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Siebzehntes Kapitel.

Beglücken und beglückt

Seit einigen Tagen bin ich Fernows Weib. Endlich habe ich meine Lebensaufgabe gefunden, die große, erhabene Arbeit aller meiner zukünftigen Tage: den besten, treuesten und edelsten aller Menschen zu beglücken und durch sein Glück beglückt zu werden. Endlich erfüllte ich meine Frauenbestimmung, bin ich geworden, wofür ich geschaffen ward: die Lebensgefährtin eines Mannes, diesem durch die stärksten aller Empfindungen vermählt: unerschöpfliche Dankbarkeit, grenzenloses Vertrauen, höchste Verehrung.

Wie eine Binde ist es von meinen Augen gefallen. Erst jetzt sehe ich um mich und in mir den Tag und kann die Dunkelheit nicht mehr fassen, die mir so lange Haupt und Sinne umlagert. Wie war es möglich, daß ich erst jetzt die Seine geworden, daß ich erst jetzt erkannt, was für ihn und mich das einzig Richtige ist, was von vornherein meine schönste Pflicht, mein schönstes Glück gewesen wäre?! Ich mußte erst den Verstand verlieren, um das begreifen zu können.

Aber jetzt ist alles, jetzt alles gefunden und erfüllt! Gesegnet sei der Tag, der dir dein Weib in deine Arme führte, mein geliebter Gatte.

Ich nenne ihn meinen Gatten und mich sein Weib. Unsere geweihte Liebe kann uns bezeugen, daß wir sind, was wir uns nennen, obgleich wir nicht Hand in Hand vor die Gottheit getreten, wenigstens nicht in der Kirche. Viele werden uns verdammen und nur wenige uns verstehen; zu diesen wenigen sei hier gesprochen.

Ich kämpfte lange mit mir, nicht aus Angst und Furcht für mich, sondern für ihn: war ich seiner würdig?

Nein, das meine ich nicht, das hatte ich von Anfang an gewußt: als zum erstenmal die Ahnung seiner Liebe in mir aufstieg, wußte ich, daß ich seiner nicht würdig sei, es nie werden konnte. Die Frage war: konnte, durfte ich ihm den traurigen Rest meines Daseins anbieten, nachdem ich mich ihm in der Überfülle meines Lebens verweigert? Beging ich kein Verbrechen gegen ihn, keine Untreue gegen den Toten und gegen mich selbst?! – – Ich hielt tiefste Einkehr in mir, durchforschte jede Falte meines Herzens, forderte von jeder Empfindung, von jedem Gedanken Rechenschaft. Denn nur als eine Streiterin, die völlig überwunden, durfte ich vor ihn hintreten, demütig bittend: drücke der Siegerin die Krone auf das Haupt.

Lange zweifelte, lange zauderte ich; plötzlich war ich überzeugt und entschlossen.

Ich wollte es ihm gleich sagen.

Es war spät in der Nacht, aber in seinem Arbeitszimmer brannte noch Licht. Ich schickte meine Kammerfrau zu Bette und kleidete mich für meinen Verlobungsabend an: ein weißes Kleid – seit vielen Jahren zum erstenmal! Von meinen Blumen war eine dunkelrote Rose aufgeblüht. Diese steckte ich mir ins Haar – seit vielen Jahren zum erstenmal! So geschmückt setzte ich mich an meinen Schreibtisch, schloß auf, zog die Briefe des Toten hervor, verbrannte sie am Kaminfeuer. Nichts behielt ich übrig. Als in der schwarzen Asche der letzte Funken verglommen, ging ich zu ihm.

Leise durchschritt ich das dunkle Vorgemach und hob den Vorhang auf. Er saß von mir angewandt an seinem Schreibtisch, in seine Arbeit vertieft. Einen Augenblick stand ich ihn betrachtend da; auch schlug mein Herz so heftig, daß ich mich gegen die Wand lehnen mußte.

»Noch ist er ahnungslos,« rief in mir eine warnende Stimme. »Noch ist es Zeit.«

Aber noch ehe ich einen anderen Gedanken fassen konnte, raffte ich mich auf, eilte ich vor, rief ich ihn – zum erstenmal bei seinem Vornamen.

»Axel!«

Er fuhr in die Höhe, sah mich, taumelte auf, hielt sich an der Lehne seines Stuhles, starrte mich an – – Gott im Himmel, mit welchem totenblassen Gesicht, mit welchem Ausdruck!

So standen wir uns eine Weile regungslos gegenüber.

Ich wollte ihm etwas sagen, ihm etwas zujubeln; aber ich war meiner Sprache nicht mächtig. Langsam näherte ich mich ihm.

Am ganzen Körper bebend, streckte er mir wie abwehrend seinen Arm entgegen. Doch schon lag ich an seiner Brust. Da umfaßte auch er mich, stark, gewaltig, unentreißbar.

 

Er hatte mich endlich verstanden, hatte es endlich gefaßt und seine ganze Besonnenheit, seine ganze Kraft und Ruhe wiedergefunden.

Denkt euch, dieser Mann! Er wollte nicht beglückt werden, wollte nicht beglücken! Er verweigerte seiner armen Freundin ihren letzten Ruheort an seiner Brust, wollte seiner lieben, kleinen Rolla – denn das war sie einst gewesen – nicht gönnen, endlich gut und weise zu werden. Ich fürchte, ich hörte sogar etwas von Entsagung und Opfer. So zwang er mich denn wirklich, er tat's! – ihm eine lange, lange Beichte zu stammeln, der er mit angewandtem Gesicht zuhörte. Da mußte denn selbst dieses harte, unbeugsame Herz sich ergeben. Nie hatte ich schwerer gekämpft – niemals schöner gesiegt.

Als ich ihn sicher und für immer besaß – wie fühlte ich mich da beruhigt, wie war ich da jetzt schon beglückt!

Wir durchwachten die ganze Nacht. Er ließ meine Hand nicht los. Alles wurde von uns besprochen, nichts zurückgehalten ober schweigend übergangen. Wir konnten uns in die Augen sehen und hatten keinen Gedanken, den wir voreinander zu verstecken brauchten. Ein neues, nie empfundenes Lebensgefühl durchdrang mich wie eine Glutwelle: hier konnte nie etwas bereut, nie etwas gebüßt werden.

Mein Verlobter sagte mir kein Wort von seiner Liebe. Wie hätte er dafür auch Worte finden sollen?! Sein ganzes Leben war nichts als die Erfüllung jenes einen Ausdrucks gewesen – mein ganzes Leben würde ich meine Liebe erfüllen müssen.

Über einen Punkt verständigten wir uns wortlos: unser Bündnis bedurfte keiner Form.

Was für die Sittlichkeit der Allgemeinheit ein Gesetz ist, verliert für besondere Existenzen seine Notwendigkeit und seinen Zwang. Wo bleibt die Heiligkeit sogenannter Ehen, wenn die meisten derselben nur unsittliche Verhältnisse sind? Wo bleibt die Lasterhaftigkeit solcher sogenannten, verbrecherischen Verhältnisse, wenn dieselben ihrem Wesen nach heilig geschlossene Ehen sind? Allerdings mag zu bedenken bleiben, daß es schwer, ja unmöglich sein dürfte, für solche besonderen Fälle eine Grenze zu bestimmen; wie es auch eine traurige Wahrheit ist, daß, sobald diese einen allgemeineren Charakter annehmen würden, sie unausbleiblich eine völlige Entartung nach sich ziehen müßten.

Der Tag brach an, als wir uns trennten. Ich kehrte wieder auf mein Zimmer zurück, wo ich lange am Fenster stand und die Sonne hinter den Alpen aufsteigen sah. Ich zwang mich, nicht hinunter auf die Landstraße zu blicken, auf die ein Wanderer in das Tal einziehen mußte. Als ich mich endlich von der Morgensonnenglorie, die Gebirg und Tal umleuchtete, losreißen wollte, sah ich Axel aus dem Schlosse treten. Ich öffnete hastig das Fenster und rief hinunter, daß er auf mich warten möge, warf einen Mantel über und eilte hinab.

Mit welchem strahlenden Antlitz er mich grüßte. Ich hatte gar nicht gewußt, daß er so schön sei.

Wir gingen den Wiesenpfad, der zum Strom führte, und an diesem entlang dem Dorfe zu. Erst vor einigen Tagen war an den sonnigen Stellen der Schnee fortgeschmolzen; noch waren die Wiesen von einem fahlen Braun, aber schon sah man darunter das neue Leben in tausend Knospen und Trieben freudig sich regen. Unter dem Strauchwerk am Fluß blühte bereits der schöne Seidenbast und hinter den Hecken wagten sich schon kecke Anemonen und Primeln hervor. In einigen Tagen würden die Fluren leuchten von Blüten. Es war ein so früher Frühling, wie einen ähnlichen erlebt zu haben sich die ältesten Leute nicht erinnern konnten.

Ich mußte denken: wie es auch in dem Herzen des Mannes, der an meiner Seite schritt, gleichfalls über Nacht, plötzlich Frühling geworden.

Neben uns tobte und rauschte der wilde Fluß.

In tiefem Schweigen schritten wir dahin. Es war noch so früh am Morgen, daß uns kein Mensch begegnete. Als das Dorf vor uns lag, bogen wir wie auf stillschweigende Verabredung in einen Fußweg ein, der uns um das Dorf herum und an den Felswänden dahin in den Pfarrgarten führte. In demselben fanden wir Veronika, einen Strauß Schneeglöckchen und Krokus pflückend. Sie warf einen großen, erstaunten Blick auf mich, grüßte stumm und fremd und ging sogleich ins Haus. Der Anblick des blassen, unglücklichen Mädchens machte uns beide schwermütig und nachdenklich.

Nach einigen Augenblicken trat Pfarrer Andreas zu uns.

»Veronika sagte mir soeben, daß ein Brautpaar im Garten stehe, und nun – –«

Er verstummte, blickte von einem zum anderen, streckte dann beide Hände nach uns aus.

»Endlich, endlich! Wie lange habe ich darauf gewartet! Seid gegrüßt! seid gesegnet!«

Darauf sagten wir ihm alles, wobei wir in dem kleinen Garten auf und ab gingen, den Freund in unserer Mitte. Schweigend hörte er uns zu.

»Als Priester darf ich euch nicht recht geben; aber als Mensch kann ich euch verstehen.«

Er schwieg eine lange Weile, in tiefes Sinnen verloren. Dann erhob er sein Haupt. Mit einem Antlitz, darin die stärkste Menschenliebe aufleuchtete, ergriff er unsere Hände, legte sie ineinander und sprach feierlich: »Ich sage es euch noch einmal: Seid gesegnet!«

So wurden wir vermählt.


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