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Die Belagerung der Gastesscheune.

Wir müssen nun zuerst sehen, wie der Kommandant Bertin, welcher doch mit Valliers nach der Gastesscheune gezogen, nach Venn geraten war. Kerst Jansen und seine Leute hatten die ganze Nacht viele Beutel mit Kugeln, wie sie meinten, aus der Scheune abgeholt und nach Grippekoven geschafft. Kerst hatte die Beutel in den von Vit entdeckten Gang praktiziert und dort unter Steingeröll verborgen. Die 20 Leute kamen gegen Morgen und meldeten Jansen, welcher in Grippekoven geblieben war, daß viele Hessen und Franzosen auf der Straße nach Cörrenzig marschiert seien, sie hätten sich noch zeitig mit ihren Pferden aus dem Staube gemacht, ohne gesehen zu werden.

»Donnerwetter,« sagte Kerst, »dann bedauere ich den armen Klingen! Wieviel Soldaten waren es denn wohl?«

»Mindestens 400 Mann,« erwiderte Brandts.

»Hm, dann können wir nichts machen. Vielleicht daß sie auch nur nach Linnich ziehen. Du, Reipe,« redete er einen Giesenkirchener an, »bist ein flinker Bursche, du mußt einmal auf Kundschaft ausgehen und uns Bescheid bringen. Laß dich aber nicht fischen, Junge, denn es geht dir schlecht, wenn du den Hessen oder Franzosen in die Finger fällst.«

»Werde mich schon hüten, Meister Jansen!« erwiderte Reipe, gab sein Gewehr ab, steckte eine Pistole und einen Dolch zu sich und verließ dann die Truppe.

»Was sollen wir mit den Pferden anfangen, wenn uns die Soldaten hier auf den Hals rücken?« überlegte Jansen. »Es ist wohl Platz genug hier in der Ruine, aber wie bringen wir die Tiere über die schmale Furt dahin?«

»Die Furt ist zu schmal, Meister,« erwiderte Hendrik Roß, ein Kleinenbroicher Aster Aester. Achsenmacher oder Radmacher., »ich denke, wir zetteln sie, wie es im Krieg üblich ist. Der Halsriemen wird um einen Vorderfuß gebunden, dann treiben wir sie zusammen auf eine ziemlich grasreiche Waldstrecke und lassen sie dort laufen. Sie werden nicht weit fortgehen und immer hübsch zusammen bleiben. Werden sie vom Feinde entdeckt, so sind sie für uns verloren. Wir bringen sie jedoch etwas weit von hier, so daß sie nicht so leicht entdeckt werden können.«

»Es ist gut so, Roß,« meinte Jansen, »besorge du die Pferde, und dann kommt, Jungens, wir wollen in die Ruine gehen und uns etwas zu essen fertig machen. Wie mag es unserem Koche, dem Klingen zumute sein, wenn alle die Soldaten über ihn herfallen? Wegen der verwünschten Soldaten können wir nicht nach Venn gehen, um einmal zu sehen, wie es mit unserem Vit aussieht. Jedenfalls müssen wir warten, bis unser Kundschafter zurückkommt.«

Sie überschritten die Furt und begaben sich in die Ruine. Dort wurde ein lustiges Feuer angezündet. Tags vorher hatten sie eine Menge Wildtauben und Rebhühner geschossen. Diese wurden nun gerupft und mit ein paar Kohlköpfen und Möhren, die man vom Felde geholt hatte, in einem großen Kessel zusammen gekocht. Dann lagerten sich die Burschen im Kreise und bald hielt jeder eine dampfende Schüssel in Händen und ließ es sich wohl schmecken, denn alle waren hungrig. Jetzt kam Roß zurück und berichtete, daß er eine Viertelstunde weit geritten sei und dort die Pferde angezettelt habe. Es sei dort sehr viel Gras, sodaß die Pferde da Futter und Lager hätten, und es wohl einige Tage aushalten könnten.

Reipe kam ebenfalls zurück und erzählte, daß die Soldaten zur Gastesscheune gezogen seien, auch sei ein großer Trupp Soldaten wieder früh fortgerückt, wahrscheinlich würden diese Vit verfolgen.

»Hagel und Wetter!« rief Jansen aufspringend, »das ist eine böse Geschichte. Da wird Vit aber eine schöne Suppe ausessen müssen. Gebt acht, die Kerls werden auch hier zu uns kommen und uns einschließen. Dann ist aber für uns guter Rat teuer. Wir haben zu wenig Proviant, um uns lange hier halten zu können. Da wird sich unsere Schar wohl bald auflösen, denn lebendig kommen wir hier nicht fort. Zuerst müssen ein paar Mann sehen, daß wir etwas Brot bekommen, oder wenigstens Korn. Du, Mertens und Konnertz, hier habt ihr ein Goldstück. Kauft, was ihr bekommen könnt, und laßt es hierher schaffen, aber so rasch wie möglich. Nehmt euch aber in acht, Burschen!«

Dir beiden versprachen, die Augen aufzuhalten, und entfernten sich.

»So, jetzt Wachen ausgestellt, ein Mann stellt sich oben auf die Ruine zwischen das Gestrüpp und gibt wohl acht. Sieht er etwas, so kann er, ohne vom Feinde gesehen zu werden, durch den alten Kamin hier herunterrutschen. Wenn nur keiner die Furt kennt, oder der Halunke, der Wilm, die Kerls nicht hierher führt. Verdammte Geschichte!«

Während Jansen seine Ruine, so gut es ging, in Verteidigungszustand setzte, sah es an der Gastesscheune ganz anders aus. Als am frühen Morgen die neuen Wachen aufgezogen waren und die Gefangenen in der Scheune, die alte Kathrin und der Spitzbube Schufen ihr Frühstück erhalten sollten, berichtete man Gerd Klingen, daß Schufen entflohen sei.

»Laßt mir die alte Kathrin hierher führen,« befahl Klingen.

Ein Mann brachte die Alte auf die Tenne und sagte, er habe neben ihr ein kleines Messer gefunden, welches er Klingen überreichte.

»Wo ist der Schufen geblieben?« fragte er die Alte, welche ihn frech anblickte.

»Ei, wie weiß ich das! Als ich erwachte, war er fort.«

»Weib, wenn du mich belügst, so lasse ich dich niederschießen. Siehe einmal nach, Kunz, ob die Fesseln nicht dort im Stroh liegen. Du hast dem Schufen mit diesem Messer die Fesseln durchschnitten und ihm zur Flucht verholfen.«

»Nein!« behauptete die Alte hartnäckig.

»Hier,« sagte Kunz, die Stricke Klingen reichend, »die Fesseln sind durchschnitten.«

»So, alte Hexe,« fuhr Klingen Kathrin an, »noch fünf Minuten hast du zu leben. Burschen, werft einen Strick dort über den Balken, schlingt ihn der Alten um den Hals und zieht sie in die Höhe.«

»Ich will vor ein Gericht gestellt werden,« schrie die Kathrin, »ihr dürft mich hier nicht morden, dazu habt ihr kein Recht. Ich bin unschuldig!"

Als einige Burschen ihr den Strick um den Hals legen wollten, riß sie sich los, biß und kratzte, trat mit Füßen nach ihnen und gebärdete sich wie eine Rasende; dabei schrie und kreischte sie, daß es eine Art hatte.

»Nein, Jungens,« sagte Klingen, nachdem sein Zorn etwas verraucht war, »das ist mir doch zuwider, so eine alte Frau aufzuknüpfen; ich bring's nicht fertig. Werft sie wieder in den Verschlag. Mag ein anderer sie richten, ich will es nicht tun, wenn's auch ein Teufelsweib ist!«

Sie wurde gepackt und wieder in den Verschlag gebracht.


Schufen war in der Nacht entwichen, nachdem ihm die Alte die Fesseln durchschnitten hatte. Er hatte der Alten versprochen, sich mit ihrem Sohne Wilm in Verbindung setzen und für ihre Befreiung zu sorgen. Schufen hatte dann den Weg nach Erkelenz eingeschlagen, nachdem er die zwei Beutel voll gestohlener Goldstücke, welche er draußen verscharrt, zu sich gesteckt hatte. Eine Viertelstunde vor der Stadt begegnete ihm die hessische Abteilung, Wilm an der Spitze. Schufen blieb stehen, und Wilm fragte: »Wie, du Schufen, wo willst du hin?«

»Ich war in der Scheune gefangen und bin entwischt.«

Wilm verständigte Bertin und Valliers über den Flüchtling.

»So, warum warst du denn gefangen, Schufen?« fragte Wilm weiter.

»Ei, ich hatte ein paar Goldstücke an mich genommen, und man entdeckte, daß ich der Dieb war.«

»Dummer Kerl, wer läßt sich denn auch erwischen!«

»Ja. Du hast gut reden. Der alte Vit ist dem Teufel zu schlau. Er suchte mich aus all den Leuten heraus. Der versteht die schwarze Kunst.«

»Wo ist der Spitzbube?«

»Er ist mit 60 Mann diese Nacht nach Venn gezogen.«

»Was nach Venn? Wer ist denn in der Scheune?«

»Gerd Klingen mit 20 Mann.«

»Aha, prächtig, die wollen wir aber ausheben, und wo sind die anderen, der Schmied und seine Bande?«

»Der ist in Grippekoven.«

»Ich danke dir, Schufen, wo ziehst du hin?«

»Ich gehe nach Gladbach, war seit vielen Jahren nicht mehr zu Hause. Man wird mich wohl nicht mehr wiederkennen.«

»Dann, Schufen, leb wohl, lasse dich nirgends abfangen mit deinen Goldfüchsen! Hoffentlich werde ich auch noch etwas mitbekommen.«

»Werde mich schon hüten, lebe wohl!« Damit ging Schufen seines Weges.

Wilm erzählte Valliers, wie es mit Vit aussehe. Bertin machte sofort mit seinen Leuten kehrt, um nach Venn zu marschieren und Vit und dessen Leute unschädlich zu machen. Wie ihm dieses gelungen ist, haben wir bereits vernommen.

Schufen kam am Abend, nachdem er sich den ganzen Tag in den Herbergen umhergetrieben hatte, in Gladbach an und ging dort von einem Wirtshaus in das andere, ohne erkannt zu werden. Nur in der »Krone« erkannte man den Burschen. Spät in der Nacht taumelte er total betrunken dem kleinen Häuschen zu, welches in der Hiez-Hött Hiezhött. War früher ein Hirschgehege und lag an der oberen Waldhausenerstraße. Zum Andenken an die Hiezhött hatte Herr David Schumacher einige Hieze (Hirsche) auf seinem Wirtshausschild anbringen lassen. lag, und wo seine Eltern wohnten. Bert Schufen war seines Zeichens Scherenschleifer, und seine Frau zog mit ihm über Land. Beide standen in sehr schlechtem Ruf, denn sie stahlen, was ihnen in die Finger fiel.

Als Schufen eine Zeitlang geklopft hatte, machte der alte Bert das kleine halbblinde Fensterchen auf und fragte, wer dort sei.

»Macht auf! Ihr müßt mir Obdach geben,« polterte Schufen, hin- und hertaumelnd.

»Hier ist keine Herberge,« gab der Alte mürrisch zur Antwort.

»Ich habe Geld, viel Geld,« lallte der Betrunkene und ließ die Goldstücke in seiner Tasche klingen. Dann fiel er wir ein Sack zur Erde.

»Laß ihn nur herein, ganz gleich, wer es ist,« flüsterte die Frau, welche ebenfalls aufgestanden war.

Die Tür wurde geöffnet, Schufen aufgehoben und in die Stube geführt. Er setzte sich auf die Bank und legte den Kopf auf den Tisch, noch einige unverständliche Worte murmelnd, und begann dann zu schnarchen.

»Wir wollen doch einmal sehen, ob er auch wirklich Geld hat,« flüsterte die Alte und begann seine Taschen zu durchsuchen. »Hier, sieh, Bert,« rief sie, eine Handvoll Goldstücke dem Alten unter die Nase haltend, »was sagst du davon? Solche Vögel sind selten. Den wollen wir nicht wieder fliegen lassen?«

Einen Augenblick starrte der Alte gierig auf das Gold.

»Nein, nein,« rief er dann ängstlich aus, »ich will nichts damit zu tun haben. Wer weiß, wo das Gold herrührt und wie der Kerl dazu gekommen ist! Hinaus mit ihm!«

Damit nahm er den Betrunkenen wieder beim Arme und zerrte ihn vor die Tür, schloß diese zu und schob die Riegel vor.

Noch vor wenigen Tagen war er, des Diebstahls bezichtigt, auf der Vogtei gewesen, hatte dort ein notpeinliches Verhör bestehen müssen und war schließlich mit einer scharfen Verwarnung entlassen worden. Daher jetzt seine Angst, mit diesen gestrengen Herren nochmals in Berührung zu kommen.

Nachdem die beiden sich wieder zur Ruhe begeben, wurden sie plötzlich durch einen lauten Schrei von neuem aus dem Schlafe geschreckt.

»Hülfe! Hülfe!« gellte es durch dir Nacht.

Der Alte stürzte ans Fenster und lauschte. Von der Straße her schallten lärmende Stimmen und rohes Gelächter an sein Ohr; dann – ein dumpf krachender Schlag und ein kurzer Wehlaut, der in einem Röcheln erstarb – – – Der Alte beugte sich hinaus und sah dunkle Gestalten davoneilen; hörte ihre aufschlagenden und verhallenden Tritte auf dem Pflaster.

»Wahrscheinlich haben die Hessen wieder einen umgebracht,« murmelte er schaudernd und schloß das Fenster.

Am anderen Morgen, als sie vor die Tür traten, sahen sie den Betrunkenen tot in einer Blutlache liegen. Wie die Nachbarn ihm erzählten, war eine hessische Patrouille auf ihn gestoßen, hatte ihn durchsucht und als die Soldaten das Gold bei ihm fanden, hatten sie ihm dieses abgenommen und ihm dann mit dem Gewehrkolben den Schädel eingeschlagen.

Der Alte begab sich alsdann über den Markt zur Judengasse, trat in die »Krone« ein und forderte ein Glas Branntwein.

»Nun, Bert,« redete ihn der Wirt an, »du hast wohl Einquartierung bekommen, heute Nacht? Dein Peter war doch bei Euch?«

»Wer? Mein Peter? Wo ist der?« fragte Schufen erschrocken.

»Ei, der war gestern hier; ich erkannte ihn trotz seines Bartes. Es scheint ihm gut gegangen zu haben da draußen, denn er hatte Gold bei sich in Hülle und Fülle.«

»Was sagst du da? Barmherziger Himmel, – ist das wahr?« rief Bert mit kreischender Stimme, indem eine schreckliche Ahnung in ihm aufstieg.

»Freilich ist das wahr,« erwiderte der Wirt, die Hand Schufens von seinem Arme lösend, den dieser krampfhaft umfaßt hielt. »Er hatte hier etwas getrunken und ist dann zu deinem Hause gegangen, um bei euch zu übernachten.«

Schufen hörte ihn nicht mehr. Mit einem Aufschrei war er hinausgestürzt und wie von Furien gepeitscht nach Hause gerannt. Dort erging er sich in Verwünschungen und verzweifelten Selbstanklagen, raufte sich das Haar und heulte wie ein Tier. Als dann nach einer Stunde seine Frau aus der Stadt zurückkam, fand diese ihn auf dem Söller an einem Stricke erhängt.

So war das gestohlene Gold, das dem Sohne das Leben gekostet, auch dem Vater zum Verhängnis geworden. Es war der Fluch der bösen Tat, der begangenen Untreue und des Verrats, die sich so ausgewirkt hatte.


Valliers war, nachdem Bertin ihn verlassen hatte, mit seinen Soldaten zur Scheune gezogen. Wilm zeigte ihnen den Weg. Als sie vor der Scheune ankamen, wurden sie von einem Posten angerufen. Als Antwort erhielt dieser einen Schuß, der ihn niederstreckte. Zwei näher an der Scheune stehende Posten liefen sofort in diese hinein und berichteten Klingen, was geschehen war. Das Tor wurde verrammelt, die Waffen zur Hand genommen. Dann ließ Klingen alle zusammentreten und sagte: »Leute, da wird jetzt unser letztes Stündlein wohl geschlagen haben. Ergeben wir uns, so werden wir eines schimpflichen Todes sterben, also müssen wir kämpfen, so lange wir noch Kraft in uns haben. Ist euch das recht?«

»Ja, wir wollen hier siegen oder sterben,« riefen alle.

»Zum Siegen ist wenig Aussicht vorhanden. Aber jetzt ruhig! Hört!«

Es wurde an das Tor geklopft.

»Was wollt ihr?« fragte Klingen.

»Ergebt euch auf Gnade oder Ungnade!« rief draußen ein Soldat.

»Fällt uns gar nicht ein!«

»Wir werden euch sämtlich niedermachen, wenn ihr nicht öffnet!«

»Gut, kommt nur herein und fangt an!«

Jetzt wurde eine Salve auf das Tor abgegeben, jedoch die Kugeln verletzten niemand. Einige Burschen kletterten in der Scheune in die Höhe und schossen von dort aus auf die Soldaten. Jeder Schuß traf seinen Mann. Nun wurde gegen das hintere Tor mit einer Axt geschlagen, jedoch nach einigen Hieben erhielt der Schläger einen Schuß und wälzte sich in seinem Blute. Ein anderer Soldat ergriff die Axt, und große Splitter flogen umher, aber auch dieser wurde bald von einer Kugel getroffen und stürzte zu Boden. Jetzt begann man die Tore vorne und hinten zugleich mit Axthieben zu bearbeiten, und von außen waren mehrere Soldaten auf das Dach geklettert, hatten dort das Stroh auseinandergerissen und feuerten auf Klingen und seine Leute. Da begann das Tor zu weichen.

»Kommt, Jungens,« rief Klingen, »das Tor kann jeden Augenblick einbrechen, vorwärts, hier in dem Pferdestall die Krippe auseinandergerissen; nun Mann für Mann hinunter in den unterirdischen Gang. Langsam, zerbrecht die Hälse nicht!«

Klingen, als der letzte, war kaum verschwunden und hatte notdürftig die Krippentüre hinter sich zugezogen, als das hintere Tor fiel und ein großer Schwarm Soldaten sich in die Scheune ergoß, alle Winkel durchliefen und dann an der anderen Seite das Tor öffneten, um ihre Kameraden einzulassen.

»Aber zum Teufel, wo sind die Kerls denn geblieben?« fluchte Valliers.

»Sie werden in dem unterirdischen Gang sein,« sagte Wilm.

»Hier,« rief einer der Soldaten, auf einen Verschlag deutend, »ist jemand.«

»Na, wer ist es denn?« fragte Valliers.

»Ich weiß es nicht, es ist zu dunkel hier.«

Zwei Soldaten kamen hinzu und schleppten die Leiche der alten Kathrin herbei. Der Verschlag war in der Nähe des Tores, und dort war die Alte von den Kugeln der Soldaten getroffen worden.

»Ah,« sagte Wilm, »das ist meine Mutter!« und starrte bestürzt in das blaßgelbe verzerrte Gesicht der Toten.

»Sie war gefangen,« erklärte er, »und ist also von diesen Halunken ermordet worden. Aber sie sollen es büßen, das schwöre ich ihnen! Übrigens war sie schon alt und zu nichts mehr nütze in der Welt,« setzte er gefühllos hinzu.

Valliers machte eine ungeduldige Bewegung und wandte sich ab.

»Kommt hierher in den Pferdestall,« sagte jetzt Wilm zu den Soldaten, »und zieht die Krippe auseinander.«

Es geschah, und der Gang ward sichtbar.

»So,« sagte Wilm, »hier klettern 40 bis 50 Mann hinein. Draußen führt ein Weg in den Gang, dorthin können auch 20 bis 30 Mann mit mir gehen, dann werden wir die Burschen fangen wie die Mäuse in der Falle.«

Jetzt schritt er mit Valliers zur Scheune hinaus, um zu dem Eingange des unterirdischen Ganges zu kommen.

»Aber zum Teufel, wo befinden sich denn die reichen Schätze der Bande?«

»Die sind unten in den Kellern, wo wir jetzt hinkommen,« erwiderte Wilm.

Als sie an den Spalt kamen, sagte Wilm: »So, nun einer nach dem anderen hier hinein; es geht zuerst etwas bergab und dann durch einen langen Gang geradeaus. Ich werde in die Scheune und durch den Pferdestall hinuntergehen und dort zu euch kommen.«

Bertin rief einem Offizier zu: »Führt die Leute an, Goblet, und nehmt Fackeln mit!«

Der Offizier kletterte zuerst hinunter, und die anderen folgten. Wilm mochte von dem Kampfe in dem Gange offenbar selbst nichts wissen. Es war ihm ja von der Beute ein Teil versprochen, warum sollte er also nun auch noch sein Leben aufs Spiel setzen. Er ging wieder in die Scheune, und als er dem Kommandanten Valliers aus den Augen war, schlich er sich still in den Wald hinein, um dort das Weitere abzuwarten. Um selbst mitzukämpfen, war er zu feige. Er streckte sich behaglich ins Gras und harrte der Dinge, die da kommen sollten. »Werde mich schön bedanken,« murmelte er, »da mitten in dem Gang meine Haut zum Markte zu tragen! Denn so glatt wird die Geschichte nicht ablaufen.«

Klingen war mit seinen Leuten in einen großen gewölbten Keller getreten, welcher vor dem Gang durch eine starke eiserne Tür abgeschlossen werden konnte. Die Tür wurde verriegelt, und sie saßen im Dunkeln.

»Macht es euch bequem, Jungens,« sagte Klingen, »und setzt euch. Ich will einmal untersuchen, was eigentlich alles hier liegt.« Er fand Eisenstücke, sowie Waffen aller Art, und neben diesem Gerümpel drei große Fässer, welche verschlossen waren.

»Kommt, helft einmal, Jungens,« rief er. Einige Burschen tappten sich zu ihm hin und halfen ein Faß umstürzen.

»Zum Henker, was mag denn in dem Fasse sein?« fragte Klingen.

»Geld ist nicht drin, dafür ist es zu leicht,« meinte einer der Burschen; »könnte uns auch wenig nützen hier.«

»Ei was,« sagte Klingen, und stieß mit einem Gewehrkolben den Boden eines Fasses ein. »Aha,« rief er: »Pulver! Alle Wetter, wenn wir sterben müssen, dann soll ein Teil unserer Feinde mitsterben. Die Herren Franzosen und Hessen werden sich wundern und uns sobald nicht vergessen! Ich begreife nur nicht, daß sie noch nicht hier sind.« Er ging an die Tür und lauschte. »Es ist ganz still in dem Gange, wenn die Kerls uns nicht finden, dann geht es am Ende noch gut. Vielleicht trauen sie den Kaninchengängen hier unten nicht.«

Goblet war nebst etwa 30 Mann mit Fackeln in den Gang gestiegen und langsam vorwärts gegangen. Wohin nun, rechts oder links? Es waren nämlich zwei Gänge vorhanden. Er blieb an dem ersten Gange stehen und schickte drei Mann den einen Gang entlang, um den Weg zu untersuchen. Er hatte schon längere Zeit gewartet, aber die Leute kamen nicht zurück. Zuletzt ging er selbst, mit einer Fackel vor sich herleuchtend, in den Gang hinein. »Alle Teufel!« fluchte er, als er trotz seiner Fackel beinahe in den Brunnen gestürzt war, welcher so breit war wie auch der Gang. Die drei Soldaten waren offenbar dort hineingefallen. Er horchte angestrengt, konnte jedoch nichts hören. Er nahm einen Stein und warf ihn in die Tiefe, hörte ihn aber nicht aufschlagen. »Der verdammte Fuchsbau hier!« brummte er, ehe er sich zurückwandte. »Diesen Gang können wir nicht nehmen, Unsere Kerls sind dort in einen Brunnen gestürzt, und man hört kein Lebenszeichen mehr von ihnen.«

Sie schlichen jetzt geradeaus und kamen dann auf einen etwas größeren überwölbten Platz.

»Wo mögen die anderen bleiben, die doch von jener Seite kommen müssen?« fragte Goblet. »Ah, dort kommt Licht, das werden sie wohl sein.«

Richtig, das waren die Soldaten, die auf ihrem Wege fast die Hälse gebrochen hatten.

»Aber habt ihr denn nichts gesehen von der Bande?« fragte Goblet.

»Nein, wir haben nichts bemerkt.«

»Habt ihr auch keine anderen Gänge mehr gefunden wie diesen?«

»Nein!«

»Ei, zum Teufel, die Bande kann doch nicht verschwunden sein! Dann muß es noch mehrere Gänge in diesem verwünschten Labyrinth geben. Wo seid ihr hergekommen?«

»Durch diesen Gang,« antwortete ein Korporal, auf denselben deutend. »Und ihr habt auch nichts gesehen, oder gehört, kein Anzeichen, kein Geräusch?«

»Doch; einmal hörten wir, wie Holz entzweigeschlagen wurde.«

»Ei, dann seid ihr wahrscheinlich an dem Schlupfwinkel der Bande vorbeigekommen, dann müssen wir noch einmal in den Gang zurück. Wartet, laßt mich mit der Fackel zuerst gehen, so, nun folgt mir nach! Ist es schon lange her, als ihr hörtet, wo das Holz entzweigeschlagen wurde?«

»Nein, soeben erst.«

»Klang das Geräusch von weit her?«

»Nein, hier ziemlich in der Nähe.«

»Ei, hier ist ja eine Tür, und sogar von Eisen, – die habt ihr wohl übersehen. Wo mag die hinführen? Sie ist verschlossen. Wir wollen einmal anklopfen. Stoßt einmal mit dem Kolben dagegen.

Einige Soldaten hämmerten auf die Türe los.

»Langsam,« rief Klingen, »verderbt euch doch eure Gewehrkolben nicht!«

»Donnerwetter, da ist die Bande ja!« rief der Offizier. »Heda, sofort aufgemacht,« schrie er in das Schlüsselloch hinein, »sonst soll es euch schlecht ergehen!«

»Hört einmal,« sagte Klingen. »Öffnen werden wir nicht, aber wir wollen mit euch unterhandeln.«

»Was?« polterte der Offizier, »Ihr seid gefangen wie der Wolf im Eisen und wollt von Unterhandlungen sprechen? Aufgemacht, sage ich euch, oder ich lasse euch alle in Stücke hauen!«

»Ereifert Euch doch nicht, Herr!« höhnte Klingen. »Noch tut Ihr uns nichts! Ihr wißt doch, welch kluge Leute die Nürnberger waren? Die hingen nämlich keinen, ehe sie ihn hatten.«

»Halt's Maul, Kerl, mit deinem albernen Geschwätz. Die Tür aufgemacht!«

»Wenn Ihr nun nicht gleich von der Türe fortgeht, dann knalle ich Euch nieder, verstanden?« Damit schob Klingen seinen Gewehrlauf durch eine kleine Öffnung der Türe. Der Offizier, der das Geräusch hörte, sprang zur Seite. Ein Schuß krachte.

»Alle Teufel!« rief der Offizier. »Holt Äxte, wir schlagen die Tür ein!«

»Jetzt wird dir Sache bedenklich,« flüsterte Klingen seinen Leuten zu. »Wenn sie die Türe mit der Axt bearbeiten, dann schlagen sie diese ein, und wir sind verloren. Lebendig sollen sie uns aber nicht kriegen, eher zünden wir das Pulverfaß an und sprengen die ganze Scheune in die Luft!«

»Ja, lieber sterben, als in ihre Hände fallen,« riefen die Burschen mit düsterer Entschlossenheit.

»Vorher wollen wir aber noch einmal versuchen, ob sich der Offizier nicht einschüchtern läßt,« fuhr Klingen fort. »Vielleicht bringen wir ihn doch noch zum Rückzug.«

Klingen trat wieder an die Tür.

»Hört, Herr Offizier,« sagte er, »ich rate Euch ruhig abzuziehen, denn ergeben werden wir uns aus keinen Fall – das merkt Euch; wir sind zum äußersten entschlossen!«

»Das wollen wir denn doch einmal sehen,« schrie der Offizier wütend zurück. »Die Bande will es wahrhaftig darauf ankommen lassen, obschon sie weiß, daß sie in unserer Gewalt ist!« hörte Klingen ihn zu seinen Soldaten sagen.

»Ihr scherzt, Herr Offizier,« antwortete Klingen, »wir haben euch in der Gewalt, nicht Ihr uns! Hier liegen drei große Fässer Pulver! Wenn ihr uns nun auf Ehrenwort versprecht, uns freien Abzug zu gewähren, so werdet ihr unsere Höhle lebend verlassen – wollt ihr das nicht, dann fliegt ihr mit uns in alle Himmelsgegenden!«

»Wenn der Kerl die Wahrheit sagt, dann wären wir alle verloren,« flüsterte der Offizier. Dann sagte er laut: »Ach, welch hübsche Finte ihr erfunden habt! Nutzt euch aber nichts! Werdet schon gleich sehen, was wir mit euch anfangen, gebt mal acht, ihr Spitzbuben! Weiß überhaupt nicht, warum ich mich solange mit euch aufhalte und soviel Worte verliere.«

»Habt ihr die Gewehre geladen?« fragte Klingen leise.

»Jawohl!« hieß es.

»Gut, stellt euch vor der Türe hier auf, derjenige, welcher durch die Türe hereinschlüpfen will, wird niedergeschossen, dringt aber der ganze Schwarm herein, nun, dann – –«

Draußen vor der Türe wurden jetzt wieder Stimmen laut. Die Soldaten waren zurückgekehrt und begannen gegen die Türe zu hämmern.

»Halt,« kommandierte Goblet. »Schießt auf das Schloß!« Zwei, drei Schüsse wurden auf das Schloß abgefeuert, die Türe wankte nicht.

»Wollt ihr Halunken aufmachen?« schrie er wütend.

Keine Antwort.

»Ich frage euch nochmals, ob ihr öffnen wollt!« schrie er, gegen die Türe schlagend.

»Aha, ihr meint uns?« spottete Klingen. »Nein, wir öffnen nicht.«

»Höllenbrut, verdammte, ich zermalme euch, wenn – –«

»Wenn ich euch habe!« ergänzte Klingen.

»Hier, feuert mit zwei Mann auf die Türangel,« rief der Offizier den Soldaten zu.

Mehrere Schüsse krachten, die Angel brach an der Tür ab. Einige Axtschläge bogen die Tür etwas nach innen. Es war eine Doppeltüre, nun mußte noch die untere Angel gesprengt werden, dann fiel der eine Flügel, und die Soldaten konnten eindringen. Schon wurden einige Schüsse auf die untere Angel gefeuert, doch sie brach noch nicht. Jetzt entstand ein Riß.

»Noch ein Schuß!« schrie Goblet und zog seinen Säbel, um gleich, wenn der Flügel fiel, auf Klingen und seine Leute losstürzen zu können. »Vorwärts, schießt doch!«

»Wir müssen zuerst laden,« hieß es.

»Es ist vorbei, Jungens,« sagte Klingen leise. »Die Türe wird weichen, wir sind rettungslos verloren! Wir haben auch keinen anderen Ausweg. Könnten wir noch die Türe verrammeln!«

Die Soldaten mußten sich entfernt haben, denn es wurde plötzlich ganz still und dunkel. Das unruhige Licht der Fackel, das soeben noch durch die Risse und Löcher der Tür geschienen hatte, war verschwunden.

»Es ist schrecklich heiß hier,« meinten die Burschen.

»Und ich habe einen greulichen Durst,« sagte Klingen.

»Dem läßt sich abhelfen,« sagte einer der Burschen. »Hier steht ein gewaltiger Krug voll Wein.«

»Dann her damit,« sagte Klingen, nahm den Krug und setzte ihn an den Mund. »Ach, das laß ich mir gefallen,« äußerte er, wohlgefällig schnalzend. »Hier, Jungens, trinkt soviel ihr Lust habt, das gibt Mut! Und den können wir gebrauchen, denn es ist wohl unser letzter Trunk in diesem Leben!« Der Krug machte die Runde, und die Burschen tranken und tranken, bis er leer war.

»Was mag den Soldaten denn passiert sein, daß sie nicht wiederkommen,« sagte Klingen und ging auf die Türe zu. »Alle Wetter,« sagte er die Türe betastend, »die Kerls haben mit dem Rücken der Axt große Löcher hineingeschlagen, die obere Angel ist abgebrochen. Bricht nun die untere noch, dann ist es vorbei. Sucht einmal da hinten bei dem Gerümpel; dort stehen noch einige Hellebarden, die wollen wir gegen die Türe stemmen, und sehen, ob sie dadurch nicht widerstandsfähiger wird.«

Die Hellebarden wurden gefunden und gegen die Türe gestemmt, besonders aber gegen die Stelle, wo die Angel gebrochen war, und wo die Tür sich bedenklich nach innen bog.

»Da muß doch irgend etwas passiert sein,« sagte Klingen und lauschte an der Tür. »Ich höre nichts, am Ende haben sie gedacht, es wäre doch nichts hier zu holen und sind abgezogen.«

Valliers hatte Goblet rufen lassen und verlangte von ihm zu wissen, wie die Sache stehe, und ob die paar Mann noch nicht niedergemacht seien.

»Die haben sich hinter eine eiserne Türe begeben,« sagte Goblet, »und diese müssen wir zuerst sprengen. Die Kerls drohen uns mit einem Fäßchen Pulver,« fuhr er fort. »Wenn sie das wirklich tun würden, Herr Kommandant, dann käme sowohl unten von uns wie auch hier oben von Euch kein einziger lebend von dannen. Ich habe die Kraft des Pulvers in einem Keller wiederholt erprobt.«

»Laßt Euch doch nichts von den Banditen aufbinden. Wahrscheinlich werden dort in dem Gelaß, wo die Bande sich aufhält, sich auch die Schätze befinden.«

»Das ist wohl möglich. Ich gehe, Herr Kommandant; in einer Viertelstunde werdet Ihr Euch von den Schätzen überzeugen können,« und damit schritt er wieder in den Gang. Gleich darauf hörte man wieder die dröhnenden Schläge der Axt gegen die Eisentüre.

Nach wenigen kräftigen Schlägen schien die Türe zu wanken.

»Vorwärts, noch einige feste Schläge,« munterte Goblet die Soldaten auf, welche auf die Türe schlugen, daß ihnen der Schweiß von der Stirne rann.

»Einen Augenblick muß ich pausen,« keuchte der eine Soldat, mit dem Schlagen einhaltend, »um neue Kräfte zu sammeln.«

Dann fielen die Schläge wieder regelmäßig.

»Die Türe wankt,« sagte Klingen, als die Soldaten in ein Freudengebrüll ausbrachen.

»Kniet nieder, Jungens, unser Schicksal ist besiegelt, wir müssen sterben! Kommt, laßt uns beten, – es geht nun in den Tod!«

Die Fackeln leuchteten durch die Türe. Klingen stand mit seinem Gewehr neben der Pulvertonne.

Leise und feierlich klang es durch das Gewölbe: »Vater unser, der du bist in dem Himmel –«

Die Schläge hörten auf.

»Was gibt's denn?« fragte Goblet.

»Zukomme uns dein Reich –« klang es aus dem Raume.

»Ach, die alten Weiber beten,« höhnte er. »Vorwärts, Leute, drauf!«

Wieder dröhnten die Schläge, daß die Erde zitterte.

»Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.«

Jetzt gab die Tür nach und fiel in den Raum. Die Soldaten stürzten mit den Fackeln hinein. Ihr greller Schein beleuchtete die bleichen Gesichter der totgeweihten Leute Klingens, die, um ihren Führer geschart, auf der Erde knieten. Nur er stand aufgerichtet da, die Flinte in der Hand.

Einen Augenblick stutzten die Soldaten. Dann mit einem wilden Triumphgeheul drangen sie vorwärts. Jetzt fiel ein Schuß, eine große bläuliche Flamme wurde sichtbar, dann gab's ein Krachen, einen fürchterlichen Knall, die Erde bebte, und der ganze Keller, die Scheune – alles flog in die Luft Man kann jetzt noch die Überreste von Mauern sehen, wo die Gastesscheune gestanden hat. Waffen aller Art, Kugeln, Knochen usw. wurden dort gefunden..

Halbe Körper, gräßlich verstümmelte Leichname lagen umher, einige Burschen lebten noch von denen, welche unten im Keller gewesen waren. Nur 50 Soldaten waren außerhalb der Scheune gewesen, und von diesen waren noch einige durch Balken und Steine, welche umherflogen, verwundet worden.

Valliers wäre beinahe mit umgekommen. Er befand sich draußen bei den Soldaten und wurde durch den Luftdruck zu Boden geworfen. Nachdem er sich dann von dem Schrecken erholt hatte, näherte er sich dem Trümmerhaufen und schaute stumm vor Entsetzen auf das Bild der Zerstörung. Er hätte ja nie geglaubt, daß Klingen seine Drohung ausführen würde und er verwünschte im Stillen das ganze Abenteuer, das ihm ungefähr schon 30 Mann gekostet hatte und wofür ihn der Oberkommandierende jedenfalls auch noch zur Rechenschaft ziehen würde. Andererseits freute er sich, denn jetzt waren die Gänge und Kellergewölbe bloßgelegt, sodaß sich die Schätze nunmehr zeigen mußten. Entweder steckten sie noch darin, oder sie waren herausgeschleudert worden.

Er hieß daher die Soldaten sich mit Hacke und Schaufel zu versehen, um den Schutt fortzuräumen. Den ganzen Tag durchwühlten diese die Trümmerstätte, fanden aber nicht das Geringste.

Wilm, der bei der Explosion aus seinem Versteck herausgesprungen und weiter in den Wald hineingelaufen war, war überfroh, daß er sich zeitig gedrückt hatte und so der Gefahr entronnen war. Erst gegen Abend hatte er sich vorsichtig spähend wieder der Scheune genähert und dort unter die Soldaten gemischt.

Gerade hatte Valliers seinem Ärger über die Ergebnislosigkeit der Durchsuchung in ein paar grimmigen Flüchen Luft gemacht, als Wilm auf ihn zutrat.

»Mit Verlaub, Herr Valliers,« sagte er, »wahrscheinlich sind die Schätze diese Nacht nach Grippekoven geschafft worden, denn, wie Schufen mir sagte, wäre die ganze Nacht ein großes Hin- und Herlaufen in der Scheune gewesen.«

»Grippekoven?« fragte Valliers, »ist das nicht die alte Ruine?«

»Ja, dorthin ist der Schmied Jansen mit noch 20 Mann, die werden wohl alles mitgenommen haben.«

»So, dann gehe du einmal dahin und sieh, ob der Jansen auch wirklich noch dort ist, und wie die Ruine bewacht wird?«

»Sogleich, Ihr könnt mir aber schon nachkommen. Es sind noch 20 Mann da, und ich weiß dort hereinzukommen, denn ich kenne die Furt.«

»Wir werden dir langsam folgen, gehe nur vor.«

Wilm entfernte sich und schlug den Weg nach Grippekoven ein. Nachdem er eine starke Stunde gegangen war, sah er im Walde zwei Pferde grasen, und daneben saßen zwei plaudernde Männer auf einem Baumstamme.

»Hm, wer mag das sein? Die scheinen zu Vits Leuten zu gehören,« flüsterte Wilm und schlich sich ins Gebüsch. »Möchte doch gerne wissen, was die beiden sich zu erzählen haben.« Er legte sich ins Gras und schlich langsam und vorsichtig auf dieselben zu. Es war Lörs und Peter Kluth, denen die Flucht gelungen war, und die nun nicht wußten, wohin sie sich wenden sollten, nachdem Vit gefangen und die Schar aufgelöst war.

»Ich meine, wir gehen zur Scheune und überlegen das weitere,« meinte Lörs. »Zudem bin ich müde und habe gewaltigen Hunger.«

»Hunger habe ich auch,« erwiderte Kluth, »aber ich traue dem Landfrieden nicht. Ich glaube, daß Klingen am Ende im Belagerungszustand ist, und da kämen wir schön an. Es sollen sehr viele Soldaten nach der Richtung marschiert sein.«

»Ei was, wir reiten darauf zu, und dann wird es sich finden, ob Franzosen dort sind oder nicht.«

»Gewiß wird sich das finden, aber es könnte dann für uns zu spät sein,« bemerkte der vorsichtige Peter. »Ich denke, wir warten hier oder ziehen Erkundigungen bei den Landleuten ein, wie es an der Scheune aussieht.«

»Ach was, nicht soviel Umstände, Peter, die Franzosen fressen uns auch nicht. Komm, wir wollen gehen, es wird mir langweilig, hier zu sitzen.«

»Sei vernünftig, Lörs. Zuerst gönne den Pferden wenigstens das saftige Futter.«

»Das gönne ich ihnen schon, aber ich gönne mir auch etwas zu Essen, vor allen Dingen möchte ich etwas trinken; die Zunge klebt mir am Gaumen, ich habe einen schrecklichen Durst.«

»Nun, ich denke, den hast du immer. Habe dich noch nie ohne Durst gesehen, wenn du nach Büttgen kamst,« lachte Peter.

»Möglich, aber das elende Gesöff, das man bei euch bekommt, ist gar nicht der Mühe wert, um mit einem prächtigen Durste hinzukommen. Da sollst du aber einmal nach Dahlen kommen. Ich sage dir, so eine Kanne Dahlener Bier, ist etwas – – –«

»Ei zum Henker,« sagte Peter, um sich blickend, »hier raschelt etwas im Grase!«

Lörs sprang auf und erblickte den fortschleichenden Wilm. Er setzte ihm nach ins Gehölz, packte den zu Tode Erschrockenen und umspannte dem schmächtigen Burschen mit seinen großen Händen, so daß Wilm der Atem ausging.

»Hier, Peter,« rief er, Wilm auf den Rasen zu den Füßen des Kameraden niederwerfend, »kennst du das Galgengesicht?«

»Ha, das ist ja der Gauner Wilm! Donnerwetter, er bewegt sich ja nicht mehr! Du hast ihn wohl etwas unsanft angefaßt mit deinen groben Tatzen.«

»Du bildest dir gewiß ein, ich soll mir gemslederne Handschuhe anziehen, um das Jüngelchen zart anzufassen. Siehst du, er kommt wieder zu sich! Aha, Freund Wilm! Ist dir wohl nicht sehr angenehm, unsere Bekanntschaft hier zu machen?«

»Auh!« ächzte Wilm, sich die Brust reibend. »Ich hatte mich hier etwas zum Schlafen niedergelegt, und als ich erwachte, da hörte ich Stimmen und wollte mich leise entfernen, um euch nicht zu stören.«

»Das war brav, Wilm. Wir hätten auch vielleicht glauben können, du hättest unser Gespräch belauschen wollen.«

»Das werdet ihr doch wohl nicht!«

»Ja, Junge, der Peter und ich, wir sind schlechte Menschen. Wir glauben das. Wir haben aber auch gar nicht die Absicht, dich wieder laufen zu lassen, damit du niemanden mehr verrätst. Sieh hier, kennst du das?« fuhr er fort, eine dünne Schnur aus der Tasche ziehend, »das nennt man einen hanfenen Strick, und damit wird jetzt ein feiger Geselle, der nie getaugt hat, in das Jenseits befördert werden.«

Wilm brach der Schweiß aus allen Poren. Der grobe Lörs war wohl dazu imstande, ihn aufzuhängen. Er mußte also die Verhandlungen in die Länge ziehen, bis seine Freunde kamen, dann war er gerettet.

»Seid vernünftig, Lörs, ich habe Euch nicht belauscht, auch habe ich nicht –«

»Schweige! Ich will nichts hören. Du bist ein Spion und ein Verräter!«

»Ich will Euch alles erzählen, wie es in der Scheune aussieht, wo die Franzosen sich aufhalten und wieviel Mann dort sind, aber tut mir nichts zu leide!« flehte Wilm in höchster Angst.

»Ich will gar nichts von dir wissen.«

»Lörs, wir wollen doch wenigstens hören, was er uns zu sagen hat,« mahnte Peter.

»Wenn du dir etwas vorlügen lassen willst, ich habe nichts dagegen. Der Kerl sagt kein wahres Wort,« eiferte Lörs und trat einige Schritte zur Seite.

»Nun, wie sieht es denn mit den feindlichen Truppen aus?« fragte Peter.

»Eine Truppe von 40 Mann Franzosen ist gekommen und wollte die Scheune stürmen. Aber der Klingen hat ihnen heimgeleuchtet. Alle sind niedergemacht, kein einziger Mann lebt mehr,« log Wilm.

»Ei, von wem weißt du das denn alles?« fragte Peter.

»Nun, ich habe dort im Walde gelegen. Ich wollte meine Mutter besuchen, deshalb bin ich hingegangen, jedoch fand ich die Soldaten vor der Scheune und hielt mich so lange zurück.«

»Ist das auch wirklich Wahrheit, Wilm, was du da berichtest?« fragte Peter, »können wir jetzt ohne Gefahr zur Scheune gehen?«

»Aber sicher! Was ich sage, ist so wahr wie – –«

Klatsch! Da bekam er von Lörs einen Schlag gegen die Wange. »Verlogener Bube, du willst gewiß auch noch beschwören, was du uns hier vorschwindelst!«

»Ich sage die Wahrheit,« beteuerte Wilm mit weinerlicher Stimme, sich die Wange reibend.

»Nun soll doch den Kerl der Teufel holen!« fluchte Lörs und faßte Wilm so fest am Arm, daß er laut ausschrie vor Schmerz. »Siehst du, Halunke, dort hinten durch die Büsche schimmern die langen Gewehrläufe der Franzosen, welche uns verfolgen. Du hast uns ein Märchen aufgebunden, nur um Zeit zu gewinnen, Bursche!«

Peter war aufgesprungen und deutete mit der Hand nach der angegebenen Richtung hin.

»Wahrhaftig, dort kommt ein ganzer Zug Soldaten! Jetzt heißt's ausrreißen, Lörs,« rief Peter und lief zu den Pferden.

»Ich wußte wirklich nichts davon, Lörs, daß die Soldaten hierher kamen. Laßt mich mit euch fliehen!«

»Halt's Maul, Schuft! Komm her, Peter, ins Gebüsch. So, halte den Kerl fest.«

»Ihr wollt mich morden?« schrie Wilm entsetzt, als Lörs die Schlinge um seinen Hals legte.

»Morden nicht, aber bestrafen,« erwiderte Lörs, einen Blick auf die Soldaten werfend, die langsam näher kamen, aber die Gruppe noch nicht bemerken konnten.

Lörs bog mit gewaltiger Anstrengung eine junge Tanne zur Erde nieder, band das Ende des Strickes um die Spitze und ließ dann die Tanne los; diese schnellte in die Höhe, indem sie Wilm, der schrecklich schrie, mitriß.

Beide schwangen sich dann auf ihre Pferde, bogen in den Wald ein und ritten, so rasch sie konnten, auf einem Umweg, um sich durch die Spuren nicht zu verraten, Grippekoven zu, da sie glaubten, dort vorläufig sicher zu sein. Als sie längere Zeit geritten waren, sagte Lörs zu seinem Begleiter: »Du, Peter, sieh einmal, da hinten steht wahrhaftig eine Herde Pferde. Was soll das bedeuten?«

Sie stiegen ab, und Lörs schlich sich vorwärts, während Peter die Pferde hielt.

»Komm nur,« rief Lörs, nachdem er mit jemandem gesprochen hatte, »das sind unsere Pferde, ein Mann ist von Jansen zur Aufsicht über dieselben kommandiert.«

Peter kam mit den Pferden näher und ließ sie zu den anderen laufen.

»Jansen ist in Grippekoven, Peter,« fuhr Lörs fort, »mach schnell, daß wir in das alte Raubnest kommen.«

Sie gingen durch den Wald auf die Ruine zu. Als sie an die Furt kamen, rief eine Stimme von drüben: »Halt, wer da?«

»Das sind wir,« rief Lörs.

»Aha, Lörs und Kluth. So, dann kommt schnell,« sagte die Schildwache, welche im Gestrüppe verborgen lag und jetzt zum Vorschein kam.

»Macht keine unnötigen Fußstapfen und verwischt die Spuren, die zur Furt führen,« rief die Wache. »Uns kommen wahrscheinlich die Hessen auf den Hals, und da müssen wir aufpassen.«

»Das ist vernünftig,« sagte Lörs, »hüpfe du schon hinüber, Peter, ich nehme einige Hände voll Fichtennadeln und streue sie hier über unsere Spuren und gehe dann rückwärts zur Furt.«

Nachdem Lörs das besorgt hatte, schritt er über die Furt und dann in das Innere der Ruine, Jansen nahm ihn in Empfang und fragte ihn zuerst, wie es mit Vit und seiner Truppe stehe.

»Sehr schlecht,« sagte Lörs. »Wir haben da gewaltig Hiebe ausgeteilt, aber auch viele bekommen! Peter und ich sind ausgerissen, sonst säßen wir auch in Dahlen im Turme.«

»Komm, Lörs,« sagte Jansen. »Du mußt uns das genau erzählen.«

Lörs setzte sich ans Feuer und verlangte für sich und Peter zuerst zu essen und zu trinken, und nachdem beide sich gehörig gestärkt hatten, erzählte er die ganze Geschichte.

»Da sieht es für unseren Vit aber sehr schlecht aus,« meinte Jansen. »Dort kommt er nicht mehr heraus, wenigstens nicht lebendig.«

»Das ist ganz gleich, Jansen,« erwiderte Lörs. »Wir müssen aber wenigstens etwas versuchen. Wir können doch unmöglich unseren wackeren Vit und unsere braven Kameraden so ihrem Schicksal überlassen!«

»Gewiß, Lörs,« antwortete Jansen, sich den Kopf kratzend, »da hast du recht, aber was tun? Ich weiß es nicht. Mit unseren 22 Mann können wir doch nicht die Festung Dahlen stürmen, um unsere Leute herauszuholen!«

»Das sehe ich ein; wir müssen da andere Wege einschlagen. Doch darüber können wir besser später reden, jetzt heißt es, uns die Franzosen vom Halse abhalten, denn es sind so einige fünfzig Stück hinter mir.«

»Was?« rief Jansen, »und das sagst du jetzt erst?«

»Ich denke, es ist noch Zeit genug, Jansen. Den Wilm haben wir an eine Tanne aufgehängt, der verrät uns nicht mehr!«

»Gott sei Dank! So, also der Halunke ist beseitigt? Dann laß sie nur kommen, wir werden schon mit ihnen fertig werden. Sind alle Gewehre geladen?«

»Jawohl,« erscholl es im Kreise.

»Gut, die besten Schützen an die Schießscharten und fein aufgepaßt, jeder Schuß muß seinen Mann treffen!«


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