Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Hessenwirtschaft in Gladbach.

Am andern Morgen glaubte man Hörnerschall aus der Gegend von Korschenbroich zu hören, einige wollten das Stampfen der Rosse gehört und wehende Kriegsfähnlein gesehen haben, wieder andere das Klirren der Waffen ringsumher. Da hieß es denn nun, »die Schweden kommen! Die Schweden!«

Frauen und Kinder flüchteten in ihre Häuser, um sich zu verbergen, denn jetzt waren sie wirklich da, vor denen sie sich so lange gefürchtet, mit deren Namen sie ihre Kinder geschreckt hatten, von denen sie ihnen in der Dämmerung, wenn der Regen draußen fiel und der Wind wehte, gesungen hatten:

Bete, Kind, bet',
Vorm Dorf steht der Schwed'.
Draußen im Wald liegt dein Vater erschlagen,
Hörst du den Wehrwolf das Haus umjagen?
Glocken läuten und Scheunen brennen,
Still steht das Spinnrad, blutig die Tennen,
Bete, Kind, bet'!

Im Laufe des Tages langten mehrere Krämer aus der Umgegend an. Bestaubt und atemlos hielten sie vor der Judenpforte und berichteten dem ängstlich aufhorchenden Torwart, daß keine Schweden, sondern Hessen in Anmarsch seien. Und da letzteren ein noch schlimmerer Ruf voranging, als den Schweden, so war diese Nachricht dazu angetan, die Bestürzung der Gladbacher noch zu steigern.

Was hatte man nicht schon von dieser zügellosen, verwilderten Hessenhorde gehört! Wie hatte sie in den umliegenden Städten gehaust!

Wenn von den Schweden der obige Vers gesungen wurde, so hatten die Hessen ihrerseits Anlaß zu folgender Klage gegeben, die aus jener Zeit stammt:

Mein Hab und Gut und was ich all besessen,
Das nahmen mir die Schweden fort,
Das nahmen mir die Hessen.
Und was der Schwede mir noch ließ –
Mein armes Weib, mein einzig Kind –
Durchbohrt ein Hess' mit seinem Spieß ...
Mag Gottes Hand ihn treffen!

Viele Gladbacher schickten sich jetzt an, die Stadt zu verlassen, nachdem sie schon Wochen vorher gepackt und alles Wertvolle in Sicherheit gebracht hatten.

Frauen, Mädchen und kleine Kinder wurden soviel wie möglich fortgeschafft, nur die ärmern Leute blieben zurück. Manche Einwohner flüchteten nach Brabant und Holland oder nach Limburg. Einige glaubten sich auch schon sicher genug in der Umgegend und gingen zu befreundeten Leuten nach Venn und Rönneter, nach Beltinghoven, Gen-Holt und Hardt und wollten das Weitere dort abwarten.

Die Wege auf Dahlen, Erkelenz und Linnich zu, waren voll von Wanderern und Fuhrwerken aller Art, die möglichst rasch aus dem Bereiche der Stadt zu kommen suchten. Einzelne junge Burschen, welche die Wagen führten, waren lustig und guter Dinge, lachten und scherzten. Die meisten dagegen waren still und traurig und sandten tränenumflorte Blicke auf die liebe Vaterstadt, der sie eines unmenschlichen Feindes wegen den Rücken kehren mußten, um sie vielleicht nie wiederzusehen. Auf einzelnen Wagen und bei einzelnen Gruppen waren alte Mütterchen, die den Rosenkranz vorbeteten, um den lieben Gott um Abwendung der Gefahr zu bitten.

Vit war schon früh auf den Beinen, und ehe er ausging, befahl er, den Paul noch nicht zu wecken, sondern ihn ruhig schlafen zu lassen, da er noch sehr der Ruhe bedürfe. Er machte sodann einen Gang durch die Stadt, hier um etwas anzuordnen, dort um Mut zuzusprechen und zu trösten. Als er dem Weihertor zuschritt, kam ein Wagen mit Hausgerät, welches der Familie Könkels gehörte. Die ganze Familie, bestehend aus Mann, Frau, drei erwachsenen Mädchen und vier kleinen Kindern, wollte die Stadt verlassen.

»Aber Kob,« rief Vit den Könkels an, »du willst mit der ganzen Familie fortziehen?«

»Versteht sich, Vit, wir gehen nach Glimbach zu meinem Bruder, der wohnt tief im Walde, dort sucht uns niemand.«

»Glimbach – Glimbach,« – sagt Vit sinnend, »ist das nicht ein kleines Nest bei Linnich auf dem Hügel, unweit der Roer?«

»Jawohl, das ist's, mein Bruder wohnt aber mehr auf Gevenich zu, im dichtesten Walde.«

»Gut, Kob, das will ich mir merken, man kann nicht wissen, wozu das nützen kann.«

Sie plauderten noch zusammen, bis sie vor dem Tor » Unter-Eicken« Unter Eicken hieß es vor dem Weihertor oder Eickertor, wo große mächtige Eichen absperrte. angekommen waren; dort mußten sie einhalten, weil eine Menge Leute mit Bündeln auf dem Nacken und allerlei Fuhrwerke dort stauten und den Durchgang versperrten.

»Warte einen Augenblick, Kob,« sagte Vit, »ich will sehen, was es dort gibt,« und trat auf die Leute zu. Eine junge Frau von etwa 30 Jahren lag leblos inmitten der Gruppe auf der gefrorenen Erde, in ihren Armen lag ein Säugling; das arme Kind war ebenfalls tot. Zwei Kinder, ein Bube von sechs und ein Mädchen von fünf Jahren, knieten weinend neben der Frau auf der Erde und riefen die Mutter.

»Was gibt es hier, Leute?« fragte Vit, indem er durch den Kreis bis zu der Leiche drang.

Eine resolute Gladbacherin, Frau Welter, sagte:

»Die Frau ist mit den drei Kindern von Hüls geflüchtet, den Mann haben die Hessen erschlagen. Sie hat sich bis hierher geschleppt und ist vor Hunger und Ermattung liegen geblieben und gestorben.«

»Nun Leute, will sich denn keiner der armen Kinder annehmen?« fragte Vit. »Wir können sie doch nicht mit in die Stadt nehmen. Kommt, Kinder,« sagte er und nahm dieselben von der Mutter weg, »ich werde für eure Mutter und das kleine Schwesterchen sorgen.«

Damit zog er die Kinder aus der Gruppe und ging zu Kob, erzählte ihm die Geschichte und sagte:

»Kob, sei kein Türke, nimm die armen Kinder mit, erbarme dich der ersten Opfer des Krieges, unser Herrgott wird es dir vergelten, und wo neun essen, da bleibt auch noch für zwei etwas übrig!«

Kob kratzte sich den Kopf und meinte, das ginge nicht, er habe selbst seine Last, und sein Bruder würde sehr ungehalten darüber sein, das müsse Vit doch einsehen.

»Hör einmal Kob,« sagte Vit in ernstem Ton: »wenn du und deine Frau jetzt auf dem Wege von einigen Halunken totgeschlagen und beraubt würdet, würdest du da nicht wünschen, daß ein barmherziger Mensch sich deiner Waisen annähme? Um deiner Kinder Willen mußt du sie aufnehmen!«

»Du magst recht haben, Vit« sagte Kob. »Na, dann meinetwegen. Kommt her Kinder!«

Er nahm die beiden Kinder und hob sie in den Wagen, wo seine Frau und Töchter sich mit ihnen in einen Winkel setzten.

»Nun fahre in Gottes Namen,« sagte Vit. »Möge Er es dir lohnen! Lebt wohl!«

Kob griff in die Zügel und der Wagen fuhr davon.

Vit ging in den Wachtturm und bestellte zwei Leute mit einer Tragbahre, welche die tote Frau und das Kind zur Abtei brachten, damit sie eingesargt und beerdigt werden konnten.

Sodann suchte Vit drei wackere Burschen, welche nebst Paul den Prälaten nach Köln begleiten sollten. Er bestellte sie um 11 Uhr morgens zum Drieschfalltore Drieschfalltor. War aus der Hindenburgstraße in der Nähe der jetzigen Post. Ein Falltor, welches den Driesch (Weide) von der Straße nach Krefeld und Neuß absperrte.. Dort solle der Wagen, in denen der Prälat seine Reise machen wollte, schon bereit stehen. Etwas vor der genannten Zeit ritten drei handfeste Burschen im Alter von 17 bis 18 Jahren bei Vit vor, um Paul abzuholen. Sie stiegen ab und traten ein. Vit befahl ihnen hoch und teuer, erstens darüber zu schweigen und niemandem ein Wörtchen von dieser Reise zu sagen, und zweitens vor allem dafür zu sorgen, daß der Prälat glücklich nach Köln käme. Sie versprachen, alles pünktlich auszuführen.

Paul, der erst eben aufgestanden, bekam noch genauere Instruktion. »Nehmt den Weg über Grevenbroich und vermeidet die Heerstraße, weil sich dort allerlei Gesindel und wahrscheinlich auch die anrückenden Hessen umhertreiben,« sagte Vit. »Vergeßt auch den Hafer zum Füttern nicht, und kehrt nur bei Peter Bergen in Stommeln ein; wenn ihr dort seid, seid ihr weit genug. Wie ihr wieder nach Hause kommt, müßt ihr sehen. Auf der Hinreise reitet, als ob euch der Teufel auf den Fersen wäre, Wenn auch die Pferde draufgehen. Sie gehören dem Kloster, und sind die Hessen einmal hier, so werden diese die Pferde ja doch an sich nehmen.«

Nachdem ein kräftiges Frühstück eingenommen war, nahm Paul von der Mutter und Eva Abschied.

»Paul,« sagte die Mutter, ihn in ihre Arme ziehend, »du mußt mir aber versprechen, dich nicht unnötig in Gefahr zu bringen – hörst du, Junge? Ich habe sonst keine Ruhe. Hoffentlich bist du bald zurück und dann komme nur zu uns nach Venn!«

Eva stand in stiller Bewunderung vor dem Scheidenden.

»Ei, Paul, du bist ja ein richtiger Kriegsmann geworden!« sagte sie. »Ich möchte wohl mit dir gehen, denn ich fürchte mich gar nicht. Doch das ist leider nichts für Mädchen. Aber beten werde ich für deine glückliche Heimkehr!«

»Das ist recht, Evchen,« sagte Paul. »Im Übrigen keine Angst, so gefährlich ist der Gang nicht; ich denke, euch bald gesund und munter wiederzusehen. Nun lebt wohl!« Noch ein warmer Händedruck, und Paul nebst den andern gingen zur Türe hinaus.

Vit wandte sich jetzt an die drei Begleiter mit den Worten: »Nehmt ihr Pauls Pferd mit, wir kommen gleich nach.« Als die Burschen sich mit den Pferden entfernt hatten, sprach Vit zu Paul: »Höre, Junge, so ganz ungefährlich ist der Weg nach Köln nicht, und ich ermahne dich daher nochmals zur größten Vorsicht. Solltet ihr angegriffen werden, so verteidigt euch tapfer, laßt aber die Wagenpferde laufen, was das Zeug hält. Es bleibt dann einer beim Wagen, während die andern den Feind aufzuhalten suchen. Schützt mir ja den Prälaten und bringt ihn glücklich nach Köln!«

»Soll alles geschehen, Großvater, seid ohne Sorge!« versicherte Paul.

»Das bin ich auch Paul,« fuhr der Alte fort, »denn du hast jetzt ein kleines Scharmützel mitgemacht da bei Linnich und dich ziemlich klug und tapfer benommen. Du bist mein geübter Fechter, dank deiner langen Übung, ein verwegener Reiter, ein unerschrockener Kämpe und vorzüglicher Schwimmer, du strotzest von Kraft und Gesundheit, kannst dir helfen im Streite, aber was dir noch fehlt, ist etwas List und Verschlagenheit. Diese hat man im Kampfe nötig, denn mit der rohen Kraft und Gewalt allein kommt man nicht immer zum Ziele. Das läßt sich jedoch mit der Zeit erlernen; man muß es sich aneignen durch Erfahrung und dadurch, daß man überall die Augen offen hält. Und noch eins merke dir in dieser gefährlichen Zeit: Sei mißtrauisch gegen jeden, den du nicht kennst! Halte jeden Menschen für einen Halunken, bis du dich überzeugt hast, daß er keiner ist; mit dieser Regel kommst du am besten fort! Im übrigen schaffe dir nie unnötig einen Feind und schätze keinen, wer es auch immer sein mag, zu gering – verstanden?«

»Gewiß, Großvater, ich werde mir deine Ratschläge merken und sie auch befolgen!«

Mittlerweile waren sie bei dem Wagen angekommen, vorne drauf saß ein kräftiger Knecht aus dem Kloster als Kutscher, während der Prälat in der Kleidung eines gewöhnlichen Bürgers im Wagen saß. Die Pferde waren unruhig und stampften den Boden. »So, hochwürdiger Herr,« flüsterte Vit, »alles ist in Ordnung. Die Burschen sind zuverlässig, seid also ohne Sorge, Herr!«

»Ich danke dir, Vit,« sagte der Prälat, »und nun Gott befohlen! Auf baldiges Wiedersehen!« Er reichte Vit die Hand, welche dieser herzlich schüttelte.

»Du, Peter,« raunte Vit dem Knechte noch zu, »hast du auch Hafer für die Pferde mitgenommen?«

»Gewiß, Meister,« gab dieser zurück, »zwei kleine festgepackte Säckchen sind hinten am Wagen angeschnallt.«

»Dann ist's gut! Also gehabt euch wohl und gute Reise!«

Die Burschen schwenkten die Hüte, grüßten, und in scharfem Trabe sprengte der Trupp mit dem Wagen von dannen, der rasch im nahen Walde verschwand.

Vit ging in die Stadt zurück und half zu Hause Eva und Mechthilde, die mit dem Einpacken der Sachen beschäftigt waren. Getreide, Mehl und sonstige Waren wurden aus dem Söller in einem Verschlage versteckt. Der Wein wurde in einem unter dem Kellerboden befindlichen Gelaß verborgen. In den damaligen unruhigen Zeiten hatte man in jedem Hause allerhand Verstecke. Geräuchertes Fleisch wurde in die Räucherkammer gebracht, die ebenfalls ganz versteckt lag. Vit kletterte in den Kamin und machte eine dort angebrachte eiserne Tür auf, schlüpfte hinein und stand in einer kleinen Kammer, durch welche an der Decke eiserne Stangen liefen, an denen das Fleisch aufgehängt werden konnte. Wenn die Eisentür offen stand, so drang der Rauch vom Kamin in die Rauchkammer und verließ diese durch oben in der Decke angebrachte Löcher, die den Rauch wieder in den Kamin ableiteten. Nachdem das Fleisch heraufbefördert und aufgehängt war, lehnte Vit die Tür an und stieg wieder hinunter.

»So,« sagte er, »jetzt kann ich es hier schon eine Zeitlang aushalten!«

Trotz der traurigen Stimmung brachen Mechthilde und Eva in ein schallendes Gelächter aus, als sie Vit aus dem Kamin klettern sahen. Er war so schwarz von Ruß, daß er kaum mehr zu erkennen war. »Aber, Großvater,« lachte Eva, »du siehst ja aus wie ein Schornsteinfeger!«

»Das glaube ich auch, wenn man da hinaufkriecht!« sagte Vit, ebenfalls lachend. »Im Kamin ist's eben schwarz, Kind, kohlrabenschwarz und ziemlich warm, das kann ich dir sagen! Drum schnell etwas Wasser und Seife her, dann einen andern Anzug, und der Großvater ist wieder in Ordnung.«

Jetzt wurden die eingepackten Sachen auf einen Karren geladen. Vit spannte an, Eva und Mechthilde stiegen auf, und dann ging es durch die Marktpforte auf Venn zu.

Mechthilde und Eva weinten heftig, als sie ihr Heim verlassen mußten. Vit war gefaßt und sagte: »Seid nur ruhig, Kinder, und geht in Gottes Namen. Nach dieser Zeit kommt auch hoffentlich bald eine andere! Jetzt gebietet uns die Vorsicht und die Klugheit, daß ihr von hier fortgeht.«

Bei Gieten in Venn wurden sie freundlich aufgenommen, denn es waren gute Leute, und Frau Gieten, eine Nichte Mechthildes, gab ihrer Freude über die Ankunft derselben lebhaft Ausdruck.

Der Großvater nahm bald Abschied, versprach dann und wann einen Besuch zu machen, und, wenn Meister Jakob von Maastricht käme, ihn sofort hierher zu schicken.

»Ach, Vater,« sagte Mechthilde, »wie soll das noch enden! Mir bangt um Euch: – seid doch vorsichtig und setzt Euer Leben nicht leichtsinnig aufs Spiel!«

»Ach, was,« tröstete Vit, »so schlimm ist das nicht. Man wird doch wohl etwas Respekt vor meinen grauen Haaren haben. Nur Mut, es geht schon besser, als ihr meint! Lebt wohl!«

In trübseliger Stimmung kehrte Vit nach Hause zurück. Karren und Pferd hatte er bei Gieten gelassen. Zu Hause angekommen, setzte er sich in das leere Stübchen und dachte über seine Lage nach. »Es ist doch traurig,« brummte er, »so viele Familien werden da auseinandergerissen; und ich alter Stock sitze hier zwischen den vier Pfählen und muß mich darauf gefaßt machen, mein Leben vielleicht bald unter den Streichen einer rohen Horde auszuhauchen und möglicherweise keinen von all meinen Lieben wiederzusehen. Wie glücklich hätte ich in ruhigen Zeiten meine alten Tage beschließen können!« Und plötzlich weinte er, daß ihm die hellen Tränen über die Wangen rieselten. Dann stand er auf, fuhr mit der Hand über die Augen und sprach, indem ein energischer Zug auf seine Lippen trat: »Fort mit den Gedanken! Vit! Vit! Halte den Kopf oben! Der alte Gott lebt ja noch, und er wird doch auch wohl sorgen, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen.« Damit stand er auf, verschloß die Tür und begab sich in die Versammlung der Innungsmeister, die auf den Abend zusammenkommen wollten zu außerordentlicher dringender Beratung.

Als Vit Gilles sich der »Krone« näherte, schlug erregtes Stimmengewirr an sein Ohr. Es wurde dort heftig gestritten und diskutiert. Die Versammlung hatte bereits begonnen und Vit fand sämtliche Gewerbe vertreten, auch der Bürgermeister war anwesend sowie der von einer Reise zurückgekehrte Schöffe Vit Tempel Vit Tempel, ein wackerer Gladbacher, welcher viel für die Stadt getan hat., ein angesehener Bürger.

Die Frage, ob man die Stadt auf Gnade oder Ungnade übergeben solle, wurde nochmals eifrig besprochen. Die Mehrzahl der Anwesenden war der Ansicht, daß jeder Widerstand in Anbetracht der Überlegenheit des Feindes nutzlos sei. Man solle daher nur die Tore öffnen und dem Anführer der Hessen ein Geldgeschenk anbieten unter der Bedingung, daß die Stadt vor der Plünderung bewahrt bleibe. Diesen Vorschlag machte Vit Tempel und er wurde auch fast einstimmig angenommen.

Vit Gilles protestierte dagegen und bemerkte, daß es trotz des Geldopfers zur Plünderung kommen würde, weil dem Feinde dazu jeder Vorwand willkommen sei. Im Übrigen erklärte er sich einverstanden und versprach von jedem offenen Widerstand absehen zu wollen. Das Geldgeschenk jedoch, sagte er, sei völlig weggeworfen, weil die Hessen dies als selbstverständlich einstecken würden ohne sich an eine Bedingung zu kehren.

Der Bürgermeister erwiderte hierauf, es würde wohl besser gehen als man denke. 200 Goldgulden seien eine schöne Summe, die ihre Wirkung nicht verfehlen würde. Jedenfalls hoffe er mit dem Hessenführer fertig zu werden.

»Gott gebe, daß Ihr recht behaltet!« rief Vit aus, »aber ich fürchte, daß es anders kommt und es Euch noch reuen wird, meinem Rate nicht gefolgt zu sein!«

Dann brachte er die Rede auf Kerst Jansen. »Begreife nicht,« sagte er, »wo der mit seinen Leuten steckt. Kein Mensch läßt sich sehen. Es ist, als ob alle vom Erdboden verschwunden wären!«

»Ich befürchte, daß ihm ein Unglück zugestoßen ist,« meinte Vit Tempel, »denn er würde doch seine arme Frau und drei Kinder hier nicht hilflos zurücklassen!«

»Ich weiß nicht, was ich davon denken soll,« sagte Vit und kratzte sich verlegen hinter den Ohren. »Was fangen wir nur mit der Frau an? Die kann doch nicht allein hier bleiben!«

»Wo soll die Frau hin?« fragte der Bürgermeister.

»Sie hat Verwandte in Hillensberg,« erwiderte Vit.

»Ei, das macht sich ja gut,« rief der Bürgermeister erfreut, »der Däumens bringt seine Familie nach Maastricht, und da könnte er die Frau mitnehmen. Ihr, Vit, sagt der Frau Bescheid, damit sie mitfährt. Morgen früh 4 Uhr fährt Däumens fort. Ich gebe der Frau ein Schreiben mit an meinen Freund Gerhard Wagner, der jetzt Pastor in Hillensberg ist, dort ist sie gut aufgehoben.«

»Und ich gehe gleich mit zu Eurer Wohnung und nehme den Brief für den Pastor in Empfang,« sagte Vit. »Alsdann werde ich sorgen, daß die Frau fortkommt.«

Der Bürgermeister ermahnte alle Bürger dringend, sich jeder Feindseligkeit zu enthalten, wenn die Hessen kämen, sonst sehe es schlimm aus, und besonders bat er Vit, überall darauf hinzuwirken, daß die Bürger sich nicht zu Gewalttätigkeiten hinreißen lassen sollten.

»Das werde ich tun,« sagte Vit, »soweit es nur eben möglich ist; aber ich lasse mich nicht wie eine Ratte im Sack totschlagen, das versichere ich Euch!«

Nachdem man noch hin und her verschiedenes besprochen und verhandelt hatte, wurde die Versammlung geschlossen und man trennte sich.

Vit ging mit dem Bürgermeister, nahm den Brief in Empfang und bewog dann die Frau Jansen, am andern Morgen mit nach Hillensberg zu reisen.

»Frau,« sagte Vit, »seid froh, daß Euer Mann nicht hier ist. Der ist besser aufgehoben vor der Stadt als in derselben, denn er würde sich ja nichts gefallen lassen, und von den Hessen totgeschlagen werden. Ich bringe Euren Mann, sobald ich kann, zu Euch nach Hillensberg. Und nun Gott befohlen, gute Frau, hier nehmt dieses Goldstück!«

Die Frau nahm dieses dankend in Empfang, und Vit begab sich nach Hause.

Dort setzte er sich in der Küche an das Herdfeuer, welches noch lustig brannte. Nachdem er eine Zeitlang in Gedanken versunken dort gesessen, langte er den Rosenkranz von der Wand, betete denselben nach seiner Gewohnheit und steckte ihn dann in die Tasche, »denn,« murmelte er, »man kann das Gebet jetzt gut gebrauchen, besonders den Rosenkranz, der mir schon oft aus der Not geholfen hat.« Dann begab er sich zur Ruhe.

Am andern Morgen wurde Vit, als er kaum seinen Morgenimbiß verzehrt hatte, zum Münsterturme gerufen. Der Wächter sagte ihm, daß vom frühen Morgen an viele Flüchtlinge von Krefeld kämen und an Gladbach vorbei die Richtung nach Dahlen einschlügen.

»Da wird es wohl einen Hauptschlag absetzen zwischen den Verbündeten und den Kaiserlichen,« sagte Vit; »dann kommt heute die Entscheidung. Wenn du etwas Neues bemerkst, so berichte es mir sofort! Ich gehe zum Bürgermeister.« Damit stieg er die Treppe hinunter und suchte den Genannten auf, dem er unter anderm mitteilte, daß der Prälat Peter Sibenius nach Köln gereist sei, um für Stadt und Kloster wirken zu können und sich von da wahrscheinlich nach Bochholz begeben werde und dort zu bleiben, bis wieder Ruhe im Lande herrsche. Prior Andreas Bischoff sei für die Zeit der Abwesenheit sein Stellvertreter.

»Ei, der kluge Prälat,« lachte der Bürgermeister, »da hat er ganz gescheit gehandelt. Die Hessen würden ihm jedenfalls übel mitgespielt haben, wenn sie ihn hier gefunden hätten.«

Ganz Gladbach war in fieberhafter Spannung. Bei einem Teile der Bürgerschaft herrschte Kampfstimmung, bei dem andern Teile tiefe Niedergeschlagenheit vor. Die Nachbaren suchten einander auf, ermunterten sich durch Zuspruch und gelobten, sich in der gemeinsamen Bedrängnis beizustehen. Viele saßen in den Schenken beisammen, das bevorstehende Ereignis zu besprechen und sich Mut anzutrinken. Durch die Straßen zogen Scharen junger Burschen und sangen trutzige Lieder. Hier und da sah man Gruppen zusammenstehen, aus denen sich drohende Fäuste emporreckten. Man stieß Flüche und Verwünschungen aus gegen den herannahenden Feind. Dazwischen hörte man Frauen seufzen und Kinder weinen und aus manchen Häusern schallte lautes, inbrünstiges Gebet.

Am Nachmittag, es war am 17. Januar 1642, kam ein Bote und meldete, die Hessen unter Guébriant hätten die Kaiserlichen unter Lamboi bei Kempen auf der Hülser Heide total geschlagen, und seien im Anmarsch auf Gladbach. Jetzt stieg die Aufregung der Bevölkerung noch höher. Es ließ sich aber an diesem Tage kein Feind blicken. Am andern Morgen gegen 10 Uhr jedoch rückte ein großes Heer, mehrere tausend Mann Fußvolk und ein großer Zug Reiter, von Krefeld heran und näherte sich Gladbach. Vor dem Drieschfalltor machten sie halt. Dort wurden sie von Vit Tempel und dem Bürgermeister nebst einigen Innungsmeistern, bei denen auch Ullner war, empfangen. Die Bürger wurden zum Obristen Leßlin geführt. Der Bürgermeister bat den Obersten, als Sieger großmütig und menschlich zu sein und die Stadt nicht der Plünderung zu übergeben. Er sei bereit für gute Verpflegung der Truppen zu sorgen, soweit es in seinen Kräften stehe. Auch solle es an einem Geschenke für den Herrn Obristen nicht fehlen. Er erlaube sich, ihm vorerst 200 Goldgulden zu überreichen.

Der Oberst hatte schweigend zugehört und sagte dann: »Herr Bürgermeister, das Geld kann ich gebrauchen, und wir wollen sehen, was sich tun läßt, Ihr habt hoffentlich noch mehr Geld in Eurer reichen Stadt!« Nachdem er das Geld eingesteckt, setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Die Krieger waren wilde trotzige Gestalten in allerlei Uniformen, welche den Bürgern Furcht einflößten. Auf dem Markte wurde haltgemacht, und der Oberst ließ sämtliche Bürger dort versammeln, die auch bald zur Stelle waren. Es wurde bekanntgemacht, daß die Bürger sämtliche Waffen auf dem Markt in Zeit von einer halben Stunde abliefern sollten, widrigenfalls sie mit dem Tode bestraft würden. Die Leute zerstreuten sich, während die Truppen sich verteilten, um Quartiere zu nehmen. Nur die Reiterei blieb auf dem Markt zurück und nahm die Waffen in Empfang, Flinten, Säbel und Lanzen wurden alle auf einen Haufen gelegt. Auch Vit hatte einen Säbel, eine Hellebarde und eine Flinte gebracht und wollte wieder in sein Haus zurückkehren. Auf dem Heimwege hörte er an Könes Haus ein schreckliches Geschrei. Die 17jährige Tochter der dort wohnenden Witwe war nicht zu bewegen gewesen, ihre schwerkrank darniederliegende Mutter zu verlassen, und war deshalb nicht geflüchtet. Vit blieb stehen und lauschte. Das Schreien rührte offenbar von dem Mädchen und der Frau her, dazwischen tönte Lachen und Gebrüll, Flüche und unflätige Zoten. Vit überlief es kalt und heiß. Er trat in den Hausgang und öffnete die Tür des Stübchens. Die Frau lag mit durchschnittenem Halse im Bette, das weiße Bettzeug war mit Blut besudelt. Fünf Soldaten waren über das Mädchen hergefallen, und als sie flüchten wollte, faßte einer ihre Haarflechte und riß sie zurück, in diesem Augenblicke stieß Vit die Türe auf. »Hilfe! Hilfe!« jammerte das arme Geschöpf.

Vit trat dazwischen und rief: »Seid ihr Soldaten, daß ihr wie Unholde über wehrlose Jungfrauen herfallt!«

»Fahre zur Hölle, alter Graukopf!« schrie ein wild aussehender Kerl, indem er mit dem Gewehrkolben Vit einen Schlag auf den Kopf versetzen wollte. Der Schlag brach sich jedoch an der niedrigen Zimmerdecke und verletzte Vit nur leicht am Kopfe. Dieser ergriff jetzt schnell einen kurzen Säbel, der an der Wand hing, und stieß ihn seinem Angreifer in den Leib. Das Mädchen wurde darauf frei und wollte aus der Türe flüchten, jedoch ein Soldat setzte ihm nach und rannte ihm sein Schwert mit solcher Gewalt in den Rücken, daß die Spitze vorne an der Brust heraustrat. Das Mädchen brach mit einem Schrei zusammen. Jetzt wandten sich alle gegen Vit, der einsah, daß er verloren war.

»Kommt heran, ihr Schufte,« rief er, »lebendig kriegt ihr mich nicht!« Er blieb im Rahmen der Türe stehen und der erste, der ihm zu nahe kam, erhielt einen so gewaltigen Fußtritt, daß er dahinkollerte und im Falle seinen Kumpan mit zu Boden riß.

In diesem Augenblicke humpelte der Schuster Källkes vorbei; er hatte das Geschrei gehört und gesehen, daß Vit in das Haus hineingegangen war. In dem Moment, als die Soldaten auf Vit losstürzen wollten, schloß Källkes blitzschnell draußen die Läden des einzigen Fensters, und im Zimmer war es stockfinster. Vit zog, indem er noch zuerst einen gewaltigen Fußtritt austeilte, die Stubentüre zu, stieß die Haustüre auf und schnappte sie wieder zu. Dann eilte er nach Hause. »Das fängt schön an,« sagte er zu sich selbst, »denn ich bin verloren, wenn sie mich finden. Flüchten könnte ich ja wohl – aber ich mag die Anderen nicht im Stiche lassen. Auch ist's ja einerlei, einige Tage früher oder später ...«

Er war kaum bei sich eingetreten, als an die Türe geklopft wurde. Vit öffnete und vier Soldaten traten ein.

»Was wünscht ihr, Leute?« fragte Vit.

»Wir wünschen nichts, wir befehlen hier, verstanden, alter Spitzbube!« sagte einer der Rotte.

»Gut,« sagte Vit, »dann befehlt, ein alter Soldat weiß zu gehorchen! Also, was steht zu Befehl? Doch kommt zuerst in die Stube.« Die Soldaten folgten ihm.

»Wir verlangen Fleisch, Bier und Brot,« riefen alle durcheinander, »spute dich, daß wir nicht lange zu warten brauchen, Alter.«

Vit holte das Verlangte und aß zuerst von dem Fleisch und Brot und trank auch einen Schluck Bier.

»Ich sehe, du verstehst mit Soldaten umzugehen,« sagte einer, indem er einen Krug leerte und Vit denselben zum Füllen zurückgab.

»Dadurch, daß ich selbst von den Speisen und Getränken esse, gebe ich euch den Beweis, daß sie gut sind!«

»So ist's recht, so gehört es sich!« gab einer zur Antwort.

Jetzt klopfte es abermals, und Vit führte noch einen Soldaten herein.

»Wie,« rief dieser, »ihr sitzt hier und sauft und in der Nachbarschaft werden unsere Kameraden von den Bürgern erschlagen!«

»Wer ist erschlagen?« riefen aufspringend alle durcheinander.

Auf dem Markt erscholl das Alarmsignal. Alle ergriffen die Waffen und eilten hinaus.

Vit dachte: »Nun wird's losgehen!« Er wälzte rasch ein kleines Faß Bier in die Küche, ergriff ein gewisses Fläschchen aus dem Wandschrank, goß es halb hinein, rüttelte das Faß und begab sich dann auf den Markt, wohin die Trompete alle Bürger wieder zusammenrief. Jöriß Knops war von dem Obristen Leßlin aufgefordert worden, den Bürger auszuliefern, der drei Soldaten ermordet habe.

Der Bürgermeister bat, der betreffende Bürger möge sich doch freiwillig melden, sonst würde die Stadt sofort geplündert und in Brand gesteckt werden. Da trat Vit vor und sagte mit weithin vernehmbarer Stimme: »Hier ist er! Aber ein Mörder bin ich nicht, denn ich habe nur aus Notwehr gehandelt!«

»Halt's Maul, Spitzbube!« schrie ein Korporal ihn an und schlug ihn mit der Faust ins Gesicht, daß ihm das Blut aus Nase und Mund floß. Jetzt wollten die Soldaten über ihn herfallen.

»Halt!« kommandierte Leßlin, »so geht das nicht, Burschen! Ein so leichter Tod würde ihm gefallen. Ich überlasse euch den Kerl, macht mit ihm, was ihr wollt, sorgt aber, daß ihr hier den andern Spitzbuben ein Beispiel gebt, wie wir mit Leuten verfahren, die es wagen, Hand an unsere Soldaten zu legen.«

»Zu Befehl!« rief der Korporal, »das Beispiel soll nicht schlecht sein.«

»Geht nach Hause, Leute,« mahnte der betrübte Bürgermeister, »und seid um Gotteswillen ruhig. Denkt an den armen Vit!«

Die Soldaten schleppten Vit vorläufig nach seinem Hause, warfen ihn in die Stube und wollten mit den Mißhandlungen beginnen.

»Gemach!« sagte der Korporal zu den blutdürstigen Soldaten, »wir wollen uns mit dem Alten zuerst etwas Spaß machen; um unsere Kameraden zu rächen, soll er langsam gemartert werden.«

Die Hessen, die vorher bei Vit eingedrungen waren, schleppten Bier in großen Krügen herein, und nun wurde tüchtig getrunken. Es war eine Rotte von zwanzig Mann in der Stube, welche schrien, lärmten und Verwünschungen ausstießen. Vit saß in Hemdsärmeln da, den Rock hatte man ihm ausgerissen. Er tat, als ob ihn das wüste Treiben gar nichts anginge.

»Also, was fangen wir mit dem Halunken zuerst an?« fragte der Korporal.

Da riefen mehrere Soldaten: »Zuerst wollen wir ihn gehörig prügeln!«

»Das ist nichts,« sagte der Korporal; »ihr haut dann so lange zu, bis dem Alten das Lebenslicht ausgeht; ihr müßt bedenken, der Kerl ist zu alt. Soviel kann er nicht aushalten.«

»Dann wollen wir ihm die spanischen Stiefel Eiserne Marterstiefel mit Haken und Spitzen. anziehen,« warf ein Soldat ein.

»Nein, das ist auch nichts,« gab der Korporal zurück, »er stirbt uns dann ebenfalls zu früh. Wißt ihr, was, Jungens? Wir wollen ihn in den Kamin ziehen und so ein paar Tage langsam räuchern; was meint ihr davon?«

»Ausgezeichnet! Das läßt sich hören, Korporal!« riefen alle durcheinander. »Ja, wir wollen ihn rösten bei lebendigem Leibe!«

Gleich darauf, als sie ihre Übereinstimmung in so roher Weise kundgegeben, wurde an die Haustür geklopft, und der Korporal sagte: »Seht, wer dort ist; laßt aber keinen mehr ein; wir haben Leute genug hier!«

Ein Soldat öffnete und kam mit einem Kameraden zurück.

»Ah, Korporal Schell!« sagte der Korporal zu dem eintretenden Soldaten, »du kommst gerade recht.« Der Eingetretene war ein junger Mensch von 20 Jahren.

»Ist das der Kerl, der unsere Soldaten mordete?« fragte Schell, auf Vit deutend.

»Ja, das ist er,« erwiderte der Korporal. »Dafür soll er geräuchert werden.«

»Der Kerl muß eine gewaltige Kraft haben,« sagte Schell, Vit betrachtend, »der Feldscher sagte mir, dem einen Soldaten sei das Rückgrat zerbrochen und dem andern der Brustkasten eingedrückt. Höre, alter Schuft,« wandte er sich an Vit, »du scheinst wohl früher Pferdeknecht gewesen zu sein, und von deinen Schindmähren das Ausschlagen gelernt zu haben, sodaß du statt mit Waffen jetzt mit Fußtritten kämpfst?«

»Wenn man keine Waffen hat, Herr Korporal,« erwiderte Vit, »so wehrt man sich mit denjenigen, die einem am Leibe gewachsen sind, und das habe ich auch getan.«

»Dafür sollst du aber auch büßen, du Hund!« polterte Schell, und trat Vit mit dem Fuße gegen die Brust, so daß er mit dem Stuhle fast überschlug; dann schlug er ihn ins Gesicht.

Einen Augenblick stand Vit geduckt unter der schmählichen Mißhandlung; Scham und Wut hielten seinen Kopf gesenkt. Dann richtete er sich auf.

»Höre, Bube,« sagte er verächtlich zu dem Korporal, »einen Gefangenen zu mißhandeln der wehrlos ist, ist kein Kunststück; ein ordentlicher Kriegsmann würde sich dessen schämen. Hätte ich eine Waffe zur Hand, so würde ich dir schon zeigen, wie ich damit und auch mit dir umgehen kann. Dazu brauchte ich nur die rechte Hand frei zu haben!«

»Hört den Alten!« riefen die Soldaten erstaunt und sahen fragend und spöttisch auf Schell, der blaß geworden, mit geballten Fäusten da stand. Aber er bezwang sich. »Gut,« sagte er von einem plötzlichen Gedanken erfaßt, »sollst du haben, Kerl! Komm her!« Damit ergriff er ein Messer und durchschnitt die Stricke mit denen Vit gefesselt war. Dann warf er ihm einen alten Säbel zu und rief: »Nun paß auf, alter Prahlhans; in Zeit von zwei Minuten habe ich mit dir gespielt und dich zum Teufel geschickt!«

»Was willst du denn beginnen?« fragte der Korporal seinen Kameraden.

»Kommt auf den Markt,« entgegnete dieser, »es soll einen Hauptspaß geben: Dieser alte Halunke will mich fechten lehren und verhöhnen, mich, den besten Fechter!«

»Aber, wer schlägt sich denn mit einem solchen Kerl? Laß ab Schell!« mahnte der Korporal.

»Ach was, es soll nur zur Kurzweil dienen. Gib acht, wie ich den Schuft zurichten werde. Die Fleischfetzen sollen ihm herunterhängen!«

Die Soldaten drängten sich alle hinaus auf den Markt und bildeten einen Kreis, während Schell den armen Vit mitschleppte.

»Stelle dich gerade, Halunke!« rief ein Soldat Vit zu, indem er ihm einen Fußtritt gab.

»Laß den Alten jetzt in Ruh',« rief Schell dem Soldaten zu, indem er ihm einen Schlag mit der flachen Klinge versetzte, »der ist jetzt mein, und keiner soll ihn mehr anrühren!«

Vit stand hochaufgerichtet da in den Hemdärmeln; er rollte diese auf und machte sich fertig.

»Der Kerl sieht aus wie ein Fleischer,« lachte Schell. »Na, ich will ihm schon das Stechen und Schneiden beibringen!«

Vit war ganz ruhig und schaute kaltblütig und geringschätzend auf seinen Gegner.

»Klingen los!« kommandierte der Korporal, und die Säbel kreuzten sich. Schell ging sofort zum Angriff über. Vit verteidigte sich und wehrte alle Hiebe und Stiche geschickt ab, so daß Schell ihm keinen Hieb beibringen konnte; deshalb wurde dieser immer aufgeregter und wütender. Vit dagegen bewahrte seine Ruhe und hielt stets das Auge auf dasjenige des Gegners gerichtet. Jetzt versuchte Schell ihm durch List beizukommen, welche Absicht jedoch von Vit bemerkt wurde.

Es hatte sich ein großer Kreis von Soldaten um die beiden Kämpfer gesammelt, die mit gespannter Aufmerksamkeit dem Streite folgten. Langsam ermüdete Schell, und Vit ging zum Angriff über.

»Vorsicht, Herr Korporal,« sagte Vit, »Eins ... Zwei ... Jetzt!« Da flog dem Korporal der Degen aus der Hand.

»Tod und Teufel!« fluchte Schell, »Kerl, was warst du früher?«

»Das was Ihr jetzt seid – Korporal, zuerst Landsknecht.«

Schell ergriff seinen Degen und wollte von neuem beginnen.

»Genug,« rief der erste Korporal, »ich gebe das nicht länger zu!«

»Was?« schrie Schell, rotglühend vor Zorn. »Meint ihr, ich würde aufhören? Nicht eher, bis der Kerl zu meinen Füßen liegt!«

»Was geht hier vor?« rief plötzlich Oberst Leßlin, der, durch den Auflauf aufmerksam gemacht, hinzugeritten kam.

»Ich glaube gewiß, Korporal Schell hält Fechtturnier mit einem Bauern.«

»Mit Verlaub, Herr Oberst!« erwiderte Schell, »dieser Bauer schlägt eine Klinge wie der beste Soldat, und ich habe im ersten Gange tatsächlich verloren.«

»Wie? Ihr habt verloren, das ist nicht möglich!« rief der Oberst, den das Spiel interessierte. »Dann weiter! Klingen los! Das muß ich sehen.«

Schell stürzte sich wütend auf Vit, und im ersten Angriff hätte er ihm beinahe eine schwere Verletzung beigebracht. Vit schlug noch so eben die Klinge, die mit der Spitze durch das Hemd leicht ins Fleisch gedrungen war, beiseite.

»Eins!« rief Schell, als er sah, daß das Hemd Vits sich rötete.

»Zwei!« rief Vit und versetzte ihm einen Stich in die linke Schulter. Wütend vor Schmerz und blamiert vor seinem Obersten, wollte er jetzt auf Vit eindringen, um ihm den Garaus zu machen, gab sich jedoch abermals eine Blöße, und erhielt von Vit einen Stich in den linken Arm. Schell focht trotzdem weiter.

»Jetzt Schluß!« rief Vit und bückte sich, einen Hieb Schells über seinem Kopfe parierend, dann stieß er blitzschnell seinem Gegner den Degen durch die Brust. Schell sank tot zu Boden. Alle standen regungslos da.

»Das muß ich sagen: der Kerl schlägt keine schlechte Klinge,« sagte der Oberst; »sonst hätte der Schell ihn niedergemacht; eigentlich schade, daß er sein Leben verwirkt hat! Schafft den Schell fort zum Feldscher, Leute!« Damit ritt er weg.

Vit wurde wieder in sein Haus geführt, aber mit einem gewissen Respekt behandelt. Ein Mann der sich so tapfer gezeigt, flößte ihnen unwillkürlich Achtung ein. Aber dieser Respekt wurde bald durch das zurückkehrende Gefühl der Roheit und Ueberlegenheit verdrängt. Gleich wilden Bestien, die in anfänglicher Scheu einen Augenblick von ihrem Opfer abgelassen haben und sich dann wieder auf dasselbe stürzen, so war auch der Eindruck, den der heldenhafte Vit auf sie gemacht, schnell verwischt und sie fielen erneut über ihren wehrlosen Gefangenen her.

Auf dem Markte hatten sich auch einige Bürger eingefunden, und dem Kampfe zugesehen; diese wurden jetzt, da der Kampf zu ungunsten der Hessen ausgefallen war, mit Stößen und Schlägen fortgetrieben.

Als der kleine Trupp wieder mit Vit in dessen Wohnung ankam, sagte der Korporal: »So Alter, jetzt hast du mit uns zu tun. Wir wollen dir schon die Lust vertreiben, dich nochmals an einem von uns zu vergreifen. Hier im Kamin kannst du deine große Schnauze noch einmal auftun, wenn wir dich Rauch schlucken lassen. Dann wirst du sie wohl für immer schließen! Vorwärts, Jungens! Wenn wir noch eine Stunde warten, so sind wir alle besoffen, und morgen will der Oberst wissen, was mit dem Kerl geschehen ist. Lunz, Kurt und Hempel, ihr klettert auf das Dach, hier im Laden hängen Seile genug, laßt ein kräftiges Seil durch den Kamin herunter, und wir binden den Kerl unten an. Ihr zieht ihn hinauf, und wir werden unten mit unsern Klingen etwas nachhelfen, damit er in die Höhe kommt; dann machen wir ein lustiges Feuer an und lassen den Alten braten. Er soll brüllen, daß man es in ganz Gladbach hören kann und andere sich hüten werden, unsere Soldaten je wieder anzutasten!«

Die drei Soldaten kletterten auf das Dach und bald fiel das Seil unten in der Küche auf den Herd. Nachdem dasselbe Vit unter den Armen befestigt war, rief man den auf dem Dache befindlichen Soldaten zu, anzuziehen. Vit wurde emporgezogen und verschwand langsam im Kamin. Niemand sah das triumphierende Gesicht des Alten. Als er nämlich die Türe der Räucherkammer erreicht hatte, stieß er diese auf und schlüpfte in sie hinein. Die Soldaten hatten inzwischen ihre Säbel geholt, konnten ihn jedoch nicht mehr erreichen und stießen fluchend in die Luft.

»Zieht den Kerl nicht zu hoch hinauf!« rief der Korporal den Soldaten auf dem Dache zu. »Schlingt das Seil um den Kamin, und zerbrecht die Hälse nicht!«

Er hatte dies kaum gesagt, als ein dumpfer Fall auf den Hof und ein Schrei ertönte. Hempel war ausgeglitten und vom Dache auf den gepflasterten Hof gestürzt; er hatte das Genick gebrochen.

»Donnerwetter!« rief der Korporal, »kommt herunter, sage ich Euch. Der verdammte alte Spitzbube hat uns schon fünf Soldaten gekostet, jetzt gefeuert, Burschen!«

Im Nu prasselte auf dem Herde ein gewaltiges Feuer, und die Soldaten lagerten sich in der Küche, in der sich eine fast unerträgliche Hitze entwickelte. Inzwischen wurde flott getrunken und das starke, mit dem Schlaftrunke gemischte Bier fing an, seine Wirkung auszuüben.

»Weiß der Teufel« brummte der Korporal, »von dem Alten hört man noch keinen Laut!«

»Wir haben ihn etwas hoch hinaufgezogen,« erwiderte lallend einer der Soldaten, »er sitzt so fest, daß er nicht mehr vorwärts und nicht mehr rückwärts kann, und wenn er brüllt, so wird man das draußen schon hören können.«

Es wurde noch eine Menge Holz auf das Feuer gelegt; dann dauerte es noch keine halbe Stunde, und sämtliche Soldaten lagen im tiefsten Schlafe.

Als Vit die Räucherkammer betrat, tastete er nach dem großen Messer, durchschnitt das Seil und befestigte die Enden an der Eisentüre, die er jetzt zuzog. Es wurde ihm zwar unbehaglich warm, als unten so gefeuert wurde, aber es war doch auszuhalten. Er drückte sich in eine Ecke, möglichst nahe an die Luftlöcher und begann in seiner Not den Rosenkranz zu beten; dann überdachte er seine Lage. »Das ist eine nette Geschichte,« murmelte er, »jetzt kann ich machen, daß ich aus der Stadt komme: die Kerls da unten werden nun wohl bald schlafen wie die Murmeltiere! Gott sei Dank, daß die Sache so prächtig abgelaufen ist, und daß der Korporal auf den gescheiten Gedanken kam, mich zu räuchern, dafür sollte ich ihm eigentlich dankbar sein!« Er schlich zur Türe und lauschte. Das Feuer auf dem Herde war erloschen. In der Küche war alles still, »Ich will doch einmal versuchen, ob die Kerls auch fest schlafen,« murmelte er, nahm eine Speckseite und schob sie zur Tür hinaus. Sie fiel prasselnd auf den Herd und von da in die Küche. Er lauschte, jedoch alles blieb still. Es war mittlerweile Nacht geworden. Vit kletterte vorsichtig herunter und hörte deutlich die regelmäßigen Atemzüge der Schlafenden. Er war eben im Begriff, auf den Herd zu steigen, als er die Haustür öffnen und mehrere Personen eintreten hörte, die der Küche zuschritten. Vit schlüpfte wieder rasch in den Kamin, konnte aber nicht bis zur Räucherkammer kommen, weil er fürchtete, Geräusch zu machen. Deshalb blieb er auf einer eisernen Querstange stehen und verhielt sich ganz ruhig.

Da er die Eintretenden von seinem Versteck aus beobachten konnte, erkannte er in denselben einen jungen Offizier und zwei Soldaten, von denen einer eine Laterne trug.

»Donnerwetter!« rief der Offizier, indem er auf die Schlafenden deutete, »die scheinen sich hier gut konserviert zu haben!«

Einer der Soldaten hatte auch bald das Faß entdeckt und auf seinen Inhalt untersucht. »Es ist wahrhaftig noch halb voll!« rief er und zapfte ein Glas ein, um es dem Offizier zu überreichen.

» A la bonne heure« meinte dieser, nachdem er getrunken, »fürwahr kein schlechter Trunk! Wißt ihr was, Kerls, schafft das Faß auf die Wachtstube, dort wollen wir uns an dem guten Naß auch einmal laben.« Er verließ das Haus mit den Worten: »Die Burschen scheinen tatsächlich den Alten verbrannt und sich dann besoffen zu haben.«

Nachdem die Soldaten noch einige Gläser Bier getrunken hatten, schlugen sie das Faß zu. Einer derselben sagte: »Du, Bert, rolle das Faß zur Wachtstube, ich werde inzwischen einmal das Haus untersuchen, ob noch etwas Gutes zu holen ist.«

»Nein, Franz, ich will lieber vor der Türe warten,« meinte der andere, »denn ich werde das Faß allein nicht regieren können; suche du nur inzwischen und bringe etwas Ordentliches mit.«

Franz ging wieder in die Küche und murmelte vor sich hin: »Soll nicht in dem Kamin etwas Fleisch hängen? Das wollen wir doch einmal untersuchen.« Er stieg auf den Herd und hielt zuerst die Laterne in den Kamin, jedoch kaum hatte er diese hoch gehoben, als sie durch einen Schlag mit einem Gegenstande zertrümmert wurde. »Alle Teufel« fluchte er, »das fehlte noch!«

Er sprang vom Herd herunter, lief zu Bert vor die Türe und sagte: »Da ist mir etwas auf die Laterne gefallen. Du hast ja noch ein Stückchen Kerze in der Tasche; gib mir dieses, ich muß doch wissen, was in dem Kamine steckt!« Er nahm die Kerze, blies in die Kohlen und machte Feuer, welches längere Zeit in Anspruch nahm. Endlich brannte das Licht.

Vit war auf der Eisenstange stehen geblieben und hatte, als er die Laterne sah, diese mit einer dünnen eisernen Stange zerschlagen. Er stand auch jetzt noch da, weil er glaubte, er würde sich durch Geräusch verraten, wenn er wieder in die Kammer schlüpfte.

Der Soldat stieg wieder auf den Herd, und da er fürchtete, der Zugwind könne ihm die Kerze auslöschen, so hielt er schützend eine Hand um die Flamme und wollte zuerst mit dem Kopfe in den Kamin eindringen, als er einen so gewaltigen Stoß in das Gesicht erhielt, daß ihm Mund und Nase bluteten und er in die Küche auf die dort liegenden Soldaten fiel. Mehrere Zähne waren ihm ausgestoßen, und er gab einen Schrei von sich, daß Bert von der Straße herzukam und fragte, was es gäbe.

Franz hatte sich so erschreckt, daß er fast gar nicht sprechen konnte.

»Komm, hilf, daß wir aus diesem verwünschten Hause kommen, Bert!« rief er seinem Kameraden zu und tastete sich im Finstern zu ihm hin. Er erfaßte seine Hand, und vor der Türe flüsterte er ihm zu: »Fort, fort, in dem Hause spukt es! Der alte Spitzbube, der dort verbrannt worden ist, geht darin um, und sein Geist hat mir eine Ohrfeige gegeben, die vergesse ich in meinem Leben nicht!«

Beide beeilten sich, fortzukommen. Als sie in der Wachtstube ankamen, wurde Franz, der ein blutendes und ganz angeschwollenes Gesicht hatte, noch gründlich ausgelacht. Aber keiner hatte den Mut, noch einmal hinzugehen. Sie fielen nun über das Bier her, und es dauerte keine Stunde, da waren die sechzehn Mann, die sich am Weihertore auf Wache befanden, total betrunken und schliefen wie die Ratten.

Nachdem Vit noch eine Zeitlang gewartet hatte, stieg er hinunter in die Küche und verriegelte zuerst die Haustüre; hierauf machte er Licht.

»So, das wäre überstanden,« murmelte er. »Ich könnte die Kerle jetzt alle tot schlagen, jedoch das widerstrebt mir, ich will sie aber unschädlich machen.« Er nahm einige Seile, schnitt sie in Stücke und band dann jedem Soldaten regelrecht die Hände auf dem Rücken fest und die Beine zusammen. »Nun werdet ihr doch wohl hübsch ruhig sein,« meinte er lachend. »Morgen werden die Kerls nach meinen Knochen suchen, und wenn sie die nicht finden, dann werden sie meine Räucherkammer entdecken, und auch begreifen können, wer sie zusammengebunden hat. Wenn ich einem von den Kerls den Schädel einschlage, den Körper in den Kamin hänge und dann ein Feuer anzünde, dann werden sie glauben, der verbrannte Mann sei ich. Aber einen Schlafenden töten ist nicht meine Art; das wäre Mord!«

Vit ging dann auf den Hof und stolperte dort über den verunglückten Hempel.

»Was ist denn das hier!« sagte er und schleppte den leblosen Soldaten in die Küche. »Ah, der ist wahrscheinlich vom Dache gestürzt. Hm, der kommt mir gelegen; er hat das Genick gebrochen.«

Vit begann jetzt den Toten zu entkleiden, zog sich dann selbst um und legte demselben seine Kleidung an. Dann angelte er das Seil von der Türe der Räucherkammer, schlang es der Leiche unter die Arme und arbeitete diese in den Kamin hinein, was allerdings keine leichte Prozedur war. Nun fachte er das Feuer wieder an. Hiermit fertig, verließ er das Haus. Als er auf der Straße war, und die kalte Nachtluft verspürte, kehrte er zurück, ging in den Laden und holte aus einer Kiste ein dickes Halstuch hervor, das er sich umlegte. In der Kiste waren noch 120 Stück dieser wertvollen Tücher verborgen, die sicher in die Hände der Hessen fielen. Vit rückte die Kiste wieder an Ort und Stelle, worauf er geräuschlos das Haus verließ und sich in die Wohnung Vit Tempels begab, die in der Nähe des Gasthauses Gasthaus für die Pilger, welche Gladbach besuchten. lag. Er warf einige kleine Steinchen gegen das Fenster des Schlafzimmers seines Freundes, der das Fenster öffnete und frug, wer da wäre.

Vit flüsterte ihm zu, er möge die Tür aufmachen. Tempel, der ihn an der Stimme erkannte, öffnete alsbald.

Die beiden alten Freunde drückten sich stumm die Hand.

»Hast du Hessen im Hause?« fragte Vit leise.

»Jawohl, sechs Mann sind bei mir einquartiert.«

»Wo schlafen sie?«

»Oben, im Hinterhause.«

»Haben sie gestern abend viel getrunken?«

»Getrunken? Nein, gesoffen haben sie und schlafen nun wie die Dachse!«

»Dann ist's gut; zu befürchten haben wir also nichts.«

Beide traten in die Schlafstube ein. Nachdem Vit kurz seine Erlebnisse erzählt hatte, sagte Vit Tempel: »Aber, Junge, was willst du nun anfangen? Du bist ja lebendig tot.«

»Ja, das und vogelfrei; aber gib einmal acht, ich werde den Hessen noch etwas zu schaffen machen!«

»Wo willst du denn hin?«

»Ich werde mich in der Nähe der Stadt aufhalten, denn ich habe überall Freunde.«

»Ich bewundere deinen Mut, Vit; du in deinen alten Tagen könntest manchen jungen Burschen beschämen.«

»Ist auch wohl nötig! Aber höre: Hier hast du 150 Goldstücke; ich hatte deren 200 vom Prälaten bekommen, um sie für die Bedürfnisse der Bürger zu verwenden. Einige habe ich schon ausgegeben, und die andern werden wohl auch noch draufgehen. Diese 150 nimm du an dich und verwende sie nach deinem Gutdünken. Ich kann mich jetzt um die Stadt nicht mehr kümmern. Sei also so freundlich und entschuldige mich beim Prior Bischoff und sage ihm, ich ließe ihn bitten, er möge dich an meiner Stelle an dem Regimente der Stadt teilnehmen lassen.«

»Ei, du fragst nicht zuerst, ob ich auch damit einverstanden bin?«

»Nein, das brauche ich nicht; ich weiß, daß dir das Wohl der Stadt am Herzen liegt, und du mußt dem Bürgermeister etwas zur Seite stehen. Wüßte wirklich nicht, wer dazu geeigneter wäre als du!«

»Gewiß, lieber Vit, ich tue das mit Freuden, aber dich, alten Jungen möchte ich wirklich beneiden! Du gehst und bist frei wie ein Vogel in der Luft; ich dagegen sitze hier zwischen dem verkommenen Volk, muß seine Plackereien und Gemeinheiten erdulden und darf noch nicht einmal etwas sagen, ja nicht einmal ein saures Gesicht machen, oder muß bange sein, durchgepeitscht oder erschlagen zu werden!«

»Lieber Freund, gerade zur Zeit der Not und Gefahr muß man den Kopf oben halten, und du mußt für die andern armen Bürger, die sich gar nicht zu helfen wissen, mit denken und handeln. – Übrigens, wenn du einmal in Verlegenheit bist, dann wende dich an mich, vielleicht kann ich dir von draußen her helfen.«

»Aber wo und wie bist du zu erreichen, Vit?«

»Du brauchst nur ein beschriebenes Blättchen in die dritte Eiche neben dem Weiher, die in Mannshöhe ein großes Loch hat, hineinzulegen und mit einem Stein zu beschweren, ich werde dort nachsehen lassen, und, wenn ich es habe, lege ich es auch dorthin oder bringe es dir ins Haus. Ich kenne ja alle unterirdischen Gänge und werde schon in die Stadt zu kommen wissen.«

»Es ist gut, Vit, wenn ich einmal dringend deiner bedürfte, so will ich drei Lichter oben am Münsterturme anbringen lassen, also gib darauf acht!«

»Werde schon aufpassen. Nun leb wohl, Freund!«

Sie reichten sich zum Abschied einander die Hand, worauf Vit Tempel die Haustüre geräuschlos verschloß. Vit begab sich zur Wache. In der Wachtstube lag noch alles im tiefsten Schlafe. Der Offizier saß da mit dem Kopf auf den Tisch gestützt, und vor ihm lag ein geladener Karabiner. »Ah« sagte Vit, »den können wir ja gebrauchen«, und steckte den Karabiner in den Gurt, nahm Pulver und Kugeln mit und suchte noch einen zweiten Karabiner und eine gute Flinte aus; einen kräftigen gebogenen Säbel hatte er aus seinem Hause mitgenommen. »Ob die denn keine Pferde hier haben?« brummte er, »da muß ich doch einmal nachsehen.« Richtig, da standen im Pferdestalle neben der Wachtstube zwei schöne Gäule. »Ei« sagte Vit, die Tiere betrachtend, »die scheinen nicht schlecht zu sein. Hätte eigentlich mit einem Pferde genug, aber zur Vorsicht wollen wir beide mitnehmen.« Er band die Tiere los, sattelte sie und führte sie vor die Wachtstube. »So nun blieb noch übrig, das Tor zu öffnen. Aber wo mögen die Schlüssel sein? Er ging in die Wachtstube, fand aber keine Schlüssel. Darauf ging er zur Wohnung des Torwarts, wo noch Licht brannte. »Donnerwetter! Der Kerl ist noch wach, was fange ich nun an?« sprach er für sich selbst. Er klopfte an das Fenster. Ein alter Soldat öffnete und fragte nach seinem Begehr.

»Ich muß eilig für den Offizier, der auf Wache ist, mit seinen zwei Pferden hinaus!«

»So, wohin denn?«

»Nach Krefeld!«

»Und wie heißt du?«

»Kurt Wenders!«

»Ich kenne dich nicht; der Offizier soll selbst kommen!«

»Du weißt doch, daß die diesen Abend etwas viel getrunken haben, und er etwas angeheitert ist. Wenn du mir nicht glauben willst, so komme eben mit zur Wachtstube.«

»Ich komme schon!«

Vit hörte, daß er den Schlüsselbund an sich nahm und als der Alte die Tür des Häuschens öffnete und hinaustreten wollte, hatte Vit den Ahnungslosen am Halse gefaßt und trug ihn wieder in das Stübchen zurück. Der Wächter versuchte zu schreien, aber Vit hielt ihm den Mund zu und warf ihn zur Erde, in diesem Augenblick fing der Wächter an zu schreien: »Hilfe! Mörder – –!« Aber Vit band ihm sein großes Tuch um den Mund, fesselte dann die Hände und Füße des Mannes und band ihn der Vorsicht halber noch auf dem Bette fest. Dann nahm er die Schlüssel und öffnete das Tor, schwang sich auf eines der Pferde, und hinaus ging es in die dunkle Nacht. Er schlug die Richtung nach Korschenbroich ein, ritt durch das Dorf und kam nach Kleinenbroich. Hier machte er halt und klopfte bei Peter Krumm, einem alten Bekannten von ihm, an. Dieser stand gleich auf und nahm Vit mit größter Freude in sein Haus auf. Die Pferde wurden in den Stall gebracht und Vit erzählte ihm kurz seine Erlebnisse wobei er einen großen Napf Milch austrank. Sodann sprach er: »Du, Peter sorge dafür, daß ich zur Ruhe komme, ich bin totmüde.«

»Komme nur mit hinauf, Junge, ein Bett steht fertig für dich.«

Vit bedachte sich nicht lange und begab sich gleich zur Ruhe, bat aber Peter, ihn nicht gar zu lange schlafen zu lassen.

Kaum graute der Tag, da war unser Vit wieder auf und bat den Sohn seines Freundes, Jürgen, er solle mit ihm reiten, über zwei Stunden seien sie wieder zurück. Dieser war damit zufrieden, sie stiegen zu Pferde und sprengten mit verhängten Zügeln in der Richtung auf Gladbach zu bis an die Straße vor Lürrip, die nach Neersen abzweigt. Jetzt stieg Vit ab, untersuchte die Hufspuren und wollte in der Richtung auf Neersen zureiten, um die Hessen bei einer etwaigen Verfolgung irre zu führen, denn er durfte seinem Freunde Peter die Feinde nicht auf den Hals laden. Es war ganz mildes Wetter an dem Morgen, jedoch begann es leicht zu schneien.

»Da können wir uns die Mühe sparen, Jürgen,« sagte Vit, »unser Herrgott wird wohl soviel Schnee fallen lassen, daß die Spur verwischt wird, aber zur Vorsicht wollen wir die Richtung nach Neersen einschlagen und schwenken dann über Neersbroich ab eurem Hause zu.«

Vit schwang sich wieder in den Sattel, und beide ritten davon.

»Sind auch hier Soldaten in den Dörfern einquartiert?« fragte Vit.

»Nein; es ist wohl in Büttgen ein Trupp von sechs Mann zu Pferde angekommen und wollte Quartier haben für 600 Mann Hessen und Pferde.«

»Und sind die Hessen gekommen?«

»Nein, die Quartiermacher haben hundert Reichstaler bekommen und versprachen, keine Einquartierung zu schicken!«

»So, so! Also sie haben hundert Reichstaler erhalten? Das scheint eine eigentümliche Sache zu sein? Ich will doch diesen Nachmittag einmal nach Büttgen gehen und mich genau erkundigen, wie das mit den Hessen gegangen hat, denn die Geschichte kommt mir sehr verdächtig vor.«

Sie kamen wieder zu Hause an und setzten sich in der behaglich erwärmten Stube zum Frühstück nieder; dann plauderten sie zusammen über die augenblicklichen trostlosen Zustände in der Heimat.

An dem Morgen, welcher der Nacht folgte, in der Vit geflüchtet war, wurden die Bürger von Gladbach, die in der Nähe des Weihertores wohnten, erschreckt durch ein Brüllen und Schreien, das aus dem Häuschen des Torwarts zu kommen schien. Endlich faßte sich der Kerkermeister Krone ein Herz, ging an die offene Tür des Häuschens und rief hinein: »Was ist denn hier eigentlich los?«

»Kommt herein, guter Mann,« schrie der Torwart, »und helft mir!«

Krone ging hinein und fand den Soldaten an Händen und Füßen gefesselt auf dem Bette liegen.

Krone nahm das Messer, schnitt die Stricke durch und fragte:

»Was ist Euch denn widerfahren? Man sollte ja meinen –«

»Hört, Mann,« unterbrach ihn der Soldat, »diese Nacht ist mir etwas passiert, das ist noch nicht dagewesen. Kommt da bei verschlossener Tür ein Kerl zu mir ins Zimmer, ohne die Tür zu öffnen, wirft mir etwas in die Augen, schlägt mich zu Boden, fesselt und knebelt mich, nimmt dann meinen Schlüsselbund und entfernt sich ebenso geräuschlos, wie er gekommen war.«

»Wie sah der Mann denn aus?« fragte Krone.

»Es war ein großer, starkgebauter Mann mit weißen Haaren, vielleicht 60 Jahre alt.«

»Um Gotteswillen,« rief erschrocken Krone, »wenn das nur nicht der Geist des alten Vit gewesen ist, den man gestern im Kamin verbrannt hat!«

»Ja, das ist möglich, ein Geist war es ganz bestimmt.«

»Dann hat dieser Geist auch gewiß das Tor geöffnet,« meinte Krone, »denn es steht ganz offen.«

»Ja, wer soll das anders getan haben!« erwiderte der Torwart, dem diese Gespenstergeschichte gefiel, um nicht sagen zu müssen, daß ein einzelner Mann ihn überfallen und geknebelt habe. Krone ging nach Hause und setzte gleich die Geistererscheinung in Umlauf. Der Torwart begab sich zur Wache. Dort schlief noch alles, und er hatte große Mühe, die Schlafenden zum Erwachen zu bringen. Er erzählte dem Offizier, was passiert war, und jetzt meldeten sich auch die beiden Soldaten, welche das Bier geholt hatten, und beriefen sich auf den Spuk im Hause Vits, wo dem Soldaten Franz die Laterne zerschmettert und ihm ein paar Zähne eingeschlagen worden waren. Der Offizier war wütend, als er hörte, daß seine besten zwei Pferde fort waren.

»Nun haltet das Maul, ihr Esel!« rief er mit dem Fuße stampfend, »Ihr werdet mir doch nicht aufbinden wollen, daß Geister Pferde stehlen und Karabiner und Flinten mitnehmen. Weiß der Teufel, daß keiner von uns etwas gehört hat! Wer hatte die Wache von 10 bis 11 Uhr?«

Zwei Soldaten meldeten sich.

»Seid ihr aufgezogen?«

»Ja, pünktlich!« gaben die Soldaten zur Antwort.

»Wann seid ihr abgelöst worden?«

»Wir sind gar nicht abgelöst worden. Als wir gegen 11 Uhr nicht abgelöst wurden, sind wir in die Wachtstube gegangen, und es ist keiner mehr auf Wache gezogen.«

»Hatte ich denn keinen kommandiert, auf Wache zu ziehen?«

»Nein!«

»Weiß der Henker, was wir gestern abend gesoffen haben! Ich habe furchtbaren Durst und schreckliche Kopfschmerzen. Aber, du alter Esel,« rempelte er den Torwart an, »du läßt dich in deiner eigenen Bude fesseln und knebeln, läßt die Pferde und Waffen stehlen und willst uns nun begreiflich machen, ein Geist habe das alles besorgt!«

Der Torwart beteuerte, daß ein Geist ihn bezwungen habe. Während sie so miteinander stritten, ertönte das Alarmsignal, und alle griffen zu den Waffen und begaben sich auf den Marktplatz. Der Korporal mit seinen Soldaten, die bei Vit einquartiert waren, fehlten noch, und aus dem Hause drang wütendes Geschrei und Fluchen. Einige Soldaten begaben sich ins Haus und fanden die gefesselten Krieger in der Küche liegen. Mit wüstem Kopfe, beschämt und ärgerlich, ging der Korporal, nachdem er und seine Leute befreit waren, auf den Markt und meldete dem Obersten, daß sie, nachdem sie den alten Vit geräuchert, etwas Bier getrunken hätten und dann in Schlaf gefallen seien. Was weiter vorgekommen sei, wisse er nicht. Nur, als das Alarmsignal gegeben worden sei, seien sie erwacht und alle gefesselt gewesen.

»Schämt euch!« rief der Oberst zornig, »und namentlich Ihr, Korporal Kurt. Aber zwanzig Soldaten lassen sich, nachdem sie sich betrunken haben, von vielleicht einigen Bürgern überwältigen und fesseln. Aber wartet, ich werde euch schon aufpassen lehren! Die Augenlider lasse ich euch abschneiden, damit ihr die Augen offenhalten müßt. Habt ihr den alten Spitzbuben auch wirklich verbrannt?«

»Jawohl, Herr Oberst, die Leiche hängt noch im Kamin!«

»So! das muß ich doch sehen. Führt mich ins Haus!« befahl der Oberst.

Der Korporal führte ihn in die Küche. »Seht hier, da hängt er!«

»Nehmt den Kerl herunter,« befahl der Oberst.

Die Leiche wurde heruntergerissen und fiel auf den Herd nieder. Der untere Teil war ganz verbrannt, Brust und Kopf waren nur von Rauch geschwärzt. Als der Korporal die Leiche umwandte, so daß das volle Licht auf das Gesicht derselben fiel, stieß er einen Schrei aus, und er sowohl wie die anderen Soldaten wurden leichenblaß. Sie erkannten Hempel, der vom Dache gestürzt war. Der Oberst ergriff den Korporal, schüttelte ihn und rief:

»Rede, Schurke, wer ist das, den du verbrannt hast? Wer? Sprich, oder ich stoße dich nieder wie einen Hund!«

Der Korporal keuchte mühsam hervor: »Es ist der Hempel. Bei meiner Ehre, Herr Oberst! – – ich –«

»Schweig, Schurke! Wie kommt der Hempel in den Kamin?« Damit wandte er sich an die Leute.

»Wir wissen es nicht, Herr Oberst,« versicherten mehrere kleinlaut; »er ist vom Dache auf den Hof gestürzt und hat das Genick gebrochen!«

»Ist das wahr?« fragte der Oberst den Korporal.

»Jawohl, Herr Oberst, er stürzte vom Dache und blieb sofort tot!«

»Und jetzt hängt er im Kamin? Das ist ja unglaublich! Wo ist die Stelle, wo er niederfiel?«

Der Korporal zeigte ihm die Stelle auf dem Hofe, welche sich in dem blutgeröteten Schnee abzeichnete. Der Oberst trat wieder in die Küche und sagte: »Ihr seid Esel und alte Weiber, dieser alte Schelm ist euch entschlüpft und hat euch zum Schabernack den Hempel in den Kamin gehängt. Er hätte euch alle totschlagen sollen, anstatt sich zu begnügen, euch zu binden! Aber der Kerl wird noch in der Stadt sein.« Der Oberst trat wieder auf den Markt und fragte, ob einer von den Soldaten den alten Vit gesehen habe, oder ob etwas Auffallendes vorgekommen sei. Der Offizier vom Weihertor, der nicht wußte, was vorgegangen war, meldete das Verschwinden seiner Pferde und den Vorfall mit dem Torwart. Jetzt kannte die Wut des Obersten keine Grenzen mehr. Er fluchte und wetterte und kommandierte den Korporal mit seinen Leuten sowie den Offizier mit seiner Wache zum Antreten. »Die Kompagnie des Offiziers Grov soll sich sofort mit ihren Ladestöcken aufstellen zu zwei und zwei Mann!«

Der Korporal, der Offizier und die Leute sollen zweimal Spießruten laufen. Der Offizier weigerte sich, und die andern Offiziere, welche zusammen standen, begannen zu murren.

»Wer redet hier noch von euch,« fuhr Leßlin die Offiziere an. »Was ich befehle wird ausgeführt!«

Jetzt entstand ein Tumult, ein allgemeines »Ah!« wurde ausgestoßen, und ehe man recht wußte, was geschehen war, sprengte der Offizier, der sich auf das Pferd des Obersten geschwungen hatte, den Stadtberg hinunter, daß die Funken stoben.

»Ihm nach,« schrie der Oberst. »Fangt ihn lebendig!«

Viele Soldaten liefen dem Flüchtlinge nach, dieser hatte jedoch das Weihertor schon erreicht und aufgeschlossen, und als die Soldaten am Tor ankamen, hörten sie nur den Hufschlag des galoppierenden Pferdes in der Ferne. Inzwischen mußte der Korporal mit den Leuten Spießruten laufen. Nach dem zweiten Laufe schon mußten sie fortgetragen werden. Jetzt kamen die Verfolger des Offiziers zurück und meldeten, daß er nicht einzuholen sei. Der Oberst wandte sich an den Offizier Grov und befahl ihm, den flüchtigen Offizier sowie den alten Vit lebendig zurückzuschaffen und die Verfolgung sofort aufzunehmen. Grov versprach, sich Leute auszusuchen und den Befehl gleich auszuführen. Er nahm 40 Soldaten mit, welche tüchtige Pferde besaßen, und nach einer halben Stunde schon ritten sie zum Weihertore hinaus. Der Oberst machte jetzt bekannt, daß es sich gezeigt habe, daß die Bürger Gladbachs nicht alle Waffen abgeliefert hätten, deshalb sollten alle Häuser nach Waffen durchsucht werden, und wo solche gefunden würden, sollte man die Leute einfach erschlagen oder aufknüpfen. Der anwesende Vit Tempel bat um Schonung für die Bürger, jedoch der Oberst wies ihn barsch ab und sagte, wenn bis morgen früh nicht 500 Goldgulden als Kontribution aufgebracht würden, so würde er die Stadt plündern lassen. Tempel versprach alles Mögliche zu tun, sagte aber, er könne das Geld nicht schaffen.

»Dann wird geplündert!« bemerkte der Oberst kurz und drehte ihm den Rücken. Und alsbald zogen die Soldaten aus, drangen in die Häuser ein, und anstatt nach Waffen zu suchen, begannen sie eine regelrechte Plünderung. Die armen Bürger wurden mit Schlägen und Mißhandlungen gezwungen, anzugeben, wo sie ihr Geld und ihre Kostbarkeiten aufbewahrt hatten, jedoch wurde nur sehr wenig gefunden. An diesem Tage und dem Tage nachher wurden 52 Männer und Frauen und eine große Anzahl Kinder willkürlich gemordet. Da die Soldaten aber einmal Blut gesehen hatten, wurde die Plünderung an den folgenden Tagen stillschweigend fortgesetzt und die Bürger in der gemeinsten und entehrendsten Weise mißhandelt. Aus allen Häusern ertönte schreckliches Geschrei der mißhandelten Leute. Mehrere Frauen und Jungfrauen, die sich verborgen hielten und jetzt aufgespürt wurden, stürzten, um den Soldaten zu entkommen, aus den Fenstern und blieben zerschmettert auf der Straße liegen. Eine Rotte von 15 Lanzenreitern kam brüllend und johlend auf den Markt, auf den Lanzenspitzen kleine Kinder tragend, von denen einzelne noch lebten und kläglich wimmerten, so daß es einen Stein hätte erbarmen können. Einige Mütter, die wehklagend hinterherkamen, wurden mit Hieben zurückgetrieben. Eine Mutter, die noch ihr Kind auf dem Arme trug, lief hinter den Soldaten her und bat mit den rührendsten Worten, ihr doch das andere Kind zurückzugeben. Jetzt fiel sie nieder und umfaßte die Knie des Unmenschen, und als dieser, am Gehen gehindert, wütend wurde, warf er das Kind von der Lanze und stieß diese der armen Frau durch die Brust, zog dann hohnlachend die Lanze aus der Wunde und hob sie wieder zum Stoße empor, um jetzt das kleine Kind, welches die sterbende Mutter noch umschlungen hielt, zu spießen, als er einen gewaltigen Schlag auf den Kopf erhielt, dem gleich ein zweiter folgte, der ihm den Schädel spaltete. Die Soldaten blieben verdutzt stehen und senkten ihre Lanzen. Der Hauptmann van Este, der plötzlich erschienen war, hatte den Soldaten niedergehauen, er holte dann noch einmal zu gewaltigem Schlage aus, und der Kopf eines zweiten Soldaten rollte über den Markt. Jetzt warfen die anderen die Lanzen fort und flüchteten, um aus dem Bereich des Hauptmannes zu kommen. Dieser nahm das Kind aus den Armen der toten Mutter, wischte ihm mit der flachen Hand das Blut, womit dasselbe bespritzt war, aus dem Gesicht, und das Kindchen, welches vielleicht ein Jahr alt sein mochte, lächelte den Kriegsmann dankbar an. Der rauhe Mann fing an zu weinen, daß ihm die Tränen in den Bart rollten. Er setzte sich auf einen Stein, nahm das Kind behutsam auf den Schoß und sagte: »Gott im Himmel, ist's möglich, daß es solche Menschen gibt? Sollte sich die Erde nicht auftun und diese Ungeheuer verschlingen?!« Jetzt sah er Vit Tempel, welcher eindringlich auf den Obersten Leßlin einsprach, auf den Markt kommen. Er sprang flammenden Auges auf und schritt auf die beiden zu.

»Ah, Ihr seid Kindermagd geworden, Herr Hauptmann van Este?« lachte der Oberst.

»Herr Oberst,« rief der Hauptmann, außer sich vor Erregung, »dort liegen zwei von Euren Lanzenreitern, die ich zur Hölle geschickt habe, weil es keine Menschen, sondern Teufel sind, und wenn dem Morden der Frauen und Kinder kein Einhalt geschieht, so werde ich Euch dazu zwingen und Euch lehren, was Kriegsbrauch ist!«

»Was?« platzte der Oberst heraus und griff zum Degen.

»Mich zwingen – lehren!? Welche Sprache erlaubt Ihr Euch!«

»Laßt Eure Klinge stecken!« sagte van Este, indem er das Kind auf die Erde legte. »Laßt stecken, damit Ihr nicht mit der meinigen Bekanntschaft macht, die ich vielleicht besser zu führen weiß, als Ihr!«

Einen Augenblick standen sich beide Männer gegenüber und maßen sich mit herausfordernden Blicken. Der Oberst wurde aschfahl im Gesichte, als er sah, wie sich jetzt die Soldaten van Este's um ihren Hauptmann scharten, entschlossen, denselben auf alle Fälle zu verteidigen.

Dieser beugte sich darauf nieder, hob das Kind wieder hoch und trat damit auf Vit Tempel zu.

»Hier Bürger, nehmt Ihr Euch des armen Kindes an, dem soeben die Bestien, die der Herr Oberst Leßlin zu seinen Soldaten zählt, die Mutter und das Schwesterchen gemordet haben. Nehmt es mit nach Hause und verpflegt es auf meine Kosten, und ich bürge Euch mit meinem Ehrenworte dafür, daß kein hessischer Soldat Euer Haus betreten soll; ich verschaffe Euch einen Freibrief vom Oberfeldherrn, den jeder zu respektieren hat. Nun geht, Herr Tempel, ich spreche noch weiter mit Euch.«

Vit Tempel entfernte sich mit dem Kinde.

»Nun, Herr van Este,« fragte der Oberst mit verhaltener Wut, »erhalte ich jetzt Antwort und Satisfaktion?«

»Die Antwort, Herr Oberst« erwiderte van Este, »wird Euch der Obergeneral geben, dem ich über Euch und Eure Soldaten berichten werde. Wenn Ihr dann noch satisfaktionsfähig seid« setzte er mit bedeutsamem Lächeln hinzu, »so stehe ich zu Eurer Verfügung. Es könnte nämlich der Fall eintreten, daß Ihr Eures Postens enthoben werdet und ein Anderer an Eure Stelle tritt, das merkt Euch!«

Der Oberst biß sich in die Lippen. Er kannte van Este's Einfluß beim Obergeneral und wußte, daß dieser ihm gefährlich werden konnte.

»Tut, was Ihr wollt,« sagte er mit verbissenem Grimme, indem er van Este einen giftigen Blick zuwarf. »Ich werde jederzeit bereit sein, Rechenschaft zu geben. Glaubt Ihr etwa ich müsse ungestraft meine Soldaten von diesem Krämervolk umbringen lassen!«

»Das braucht Ihr nicht« erwiderte van Este, »aber ebenso wenig Euch in so viehischer Art an Frauen und Kindern auslassen, daß es zum Himmel schreit!«

Damit kehrte er dem Oberst den Rücken und ging den Markt entlang. Der Oberst unterdrückte einen Fluch, erließ aber sofort einen Befehl, wonach die Soldaten von den Bürgern ablassen sollten und diesen gegenüber nur im Falle von Böswilligkeit und Aufsässigkeit zu Zwangsmaßregeln greifen dürften. Das half für den Augenblick etwas, aber aus jeder Kleinigkeit wurde jetzt eine Widersetzlichkeit gemacht, und die Mißhandlungen fanden nur nicht so öffentlich statt. Hauptmann van Este begab sich zu Vit Tempel, welcher ihn herzlich willkommen hieß und ihn mit Tränen des Dankes die Hand drückte. Tempel erzählte ihm, welche schrecklichen Tage sie erlebt hätten und wie er sich freue, daß der Hauptmann heute gekommen sei.

»Ich habe an den Obersten Briefe nebst Befehle gebracht und werde wohl in den ersten Tagen wieder zum General Guébriant zurückreiten; bei mir sind sechs Soldaten, Franzosen, wo kann ich mit denen wohnen? Ich mag nicht mit den Hessen zusammen in einem Quartier liegen, wir würden uns schlecht vertragen.«

»Ei,« sagte Tempel, das Haus meines Freundes Vit Gilles liegt leer, die Soldaten, welche darin waren, sind zum Kloster gebracht worden zur Pflege, da sie heute zweimal Spießruten laufen mußten. Ich kenne das Haus genau, kommt, ich gehe mit Euch.« Sie schritten über den Markt und kamen gerade an, als verschiedene Soldaten aus dem Laden Stoffe und Tücher herausrissen und Kisten und Kasten durchstöberten.

»Hört, Leute,« sagte der Hauptmann, »dieses Haus wird heute von mir und meinen Leuten belegt. Damit hört das Plündern auf, verstanden? Lasse sich also keiner mehr hier sehen!«

Die Soldaten entfernten sich schweigend. »So, meine Leute werden das Haus, welches noch ziemlich unversehrt ist, in Ordnung machen, und ich werde vom Obersten verlangen, daß es auch, wenn ich nicht mehr hier bin, von niemand mehr betreten wird. Ich tue das für Euren Freund, welcher ja, wie ich höre, ein wackerer Mann sein soll.«

»Oh!« sagte Tempel, »ein Mann, wie es keinen zweiten gibt, klug, gerecht, kühn, tapfer, mit einem Wort, ein Biedermann, den ganz Gladbach ehrt und als einen Helden bewundert Den müßt Ihr kennen lernen!«

»Wird sich vielleicht machen lassen. Ich bin jetzt müde und meine Leute auch. Also Freund Tempel, lebt wohl und sorg mir für das Kind!«

»Das verspreche ich Euch auf Ehrenwort!« versicherte Tempel »Meine Frau wird dafür sorgen, wie eine Mutter sorgen muß!« Vit Tempel entfernte sich, und der Hauptmann trat in das Stübchen ein.

Ein Zusammenlauf auf dem Markte, Rufen, Schreien und Fluchen lockten den Hauptmann van Este und Vit Tempel sowie die Soldaten wieder auf den Markt. Ein Zug von Reitern, welche einen gefangenen Offizier in ihrer Mitte führten, kam von der Jüddenpforte her auf den Markt zu. Als der Hauptmann die Uniform des Gefangenen erblickte, entfuhr ein Ruf des Erstaunens und Unwillens seinem Munde. Stolz schritt er auf den Offizier zu, erkundigte sich nach dem Sachverhalt und sagte dann kurz in einem Tone, der keinen Widerspruch zuließ:

»Es ist gut; da es sich um einen Franzosen handelt, übernehme ich den Gefangenen im Namen des Oberkommandierenden, Generals Guébriant; hat er etwas verbrochen, so mag der Herr General ihn richten.«

Grov maß den Hauptmann mit einem finsteren Blicke. »Wer seid Ihr, Herr?« frug er mit zusammengekniffenen Lippen, »daß Ihr Euch in meine Sachen mischt; ich hatte den Auftrag, den Offizier, der sich schwerer Pflichtverletzung schuldig gemacht hat, einzufangen und abzuliefern. Das habe ich getan wie der Oberst mir befohlen. Euch aber kenne ich nicht!«

»Ich bin vom Generalstabe des Obergenerals und trage die französische Hauptmannsuniform, und wenn Ihr mich nicht kennt, so wisset hiermit, daß ich der Hauptmann van Este bin. Teilt Eurem Obersten mit, ich hätte den Offizier übernommen. Damit schritt er auf den Gefangenen zu, löste seine Fesseln und schritt mit ihm aus dem Kreise der Umstehenden seiner Wohnung zu. Vit Tempel begab sich ebenfalls nach Hause. Offizier Grov zog ärgerlich mit seinen Leuten ab und meldete dem Obersten Leßlin, was geschehen war. Dieser tobte zwar, hatte aber doch nicht den Mut, gegen van Este einzuschreiten. Vom alten Vit hatte der Offizier Grov weder etwas gehört noch gesehen. Er meldete, das Pferd des Offiziers sei von einem Bauern erschossen worden und der Offizier dadurch in ihre Hände geraten. Oberst Leßlin erkundigte sich genau, wo das Pferd erschossen worden sei, und versprach dem Offizier eine hohe Belohnung, wenn er ihm das Sattelzeug, das ihm ein teures Andenken sei, zurückschaffen würde, auf den Kopf des alten Vit setzte er eine Belohnung von 100 Goldgulden. Grov versprach sein Bestes zu tun, um des alten Vit und des Sattelzeugs habhaft zu werden und wollte gleich am andern Tage wieder aufbrechen, um sich seiner Aufgabe zu entledigen.

Hauptmann van Este war mit dem Offizier ins Haus getreten und sagte, demselben die Hand reichend: »Wie kommt Ihr denn hier in diese Lage, Hermann?«

»Herr Hauptmann, ich wurde zum Truppenteile des Obersten Leßlin versetzt und mußte nach dem Siege von Krefeld mit hierher. Oberst Leßlin und auch mein Kollege Grov standen mir von Anfang an feindselig gegenüber und suchen jede Gelegenheit mich zurückzusetzen oder zu kränken.« Nun erzählte er die ganze Geschichte, die uns bereits bekannt ist, und daß er Spießruten laufen sollte, sich aber geweigert und darauf das Reiterkunststückchen ausgeführt habe.

»Ich begreife wirklich nicht, Hermann,« fiel der Hauptmann ein, »wie ein Oberst einen Offizier zu einer so schimpflichen körperlichen Strafe verurteilen kann. Das ist ja unerhört!«

»Wie gesagt, Oberst Leßlin ist mein Feind. Er haust hier wie ein Wüterich, und niemand ist sicher vor seinen Leuten, denn sie schonen weder den Greis noch das unschuldige Kind, weder das Mädchen noch die Mutter.«

»Davon weiß ich Bescheid, lieber Hermann, aber ich meine, die andern Offiziere würden sich dagegen auflehnen!«

»Ach was, Leßlin macht Beute, und die andern Offiziere bekommen ihren Anteil, und eben weil ich ihr Treiben verurteile, bin ich verhaßt. Ich habe auch noch von keiner Beute etwas angenommen!«

»Recht so, aber sagt mal, Hermann, wie kommt es, daß Ihr, ein junger Kerl und tüchtiger Soldat, Euch da mit einem guten Pferde einfangen laßt; das verstehe ich nicht!«

»Ja, Ihr habt gut reden, Herr Hauptmann. Ich bin erst 22 Jahre alt und noch nicht lange Offizier, ich weiß mich wohl im Streite zu benehmen, aber was mir da passiert ist, kann dem besten Soldaten passieren. Ich ritt mit dem Pferde des Obersten in der Richtung auf Neuß zu und wußte selbst nicht, wohin ich mich eigentlich wenden sollte; ich kam auch glücklich durch den Wald bis Kleinenbroich und hatte eben das Dorf hinter mir. Kaum war ich wieder in den Wald eingebogen, als ich das Pferd Schritt gehen ließ. Da erscholl es links aus dem Gebüsche: »Reiter halt!« Ich störte mich jedoch nicht daran, sondern wollte mein Pferd in Trab setzen, als jemand mir zurief: »Halt, oder ich schieße Euch vom Pferde!« Da ich nun aber keine Lust hatte, dem Befehle eines Unbekannten zu gehorchen, gab ich dem Pferde die Sporen; das Tier bäumte sich hoch auf. Jetzt krachte ein Schuß, und das Pferd brach unter mir zusammen. Ich hatte nichts bei mir als meinen Degen, den ich zog und vom Pferde weg in das Gebüsch springen wollte, um zu sehen, wer den Schuß abgefeuert habe. Am Rande des Gebüsches trat jetzt ein alter Kriegsmann hervor mit weißen Haaren, aber in seinen Zügen brannte noch jugendliches Feuer. Er kam mit einem Karabiner im Anschlag auf mich zu und sagte: »Wenn Euch Euer Leben lieb ist, so bleibt stehen und beantwortet meine Fragen. Wer seid Ihr?« »Warum soll ich antworten?« fragte ich. »Habt Ihr hier zu befehlen?« »Jawohl«, erwiderte er, »ich bin der Stärkere, ich habe einen geladenen Karabiner, bin auch sonst gut bewaffnet, und Ihr habt nur einen Zahnstocher bei Euch. Ob ich ein Recht habe, Euch zu fragen, das kommt gar nicht in Betracht, denn Ihr wißt ja, daß Gewalt jetzt vor Recht geht, und davon will ich Gebrauch machen. Ihr kommt wohl von Gladbach? Ja, richtig, es fällt mir ein, daß ich Euch am Weihertor auf Wache traf, und als Ihr schlieft, habe ich Euch die Pferde weggenommen.« »Wie,« rief ich erstaunt, »Ihr seid der verbrannte Vit?« »Eben derselbe, nur nicht verbrannt, und vorläufig verbrennen mich die Hessen noch nicht. Also zur Sache. Was wollt Ihr hier?« »Ich bin auf der Flucht, gab ich zur Antwort, und der Oberst läßt mich verfolgen. Man wird mich jedenfalls einholen, da Ihr mir mein Pferd erschossen habt.« »Hm« sagte er, »Ihr werdet wohl gekommen sein, um mich zu fangen und habet wohl noch eine Anzahl Leute hinter Euch? Dummer Junge, glaubt Ihr ich ließe mich von einem so bartlosen Knaben zum Besten halten? Geht ruhig nach Gladbach und sagt, der alte Vit lebe noch und denke vorläufig nicht ans Sterben.« Ich versicherte ihm, daß ich selbst ein Flüchtling sei, jedoch er ließ sich nicht überzeugen. Jetzt vernahmen wir die Hufschläge mehrerer Pferde. Ich wollte mich ins Gebüsch begeben, jedoch richtete der Alte wieder seinen Karabiner auf mich und drohte, mir einige Lot Blei zwischen die Rippen zu jagen, sobald ich Miene machen würde, mich zu entfernen. Der Hufschlag kam näher, und jetzt erblickte ich meinen Feind Grov an der Spitze seiner Leute, die mich gefangen nahmen. Den alten Mann habe ich nicht mehr gesehen. So ist es mir ergangen und wenn Ihr Euch meiner nicht angenommen hättet, so würde Leßlin mich eingesperrt und vielleicht kriegsgerichtlich erschossen haben.«

»Hört, Hermann, ich habe Euch im vorigen Jahr in Trier als einen tüchtigen und braven Menschen kennengelernt. Deshalb kann ich nicht begreifen, wie Ihr bei dieser Bande bleiben könnt. Kommt also mit zum Feldherrn und lasset Euch bei den Franzosen einreihen, wir kämpfen zwar für eine und dieselbe Sache, nur mit dem Unterschiede, daß wir uns wie redliche Soldaten aufführen und die Hessen wie Schufte, Räuber und Mordbrenner.«

»Gut, ich gehe mit Euch, Herr Hauptmann. Aber wie soll die Sache mit dem Oberst geregelt werden?«

»Das laßt meine Sorge sein, Hermann!«

Inzwischen hatten die Soldaten im Stübchen ein Abendessen fertig gemacht, und die beiden Offiziere nahmen am Tische Platz und ließen es sich wohlschmecken. Vit Tempel hatte noch einige Flaschen guten Wein zur Tafel geschickt, und als der duftende goldene Trank in den Gläsern blinkte, stießen sie an und tranken auf eine glückliche Zukunft. Der Hauptmann war ein starker, gesunder Mann von 45 Jahren, mit Gesichtszügen, in denen eine trübe Vergangenheit ausgeprägt lag. Sein Gegenüber, der uns durch sein soeben bestandenes Abenteuer bekannte Offizier Hermann war ein junger Mann von schlanker kräftiger Gestalt, mit gebräuntem Gesichte und dunklen, kühn blickenden Augen. Sein offenes Wesen und sein Charakter hatten den Hauptmann gleich zu Anfang für ihn eingenommen und dieser hegte eine große Sympathie für ihn. Es freute ihn daher, daß Hermann bereit war, bei den Franzosen einzutreten und beschloß, diesem jungen, noch unerfahrenen Menschen auch fernerhin ein Beschützer zu sein und ihn zu fördern wo immer er konnte.

Nach der Mahlzeit blieben beide noch eine Weile sitzen in vertraulichem Geplauder. Hermann schilderte dem Hauptmann noch einmal seine Erlebnisse bei den Hessen und deren Treiben in Gladbach. Schweigend hörte der Hauptmann zu, wobei seine Augen sinnend auf dem Sprechenden ruhten. Und plötzlich kamen ihm wehmütige Erinnerungen. Er dachte zurück an seinen kleinen herzigen Jungen, den er einst verloren und der heute im gleichen Alter sein konnte, wie der vor ihm sitzende junge Mann. Dann seufzte er tief auf, fuhr sich mit der Hand über die Augen und erhob sich. »Ich habe noch einen Rapport zu schreiben« sagte er; »wenn Ihr müde seid, Hermann, so könnt Ihr Euch nach oben begeben und Euch ein Schlafzimmer aussuchen. An Raum fehlt's hier nicht. Es ist das Haus des alten Vit.«

»Das weiß ich wohl,« sagte Hermann, »war neulich abends hier und habe ein Faß Bier fortgeholt.«

»Soll ein tüchtiger Kerl sein, dieser alte Vit, ich möchte ihn wohl kennen lernen.«

»Besser ist's, Ihr kämt nicht mit ihm zusammen. Er ist ein Krieger, mit dem wahrhaftig nicht zu spaßen ist.«

»Ich würde schon mit ihm zurecht kommen, Hermann, verlaßt Euch darauf!«

Hermann begab sich zur Ruhe, nachdem die Soldaten vorangegangen und ihre Schlafstätte in dem hinteren Zimmer aufgesucht hatten. Der Hauptmann fertigte seinen Rapport und war eben im Begriffe, gleichfalls sein Lager aufzusuchen, als er ein zusammengeknittertes Stück Pergamentpapier unter der Bank bemerkte. Er hob es auf und sah, daß es beschrieben war. Er setzte sich deshalb ans Licht, um zu sehen, was das Blatt enthalte. Kaum hatte er den Anfang gelesen, als er aufsprang und ausrief: »Nicht möglich! Und doch – –! Gütiger Himmel, es könnte eine Spur sein, die – –!« Er durchlas das Schriftstück und ging dann in Gedanken versunken durch das Stübchen auf und ab, und als der Morgen graute, saß er noch am Tische, den Kopf in die Hand gestützt. Er rief jetzt einen der Soldaten und befahl diesem, zu Vit Tempel zu gehen und ihn um einen sofortigen Besuch zu bitten, da er ihn in einer wichtigen Sache zu sprechen wünsche.


 << zurück weiter >>