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XI

Unten zu Kochem war große Aufregung. Der Marquis de la Ferrière war ins Städtchen geritten. Solch einen feinen Herrn hatten die alten Stadtmauern lange nicht gesehen, die jungen Mädchen noch viel weniger. Die rissen die Augen auf, kicherten und stießen sich mit Ellbogen. Die Mütter riefen vergebens und schalten und winkten aus den Haustüren, ein ganzer Schwarm junger Dinger rannte dem Reiter nach.

Wenn der sich auf dem tänzelnden Pferde umdrehte und lachend winkte, stand den Mädchen das Herz still vor holdem Schreck. Ja, so wie die Franzosen konnte es doch keiner, so galant konnte nie und nimmer ein Deutscher sein! Der Reiter ritt stracks vors Rathaus; neben dem war gleich die Schenke, das Gasthaus »Zum goldenen Esel«.

Rot vor Überraschung kam der Maire herbei, den der fremde Herr rufen ließ aus dem Rathaus. Sie waren bei einer Sitzung gewesen, die wurde nun schleunigst abgebrochen, als der Marquis von Ferrière sich melden ließ.

Er reiste in besonderem Auftrag; in einer höchst wichtigen und geheimen Mission. Aber Kochem war ein so bildsauberes Städtchen und lag so wunderschön am gleitenden Strom, und an dem Berg, darauf die Burg liegt, wuchs ein so köstlicher Wein, daß es ihn, den Marquis, doch gelüstet hatte, ein Stündchen hier zu verweilen. Hunger hatte er ohnedies, er würde jetzt gern etwas speisen. Der vornehme Herr brachte das alles recht drollig vor; er sprach so gut deutsch wie ein Landeskind. Das kam, er war in Deutschland geboren, und auch jetzt war er nicht als Feind hier, o gewiß nicht, er liebte die Mosel über alles! Der Marquis legte dabei die Hand aufs Herz. Und dann parlierte er auch auf französisch; aber sein Französisch verstanden sie nicht so gut.

Der Maire sah den ersten Beisitzer an und der den zweiten: ob man ihn aufforderte in den »Goldenen Esel«? Man müßte ihn doch wohl einladen, es wäre vielleicht ganz klug. Wer weiß, was der Stadt für Vorteile daraus erwuchsen. Man war arg geschröpft worden durch Kontributionen; und nun waren noch Grundsteuer, Personal- und Möbelsteuer, Tür- und Fenstersteuer, Aufwandsteuer, Patent- und Erbschaftssteuer, Stempelgebühren, Einregistrierungs- und vereinigte Gebühren, von denen man sonst nie etwas gewußt, aufgekommen unter der französischen Herrschaft. Ein Wort von solch einem Herrn beim Departementschef konnte vielleicht manche Erleichterung erwirken.

Mit echt französischer Grazie benahm sich der Herr Marquis. Er hatte etwas ungemein Gewinnendes in seinem Wesen und eine solche Leichtigkeit in den Formen bei aller großen Sicherheit des vornehmen Mannes.

Unter den Fenstern des Gasthofs zog sich ein steinerner Altan entlang, die Balustrade war dicht umrankt von Weinlaub und Rosen; hier hatte man den schönsten Blick auf die Mosel, hier ließ der Maire decken. Golden glänzte der Strom im Sonnenglanz, die Wellen flossen schwer und träge, als wären sie öliger Wein. Man ist bald berauscht in solcher Stunde.

Es wunderte den Marquis sehr, daß es noch solch guten Wein im Lande gab trotz der Notzeiten. Er trank, hintübergelehnt, mit verzückten Blicken, spitzte, weinkennerisch prüfend, die Lippen und ließ Glas auf Glas durch die Kehle rinnen. Sie tranken alle tüchtig, man ergriff gern die Gelegenheit.

Der Wirt trug auf, was seine Küche vermochte: Barben, die Moselfische, die ganz köstlich schmecken, wenn sie so frisch sind und reichlich mit Butter begossen. Zarten Rehrücken und Wildschweinskopf in pikanter Soße. Weiß der Himmel, wo der Wirt das alles so schnell herbeischaffte! In der Küche rannte er schwitzend, und es rannten die Wirtin und ein paar Mägde. Die Tochter vom Haus schnitt die schönsten Blumen in ihrem Garten und Blüten vom Granatenbaum vor der Tür. Sie gab dem Wildschweinskopf ein Lorbeerzweiglein in seinen Rüssel und kränzte ihn rundherum mit roten Rosen. In siedendes Schmalz tropfte die Wirtin rasch Muzenteig ein und aufgeblasene Ballen, Windbeutel genannt; emsig schlug die Magd süßen Rahm, um die Windbeutel damit zu füllen. Der Wirt kletterte selber auf seinen Pfirsichbaum, die schönsten Pfirsiche waren gerade recht, und auch Mirabellen, die nirgends so süß sind wie im Moselland, und safttropfende Reineclauden. Schade, die Trauben waren noch nicht ganz reif und auch nicht die Walnüsse.

Sie tafelten lange. Der Marquis befühlte seinen Bauch; der wollte schier platzen. Er lachte lustig: so gut hatte er lange nicht gespeist, wenn er auch immer feines Essen gewohnt war.

Die Gastgeber wunderten sich: konnte der fressen! Aber sie freuten sich und boten immer noch an; je mehr der Marquis de la Ferrière bei ihnen aß und trank, desto bester kamen sie weg bei den Steuern.

Er versprach ihnen huldvoll, sein möglichstes zu tun, diese Gastfreundschaft würde er ihnen niemals vergessen. Sein Gesicht glühte rot vom Essen und vom Wein und von der Fröhlichkeit dieser Stunde. Er hob sein Glas und leerte es auf das Wohl der Stadt, an seiner Hand blitzte funkelnd dabei ein Ring mit Brillanten.

Auf dem freien Platz vor dem Gasthaus drängten sich die Kochemer, alte und junge, und die Schlepper und Schlepperinnen von den Moselkähnen, die Kärrner von der Ausspannung, Schulkinder und vor allem Müßiggänger und Bettelvolk. Neugierig gafften sie alle, wie die auf dem Altan schmausten. War der französische Marquis mal ein schöner Herr! Seht nur, seht, die Masse Haar, braun wie Kastanien, mit goldigem Schimmer drauf! Und die zwei Reihen der blendenden Zähne, die er beim Lachen zeigt, vom vordersten Zahn bis zum letzten. Und wie leutselig er war! Jetzt trat er vorn an die Brüstung, lachte und nickte den Gaffenden zu. Blau wie der Himmel blitzten die Augen im kecken Gesicht.

Ein altes Weiblein im Rock der Bäuerin, in der weiten Jacke und der hohen Haube, stieß auf einmal einen zitterigen Schrei aus. Es drängte in die vorderste Reihe, stand jetzt dicht vor dem Altan und stierte dem Herrn wie verrückt ins Gesicht: »Hannes, mein Hannes!« Das erregte Aufsehen.

Was wollte das Weib, was schrie es denn so? Es stand mit vorgestreckten Händen, Zweifel, Angst und Verlangen im welken Gesicht.

Jesus Maria, sie erkannte ihn trotz der Verkleidung – es fiel alles ab –, die Mutter ließ sich nicht täuschen: das war ihr Sohn, der Sohn, den sie geboren, und den sie jetzt suchte von Ort zu Ort, dem sie nachwanderte vom Hunsrück hinunter zur Mosel, um deswillen sie sich als Bettlerin durchschlug, dessen Spur sie folgte wie der Hund dem Herrn. Sie schrie überlaut immer nur: »Hannes!«

Es war recht peinlich. Dem Marquis war die Szene auch nicht angenehm, er wandte sich ab.

Der Maire winkte: »Führt doch die Frau weg!« Was sollte hier der Spektakel? »Hannes, mein Hannes!« – dieses Geschrei, was sollte das heißen? Woher kam die Frau? Wer war sie?

Eine Kinderstimme ließ sich plötzlich vernehmen: »Dat is dem Bückler sein Mutter!« Und andere erklärten: »Die fragt überall nach ihrem Sohn, dem Hannes: Sie denkt: da den schönen Herr, den is et!«

Die Alte hob den Finger, sie wies auf den Mann in der glitzernden Uniform; schon wollte sie wieder laut rufen, da hielt ihr der Büttel den Mund zu.

Der Maire winkte Eile; nun wurde sie in Gewahrsam gebracht. Was sollte der hohe Herr von einer Stadtverwaltung denken, die irre Weiber frei herumlaufen ließ! Der Maire wandte sich mit einer Verbeugung gegen den Gast: »Eine Geistesverwirrte. Entschuldigen der Herr Marquis die unliebsame Störung. Rechnen der Herr Marquis uns den Vorfall nicht an!«

Der Marquis hatte sich auf seinen Stuhl fallen lassen und beschattete das Gesicht mit der Hand, er schien sehr ergriffen.

Welch mitleidiges Herz! Der Maire wurde weich. »Die Leute sagen, es sei die Mutter des Bückler – Exzellenz sind vielleicht unterrichtet: Bückler, Johannes Bückler, der berüchtigte Räuberhauptmann, der auch unsere Gegend unsicher macht!«

Des Marquis Faust fiel schwer auf den Tisch: »Halunke!«

»Sie mag den Verstand verloren haben vor Schmerz über ihren ungeratenen Sohn und – was, was meinen der Herr Marquis? Sagten der Herr Marquis etwas?« Er beugte sich näher zu dem Marquis.

Der murmelte etwas ganz leise, und eine tiefe Blässe überzog dabei sein Gesicht: »Arme Mutter!«

Ach ja, eine arme Frau! Dieser Galgenstrick hatte schon viel Unglück gebracht. Nicht nur über seine Mutter; übers ganze Land. Aber man würde ihn ja nun endlich einfangen. Und dann würde man ihn hängen oder um einen Kopf kürzer machen.

»Das gebe Gott,« sagte der Marquis mit tiefem Atemholen. Nun schien es ihm wieder wohler zu sein. Er lächelte. Aber nur sein Mund lächelte. Er trat abermals an die Brüstung; mit einem seltsamen Blick sich vorbeugend, sah er dem Knäuel von Menschen nach, der hinter dem Büttel, der die Frau fortführte, drängte.

Minuten stand er so, er pfiff durch die Zähne. Dann griff er in die Tasche; seine gefüllte Börse – durch ihr Netzwerk schimmerten Goldstücke – übergab er dem Maire: »Für das arme Weib. Ich bitte, für sie zu sorgen. Wenn sie fragt, von wem das Geld ist,« – er hob abwehrend die Hand – »ich will nicht genannt sein. Sorge Er gut!« Er drückte dem Maire die Hand. »Jetzt muß ich mich aber empfehlen. Höchste Zeit für mich.« Er sah auf seine kostbare Uhr. »Habt Dank für die Gastfreundschaft – werd mich revanchieren!« Lachte und ließ sich sein Pferd vorführen.

Es ging alles sehr rasch, die Herren kamen gar nicht mehr recht zur Besinnung; überdies spukte der Wein ihnen weidlich im Kopf. Sie sahen nicht klar mehr.

In einer Wolke von Staub flog der Marquis de la Ferrière von dannen.


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