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Wie ein Maler und ein Bildhauer nicht aufhören können an einem besonders geliebten Werk Tag für Tag Pinsel und Meißel anzulegen, so tat ich das mit dem Bilde meines Geliebten, an dem ich in meinem Herzen formte und formte. Ich schrieb Fernow, bekannte ihm, beichtete.
In höchster Erregung erwartete ich seine Antwort; aber sie kam nicht. In einem Brief an die Mutter erfuhr ich, daß er noch unentschlossen sei, ob er jene Stelle als Direktor der Irrenanstalt, die ihm von meinem Gemahl bestimmt worden war, annehmen werde. Als seine hauptsächlichsten Gründe führte er an, daß mit Einrichtung der Anstalt seine Aufgabe erfüllt sei und er für die Stellung als Direktor einen bedeutenderen Arzt, als er selbst war, entdeckt habe. Überdies halte er es für eine Pflicht gegen sich selbst, sich nicht dauernd zu binden, da kein Mensch für sich einstehen könne und er in diesem Augenblick gar nicht wisse, was zu tun ihn einmal reizen werde.
Obgleich er uns das alles ganz in seiner klaren Weise auseinandersetzte und des Besten versicherte, ward ich doch von einer namenlosen Angst gefaßt, die mich doppelt quälte, da ich ihr gar keinen bestimmten Ausdruck zu geben vermochte. Ich schrieb ihm wieder – was, weiß ich nicht mehr. Auch auf diesen Brief kam keine Antwort. Da ich seit Monaten wartete und wartete, ward mein Zustand allmählich unerträglich.
Ja, ich erwartete.
Er hatte mir niemals ein Wort, einen Gruß gesandt, mir niemals ein Lebenszeichen von sich gegeben. Ich wollte es auch nicht anders. Völlig frei von mir, völlig von mir gelöst, sollte er versuchen, ob er ohne mich leben könne. Und nun wartete und wartete ich: jeder Tag konnte ihn zurückbringen, jede Stunde mir ihn schenken! Was half mir mein Unwillen, mein Zorn gegen mich selbst? Ich änderte nichts damit und machte meine Qual, meine Sehnsucht nur noch unerträglicher. Bei jedem Klingelzug dachte ich: jetzt kommt sein Brief! Bei jedem Fußtritt lauschte ich, ob es der seine sei. Ich durchstreifte ruhelos den Park. Mir war, als ob ich ihm dort begegnen müsse. Vor jeder Vorstellung durchspähte ich das Haus nach ihm. Ich spielte wieder unruhig und weit über alles Maß leidenschaftlich. Beinahe, daß ich in meiner tollen Sehnsucht nicht die Stadt verlassen hätte, um nach jenem öden Alpental zu reisen. Denn es begann bereits bei mir zur fixen Idee zu werden, daß ich ihn nirgend anders finden würde als dort. Daß ich mit allen Erinnerungen an ihn, mit seinem Werk, das Fernow mir hatte lassen müssen, einen wahnsinnigen Kult trieb, will ich hier nicht verschweigen. Dabei mußte ich meinen Zustand vor der Mutter streng geheimhalten. Sie war leidend und da ich allen Gefahren entronnen schien, so glücklich, so dankbar – –
Längst war es Frühling geworden, in einer Woche sollte jene Einweihung stattfinden. Ich fürchtete mich davor. Mit Empfindungen wie sie mich durchstürmten, das Andenken meines Gemahls zu begehen, mußte die Weihe entweihen. Bereits war ich halb entschlossen, zurückzubleiben.
Da erlebte ich etwas Wundersames. Es war an einem Tage, an dem Himmel und Erde in Daseinsglück zu jauchzen schienen. Gleich bei meinem Erwachen war mir so ahnungsvoll selig zumute. Hatte ich doch wieder einmal von ihm geträumt und in diesem Traum so fest an seinem Herzen gelegen, so unentreißbar, daß mich jeder Gedanke in neue Sicherheit und neuen Glauben wiegte. Mir war zumute wie einer Braut am Hochzeitsmorgen.
Ich ging hinaus über meine schonen Fluren, zu meinem lieben Strom. Ich pflückte Blumen, sang und nickte der sonnigen Welt zu, hätte sie gern an mein Herz gedrückt. Lange stand ich am Ufer, flüsterte in die Wellen seinen Namen hinab und warf seinem Namen Blüten nach. Dann begab ich mich in die Stadt und machte Einkäufe, Geschenke für die Mutter, für Luise, für Anna.
Wieder zu Hause angekommen, drückte ich meine Mutter ans Herz. Ich konnte mich gar nicht losreißen, ihr in Gedanken mein Glück, das sie so unglücklich gemacht hätte, tausendmal abbittend. Endlich verfügte ich mich auf mein Zimmer, schrieb an Fernow, daß ich zur Einweihung kommen werde, wand mir dann selbst aus meinem Strauß den Kranz, den ich am Abend für mein Spiel nötig hatte.
Es war die erste Vorstellung eines Dramas, als dessen Dichter ein hoher Herr galt. Ich freute mich darauf, da meine Rolle gut zu meiner bacchantischen Stimmung paßte: es war Ariadne. Nach alter Gewohnheit verbrachte ich den ganzen Nachmittag für mich allein, schwärmend in meinem Zimmer auf und ab schreitend.
In meiner Garberobe angekommen, fand ich auf meinem Toilettentisch einen Brief. Da ich vor einer Vorstellung niemals irgend etwas las, wollte ich auch diesen Brief nicht weiter beachten. Ich erkannte Fernows Handschrift. Kaum bedenkend, in welche Erregung ich mich vor dem Spiel versetzen konnte, riß ich den Brief auf, las ihn.
Nein, ich las ihn nicht; denn es war ein langer, langer Brief. Sehr bald entsank er meinen Händen: Fernow ging nach Australien! Vor mir lagen die Blätter am Boden, starren Auges sah ich darauf hin. Aber wie – das war ja nicht mehr des Freundes Handschrift, das war ja – – Meine zitternden Hände griffen nach dem Papier; aber ich vermochte nicht gleich zu lesen. Ging er mit? War es auch sein Abschied?! – – Es war sein Willkommen! Er konnte nicht ohne mich leben, er kam, er war bereits da, ganz in meiner Nahe, im Hause selbst: der Brief, der in einem Brief an Fernow für mich eingelegt war, hatte mich bereits vor Tagen darauf vorbereiten sollen.
Schon begann das Orchester zu spielen. Der Regisseur klopfte und rief mir zu: der ganze Hof sei versammelt. Was kümmerte mich der Hof?! Ich erhob mich, meine Knie schwankten, ein Schwindel ergriff mich. Würde ich überhaupt spielen können?! Ich mußte: Nicht des ausverkauften Hauses, nicht des Hofes, nicht des königlichen Dichters willen; nein lediglich seinetwegen! Wie – jetzt schwach werden, wo ich ihm als Vermählte eines Gottes im Spiel zurufen konnte: Ich bin deine Braut! Ich würde spielen, als sei ich selbst eine Ariadne. Alles, was ich bisher erlebt, schwand zu blassen Schatten gegen die Sonne dieses Abends. Ich würde das Haus hinreißen, ich würde – – Luft, Luft, mein Glück erstickte mich!
Schnell mein Gewand an, den Gürtel um, den Kranz auf. – – Nicht die Kamee mit der Antigone – Antigone hat nichts mit einer Bacchantin zu schaffen! Diese kalte, eisig-kühle Antigone. – – Mich friert! Auch keine Schminke auf deinem Antlitz, du verklärte! Heute keine Falschheit, keine Lüge! – – Und die Klänge, die brausenden Klänge! Mit Zimbel- und Lautenschall wird mein Geliebter begrüßt! Rasselt es schon mit den Schellen, das Heer meiner Bacchanten? Brüllen meine Tiger schon, schwingen meine Korybanten schon ihre Thyrsusstäbe, wartet mein Gott schon? Die Göttin kommt, die Bacchusbraut kommt! Auf die Knie nieder, die Arme aufgehoben! Rufe die höchste Gottheit an. – – Nein, jetzt nicht gefleht, jetzt der höchsten Gottheit getrotzt. Ich bin auch göttlich! – – Dort schwebst du über mir, leuchtender Strahl unsterblichen Glückes. Ich reiße dich herab in meine Brust. Ich habe den Götterfunken gestohlen: Ariadne ist Prometha.
Ich schritt hinaus – stolz wie eine Königin!
Ich sah ihn, ich grüßte ihn und mich grüßte das begeisterte, das entzückte Haus, immer wieder und immer wieder. Und ich dankte – stolz, wie eine Königin!
Danach waren auf der Welt nur er und ich. Und er und ich, die beiden einsamen Menschen, wandelten über die blumigen Fluren, welche die Nacht mit leuchtenden Tränen betaute. Die Wipfel rauschten über uns und Gottes Sternenhimmel schaute zu uns hernieder, unendlich wie die Liebe der Menschen ist. Ich hatte noch mein Göttingewand an, meinen Kranz auf – die Braut trug ihren Hochzeitsschmuck.
Zum Fluß führte ich ihn hin und wir lachten über die seufzenden Wellen und dann – ja, und dann gab er mir den ersten Kuß.
Noch immer trunken, noch immer sinnlos, führte ich ihn nach Hause. – – Wir traten ins Zimmer. Da stand die Mutter vor uns.
»Mutter!« wollte ich aufjubeln. Aber meine Stimme erstickte bei dem Blick, der mich traf, bei diesem starren, zornigen Blick und ehe ich meine Hände erheben konnte, ehe ich aufschreien konnte: »Vergib uns!« stürzte sie hin, lag sie da, tot, tot, tot! Auch sie gestorben mit ihrem zornigen Blick.
Aber wie – – War denn im Zimmer noch eine Tochter, die ihre Mutter gemordet und nun so gräßlich aufschrie? Denn ich war's nicht. – – Mit sinnlosem Auge starrte ich sie an, starrte ich ihn an; und, obwohl mir der Wahnsinn schon ins Gehirn stieg, begriff ich's doch gleich.
Und was geschah dann mit mir? Laßt mich besinnen! Ich glaube, daß er mich umfaßte. Ich riß mich los, stürzte fort und er hinter mir drein! Aber ich wollte dem Teufel entfliehen, die Nacht war dunkel und ich eine Rasende. So entkam ich ihm.
Dann weiß ich noch, daß es Morgen wurde, daß ich am Flusse stand. Aber was ich da tun wollte, das hatte vor mir schon eine andere getan. Ich sah ihr blasses Haupt auftauchen, ihre blonden Haare aufleuchten, sah sie den Strom hinabtreiben.
Da sank ich hin und die lange Nacht begann. Daß es die ewige gewesen wäre!