Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ernst und wortkarg ritt Adami der Gegend des Kondel zu. Vor ihm her sprang der Hund, die Zunge lang hängend, die Lefzen triefend, aufgeregt, als ginge es zur Jagd. Hinter dem Friedensrichter ritten ein paar Landjäger. Viel Leute hatte Adami sich nicht mitgenommen, die Ungeduld ließ ihm nicht Zeit dazu, und es war auch das klügste, so wenig Aufhebens wie möglich zu machen. Nur kein Lärm, nur kein Aufsehen, nur ganz unbemerkt!
Da hatte man ja nun den Burschen, den Augenzeugen vom Reiler Hals, nach dem man lange vergeblich gesucht, den man schon tot gewähnt oder auch in falschem Verdacht gehabt hatte. Verdacht auf diesen einfältigen Jungen? Du lieber Gott! Aber was der im Stall erzählt hatte, ehe man ihn zu den Krankenschwestern ins Kloster schaffte, das spornte zur größten Eile an. Bekam der Bückler Wind, so war er über alle Berge wie immer und tauchte erst nach Monaten irgendwo auf, im Nassauischen oder Hessischen. Ob Jakob Ofenloch, der Krämer mit Tabak und Seife, überhaupt jetzt bei seiner Geliebten zu finden war, das war noch unsicher. Man mußte sich aber jedenfalls der Bläsius versichern, damit sie ihm nicht eine Warnung zukommen lassen konnte. Kam er dann hin, um sie zu besuchen – und er ginge oft hin, so sagte der Bursche –, dann nahm man ihn fest.
Die drei Männer ritten schweigend. Adami hatte das Gefühl, einer Entscheidung entgegenzugehen; in solchen Stunden vibrierten seine Nerven nicht mehr, dann wurden sie eiserne Stricke. Wieder und immer wieder überdachte er das Bekenntnis des französischen Burschen.
Der arme Schlucker! Er hatte wohl viel erdulden müssen bei seinem Hauptmann. Selbst in dieser einfältigen Seele war Haß aufgekeimt. Jean-Claude gab es ruhig zu, darüber hatte er sich keinen Kummer gemacht, daß die Räuber den d'Aubry so auszahlten. Daß der das Leben sogar hatte lassen müssen, das bedauerte er weiter auch nicht. Er hatte die Bande von der Ermordung sich heimlich erzählen hören, und er hatte wohl aufgemerkt. »Der Krinkhofer! Der mit dem schwarzen Bart! Der hat es getan«, so sprachen sie. Er selber hatte den Krinkhofer nie mehr zu Gesicht bekommen; der kam wohl manchmal bei Nacht und verschwand heimlich; der Krinkhofer konnte sich unsichtbar machen: gerad so, wie der mit dem Pferdefuß, so sagte Backenbart-Toni.
O dieser doppelzüngige Schurke, der sein wahres Gesicht hinter dem geheimnisvollen Schleier verbarg, den er sich, phantastisch genug, überwarf. So schlau, so schlau, ein Märchenerzähler, ein Fabelerfinder und doch, Gott sei Dank, nicht schlau genug! Adami atmete auf. All diese Schlauheit war jetzt über den Haufen geworfen durch die leibhaftige Einfalt.
Jean-Claude, der einfältige Junge, den noch dazu ein Fieber schüttelte, hatte gestammelt, französisch und deutsch herausgeschluchzt: »Es ist wahr, ganz gewiß alles wahr, mein Herr, was ich Ihnen erzähle. Meine Mutter hat zu mir gesprochen heute nacht: ›Schankelödchen, nicht lügen!‹ Und Monsieur Bückler hat den Wagen von eine Demoiselle auf die Landstraß angehalten, er wollte gewinnen ein Lösegeld, er hat sie gebracht herauf in das Haus, wo war ich und Backenbart-Toni und Placken-Klas. Wir haben gebraten viel sehr gute Sachen. Ich mußte spreken mit ihr immer französisch. Und sie waren sehr lustik, und Madame hat getanzt auf der Tisch, und ich abe gemußt servieren. Zuletzt waren alle betrunken, auch der Monsieur, der kam, pour faire la visite. Da bin ich gelaufen. Oh, grand malheur! Mein Herr, aben Sie Mitleid mit mir!« Er rang die Hände. »Mein Herr, geben Sie mir nicht an die Franzosen, da werd' ich erschossen als Deserteur. Ich bin kein Deserteur, pas du tout, ich will nur gehen zu meine Mutter!«
Der Bursche hatte geweint und gezittert, er war kaum zu beruhigen. Nun, das würden die Nonnen schon fertig bekommen und ihn auch gesund pflegen. Jean-Claude konnte getrost sein, ihm würde kein Leid geschehen. Adami hatte die feste Absicht, seinetwegen bei Oberst Dupuis vorstellig zu werden, und auch die feste Überzeugung, daß sie ihn würden laufen lassen. Man kann einen Untergegebenen nicht strafen, der nur seinem Vorgesetzten gehorcht hat. Und er hatte unbezahlbare Dienste geleistet, ihm gebührte Dank. Sie waren nun beide durch ihn entdeckt, Johannes Bückler und Hans Bast Nikolai, alle beide die Schrecken des Landes.
»Ich war dabei und war doch nit dabei, der Herr weiß es jetzt«, hatte der Krinkhofer gesprochen, als er im Amtszimmer zu Lutzerath stand und, um einer vielleicht möglichen Anklage vorzubeugen, das Märchen von seinem Führerdienst und seiner Flucht beim Überfall auf dem Reiler Hals dem Richter aufband. Daß er das hatte glauben können! Adami wunderte sich setzt selber, er staunte über seine Leichtgläubigkeit. Es hatte ihn dazu noch förmlich gepackt, als der große Mann damals, noch im Fortgehen, sich noch einmal umwandte und mit seltsamem Raunen sprach: »Ich sehe drei.« Das Rätsel von den dreien – der eine reitet aus Trier, ist Kapitän und nennt sich Marquis – der zweite sitzt zu Kochem, kein Marquis und doch als Marquis – der dritte liegt tot am Reiler Hals, ist nicht Marquis und auch nicht Kapitän –, das war für Adami jetzt kein Rätsel mehr. Ein Betrüger, der Kapitän d'Aubry, war aus Trier geritten unterm Namen des Marquis de la Ferrière – ein zweiter Betrüger, im geraubten Kostüm des ersten Betrügers, der Räuber Bückler, saß zu Kochem und spielte den Marquis – der dritte, ein Galeerensträfling, der nicht Kapitän und nicht Marquis war, lag tot am Reiler Hals. Und jetzt sah Adami noch einen vierten, und es zog wie Grauen dabei über sein Gesicht: dieser vierte spielte den ehrsamen Mann und war ein Mörder.
Ein Mörder dieser Mann im sauberen Bauernkittel, Haar und Bart glänzend gekämmt, so reinlich wie selten einer! Ein doppelter Mörder dieser Mann mit der hohen Gestalt, der stolzen Haltung und dem Anstand, um den ihn manch Vornehmerer beneiden konnte! Ein dreifacher Mörder vielleicht dieser Mann mit dem schönen Gesicht und den dunklen Augen, der eine Tochter hatte, die so ehrlich war, daß sie, so gern sie es verbergen wollte, ihre Verzweiflung über den Vater und das Fliehenwollen vor ihm so deutlich offenbarte. Ein Mörder dieser Hans Bast –?! Der Gedanke packte Adami, in fast schmerzhaftem Brüten zog er die Stirn zusammen. Trotz des leisen Mißtrauens, das er gleich zu Anfang gehabt, das dann geschwunden war, um stärker wieder aufzuerstehen, das sich dann zu einem ganz bestimmten Argwohn verdichtet hatte, fühlte er sich erschüttert. Mord an d'Aubry, Mord am Händler Mungel, Mord an dem Üßmüller – alle diese drei Morde und, wer weiß, welch andere noch, fielen den Krinkhofer zur Last. Und man hatte nur den Johannes Bückler gesucht!
Der Friedensrichter hatte, nachdem er den Gefangenen Jean-Claude zu Ende vernommen, einen Augenblick geschwankt: sollte er nicht lieber zuerst versuchen, sich des Krinkhofers zu bemächtigen? Aber der saß ja, sich sicher glaubend, wie der Fuchs in seinem Bau; der blieb ihm gewiß. Der wie ein Hirsch wechselnde, immer und immer seinen Stand verändernde Bückler war vorerst der Wichtigere.
Adami gab seinem Pferd die Sporen, die Landjäger taten es ihm nach; es ging dahin wie die wilde Jagd, aber lautlos. Sie suchten weichen Ackerboden oder den Wiesengrund, der eben anfing, seine gelbe Winterfarbe zu verlieren und sich in Frühlingsahnen grüner zu zeigen. Sie wollten selbst ein Klappern der Hufe vermeiden. Und doch hatten sie es noch weit.
Wo die Bläsius eigentlich wohnte, das wußten sie nicht genau, sie kannten weder das Dorf mit Namen noch das Bauernweib, in dessen Hütte sie untergebracht war. Nur »am Kondel« hatte Jean-Claude mit Bestimmtheit angeben können. Allzu viele Ortschaften kamen da nicht in Betracht; je weiter von der Mosel ab, desto dünner gesät die Dörfer. Und hier und da verstreut ein paar einsame Häuschen; das war alles.
Nun hatten sie Bengel passiert. Einige Neugierige traten vor die Tür und gafften den drei Reitern nach. Ein paar zerlumpte Kinder liefen hinter den Pferden drein und sammelten die Roßäpfel auf, die sie fallen ließen; die brachten sie der Mutter zum Verbrennen im Herd.
Adami fand, daß sie schon zuviel Aufsehen erregten; es war klüger, sich zu verteilen. Wer stand ihm denn dafür, daß dem Bückler nicht sofort gemeldet wurde: drei Reiter nahen. Er hieß die Landjäger langsamer folgen und stob allein vorneweg. Der Hund setzte in großen Sprüngen neben ihm her. In einer anderen Mission zu reiten, wäre heut ein Vergnügen gewesen. Was sein Lutzerath oben noch gar nicht zu hoffen wagte, das ging hier unten schon mit sichtbarem Schritt. Überall an den Weißdornhecken die ersten grünenden Spitzchen, am wilden Stachelbeerbusch auch schon die Triebe und da an der Schlehe, die sich tief über den Rain neigte, die früh sich öffnenden weißen Knöspchen. Noch keine Blüte, die gleich einer weißen Wolke an jedem Straßenhang ruht, aber nur eine kleine Weile noch, und auch sie war da. Im tiefen Grund hinter Bengel spazierte hochbeinig und langsam der erste Storch durch die Wiese, ab und zu bückte er sich und tauchte den langen Schnabel tief ein. Als der Reiter vorbeigaloppierte, erhob er ein warnendes Geklapper.
Langsamer, langsamer! Adami zügelte sein Pferd. Spähend sah er rundum: alles ganz menschenleer. Wiesenschaumkraut, blaßlila und zart, überschäumte die Fläche des Tales, die der Kondel im Hintergrund abschloß. Und siehe da, die ersten goldgelben Himmelschlüssel, die Boten des Frühling! Der Reiter atmete tief die hier soviel weichere Luft ein, selbst beim ruhigeren Traben wurde ihm jetzt schon heiß. Wenn es ihm nicht gelang, zu dieser Zeit noch den Bückler zu fassen, dann war's wieder vorbei; wurden die Wälder erst dicht und undurchdringlich, dann war der nicht mehr zu finden.
Wenn man nur wüßte, wo das Haus lag, darin die Bläsius steckte? Er stand in den Steigbügeln und reckte sich lang. Dahinten tauchte Springiersbach auf, das Dorf, und nicht weit davon die Abtei. Dies Dorf war zu groß, da wohnte sie nicht. Schon neigte der Nachmittag sich gegen den Abend, zu den Waldhöhen des Kondel stiegen vom Tal bereits weißliche Nebel auf. Wenn doch jemand sich nahen würde, den er noch ausfragen könnte, ehe der Fuchs vollends braute und der Mond, der heut voll werden mußte, jeden sich Nahenden schon von weitem verriet!
In verschiedenen einsam liegenden Hütten hatte Adami schon vergebens geklopft und durchs Fensterchen hineingeschaut; in den meisten war niemand zu Haus, oder nur ein paar einsame Kinder glotzten ihn an. »Wohnt hier eine Frau Ofenloch?« Ahnungslose Kinder, die konnte er ja getrost fragen. Aber sie blieben die Antwort schuldig, bohrten den Finger in die Nase und sagten verängstigt kein Wort. Hin her – her hin war der Reiter schon oftmals geritten.
Die angespannte Aufmerksamkeit ließ Adami selber nicht müde werden, aber sein Pferd wurde es. Er schaute sich um nach den Landjägern, sie waren noch nicht zu sehen. Aber etwas anderes kam des Weges, aus der Richtung Springiersbach her, ein Mann mit dem Packen. Und eine schlanke Weibsperson ging ihm zur Seite, deren Kopftuch grellrot leuchtete selbst im Dämmerschein. Ein wandernder Krämer. Wenn das Jakob Ofenloch wäre und bei ihm die Bläsius?
Adami spornte sein Pferd, es setzte auf die beiden zu, daß sie laut aufschrien: »Gott der Gerechte!«
Der Mann, dem der Rücken gebeugt war unter dem Packen, riß die Schlanke zur Seite: »Blümchen, gib Obacht!« Dann dienerte er.
War das nicht ein alter Bekannter? Herz Rosenblatt aus Reil an der Mosel? Der Friedensrichter erkannte ihn gleich. Das waren dieselben schlau-gutmütig glänzenden Augen, die ihn oben zu Lutzerath traurig angesehen hatten; sie waren mit der Zeit noch trauriger blickend geworden, und der ganze Mann, unter der Last des ewigen Packens, bewegte sich noch tiefer nach vorn.
Herz Rosenblatt war hocherfreut: »Der Herr Friedensrichter!« Und sehr neugierig auch: »Wo will der Herr noch hinreiten so spät? Es war ihm sofort klar: der suchte hier etwas. Bereitwillig bot er sich an: »Kann ich dem Herrn sein zu Diensten vielleicht?«
Adami überlegte: sollte er den Rosenblatt offen fragen? Das war zuviel Vertrauen. »Ich reite spazieren«, sagte er kühl.
»Der Herr Friedensrichter reitet spazieren, ei weh, e bißche e weiter Spazierritt von Lutzerath her!« Rosenblatt wendete sich zu seiner Tochter: »Siehste, Blümchen, das is der Herr Friedensrichter, der gute Herr, der deinem Tate geschenkt hat en Taler! Aber der Taler hat nit gemacht die Liebe. Herr Friedensrichter, daß Sie geredt haben wie en Mensch zu 'nem Menschen, das wird der Jüd Ihnen niemals vergessen.«
»Wie geht es Ihm denn?« fragte Adami.
»'s will nit eso recht mehr«, seufzte Herz Rosenblatt. »Seit die Räuber mir's Haus geplündert haben zu Reil, bin ich kapores. Allein kann ich nicht mehr auf den Handel gehen. Meine Tochter Blümchen«, stellte er seine Begleiterin vor.
Ein paar wunderschöne nachtdunkle Augen sahen Adami an. Er war überrascht: solch eine Tochter hatte der alte Jude? Sie stand barfuß mit schlanken Beinen im Kot der Straße. Ein schmales, mattgelbliches, edles Gesicht; aller Zauber des Morgenlandes lag noch auf dieser Jugend am Moselufer. Sie war die Schöne des Hohenliedes, bis sie verblühte hier in der Armut und ihre Schlankheit zerfloß im Fett des Weibes mit den vielen Kindern. Adami lächelte unwillkürlich: wie neugierig ihn das Mädchen ansah! Ganz wie der Vater. Und dabei doch der Blick so traurig; auch wie beim Alten. »An den Wassern von Babylon saßen wir und weineten, wenn wir an Zion gedachten« – das fiel ihm ein.
Er schenkte dem Blümchen einen Taler. Und nun fragte er doch: »Sagt einmal, Rosenblatt, hat Er nichts vom Bückler gehört? Der soll doch wo hier herum sein?«
Der Jude verneinte erschrocken und hob abwehrend beide Hände: »Gott soll hüten, ich weiß von dem Menschen nix! Aber neulich hab' ich einen gesprochen, den Ofenloch, 'n Krämer wie ich, der sagte: ›Nu is Ruh im Land, der Bückler is nach Hessen verzogen.‹«
Glaubte der Jude das wirklich, oder tat er nur so? Adam! sah ein listiges Zwinkern in den dunklen Augen. Herz Rosenblatt mußte vorsichtig sein, er war durch Schaden gewitzigt und wollte ihm doch wohl gern auf die Fährte verhelfen! Erwartungsvoll sah er den Händler an.
Der nickte unmerklich nach einem Häuschen hin, das weit, weit hinter Springiersbach, kaum noch zu erkennen, wie ein graues Klümpchen am Abhang des Kondel klebte. Er hob nicht den Finger, er drehte den Kopf nur unmerklich: »Da wohnt der Ofenloch. Er hat meinem Blümchen geschenkt das schöne rote Tuch, was sie trägt um den Kopf. Er hat ihr auch versprochen was Güldenes, wenn sie wird schenken ihm einen Kuß.« Er hob wieder die Hände: »Gott der Gerechte, wo kann der Ofenloch, arm wie ich, was Güldenes schenken dem Blümchen für einen Kuß! Der Mann muß doch sein ganz meschugge.«
Das war alles nicht ohne Bedeutung gesagt. Adami verstand den Juden vollkommen: kein anderer wie der Bückler tat so etwas. Schwach gegen alles, was einen Weiberrock anhatte. Er nickte dem Rosenblatt zu: »Kommt gut heim!« Und dann gab er seinem Pferd die Sporen. Bald war er weit fort von Herz Rosenblatt und seinem Blümchen, die mühselig, durch die Pfützen der von wärmerer Sonne hier gänzlich erweichten Straße, Reil zustapften.
Adami hatte nicht Zeit, auf seine Landjäger zu warten. Welch glücklicher Zufall, der ihm den Rosenblatt in den Weg geweht hatte! Es galt, den zu nützen. Er stob durch Springiersbach. Wo der Weg sich kreuzte, stand ein uraltes Heiligenbild. Da ging's hinunter nach der Mosel – da hinauf nach dem Kondel. Er bekreuzte sich flüchtig. Schon war der Abend da.
Als er dem einsamen Häuschen zuritt, das, fern allen anderen Behausungen, wie ein Schwalbennest zusammengekleistert und dreckig, an einem Rasenhang klebte, ging schon der Mond auf. Er war noch nicht ganz herauf, sein Licht zitterte noch im Streit mit Wolken und Bäumen und machte alles wesenlos und ungreifbar. Ein unheimlich dämmerndes Licht und eine Stunde, in der es nicht gut tut, wenn man ganz allein ist. Adami fühlte das, er hätte doch vielleicht nicht so vorausreiten sollen. Im Hui fielen allerlei trübe Gedanken über ihn her. Er dachte plötzlich an die einstige Braut. Wenn Susanne jetzt seine Frau wäre, würde er sich gewiß nicht so rücksichtslos allem aussetzen, was nun kommen konnte. Er gab sich keinen Illusionen darüber hin. Aber so hatte er ja kein Glück zu verlieren.
Er pfiff dem Hund, der eine Katze jagte: »Miro, hierher! Du bleibst bei mir, Miro. Pass' auf!« Er fühlte nach seiner Waffe.
Nun war er am Haus. Durch das einzige Fensterchen, hinter dem trüber Lichtstrahl blinzte, schaute er in die Stube. Er konnte nichts sehen. Aber er hörte drin Stimmen.
*
In der Stube von Julie Bläsius lag das Hänneschen in Krämpfen. Die starren Augen in dem dicken Kopf blickten noch starrer zur Decke; der kleine Körper wurde hin und her geworfen, die Füßchen waren zum Leib hinaufgezogen, die Händchen so fest zusammengeballt, daß man sie nicht hätte aufmachen können, ohne sie zu zerbrechen.
Als Julie ihren Hannes angeschleppt hatte, war es schon später Abend gewesen; da die französischen Reiter umherstreiften, hatten sie für Stunden versteckt im Busch liegen müssen. Als sie endlich nach Haus gelangten, schlief der Knabe noch immer, schlief so fest, wie ihn die Julie beim Morgengrauen verlassen hatte.
Die Alte war sehr stolz: »Esu hat hän geschlof den ganzen Dag!« Daß sie ihm immer wieder und wieder sein Lutschbeutelchen in Mohntee getunkt hatte, das sagte sie nicht.
In der Nacht wachte der Vater auf von einem gellenden Schrei. Im nächsten Augenblick war er schon an der Wiege. Und nun wankte auch Julie verschlafen heran. Krämpfe schleuderten das Kindchen fast aus dem Kissen. Sie standen entsetzt.
»Dat sein eweil die Gichter,« tröstete die Alte, »die han mein Könder als oft gehatt, die gehn vorüwer!«
Aber sie gingen nicht vorüber. Die Eltern standen dabei, von Schrecken ganz starr. Stunde auf Stunde verrann.
»Et micht als die Zähn«, tröstete wieder die Alte. Aber ihr selber war es nicht geheuer, selbst ihrer Gleichgültigkeit dämmerte etwas. Das Kind wurde ganz blau.
»Hättst du et nit allein gelassen, wär et eweil nit eso krank«, stöhnte der Bückler vorwurfsvoll. »Warum biste mir auch nachgerannt?« Er hob die Faust gegen Julie.
»Weil du kein andre bei dir haben sollst, weil ich allein zu dir gehör, ich, immer und ewiglich!« Sie sah ihn starr-trotzig an.
Da ließ er die Faust sinken. Sie hatte recht, sie beide gehörten zusammen, dies war ihrer beider Kind. Und er hielt ihr die Hand hin: »Sei mir nit bös!«
Als der Tag weiter vorschritt und keine Besserung eintrat, verlangte Julie nach einem Doktor. Aber sie trauten sich nicht, einen zu holen; der könnte sie ja erkennen. Julie jammerte laut; nun sie sich mit dem Hannes ausgesöhnt hatte, erwachte auch wieder ihr Gefühl für das Hänneschen. Sie gab sich gar nicht zufrieden. »En Dokter, en Dokter, wenn mir doch nur en Dokter hätten!«
Da, in der höchsten Not, fiel dem Hannes der Krinkhofer ein. Alles was wahr war, der kurierte gut, der tat mehr Wunder als ein gelernter Doktor! Er machte sich auf nach Krinkhof.
Der Weg war weit, er rannte durch den Kondel, der Schweiß lief ihm in Strömen. Wenn er den Krinkhofer nur zu Hause antraf! Wäre es doch wie vordem gewesen, so hätte er leicht einen von der Bande nach Krinkhof hinaufschicken können und selber beim Hänneschen bleiben. Aber wo waren die alle hin? Wie in die Winde zerstoben. Er runzelte noch besorgter sein heute ohnehin kümmerliches Gesicht: der Schwarze Peter und Iltis-Jakob schienen verloren. Backenbart-Toni und Placken-Klas hatten sich auch nicht wieder gemeldet; schliefen die noch immer oben im Edinger seinem Haus? An den anderen Brüdern – es waren ihrer über dreißig – lag ihm nicht halb soviel; die waren nur aus Gewohnheit beim Handwerk und stumpf, bei denen kam nicht die rechte Lust dran hinzu.
Wo der Bursche Jean-Claude geblieben war, ob der sich mit dem Toni und dem Placken-KIas glücklich verzogen hatte, daran dachte er nicht. Sein ganzer Sinn war bei dem Kinde geblieben. Wie mochte es jetzt dem Hänneschen gehen? Er würde seinen Knaben doch noch lebendig wiederfinden? Jesus, Hans Bast mußte mit ihm kommen, Hans Bast mußte helfen! Und wenn er seine Seele dem Teufel verschreiben sollte.
Wie ein Besessener rannte der geängstigte Vater. Jetzt war er auf Kaisersherberg. Verschnaufend sah er sich einen Augenblick um. Sommertage fielen ihm ein, laue Nächte, von Glühwürmchen durchfunkelt, in denen sie hier sich gelagert hatten. Da war alles so gut gegangen. Schön war's hier gewesen. Hei – es blitzte in seinen Augen auf –, wenn's erst wieder soweit war! Dann sollte das Moselland erst recht einmal staunen, die ganze Welt. Dann war der Hannes ihr König! Er lachte laut auf. Aber dann verfinsterte sich sein erheitertes Gesicht rasch wieder: noch war es lange bis dahin.
Je höher er nach Krinkhof hinaufkam, desto weniger war vom Frühling zu merken; tot lag noch der Waldboden, die Buchen zeigten kein Leben, finstergrün nur ragten die Tannen. Die Eifel vor ihm lag noch fest im Schlaf. Buckelauf, buckelab, durch Schluchten, über Höhen. Die Schmiede auf dem höchsten Buckel lag windeumweht. Er stürmte sie eilig.
Gottlob, Hans Bast war zu Haus!
Der Krinkhofer saß am Herd und rupfte zwei weiße Tauben. Wenn die Maria nicht heraufkam zu ihm, brauchten die auch nicht länger zu leben, dann briet er die sich. Eine Unlust lag dem Mann in Leib und Seele. Alles war fehlgegangen, der Tod des Üßmüllers ohne jeden Zweck. Gut, daß der Iltis-Jakob so zerschlagen war, daß ihn niemand erkannt hatte – aber wo waren die beiden anderen geblieben? Er fühlte Unruhe. Nun, wenn die Spürnase kommen sollte, nachforschen wegen der Mühle, so lag er krank. Schon seit drei Tagen. Wußte von nichts, hatte niemand gesehen. Er beschloß, sich sofort ins Bett zu verkriechen. Nun kam aber auf einmal der Bückler, atemlos, Schweißtropfen auf der Stirn, und quälte ihn: »Komm doch erunter zu meinem Hänneschen, et is eso krank. Du kannst ihm helfen. Um Jesu Barmherzigkeit willen, komm doch, komm!« Bittend faltete er die Hände und bückte sich tief.
Es hatte dem Krinkhofer geschmeichelt, daß der andere so vor ihm kroch. Als er noch zögerte, denn nur ungern gab er den Plan auf, sich krank zu stellen, fing der geängstigte Vater an zu weinen. Die Tränen kollerten ihm über das Gesicht.
Da hatte Hans Bast sein Haus abgeschlossen und war mit dem Bückler hinuntergegangen.
*
Hans Bast schlug sogleich Feuer und zündete ein Lichtstümpfchen an, er hielt es dicht vors Gesicht des Kindes: das Flämmchen bewegte sich, noch blies durch die Nase der Atem, den das verkrampfte Mündchen nicht mehr von sich gab. Die Bläsius hielt auch noch eine Kerze. »Höher dat Licht«, gebot ihr Hans Bast.
Nun reckte sie ihren Arm, und alle drei streckten sie ihre Köpfe über die Wiege; der unsicher flackernde Schein zeigte ihre sich bückenden, sich wieder aufrichtenden und wieder zusammensinkenden Schatten riesengroß an der Wand.
Lebte das Hänneschen noch? Das kleine Flämmchen bewegte sich nicht. »Tot?« schrie der von seinem raschen Lauf noch eben glühheiße Hannes, jetzt plötzlich zusammenschaudernd wie unter einem Eishauch.
Draußen knurrte böse ein Hund. Das Bauernweib zeterte auf. Man hörte gedämpft eine Stimme, und nun kauderwelschte die Alte drauflos.
Sie achteten drinnen auf nichts, hörten nicht, was draußen vorging, sie waren alle drei zu sehr hingenommen: oh, das Flämmchen bewegte sich ja wieder! »Et lebt noch, et lebt!« frohlockte der Vater.
Die Tür ging auf. Von der Alten hineingewiesen, die neugierig den Hals hinter ihm reckte, betrat der Friedensrichter die Stube. Er sah im Halbdunkel drei Gestalten. Deutlich zu erkennen war keine von ihnen, aber er wußte: der, den er suchte, der war hier. Der Ofenloch, ja, der war drinnen, der hatte eben den Doktor geholt, das hatte die Alte eingestanden.
»Im Namen des Gesetzes!« Die Stimme war laut – eine Posaune des Gerichts. »Johannes Bückler, Ihr seid verhaftet!«
Ein unterdrückter Aufschrei. Im gleichen Augenblick waren beide Lichter erloschen, das große sowie das Stümpfchen; aber dunkel war es drum doch nicht im Raum, denn als habe der Mondschein, der bislang mit dem Schein der Kerzen gekämpft, nur auf Verrat gelauert, so goß er jetzt all sein Licht zum Fenster herein. Die Stube war plötzlich ganz hell.
Drei Gesichter starrten. Von der Überraschung überwältigt, stand Bückler. Jetzt aber machte er einen Satz: auf dem Tisch, auf dem Tisch, da lag seine Waffe!
Der Friedensrichter vertrat ihm den Weg, der Hahn seiner Pistole knackte. »Kein Widerstand – oder ich schieße! Hände hoch!«
Unwillkürlich gehorchte der Räuber. Aber gehetzt flogen seine Blicke umher – wenn sich Hans Bast nur auf den Kerl stürzen wollte! Zu zweien wurden sie auch ohne Waffen Meister über den, und Julie konnte ihm ein Bein stellen.
Aber Hans Bast hatte anderes im Sinn. Auch ihm war der Schreck wie eine Lähmung gekommen, aber schon hatte er die überwunden. Er drehte sein Gesicht anscheinend etwas erstaunt, aber freundlich-ruhig Adami zu: »Der Bürger Friedensrichter? Sieh einer an!«
Adami verschlug's fast den Atem: der – der – der auch hier?! Jetzt erst erkannte er den großen Mann mit dem schwarzen Bart. Also nicht ein Doktor, wie die Alte sagte. Ihm schwindelte. Das hatte er nicht erwartet – alle beide auf einmal!
Der Krinkhofer sagte gelassen: » Wat wollt Ihr? Ihr seid ja närrisch! Hier dem armen Mann sein Kind is krank. Er hat mich geholt bis von Krinkhof.«
Krank – krankes Kind –?! Was der Halunke auch vorschützen mochte! Adami machte einen hastigen Schritt auf den Krinkhofer zu. Er wollte ihm die Hand auf den Arm legen: »Auch Ihr seid verhaftet.«
Aber Hans Bast war nicht so leicht einzuschüchtern. Verächtlich lächelte er: »Wat Ihr alles wollt! Den verhaften und mich verhaften? Seht Euch selber vor!« Auch er hatte augenblicklich keine Waffe zur Hand, aber er hatte Fäuste, die waren wie Schmiedehämmer, und die schwang er jetzt drohend. Die freundlich-ruhige Maske war gefallen, nun zeigte der Wolf auf einmal die Zähne.
Die Bläsius kreischte: »Packt ihn, packt ihn, er is allein!«
Es hatte Adami förmlich gelähmt, auch den Krinkhofer hier zu finden. Aber die Gefahr, in der er sich befand, gab ihm die Fassung wieder, er erkannte seine schwierige Lage: zwei sich gegenüber, die vor nichts zurückscheuten, die ja nichts mehr zu verlieren hatten. Er pfiff – der Hund stürzte sich kläffend in die Stube mit geifernder Zunge. »Miro, fass'!«
Den Bückler stellte die Bestie, sie sprang ihm gegen die Brust und packte ihn vorn beim Hemdkragen; er durfte sich nicht rühren.
Der Richter stand dem anderen gegenüber. Sie sahen sich in die Augen, so wie einst oben in Krinkhof, und heute doch noch anders. Heute glimmte kein verstohlenes Feuer mehr, heute loderte die Flamme der Feindseligkeit offen in Hans Basts Augen. Und auch der Richter blickte wild, alle Kühle in seinem Auge war geschwunden. Endlich, endlich hatte er den. der schlimmer war als jener Strauchdieb dort, den der Hund im Schach hielt! Er atmete rasch: wenn Hans Bast sich nun auf ihn stürzen würde?! Er konnte dann schießen, auch treffen, aber das hieße einen Schuldigen aller irdischen Gerechtigkeit zu glimpflich entziehen. Jeden Augenblick erwartete Adami einen Angriff, aber er irrte sich.
Hans Bast sagte ruhig, nur eine leise Schwankung der tiefen Stimme verriet die geheime Erregung: »Ich weiß nit, warum Ihr Euch alteriert. Ich geh ja als mit. Ich han Euer Wort, Friedensrichter, da dran halt ich mich. Ich war dabei und war doch nit dabei« – er hob mahnend den Finger –, »vergeßt dat nit!«
Dumpf grollte der Hund, der Bückler hatte sich zu rühren gewagt – ein Blick nach dem Fenster: wenn er das erreichen könnte, hinaussprang! Noch gab er die Hoffnung nicht auf. Mehr als zehnmal auf seiner Laufbahn war es ihm ähnlich, nicht besser ergangen, er war jedesmal noch davongekommen. Warum sollte es nicht auch diesmal gelingen? »Ruft Euern Hund zurück,« bat er, »dann will ich alles gestehen!«
»Miro, hierher!« Ungern gehorchte der Hund. Diesen Augenblick benutzte der Gewandte, mit einem Satz hatte er das Fenster erreicht, er sprang in die Scheibe – klirr, klirr –, schon wäre er draußen gewesen, hätte ihn eine Faust nicht beim Kragen gehabt, gerade als seine Füße schon freien Boden berührten.
»Holla!« meldeten sich die Landjäger. Eine Begegnung mit Herz Rosenblatt hatte sie zur Eile getrieben und hergeführt. Sie kamen gerade recht. Noch wußten sie nicht, wen ihre Fäuste da festhielten trotz alles Sträubens. Der geschmeidige Bückler zappelte wie ein an der Angel hängender Fisch.
Er wäre doch noch entkommen, hätte nicht drinnen plötzlich eine Weiberstimme grell aufgeschrien: »Tot is et!« Da schüttelte er die haltenden Fäuste ab, setzte unversehens wieder durchs Fensterchen in die Stube zurück und heulte über seinem Kinde: »Hänneschen, du mein lieb, lieb klein Hänneschen!«
*
Ein Karren war herbeigeschafft worden noch in selbiger Nacht. Darauf lagen hinten im Stroh, mit Handschellen und einem Fußklotz, wie man ihn dem Vieh, das es in der Mode hat, von der Weide zu rennen, ans Hinterbein bindet, und zudem noch mit eiserner Kette aneinandergeschlossen, die beiden Gefangenen. Vorn, rechts und links vom Kutscher je ein Landjäger, hinter dem Karren wieder ein Paar, ein Trupp bewaffneter Bauern noch beiderseits nebenher; man hatte alles aufgeboten, dessen man habhaft werden konnte. Es ging gen Koblenz. Eine weite Fahrt.
»Se bringen hän, se bringen hän!« Das galt dem Bückler. In die nächstliegenden Ortschaften war wie ein Feuer, das mit der Schnelle des Gedankens von Halm zu Halm läuft und immer weiter schnell fliegt und springt, die Kunde gelangt: »Se han den Hannes gekriegt!« Alles stand auf der Straße.
Als der Karren bei Sonnenaufgang über die Straßen von Kochem rasselte, duckte sich der Bückler tief. Sie fuhren auch beim Wirtshaus ›Zum goldenen Esel‹ vorbei, und da konnte er selbst jetzt nicht ein ganz kleines Lächeln unterdrücken: das war doch schön gewesen, als er die da so trefflich genasführt hatte! Darüber kam ihm langsam wieder ein wenig bessere Laune zurück. Gott sei gedankt, das Hänneschen war ja nicht tot gewesen, als die Julie so geschrien, sie hatte das nur gemeint, weil es auf einmal zur Ruhe gekommen war vor den Krämpfen. Wenn das Hänneschen erst größer war, dann ließ er dem aus seinem hellblauen Rock, in dem er so staats gewesen war, ein schönes Wämslein machen; das Tuch war dann akkurat so in der Farb wie die Augen vom Jung. Er konnte sich's jetzt schon gut vorstellen. Das eine nur verdroß ihn arg, daß die Julie sich so benommen hatte, wie sie es getan. Als der vom Gericht sie Näheres befragte, schrie sie fast überlaut: »Mich geht der Bückler nix an!« Er sie nichts angehen –?! Und nur ein wenig vorher hatte sie so anders gesprochen: »Immer und ewig gehör ich zu dir« – wie reimte sich das zusammen? Er grübelte darüber, das Gesicht auf die Brust geneigt, bei jedem Stoß des Wagens noch mehr in sich zusammenschüttelnd. Sie hatte sich ihm auch nicht an den Hals gehängt. »Nehmt Abschied«, hatten sie gesprochen, da hatte sie ihm kaum die Finger gereicht; als er sie umfangen wollte, wich sie zurück. »Donner und Doria, verlogenes Mensch!« Er fluchte, aber es war ihm doch elend zumute.
»Die Weiber, hm, die Weiber!« Der Krinkhofer verzog geringschätzig den Mund. »Die sind wie die Hummeln; haste Honig, schlecken se dich, haste keinen, stechen se dich.« Das war kein Trost.
Hans Bast rauchte. Den Tabaksbeutel und die Pfeife hatte man ihm gelassen. Ein Bauer schlug Feuer und stopfte sie ihm. Nun paffte er schweigend in den nebligen Morgen hinaus. Frühnebel stiegen vom Fluß auf, die Felder dampften.
Als gegen Mittag die Sonne ihre bleiche, noch halb verschleierte Scheibe am Himmel zeigte, hatte sich die Begleitmannschaft verstärkt; jetzt hatte sie Kompaniestärke, und noch viel Volks rannte in Scharen nach. Kein Fürst, der durch sein Land zieht, konnte sich größerer Eskorte rühmen und auch nicht größerer Aufmerksamkeit. Kinder schrien: »Vivat den Hannes!« Erst als die Landjäger ihnen das verboten, schwiegen sie. Auch Erwachsene trabten atemlos am Straßenrain nebenher und hofften, einen Blick auf den Berühmten werfen zu können.
Der Hannes saß jetzt ganz aufrecht und freimütig, es machte ihm großen Spaß, die Leute seinetwegen so rennen zu sehen. Ein paar hübschen Mädchen, die so eilig herbeiliefen, daß ihre Röcke flogen und man die blau bestrumpften Waden bis zum Knie herauf sah, winkte er mit den Augen. »E Küßche, gib Küßche!« schrie er ihnen lachend zu. Ein Landjäger schlug ihn aufs Maul, schnell wollte er die Hand erheben, um den wieder zu schlagen, da merkte er erst so recht, daß er gefesselt war. Und nun ward er niedergeschlagen. Was würde werden mit ihm, mit der Julie und mit dem Hänneschen?! Er hatte das Bedürfnis, zu reden.
»Kamerad«, fing er mit einem der Landjäger an. Himmel noch einmal, war das nicht der Andrees, den er einstmals, noch ganz zu Anfang, vor der Bande geschützt hatte, als der Gendarm vom Pferde gefallen war und sie ihm gleich den Garaus machen wollten? Er war erfreut: eine bekannte Seele, noch dazu eine, die ihm dankbar sein mußte! »Kamerad, he, kennste mich noch? Nit weit von Kirn war et!«
Aber der Andrees warf ihm nur einen verächtlichen Blick zu und guckte dann auf die andere Seite.
Ob sie die Julie auch gefangennahmen? Und wer blieb dann bei dem Hänneschen? Dieser Gedanke folterte ihn. Er rührte Hans Bast mit dem Ellbogen an, so viel konnte er sich nur noch regen. »Wenn ich nur wüßt, ob ich bei 't deutsche Gericht komm oder bei die Franzosen. Bei die Deutschen han ich noch lang kein Angst« – er warf die Lippen auf –, »aber bei die Franzosen. Wat geschieht da mit uns?«
Hans Basts Gesicht veränderte sich um keinen Zug, es war ruhig wie immer, nur etwas finsterer vielleicht. Ihm war das Aufsehen, das sie erregten, die größte Pein. Er wies mit den Augen nach dem Ast eines kahlen Apfelbaumes hin, auf dem ein Rabe saß und in Pausen krächzte: »Krah, krah.«
»Kopf ab«, sagte der Krinkhofer und versank wieder in Schweigen.