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Rede über das Wesen einer Akademie

(Gehalten bei einer Festsitzung der Akademie für Dichtkunst am 15. März 1928)

Meine Damen und Herren!

Die Frage, die zu stellen ist, die zweifellos manchmal auch schon von Ihnen gestellt worden ist, lautet: Ist eine Genossenschaft von Dichtern wünschbar, ja, ist sie überhaupt möglich? Können Männer, können Geister, deren Wesenheit sich erst in und durch die Vereinzelung kundgibt, so sehr, daß jeder geradezu das Zentrum einer für sich bestehenden Welt bildet, können solche, wenn sie zu einer Vereinigung zusammentreten, vereinigt in der Linie ihrer angeborenen Bewegung weiter wirken? Kaum anzunehmen. Hier versagt nämlich das Einmaleins: das Schöpferische verschiedener Individuen läßt sich nicht summieren. Daher denn auch die unverhohlene Skepsis, der die Gründung einer Dichterakademie vielfach begegnete, man konnte sich offenbar nicht an die Vorstellung gewöhnen, inkommensurable Größen in eine gebrauchsfähige Arithmetik einzuordnen. Aber ich will nicht scherzen. Der geäußerte Zweifel an der Nützlichkeit hat schon gewisse Lähmungen erzeugt, es ist Zeit, ihn zum Schweigen zu bringen, denn Nutzen ist hier keiner beabsichtigt, wenn wir uns einem Zweck unterstellen, ist er von so hoher Art, daß er vorläufig nicht abzuschätzen ist und durch keine der gewährleisteten Mittel nähergerückt werden kann. Ich möchte nicht mißverstanden werden, wenn ich sage: das soziale Element schaltet aus, Hilfsdienst und Vertretung von Standesinteressen liegen nicht in der Idee der Institution, zunächst nicht, dafür sind, zunächst, andere Einrichtungen da, andere Körperschaften, wären sie es nicht, so müßten sie dafür geschaffen werden, wendet die Akademie ihr Augenmerk und einen Teil ihrer Arbeit auf dieses Gebiet, so hat sie sich auf Auslese zu beschränken, auf anonyme Entscheidungen, vielleicht auch auf Gewissensweckung, indem sie als ein achtunggebietendes Ganzes und wieder, ohne sich auf einzelne Namensträger zu stützen, durch ihre Existenz allein den Staat und die Gesellschaft an Pflichten erinnert, deren sie sich nur zu gern entschlagen und zu lang entschlagen haben, eine Aufgabe also, die ich mir von jeder Wohltätigkeit, von jeder Mitleidsübung so weit entfernt denke, wie etwa Schuldeinlösung von einem Almosen. Wenn aber dies nicht ihr eigentliches Amt und ihre Rechtfertigung vor der Öffentlichkeit sein soll, was soll sie dann überhaupt? werden Sie fragen. Darauf antworte ich, ich für mich allerdings nur: sie scheint mir keinen andern Zweck zu haben als den der Repräsentation. Es ist dies durchaus kein hochmütiges Ausweichen vor dringlicheren Notwendigkeiten, wie Sie vielleicht argwöhnen, ich muß daher, um Ihnen meine Auffassung plausibel zu machen, auseinandersetzen, was ich unter Repräsentation verstehe. Ich entkleide den Begriff von allem Zeremoniell, das ihm anhaftet, von jeder Beamtung, sogar von jeder Funktion und nehme das Wort in seiner eigentlichen deutschen Bedeutung, ich übersetze es mit Gegenwart, oder besser: Vergegenwärtigung. Und wenn Sie mir nun einwenden, daß das ein zu billiger Preis für eine nationale Ehrung wäre, so kann ich nur erwidern: eine höhere Zahlung zu leisten, ist uns gar nicht möglich. Ich unterlasse den naheliegenden Hinweis auf Persönlichkeit und Werk, damit ist in dem Fall nicht zu argumentieren; wir wissen von einem Buch, wir wissen von dem Menschen, der das Buch schrieb, es sind zweierlei Dinge, und bis das Buch und der Mensch im allgemeinen Bewußtsein zu einer Einheit werden, das hat gute Weile, der Endpunkt des Prozesses heißt dann schon Unsterblichkeit, darauf kann man nicht warten, es entzieht sich auch meistens dem Urteil des Zeitgenossen. Da beginnt ja auch die Verwirrung, da zeigt sich die Gefahr: die geistige Existenz des Schriftstellers ist etwas so Sporadisches geworden, verläuft in solchem Fieber und Krampf, daß sie sich immer von neuem und jedesmal wie beim erstenmal dokumentieren und erweisen muß, von Werk zu Werk, von Buch zu Buch, von Jahr zu Jahr; das Bedürfnis eines amerikanisierten Marktes zwingt ihn, den natürlichen Rhythmus seiner Produktion zu steigern und zu überhitzen, will er in seiner Ganzheit, in seinem Wachstum, in seiner Folge genommen werden, so zerrinnt ihm schon der Kredit unter den Händen, die mangelnde Kontinuität bei der empfangenden Welt verführt und verdammt ihn zu einem falschen Da-Sein, zu einer schädlichen werkfeindlichen Gegenwart und Gegenwärtigkeit. Wir beruhen alle zu wenig aufeinander, deshalb kann der Einzelne zu wenig in sich selber ruhen. Das eigentümliche Verhängnis deutschen Wesens, die Zerstückung, Separatismus und Provinzialismus, das beschränkte Einzigseinwollen und Alleingängertum, obwohl es in manchem Bezug zu großen Leistungen geführt hat, tritt hier, wo es um soziale Bindungen geht, am unheilvollsten hervor. In Frankreich konnte eine literarische Akademie durch drei Jahrhunderte das Forum des Geschmacks, der Versammlungsort der jeweils erlesensten Männer sein, und wenn sie gelegentlich in etwas versteinerter Haltung Genies ersten Ranges, wie Balzac oder Zola, nicht aufnahm, vermochte sie sich doch immer wieder durch lebendigen Zufluß zu erneuern, und gerade die Ausgeschlossenen hörten niemals auf, um Sitz und Stimme zu werben, kein Spott von außen, keine Überlegenheit in ihnen selbst half ihnen über die Zurücksetzung hinweg, und dem lag Tieferes zugrunde als bloße Eitelkeit. Sie wußten einfach, daß die Akademie, indem sie die gesamte Bildung, die gesamte Überlieferung der Nation in sich vereinte, der geistige Ausdruck, das geistige Antlitz der Nation war. Ich rede nicht der Überlieferung das Wort, nicht in allen Stücken, obwohl ich der Meinung bin, daß es uns bei dem Übergewicht an wirtschaftlicher und technischer Disziplin, bei der das Neue notwendigerweise stets das Alte tötet, an ausgleichenden Traum- und Versenkungsgebieten gebricht. Unser öffentliches Leben spielt sich fast ausschließlich in der Fläche ab und hat infolgedessen nicht genug Raum, nicht genug Sphäre. Ich denke also an Überlieferung nicht wie an eine Um- und Abkehr, sondern ich betrachte sie als Ausdruck, als Mithineinnehmen des Gewesenen ins Fließende und als Erneuerung im Strom. Wir müssen alles Gewesene haben und verarbeiten, um das Zukünftige gestalten zu können. Um Gestalt handelt es sich ja vor allen Dingen. Bloße Aktualität ist gestaltlos, ist nur Fläche, die wahre Gegenwart erfüllt sich im Raum. Und so scheint es mir auch, daß diese Dichterakademie als lebendige Gestalt im Raum der Nation zu stehen habe, gleichviel, was ihres Amtes ist, nur sichtbar, nur seiend. Ich denke nicht, daß Sie mich darum für einen Quietisten halten, ich meine nicht, daß die Akademie nichts anderes tun solle, als lustvoll ihren Nabel beschauen. Aber das Wichtigste an ihr ist mir das Gebilde als solches, wenn sie das ist, Gebilde, versteht sich die sinnhafte Lebendigkeit aller ihr eingegliederten und zugehörigen Organe von selbst: nach innen als fruchtbare Wechselbeziehung, nach außen als eine Art Artustafel, eine geistige Hofhaltung, wenn Sie wollen. Wir können natürlich auch allerlei praktische Arbeit verrichten, manche Anstalten sind bereits getroffen, viel Anregungen gegeben, das Hauptproblem liegt im Verhältnis zum Staat, denn Staat und Kunst befinden sich bei uns nicht etwa in einem Gegensatz, sondern sie bewegen sich auf ganz verschiedenen Ebenen. Da müssen Brücken geschlagen werden, da ist Pionierdienst zu leisten, die Literatur darf nicht mehr die entlegene Feiertagsinsel sein oder eine Art veredelter Freimaurerklub, sie hat Aufgaben, die enger mit dem Glück des Volkes verknüpft sind als vieles, was sich den Anschein unaufschieblicher Notwendigkeit gibt. Aber das weiter zu verfolgen, ergäbe beinahe ein Politikum, und davon will ich die Finger lassen, der Weg ist ganz klar, daß er nicht zum berühmten elfenbeinernen Turm führt, glaube ich versichern zu dürfen, es wäre auch ein ziemlich unerfreulicher Aspekt: zweiunddreißig elfenbeinerne Türme für die Mitglieder einer Akademie, nein, wir wollen lieber das Firmament über uns haben und die wirkliche Erde unter uns. Repräsentation als Wirklichkeit, will heißen Werkhaftigkeit, damit wäre Vorbildendes und Vorbildliches geschaffen, denn was wir bis jetzt mit dem Namen bezeichnet haben, war immer nur ein Ornat, eine verliehene Würde, nicht aber Gegenwart und Augenschein der formenden Herzkraft der ganzen Nation.


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