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Vit war mit seiner Abteilung davongeritten. Kaum hatten sie ein Stück Wegs zurückgelegt, als der Ruf erscholl: »Halt, wer da?«
Vit gab keine Antwort, sondern kommandierte: »Links ab!« Denn zwischen den Bäumen sah er die Uniformen und Waffen der Soldaten hindurchschimmern, und von rechts fielen einige Schüsse, von denen verschiedene Reiter gestreift wurden. Im Galopp ging es auf die Moosheide zu. Eine Salve nach der anderen wurde ihnen nachgeschickt, jedoch ohne jemand mehr zu treffen.
»Es geht am Ende noch gut, Jungens,« sagte Vit. »Peter,« rief er Kluth zu, »reite den Pfad hinauf an den Flachsgruben vorbei.« Alle schwenkten auf den Pfad zu, ein Pferd ging hinter dem anderen.
Jetzt ertönte wieder eine Stimme: »Halt, wer da?«
»Stehen bleiben!« befahl Vit, und, als Antwort auf den Anruf sagte er: »Landleute sind wir, welche auf den Pferdehandel wollen.«
»Wieviel sind eurer?« fragte die Stimme weiter.
»Zwanzig Mann.«
»Alle zu Pferde?«
»Ja.«
»Könnt passieren.«
»Warum fragt ihr uns?« sagte Vit. »Wer seid ihr?«
»Soldaten!«
»Donnerwetter!« dachte Vit, »reiten wir vorwärts, so schießen sie uns hübsch von den Pferden herunter. Was jetzt? Absitzen!« befahl er kurz.
Alle schwangen sich von den Pferden.
»Warum kommt ihr nicht?« fragte die unsichtbare Schildwache wieder.
»Wir wollen etwas rasten,« sagte Vit ausweichend. »Der Kerl ist nicht allein,« flüsterte er. »Da, seht, unten der ganze Wald wimmelt von Soldaten!«
Jetzt wurden etwa 20 bis 30 Soldaten sichtbar, welche mit Gewehr im Anschlag auf sie zukamen.
Lörs und Peter Kluth, welche etwas abseits mit den Pferden standen, winkten sich gegenseitig zu, schwangen sich auf die Pferde, sprengten seitwärts in das Gestrüpp, und fort waren sie. Die Soldaten schossen zwar auf die Fliehenden, aber ohne zu treffen.
Vits Leute rissen jetzt ihre Gewehre von der Schulter, jedoch Vit befahl, nicht zu schießen.
»Wollt ihr euch ergeben?« fragte einer der Soldaten.
»Nein,« sagte Vit, der glaubte, den Kampf aufnehmen zu müssen, »Ich wüßte nicht warum? Wir ziehen unsere Straße daher, und Ihr schießt auf uns ...!«
»Meister,« rief Deckers, welcher zuletzt stand, »es kommen noch Soldaten hinter uns.«
»Also eingeschlossen. Jetzt ist's vorbei. Nun, Jungens, wir wollen unser Leben so teuer verkaufen, wie möglich! Ergeben wir uns, so müssen wir sterben, dann können wir es auch kämpfend tun. Aufsitzen, vorwärts, schießt, haut, stecht, was ihr könnt!« Er zog seinen schweren Säbel, jedoch eine Salve krachte, welche fast sämtliche Pferde traf, und die anderen, wild geworden, wollten nicht mehr gehorchen.
»Absitzen,« rief Vit, »zusammenstellen!« Seine Leute schossen zuerst die Gewehre ab und schlugen dann mit den Kolben auf die Soldaten ein. Die Soldaten schossen nicht, sie wollten Vit und seine Leute lebendig haben. Sie schlugen daher jetzt mit den Kolben drein. Vit und seine Leute wehrten sich wie die Löwen. Einige Soldaten drangen auf Vit ein, wodurch dieser von seinen Leuten getrennt wurde und nun freies Spiel hatte. Fünf bis sechs Soldaten lagen bereits von seinem Pallasch getroffen vor ihm und bildeten einen Wall um ihn. Obschon er aus vielen Wunden blutete, sein Arm erlahmte nicht. Er zog sich Zoll um Zoll zurück, und jeden Zoll mußten einige Hessen mit dem Leben bezahlen. Jetzt kam er an den Rand einer Flachsgrube, rutschte mit einem Fuße hinein und stürzte in das Wasser. Nun sprangen sechs von den Soldaten auf die Grube zu: ein schwerer Kolbenschlag traf Vits Kopf, und er verlor die Besinnung. Als seine Leute ihn fallen sahen, entsank ihnen der Mut, sie stellten den Kampf bald ein und ergaben sich.
Vit wurde aus dem Wasser gezogen und auf den Rasen gelegt. »Sorgt, daß er wieder zum Leben erwacht, bemüht euch um ihn!« befahl der Anführer den Soldaten. Vits Leute, alle mehr oder weniger verwundet, wurden gefesselt und zusammengekoppelt. Dabei fehlte es nicht an rohen Bemerkungen, Stößen und Schlägen, womit die Soldaten ihren Mut an ihnen kühlten. Ruhig ließen sie alles mit sich geschehen und blickten finster vor sich hin, wußten sie doch, was ihnen jetzt bevorstand.
Endlich erwachte Vit, der inzwischen gefesselt worden war, aus seiner Betäubung. Als er seine Gedanken etwas gesammelt hatte, wußte er, was vorgegangen war, und erkannte seine verhängnisvolle Lage. Jetzt trat der Hauptmann an ihn heran und fragte ihn: »Wie heißt du?«
Vit besah sich den Mann von unten bis oben und schwieg.
»Deinen Namen will ich wissen und zwar den richtigen!«
»Mein Name darf sich hören lassen. Brauche mich desselben nicht zu schämen, denn er hat einen guten Klang. Ich bin Vit Gilles.«
»Ich dachte es mir.«
»Was wollt Ihr von mir?« fragte Vit.
»Das wirst du sehen. Zunächst wirst du nach Dahlen gebracht.«
»Gut. Auch meine Freunde?«
»Auch deine Bande.«
»Es scheint, daß Ihr viele Leute nötig hattet, um die ›Bande ‹ einzufangen,« höhnte Vit.
»Nun, den Hohn wollen wir dir schon vertreiben,« versicherte Bertin, denn er war es selbst.
»Ihr schlagt mich nur einmal tot, und den Tod fürchte ich nicht.«
»Das wollen wir sehen,« versetzte er. »Vorwärts!«
Die an der Scheune zurückgelassenen Freunde waren auch eingefangen, und so schritt Vit an der Spitze von noch 18 Mann auf Dahlen zu, die anderen waren alle gefallen. Vit blickte sich schmerzlich lächelnd nach den Seinen um und gewahrte Paul darunter. Lörs und Peter Kluth fehlten. Sie mußten also entkommen sein.
Bertin ließ sofort einen reitenden Boten an Valliers nach Erkelenz abgehen, durch den er ihm mitteilte, daß es ihm gelungen sei, den gefürchteten Vit gefangenzunehmen. Langsam bewegte sich der Trupp vorwärts. Vit und seine Leute waren ruhig und ergaben sich in ihr Schicksal, während die Hessen wüste Lieder brüllten und die Gefangenen verhöhnten. Diese schwiegen und marschierten trotz des Blutverlustes, den einzelne erlitten hatten, ziemlich rasch vorwärts. Dabei nahmen sie die Mitte des Zuges ein, sodaß an ein Entkommen nicht zu denken war. Es waren noch mindestens 200 Soldaten, welche die Gefangenen begleiteten.
Jetzt ritt Bertin neben Vit und sagte: »Na, Herr Hauptmann, das Räuberleben wird jetzt wohl ein Ende haben, denn mir sollst du nicht entwischen, dafür werde ich sorgen.«
»Das kann man nicht wissen,« erwiderte Vit gleichgültig.
»Nun, ich gebe dir mein Ehrenwort, daß ich dich so fesseln lassen werde, daß du dich nicht einmal rühren kannst! Verstanden?«
»Verstehe sehr gut. Hoffentlich werdet Ihr mit meinem Tode keine 14 Tage warten wollen.«
»Hast du Eile, alter Gauner?«
»Wie sollte ich nicht!« gab Vit resigniert zur Antwort. »Da ich meine Landsleute nun nicht länger mehr gegen eine Horde verteidigen kann, die weder Kriegsbrauch noch Menschenrecht kennt, ist meine Aufgabe beendet und das Leben hat keinen Wert mehr für mich. Also je eher davon ab, desto besser! Übrigens habt Ihr alle Ursache, meine Exekution nicht zu verzögern, denn,« – Vit lachte hellauf – »ich glaube, daß ich Euch genug zu schaffen gemacht habe!«
»Das hast du allerdings, alter Halunke!« versetzte Bertin, »und das wollen wir dir auch schon eintränken – verlaß dich darauf!«
Damit hielt er Vit die Faust unter die Nase und ritt dann wieder an die Spitze des Zuges.
Während der Zug der Soldaten mit den Gefangenen sich Dahlen näherte, sammelten sich zu Venn langsam die noch lebenden Bewohner, um die vielen Toten zu verscharren, denn bei der großen Sonnenhitze befürchteten sie den Ausbruch einer Pestilenz. Deshalb wurden an den Orten, wo die Leichen lagen, tiefe Gruben gemacht, und Freund und Feind darin versenkt. Die meisten Leichen wurden in die Flachsgruben geworfen, und diese dann mit Erde gefüllt In dieser Gegend wurden vor 30 bis 40 Jahren beim Roden viele Knochen und Skelette von Menschen und Pferden gefunden..
Als der Zug mit den Gefangenen vor Dahlen ankam, sprengte ein Offizier voraus, welcher das Tor öffnen ließ, und die ganze noch vorhandene Besatzung wurde mit scharf geladenen Gewehren auf die Straße kommandiert. Den Bürgern wurde bekannt gemacht, daß derjenige, welcher sich mit den Gefangenen unterhalten, oder auch nur sein Mißfallen über die Gefangennahme äußern würde, sofort niedergeschossen werden sollte. Bertin befürchtete nämlich einen Aufstand, da die Bürgerschaft in Dahlen den Vit, der ein geborener Dahlener war, sehr gut leiden mochte und jedenfalls seine Flucht begünstigen würde. Kein Bürger durfte sich daher auf der Straße sehen lassen.
Schreiend und johlend zogen die Hessen durch das Mühlentor in die Stadt ein. Vit schritt stolz erhobenen Hauptes einher und nickte einigen Bekannten zu, welche durch die Fenster auf die traurige Gruppe der Gefangenen blickten. Als sie voneinander gerissen wurden, schaute Vit sie wehmütig an und sagte: »Lebt wohl, meine Jungens, behaltet Mut und zeigt keine Schwäche. Habt Dank für eure Treue! Wenn wir uns hier nicht wiedersehen, dann hoffentlich doch in einer besseren Welt! Lebt wohl, – auf immer!«
»Lebt wohl, Meister Vit,« flüsterten die Burschen, und hier und da zerdrückte der eine oder andere eine Träne im Auge; war es doch ihr alter wackerer Führer, der da gefesselt fortgebracht wurde, ihr Vit, an dem sie alle, trotz seiner Strenge hingen, wie an einem Vater; für den sie durchs Feuer gegangen wären! Was er ihnen gewesen, das fühlten sie in diesem Augenblicke, wo er vielleicht für immer von ihnen ging. Die Gefangenen wurden in verschiedene feste Türme gesperrt, Vit jedoch allein in den dicken Turm geworfen und ein Doppelposten vor seine Türe gestellt. Es war ein kleines, finsteres Gelaß, ohne Licht und Luft. Vit wurde an eine in der Wand festgemachte Kette gelegt. An eine Flucht war also nicht zu denken. Er legte sich auf das frische Stroh, welches man ihm dahingeworfen hatte, und von den Strapazen des Tages und den bestandenen Kämpfen senkte sich bald eine bleierne Müdigkeit auf seine Lider und schlossen sie zu festem, traumlosem Schlafe.
Dahlen Vgl. Gröttecken, Geschichte von Dahlen. war im Jahre 1642 eine gut befestigte, hübsche Stadt. Von einer großen Ringmauer umgeben hatte sie außer mehreren kleinen Toren, welche auf die umliegenden Felder führten, drei große Tore: das Mühlentor, das Beecker Tor und das Wickrather Tor. Ferner waren vier große Türme vorhanden. Ein Turm stand in der Nähe des Wickrather Tores, der Pulverturm stand am Beecker Tore. Zwischen dem Mühlen- und Wickrather Tore stand der Mohrenturm, und neben diesem befand sich der gewaltige dicke Turm. Die Stadt war mit einem Wall umgeben, und an der Mauer vorbei lief ein breiter Graben. Um den Wall herum führte ein freier Fußpfad, welcher so breit sein mußte, daß zwei Bürgermeister, sich an der Hand haltend, denselben bequem begehen konnten.