhandelt hatte bei einem Bauern für den Metzger in Bridel. Sie sollte geschlachtet werden auf das Christfest.

Die Anne empfing ihn mit »Hepp, hepp«. War das nicht, um sich kaputt zu lachen, der Jud holte ein Schwein?! Das war doch nicht koscher. »Dat beste Stück dervon, dat kriegt Ihr dann zu essen!«

Moyses Mohnsam schüttelte sich.

Sie spottete seiner ohne Erbarmen, sie war ausgelassener denn je. –

Beim Schwarzen Peter war heute Versammlung. Um sich im Freien zu treffen, war es für eine längere Beratung heuer zu kalt. Und man mußte sich doch beraten. Es fehlte vielen an vielem, manchem von ihnen an allem. Was man nicht so sich beschaffen konnte, das war unerschwinglich teuer. Solche Preise hatte das Moselland noch nie gekannt. Und überall in der Welt war es gleich teuer. Die Franzosen, die von Paris kamen, erzählten: da fielen die Menschen um auf der Straße, sie starben vor Hunger, das Maul noch voll von dem grünen Gras, das sie gerade ausgerauft hatten.

Um den Hals der schönen Anne hing lang eine goldene Kette, dick wie ein Kinderfinger. Sie prahlte recht damit und zeigte sie den anderen neidischen Weibern: die hatte ihr lieber Mann ihr geschenkt.

Es war ein ganzes Rudel Weiber zusammen, jeder der Räuber hatte sein Mädchen mitgebracht. Die Amie war auch da; sie war nun die erklärte Liebste des Eschen-Philipp, der Soldat unter der Nordlegion gewesen, von da aber durchgegangen war am zwölften Nivose des vorigen Jahres. Wenn aber der Bückler zugegen war, machte sich die Amie wieder an den.

Im dunkelgrünen Rock, mit schwarz getüpfelter Weste aus Manchester, deren Grund einstmals himmelblau gewesen sein mochte, in eng anliegenden hirschledernen Beinkleidern, saß der Hauptmann Bückler stolz da. Seine Wangen waren ein wenig schmaler geworden – die Fleischtöpfe waren ihnen allen jetzt nicht mehr so voll – und er trug noch besondere Sorge um seine Julie. Die hatte ein schweres Kindbett gehabt und konnte ihn nicht mehr begleiten; er hatte sie eingemietet bei einer verläßlichen Frau in einem Dörfchen am Fuß des Kondel. Da wohnte sie recht entlegen, er konnte sie oft besuchen und, wenn Entdeckung drohte, schnell in den Kondel entweichen. Denn ganz so wie früher traute er nicht mehr, obgleich er heut mächtig prahlte: pah, was sollte ihnen denn geschehen? Daß sie tüchtiger waren und stärker als ein ganzes Regiment Franzosen, das hatte man doch erst neulich gesehen, und vor wem sollte man sich denn sonst noch fürchten?! Aber die harte Aburteilung des Petronellen-Michel und des Stiebitz-Wenzel, die so manches Stücklein mit ihnen vollführt, hatte doch die allgemeine Zuversichtlichkeit etwas erschüttert.

»Wat kann denn groß sein, wenn sie mich kriegen?« sagte der Hannes leichthin und wendete sich zu Hans Bast, der ihm gegenübersaß. »Mit sechs, sieben Jahr Galeer denk ich wegzukommen.«

»Ich nit«, sagte Hans Bast und strich sich den langen, wallenden Bart. »Bei uns zwei geht et um den Kopp.«

Die Frauenzimmer kreischten auf: der alte eklige Kerl, der verdarb einem den ganzen Humor! Sie warfen sich über den Hannes und drückten und küßten ihn ab.

Er wehrte sich lachend. Aber als sie nicht abließen, wurde es ihm lästig. Früher hatte er sich niemals gescheut, seiner Julie untreu zu werden, aber nun, da sie sein Kind stillte, ging es ihm doch etwas gegen den Strich, andere Mädchen zu hätscheln. Er würde die Julie heiraten, sobald er nur einen Pfarrer ausgekundschaftet hatte, der sie traute. Er blickte nachdenklich. Ohne daß er's recht wußte, hatte auch ihm Hans Basts Bemerkung die Laune verdorben. War etwa der Kerl oben zu Lutzerath, die verdammte Spürnase von Friedensrichter, zu fürchten? Er fuhr den Krinkhofer an: »Du sitzt doch in seiner Näh! Bring ihn doch auch nach dem Reiler Hals«, setzte er dann anzüglich hinzu.

»Ich seif ihn ein«, sagte Hans Bast kalt. »Zum anderen is et noch immer Zeit.«

»Jo, jo, beileib nit, Hauptmann«, mahnte der Juden-Peter. Er hieß so, weil er ein schönes Judenmädchen aus Seibersbach mit sich führte.

Die anderen fingen laut an zu lachen: was, der war auf einmal zahm? Man wußte, der kleine Kerl, von noch nicht ganz fünf Schuh, hatte schon ihrer zweie kaltgemacht.

Ein heftiger Disput erhob sich. Die einen, zumal der Schwarze Peter mit seinen Feueraugen, waren dafür, durch Brand und Mord mit allem aufzuräumen, was sich ihnen hindernd in den Weg stellte. Hans Bast und Iltis-Jakob bestanden dagegen auf Vorsicht.

Auch Bückler hatte seine Heftigkeit bereits vergessen: diesmal hatte der Nikolai recht. Er schlug sich, wenn auch ungern, auf dessen Seite. Es paßte dem König der Diebe sonst gar nicht, daß einer außer ihm sich eine Hauptstimme herausnahm, er, er allein hatte zu kommandieren in seinem Reich.

Aber wie nun zu etwas wahrhaft Einträglichem kommen?! Es lohnte sich letzterhand alles nicht recht. Die kleinen Bäuerlein, denen sie Rauchfang und Backofen ausleerten, hatten jetzt selber nichts zu brechen und zu beißen mehr, und die großen Hofbauern hatten – wenn man's auch nicht achtete, daß die ihre Söhne und Knechte nachts gut bewaffnet wachen ließen – damit angefangen, all ihr Bargeld nach Trier oder Koblenz in sicheren Gewahrsam zu bringen. Und wollte man die Postwagen plündern, so war meistens nichts drin. Reisende machten sich jetzt nicht auf den Weg bei der kalten Winterszeit; Aussichten für den Postraub gab's erst wieder zu Ostern, wenn die Händler die großen Märkte bereisten.

Backenbart-Toni schlug vor, man solle in Kirchen einbrechen, und nannte gleich ein paar, in denen sich's wohl noch verlohnen würde. Zu Springiersbach hatten die Klosterbrüder, wenn auch die Franzosen in der Abteikirche vieles demoliert und den Heiligen die Nasen abgeschlagen hatten, noch mancherlei beiseitegeschafft und im Gewölbe unter der Krypta verborgen. Die Amie wußte das!

Amie, die bis dahin geschmollt hatte, weil der Bückler nicht viel nach ihr fragte, wurde auf einmal lebhaft und berichtete; sie hatte gut spioniert während ihres Dienstes beim Pfarrherrn.

Aber Johannes Bückler war gegen Springiersbach; nicht weit von dort hatte er Julie Bläsius untergebracht, er würde sich hüten, die Blicke der Polizei auf jene Gegend zu lenken.

Backenbart-Toni schlug weiter vor: die Marienburg. Das wäre einmal ein Spaß, die adligen Damen des Stifts da oben im Hemde herumrennen zu sehen! Oder wie war's mit der großen Abtei Maria-Laach? Ein fetter Bissen!

Doch auch hierfür zeigte der Hauptmann keine Lust; er ging nicht weiter auf diese Vorschläge ein. In seinem Innern war etwas, das sträubte sich gegen das Kirchenausrauben. Früher war ihm das gleich gewesen, ob es eine Kirche war oder ein Kuhstall, aber nun, da er daran dachte, sich trauen und seinen Knaben taufen zu lassen, kam es ihn wieder wie Respekt an vor geheiligter Stätte.

Am besten war es, den Juden allerorten den Zehnten abzuverlangen. Und so die binnen drei Tagen nicht zahlten, ihnen ein Strafgeld aufzuerlegen, das sie zu bringen hatten an einen bestimmten Ort. Es gab so viele Juden rundum, an der Mosel und auf dem Hunsrück, und alle hatten sie was: Stoffe, Bänder, Hüte und Kleider, allerlei Tand im Laden, weiß Gott was noch! Die mußte man wieder einmal ordentlich schröpfen.

Jubelnd klatschten die Weiber dem Hauptmann Beifall. Die schöne Frau des Iltis-Jakob zeigte ihre Füße, die steckten ohne Strümpfe in den Schuhen, sie hatte sie nur mit alten Lappen umwickelt. Alle Weiber schrien auf einmal: »Ich krieg Strümpf – ich en Unterrock – ich brauch Zwilch – ich en Kleid – ich en seiden Schürz – ich Windeln!« Es war ein Geschnatter, daß die rußige Köhlerhütte zu eng dafür war, es dröhnten einem die Ohren.

»Halt euer Maul«, gebot Hans Bast. Und dann wendete er sich gegen den Bückler. Wie zwei Feldherrn saßen die zwei obenan, sich gegenüber. Nein, dafür war er nun ganz und gar nicht, sich so zu verzetteln. Der eine hier-, der andere dorthin rennen, um das Judengeld einzutreiben?! Das war dumm und gefährlich, einer allein wurde viel zu leicht abgefangen. Und wer stand dafür, daß er beim Verhör vor dem Richter dann die anderen nicht angab?

»Unter uns gibt et keinen Verräter«, sagte der Bückler.

Hans Bast lachte grimmig: »Dat sagst du so. Menschen sind schwach.«

Der Bückler warf sich in die Brust: »Ich« –

Aber der große Mann legte ihm die Hand auf den Mund: »Verschwör dich nit.« Und dann, ohne noch auf jemand zu hören und ohne einen anderen zu Wort kommen zu lassen, legte er klar, daß man am besten arbeiten würde in geschlossener Kolonne. Zusammenhalten war das beste Mittel, dem Auseinandergesprengtwerden zu entgehen und dadurch auch der unausbleiblichen Gefangennahme einzelner Mitglieder. Und warum dachten sie denn immer nur an Mosel und Hunsrück? Die waren ja schon so abgegrast; auf der Eifel droben war noch etwas zu holen.

Pah, die arme Eifel! Wölfe und Schnee und armselige Bauern!

»Und reiche Müller«, sagte Hans Bast. Er strich sich den Bart. – –

Die schöne Anne stahl sich zur Hütte hinaus; sie hatte dem Schwarzen Peter tief in die Augen gesehen, und wenn es niemand wahrnahm, hatte ihr Fuß den seinen gesucht. Immer wieder hatte die Flasche gekreist; war es der Schnaps nun, den sie getrunken hatten in langen Zügen, oder was machte ihnen so heiß? Die schöne Anne stand draußen und fühlte die Winterkälte nicht. Würde der Peter herauskommen, würde es ihm gelingen, sich unbemerkt zu ihr zu schleichen?

Da war er! Schwarz wie der Teufel, Höllenfeuer sprühte ihm aus den Augen. Sie lief ihm entgegen und schlang die Arme um ihn, fühlte wie berauscht seine heiße Glut.

Sie vergaßen ganz, wo sie waren, und daß der Mond jetzt anfing zu scheinen. Die Treißer Straße schimmerte wie ein weißes Band durch die Bäume. Sie waren von dorther deutlich zu sehen. Ein Mann trieb eine Sau die Straße entlang.

Mit knapper Not noch fuhren die Verliebten auseinander, als jetzt Iltis-Jakob nach seinem Weib rief. Es war Zeit, um zu gehen. Der Wirt gab den Gästen ein Stück Weg das Geleit. Er wußte es bald so einzurichten, daß er als letzter ging. Immer mehr verlangsamte die schöne Anne ihren Schritt. Nun hatten sie sich. Die anderen waren vorauf; sie sanken sich in die Arme und ließen sich dann hinter einem hohen Schneehaufen nieder.

Iltis-Jakob war mit Hans Bast im Gespräch. Sie waren sich beide klar, daß ihr Handwerk schwieriger wurde mit jedem Tag. Den Genossen in Frankreich, die vordem goldene Tage gehabt hatten, ging es jetzt noch schlimmer. Da war einer aufgetaucht, ein General, der in Ägypten Krieg geführt hatte. Und der hatte unter dem Vorwand, er wolle Ruhe und Sicherheit im Land wiederherstellen, alle ins Kaschott geworfen, Räuber und Nichträuber, alle, die ihm nicht paßten. Er selber hatte sich genommen, was ihm beliebte.

»No jo,« sagte Iltis-Jakob, » der im großen, wir im kleinen!«

Die beiden waren so vertieft, daß sie den Mann, der vor ihnen dicht auf der Straße ging, nicht beachteten; erst als ihnen eine Sau grunzend zwischen die Beine lief, erkannte Iltis-Jakob, der beinahe zu Fall gekommen war, den Moyses Mohnsam. »Jud verfluchter, pass' besser auf!« Jähzornig wollte er den Händler verprügeln.

Aber Mohnsam flüsterte: »Paßt Ihr besser auf«, und zupfte ihn, daß er ein wenig mit auf die Seite trete. Den Iltis-Jakob am Ärmel haltend, tuschelte er ihm ins Ohr: »Eure Frau, Eure Frau und der Schwarze Peter!« Und zeigte nach rückwärts.

Da rannte Iltis-Jakob, was er rennen konnte, den Weg zurück. Er lief lautlos, der Schnee dämpfte seine Tritte. Der Mond schien hell – da sah er die beiden hinter dem Schneehaufen.

Mit einem Schrei stürzte er sich auf die Überraschten. Ehe der Schwarze Peter, der sonst so starke, zur Abwehr sich aufraffte, hatte er einen Schlag auf den Kopf mit dem Knotenstock, daß er völlig betäubt war. Über das Weib, das vor Schreck sich nicht rührte, fiel der vor Eifersucht Sinnlose her. Er packte die Frau am Hals – da trug sie die goldene Kette, die war lang und fast so dick wie ein Kinderfinger. In seiner Wut zog der Ehemann die Kette fest zusammen um den molligen Hals. Dir schöne Anne vermochte nicht mehr zu schreien. Mit der Kette erwürgte er sie. – – – –

Es war dem Moyses Mohnsam nicht wohl zumut. In der Nacht spät war er nach Haus gekommen, die Sau hatte viel Sperenzien gemacht unterwegs. Schnee hatte wieder begonnen zu fallen, Flocken, so unaufhaltsam und dicht, daß sie alles zudeckten mit einem Leichentuch. Den ganzen folgenden Tag hielt es an mit schneien, man sah nicht die Hand vor Augen und keinen Weg. Es war das beste, man blieb zu Haus und verschlief Tag und Nacht. Aber Mohnsam fand keinen Schlaf. Es wäre doch besser gewesen, er hätte dem Iltis-Jakob nicht verraten, was er gesehen, als er seine Sau bei dem in sich versunkenen Paare vorbeitrieb. Weiß Gott, was der in seiner Eifersucht noch vollführte! Dem Moyses war beklommen.

Die Nacht auf den folgenden Tag war gekommen. Ganz Bridel schlief schon. Es war Mitternacht. Da schimmerte plötzlich außen das Licht einer Fackel bei Mohnsam durchs Fenster. Und schon krachte etwas: das war die Haustür! Der Jude war sich sofort bewußt: das galt ihm! Mit einem Satz war er aus dem Bett.

Sein Weib schrie auf: »Gott der Gerechte!« Sie rannte die Leiter zum Speicher hinauf, sie schrie um Hilfe. Fern hörte man den Nachtwächter tuten. Mohnsam atmete auf: der würde nun Alarm blasen, man würde zu Hilfe kommen. Jedoch das Tuten entfernte sich, und andere Hilfe kam auch nicht. Wohl aber standen zwei Vermummte in der Stube.

Der Riegel, den Mohnsam rasch vorgeschoben, hatte sie nicht gehindert, ein starker Stoß hatte die Tür gesprengt. Und sie packten den Unglücklichen, der sich nicht zu wehren wagte.

Oh, seine Zunge, seine unglückselige Zunge! Reden ist Silber, Schweigen aber Gold, das schoß dem Mohnsam noch durch den Kopf. Weiter konnte er nichts mehr denken, die krasse Todesangst nahm ihm alles fort. Er hatte trotz aller Vermummung den Schwarzen Peter und den Iltis-Jakob erkannt.

Mit wilden Beschimpfungen schleppten sie den unglückseligen Schwätzer zum Kamin, in dem das Feuer noch brannte. Ein Holzscheit riß jeder von ihnen heraus, das brennende Ende hielten sie ihm unter die Achselhöhlen. Das gesengte Fleisch stank, es fing an zu schmoren. Mohnsam war ziemlich beleibt, Fett fing an zu traufen.

Der Gemarterte stöhnte und ächzte, Todesqualen umfingen ihn. Die Rachsüchtigen fluchten. Bei jedem Stöhnen kam noch ein Fußtritt dazu. Da verstummte der Unglückliche. – – – – – – – – – –

Es war nichts gestohlen worden im Haus des Mohnsam; leer, wie sie gekommen, waren die Räuber gegangen, aber der Jude lag tot.

Eine unerhörte Freveltat! Nun schrie ganz Bridel. Also die Räuber brachen nicht bloß ein, um zu rauben, nein, auch, um nur zu morden! Die ganze Gegend geriet in Aufruhr. Jeder fühlte sich nun selber bedroht.

Der Friedensrichter oben zu Lutzerath war verzweifelt; Bridel gehörte nicht zu seinem Kanton, aber das war ja ganz gleichgültig, jetzt hieß es: einer für alle. Um die Mörder dingfest zu machen, mußte man sich anderer Schurken bedienen. Adami hatte den Schmied Hans Bast lange Zeit nicht gesehen; nun ließ er ihn zu sich entbieten. Aber der kam nicht.


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