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Allein geblieben warf Otto sich in einen Sessel und starrte finster vor sich in das flackernde Kaminfeuer. Da klopfte es an die Tür und ein Diener meldete Marot, welcher zögernd, ein spöttisches Lächeln auf den Lippen, eintrat.
»Komme ich recht, Herr Otto?« frug er, nachdem er den Edelmann begrüßt hatte. »Ich sehe, Ihr habt schon früh am Morgen das Bedürfnis nach geistlichem Zuspruch gehabt. Wahrscheinlich hat der Herr Pfarrer Euch mal ordentlich ins Gewissen geredet und die Leviten gelesen.«
»Das gerade nicht,« gab Otto unwirsch zurück. »Aber er hat Schlimmeres getan. Denkt Euch nur, dieser verwünschte Pfaffe teilt mir da soeben mit, daß ich von heute ab der Verwaltung des Kastells enthoben bin – –!«
»Nun, das ist ja eine heitere Geschichte, Herr Otto!« sagte Marot überrascht.
»Sagt lieber eine dumme Geschichte,« fuhr Otto fort, »denn das heißt mit anderen Worten, daß ich nun den Bettelstab in die Hand nehmen kann! Oder wißt Ihr was Besseres?«
»Hm, vielleicht ... Doch sagt mir zuerst: Wie steht es mit unserem Zweikampf?«
»Zum Henker, ich sagte Euch gestern schon, daß ich darauf verzichte!« rief Otto gereizt aus.
»Nun, nun, nicht so heftig!« beschwichtigte Marot. »Ich wollte Euch ja nur bemerken, daß ich zu Eurer Verfügung stehe, falls Ihr etwa noch –«
»Wenn Ihr Euch weiter schlagen wollt,« unterbrach ihn Otto wütend, »so tut es meinetwegen mit dem Teufel, den Ihr im Leibe habt!«
Marot lachte belustigt auf. »Der Teufel, Herr Otto, ist mein Kumpan, mein Bundesgenosse, mit dem ich auf gutem Fuße stehe. Sollten wir aber mal unfreund werden, nun, dann mag er kommen: ich nehme es mit ihm auf, und wenn es Beelzebub selbst wäre!«
»Hört doch auf mit Eurem Geschwätz!« erwiderte Otto verdrießlich. »Gestern wolltet Ihr mir Ratschläge geben – also sprecht: Was meint Ihr, daß ich tun soll, um wieder ein anständiges Leben zu führen? Selbstverständlich ohne zu arbeiten, denn dazu würde ich mich niemals verstehen können!«
»Das glaube ich Euch ohne weiteres,« sagte Marot ironisch. »Ist aber auch nicht nötig, wenn –«
In diesem Augenblicke trat der Diener ein und brachte das Frühstück.
»Kommt, Herr Marot,« sagte Otto, »wir wollen zuerst frühstücken, dabei können wir die Sache weiter besprechen.«
Sie setzten sich zu Tisch.
»Ja,« seufzte Otto, »Ihr habt gut reden, Herr Marot. Ihr seid reich und braucht nach niemand zu fragen.«
»Ei,« erwiderte dieser mit überlegenem Lächeln, »so reich wie ich bin, könnt Ihr auch werden, wenn Ihr es macht wie ich. Was für ein Gewerbe glaubt Ihr denn, daß ich treibe – he?« setzte er vertraulich und in gedämpftem Tone hinzu.
»Das, Herr Marot, habe ich mich oft gefragt, aber – wie soll ich das wissen?«
»Nun, so hört! Ich habe eine Freischar von tüchtigen Burschen, welche in Wald und Feld wohnen. Feld und Wald ist ein ergiebiger Acker für den, der ihn nur zu pflügen versteht. Gerade so wie die Fürsten die Städte brandschatzen und die Kaufleute berauben, so tue ich es auch mit meiner Bande. Wir erheben in unserem Waldrevier Zölle, und wer sie nicht freiwillig zahlt, der muß sie unfreiwillig zahlen –«
»Ihr seid also der Chef einer Räuberbande, und an Euren Händen klebt Blut?« fragte Otto, unwillkürlich von Marot fortrückend.
»Haha,« lachte dieser. »Wie unschuldig Ihr das sagt, als ob Ihr nie ein Wässerchen getrübt hättet! Wahrhaftig, diese Unschuld steht Euch übel an! Wer nämlich einem Vater sein einziges Töchterchen raubt und einem alten Hexenweibe in Pflege gibt, der ist – –«
Otto erbleichte. »Pst, kein Wort weiter!« flüsterte er heiser. »Wer hat Euch denn das gesagt?«
»Hm, ich habe jemand bei meiner Bande, der hat mir erzählt, daß er einmal von Euch gut bezahlt wurde, nachdem er ein Mädchen geschickt hat verschwinden lassen.«
»Und was ist mit der Kleinen geschehen – umgebracht hat er sie doch wohl nicht?«
Ottos Augen hingen mit ängstlicher Spannung an den Lippen des Gefragten.
»Nein, das tat er nicht; aber für das arme Kind wäre der Tod vielleicht besser gewesen als das Leben bei der alten Megäre –! Doch genug davon. Ihr seht, Herr Otto, daß ich die Geschichte kenne ... Da nun mit dem Mädchen auch der Knabe verschwunden ist und tot sein soll, so werdet Ihr ja doch eines Tages Erbe des ganzen Besitztums sein und daher ist es wohl gut, wenn dasselbe einmal in vernünftige Hände kommt. Man kann es verstehen, daß Euer Bruder Euch die Verwaltung genommen hat, denn so konnte es nicht weiter gehen. Übrigens,« fügte er hinzu, indem er geringschätzend an Otto herabsah, »seid Ihr etwas dumm und laßt Euch leicht düpieren.«
»Wieso?« frug Otto beschämt und kleinlaut.
Marot lachte kurz auf.
»Das habe ich diese Nacht gesehen,« sagte er, »als wir Euch das Fell über die Ohren gezogen und Euer ganzes Geld gewonnen haben!«
»Wer? Ihr doch wahrhaftig nicht!«
»So? Meint Ihr? Das versteht Ihr nicht! Was Chêne und de Lafleur gewonnen haben, gehört zum dritten Teile mir, so war es abgemacht.«
»Also sind das auch Gauner?«
»Gauner? Es sind Spieler, die es verstehen, so geschickt mit Karten und Würfeln umzugehen, daß für sie gewöhnlich recht viel herauskommt.«
»Das ist etwas anderes. Also Falschspieler! Was verlangt Ihr von mir, wenn ich mit Euch gehe?« fragte Otto jetzt entschlossen.
»Nicht viel. Ihr braucht nur in den Städten ein feines Leben zu führen, Reitpferde zu halten, Gesellschaften mitzumachen, in den vornehmsten Kreisen zu verkehren und uns die Vögel ins Garn zu treiben. Wir müssen wissen, welche Transporte nach den verschiedenen Städten abgehen, wieviel Mann sie begleiten, wie sie bewaffnet sind, welche Wege sie einschlagen und so weiter. Das sollt Ihr auskundschaften und uns mitteilen.«
»Weiter nichts?«
»Weiter nichts!«
»Hm, das ist nicht übel. Gut, ich bin dabei, hier meine Hand!«
»Ja, so geht das nicht. Ich verlange einen Schwur von Euch, daß Ihr treu zu mir steht und uns nicht verratet.«
»Hat denn bei Banditen ein Schwur auch Wert?«
»Ob der Wert hat?! Ein Bandit hält eher seinen Schwur als jeder andere Mensch, und wehe dem Verräter! Für den gibt es nur den Tod! Ich nahm vor einigen Wochen einen Banditen an, welcher am ersten Tage sich damit brüstete, daß er seinem Bruder am Gerichte eine Summe von hundert Reichstalern abgeschworen habe. Meine Leute sahen einer den andern an, und schließlich fragte einer: ›Baas, was tun wir mit dem Schuft?‹ ›Was sich gehört,‹ sagte ich, und nach fünf Minuten baumelte er schon an einem der höchsten Bäume.«
»Da übt Ihr wohl eine sehr rasche und strenge Justiz aus?«
»Für Verräter, ja.«
»Nun, ich leiste Euch den Eid der Treue; nur möchte ich kein Blut vergießen; das ist Eure Sache.«
»Das wird auch gar nicht von Euch verlangt. Übrigens kommt das nur im Notfalle vor, wenn wir angegriffen werden. Freilich, wenn die Kerls ihr Geld und ihre Kostbarkeiten nicht gutwillig hergeben wollen, dann allerdings nehmen wir sie mit Gewalt. Eins aber sage ich Euch: Ihr müßt Euch immer an den Orten aufhalten, die ich Euch angebe.«
»Darüber können wir uns ja verständigen. Sorgt nur immer, daß ich Geld genug habe!«
»Daran soll's nicht fehlen; verlaßt Euch darauf.«
Nachdem beide noch eine Zeitlang geplaudert hatten, verließen sie das Haus und traten in den Garten.
Das große schöne Herrenhaus war nur noch ein einziger Schutthaufen, aus dem hie und da noch Rauch emporstieg. Der Flügel an der Frauenseite war noch teilweise erhalten.
»Seht da!« sagte Otto plötzlich, indem er Marot beim Arme faßte. »Was ist das? Großer Gott – – –!«
»Das ist Jeannette! Wahrhaftig, sie ist es!« rief Marot und starrte leichenblaß nach der Gestalt, die drüben sichtbar wurde.
Wirklich schritt Jeannette kühn, ohne Stütze, den einen Arm mit einem weißen, blutiggefärbten Tuch umwunden, über die Mauer. Ihr Antlitz, das von der Morgensonne beschienen wurde, zeigte keine Spur von Furcht und Entsetzen bei dem gefährlichen Gange. Es war vielmehr ein unverkennbarer Ausdruck des Triumphes, eine wilde Freude in diesen marmorweißen schönen Zügen ausgeprägt. Das große dunkle Auge, starr und unheimlich glänzend, war auf das grausige Spiel der Zerstörung um sie her gerichtet. Ihre Lippen bewegten sich, als riefe sie den Rosen im Schloßgarten Abschiedsgrüße zu, als hielte sie ein ernstfeierliches Gespräch mit den sich kräuselnden Wellen. Dabei spielte der Wind mit ihrem entfesselten Haare und warf es in schwarzen Wellen über das weiße Gewand und die bleichen Wangen.
»Sie ist irrsinnig,« flüsterte Otto.
Jetzt neigte sie sich lächelnd zu dem Schloßgraben herab – ein durchdringender Schrei der beiden Männer, das Aufspritzen des Wassers und Zusammenschlagen der Wellen, und die Erscheinung war verschwunden.
»Schnell, laßt uns sie retten!« rief Otto und stürzte dem Graben zu. Der andere hielt ihn zurück.
»Seid Ihr von Sinnen – oder wollt Ihr selbst ertrinken? Ihr seht doch, daß sie nicht mehr heraufkommt, ein Zeichen, daß sie im Moraste stecken geblieben ist. Kein Mensch kann da helfen!«
Marot sagte dies mit einer brutalen Gefühllosigkeit, die für Otto etwas abstoßendes hatte. Unter der Kruste des Lebemannes und Egoisten hatte Otto immer noch einen Rest von Edelmut und Menschlichkeit bewahrt und sein Gefühl sträubte sich dagegen, die Unglückliche so ihrem Schicksale zu überlassen.
Aber es war zu spät. Marot hatte ihm beim Arme ergriffen und zog ihn mit sich fort.
»Kommt,« sagte er mit harter Stimme, »hier ist nichts mehr zu machen; die holt keiner da heraus!«
Otto sah ihn an und schrak zurück, als er in Marots graue, mitleidlose Augen blickte. Fürwahr! Dieser Mensch mit seiner Henkermiene konnte einem Weibe die Hand abhacken; er würde auch fähig sein, jemand ums Leben zu bringen!
Sie begaben sich zu den Ställen, nahmen ihre Pferde und sprengten nach Breda. Dort bezog Otto ein Gasthaus. Marot blieb auch einige Tage dort.
Am zweiten Tage erschien ein Jäger, der Marot zu sprechen wünschte.
»Ah, Pitt, bist du da!« sagte Marot.
»Ich bin schon seit drei Tagen hier und erwarte Eure Befehle, Baas!«
»Gut; gehe zurück und laß die Leute sich teilen. Du gehst mit zwanzig Mann durch Holland und wendest dich der Jülicher Gegend zu. Entweder auf Grippekoven oder in der Gastesscheune verbergt ihr euch. Seid aber vorsichtig. Die andern Leute bleiben vorläufig in Beissel liegen, bis ich komme. Wenn du gehst, so übergib Kob das Kommando. Ihr marschiert selbstredend getrennt und trefft euch an der Scheune. Laß die Ruine von Grippekoven etwas wohnlich einrichten, damit man sich dort einmal aufhalten kann; dort läßt sich ja auch prächtig ein Gefangener für einige Zeit aufbewahren.«
»Gut, ich werde alles pünktlich besorgen,« sagte Pitt und verschwand.
»So,« sagte Marot, als Pitt fort war, »das wäre erledigt. Wir wollen nun zu meiner Behausung gehen.«
»Zu Eurer Behausung? Wo ist denn die?«
»Ich besitze ein kleines Kastell vor der Stadt.«
Otto lachte. »Das wird was Nettes sein, wo ein Raubritter haust!«
»Das werden wir ja sehen.«
Sie setzten sich zu Pferde und ritten eine gute Stunde, als sie an einen parkähnlichen Garten kamen, in den sie einbogen. In der Mitte desselben lag ein verwittert aussehendes, dunkles Gebäude.
»Von außen sieht es nicht besonders einladend aus,« meinte Otto.
»Ist auch nicht nötig,« erwiderte Marot, welcher vom Pferde sprang und einem herbeigeeilten Knechte die Zügel zuwarf. »Wenn's nur im Innern gut aussieht.«
Sie traten ins Haus, und Marot führte Otto in sein Wohnzimmer. Otto konnte einen Ruf der Überraschung und des Erstaunens nicht unterdrücken, als er in das elegant und sehr reich ausgestattete Zimmer eintrat.
»Nun, was meint Ihr?« fragte Marot, »es ist doch wohl nicht so übel – was?«
Otto kam aus dem Staunen nicht heraus. Da hatten wohl alle Weltteile ihre Schätze hergeben müssen, um ein solches Gemach auszustatten. Schönes Mobilar von Eichenholz mit hübscher Schnitzarbeit der tüchtigsten Meister, sieben große Gemälde von den ersten Künstlern der niederländischen Schule, ein prachtvoller Kronleuchter von getriebenem Silber, weiche Teppiche und herrliche Pflanzen, eine kostbare Waffensammlung, chinesisches Porzellan und dergleichen Kostbarkeiten mehr.
»Wo habt Ihr das alles her, Marot?« rief Otto endlich aus. »Wahrhaftig, selbst in Paris habe ich nichts Kostbareres und Geschmackvolleres gesehen!«
»Pah, für Geld kann man alles haben in der Welt. Und Geld zu bekommen ist so leicht, Ihr könnt es auch so haben!«
»Wenn nur nicht die ständige Gefahr dabei wäre!«
»Ach was, Gefahr hin, Gefahr her! Ihr bildet Euch doch hoffentlich nicht ein, als ehrlicher Mensch reich werden zu können?«
»Das wäre vielleicht doch möglich.«
»Ich bewundere Eure Einfältigkeit. Wenn Ihr leben wollt, müßt Ihr arbeiten, und das wollt Ihr ja nicht. – Übrigens, wer sollte Euch Arbeit geben? Habt Ihr Empfehlungen, Zeugnisse? Nein! Habt Ihr einflußreiche Freunde? Nein! Also was wollt Ihr? Aber wenn Ihr nicht mittun wollt, à votre aise! Wenn Ihr wankend geworden seid, dann – –!«
»Ach was, Marot, ich bin Euer mit Leib und Seele. Hier meine Hand, Ihr sollt mit mir zufrieden sein!«
Marot ergriff Ottos Hand. » Alors c'est entendu!« rief er aus. »Und nun wollen wir die Sache mit einem feinen Glas Wein begießen, wie sich das geziemt.«
Er klingelte, worauf ein Diener erschien, welcher sich respektvoll vorbeugte.
»Jean, bringe eine Flasche alten Portwein!«
»Sehr wohl, gnädiger Herr!« Jean verschwand und kehrte gleich mit zwei geschliffenen Gläsern und einer Flasche Wein zurück.
Marot hatte die Gläser mit der dunkelgelben Flüssigkeit gefüllt und stieß mit Otto an.
»Komm, Otto, das erste Glas auf unsere Freundschaft! Sag' von jetzt an Du zu mir und nenne mich Gaston.«
»Es gilt, Gaston,« sagte Otto anstoßend, und nachdem er getrunken, rief er: »Der Tausend ist das ein feiner Tropfen! Habe lange keinen solchen gekostet! Der ist würdig an des Königs Tafel getrunken zu werden. Aber teuer wird er sein – wie?«
»Die Flasche kostet zwei Reichstaler.«
»Teufel, du lebst wir ein Prinz!«
»Nun, warum nicht! Ich bin selten hier im Hause! Von meiner Bande weiß keiner, daß ich ein Haus habe. Auch hier im Hause ahnt niemand, was ich treibe. Ich bleibe oft monatelang fort. Eine alte Haushälterin führt mir die Wirtschaft mit einigen erprobten Knechten, einem Diener und einem alten Gärtner. Auf diese Leute kann ich mich verlassen. Meinen Anteil vom Gewinn bringe ich immer hierher. Hier ist er sicher.«
»Wenn nun die Geschichte doch einmal schief ginge? Hundertmal kann's gut gehen, bis es auf einmal fehlschlägt – aber dann geht's an den Kragen!«
»Dem Mutigen gehört die Welt, Otto, nicht dem Zaghaften! Gerade das Gefährliche bei der Sache hat für uns seinen Reiz. Es ist aber halb so schlimm, denn bei etwas Vorsicht und Überlegung kann's niemals schief gehen.«
Nach der ersten Flasche wurde eine zweite getrunken, und Otto fragte Gaston, wie lange er dieses Doppelleben schon führe und wie er denn eigentlich zum Briganten geworden sei.
»Das ging sehr einfach, lieber Junge. Meine Eltern waren reiche Leute, und ich ihr einziger Sohn. Ich bekam eine gute Erziehung, hatte aber einen Hang zu Abenteuern und verwegenen Streichen, der meinen Eltern große Sorgen machte, da sie beabsichtigten, mich zum weiteren Studium auf die Hochschule nach Paris zu schicken. Diese Absicht wurde durch die inzwischen eintretende Verarmung meiner Eltern vereitelt. Mein Vater hatte einem Freunde mit vielem Gelde ausgeholfen, sich auch mit einem großen Teile des Vermögens für ihn verbürgt und mußte schließlich alles bezahlen. Dann lieh er bei den Juden gegen ungeheure Zinsen Geld. Er lieh solange, bis er den Strick um den Hals hatte. Die Juden zogen den Strick zu, und mein Vater, meine Mutter und ich mußten unser Erbgut verlassen, welches die Juden verkauften. Meine Eltern starben in kurzer Zeit aus Gram und Kummer, und ich stand allein auf der Welt. Ein hübsches Mädchen des benachbarten Gutes sollte meine Frau werden, jedoch da wir arm geworden waren, wurde ich von meiner Braut verschmäht und ich selbst aus ihrem Hause gewiesen. Ihr Vater hetzte sogar die Hunde auf mich los. Haha, so sind die Menschen! Ehre, Tugend, Versprechen – alles Lug und Trug, alles zu haben – für Geld! Solange du Geld hast, lacht dir alles zu: du hast Freunde überall und alle Türen stehen dir offen, aber wehe dir an dem Tage, wo du arm wirst! Dann kehrt alles dir den Rücken und du findest alle Türen verschlossen. Nun fiel es mit doch nicht ein, zu arbeiten! Den Juden paßte ich auf, und als sie mit vielem Gelde einmal eine Reise machten, da überfiel ich sie mit zwei Knechten in einem Walde, prügelte sie weidlich durch und nahm ihnen ein ganzes Fäßchen Goldstücke ab. Das war gelungen. Ich sammelte Genossen und heute ist mein Name viele Stunden weit bekannt; durch Holland und im Großherzogtum Jülich kennt und fürchtet man den schwarzen Baas. Ich habe ein großes Vermögen zusammengescharrt und treibe jetzt das Handwerk nur noch zum Vergnügen. In Paris hatte ich mehrere Freunde, welche im Falschspiele etwas leisten konnten, und der Spitzbube de Lafleur sollte mein Schwiegervater werden, da ich die hübsche Jeannette wirklich liebte. Sonst blieben der Alte und ich uns fremd. Wo wir uns trafen, taten wir, als ob wir uns nicht kannten, und teilten den Gewinn nachher. Doch genug davon. Der Traum meiner Liebe zerrann, denn, wenn ich Unglück hatte mit der ersten Braut, so hatte ich mit der zweiten – kein Glück, wie du weißt. Jeannette zog dich mir vor, trotzdem sie mir die Treue geschworen hatte. Darum verfiel sie meiner Rache. Ich habe sie vernichtet und möchte das ganze Weibervolk vernichten, dieses falsche, treulose Geschlecht!«
Mit keuchender Stimme und haßfunkelnden Augen hatte Gaston diese Worte hervorgestoßen. Die Erregung schien ihn zu überwältigen.
»Aber deshalb hast du keinen Grund,« fuhr er ironisch fort, »dieser Kokette nachzutrauern. Denkst du vielleicht, sie wäre dir treu geblieben? Geh' doch! Übrigens – hast du schon darüber nachgedacht, wie der Brand im Schlosse entstanden ist?«
»Nein,« erwiderte Otto betroffen. »Du glaubst doch nicht etwa, daß –?«
»Was ich glaube,« unterbrach ihn Gaston höhnisch lachend, »ist, daß das Feuer nicht von selbst ausgebrochen ist, sondern daß jemand und zwar keine andere, als deine liebe Jeannette es gewesen, die dir den roten Hahn aufs Dach gesetzt hat.«
»Jeannette – meinst du? Nun, es mag sein,« gab Otto erregt zurück. »Aber dann hat sie es aus Verzweiflung, im Wahnsinn getan, nachdem du Unhold sie so grausam verstümmelt hattest – sonst wäre sie nie dazu fähig gewesen!« rief er in aufwallender Entrüstung aus. »Nein, nein, Gaston, dein Haß geht zu weit: verunglimpfe mir nicht das Andenken an diese Jeannette, denn so schlecht wie du von ihr denkst, war sie denn doch nicht!«
»Nun,« erwiderte Marot achselzuckend, »du brauchst dich ja durch mein Urteil nicht beirren zu lassen. Übrigens hast du dich noch niemals ernstlich und dauernd in ein Weib verliebt. Die Tiefe der Leidenschaft kennst du nicht. Zwar hast du unzählige Verhältnisse angeknüpft, und manches galante Abenteuer erlebt, doch dein Herz ist nie dabei beteiligt gewesen. Aber sprechen wir von etwas anderem. – Du kehrst jetzt in deinen Gasthof zurück und knüpfest Verbindungen mit dem Kommandanten an. Ein großer Geldtransport geht von hier nach Maastricht. Ich muß wissen, wer den Transport, welcher angeblich wollene Decken mitführt, kommandiert, wieviel Mann dabei sind und noch vieles andere. Bis übermorgen muß ich Bescheid haben.«
»Es ist gut. Ich werde genaue Erkundigungen einziehen und bis übermorgen hierher bringen.«
»Hier ist eine Börse voll Goldstücke,« sagte Gaston, Otto diese reichend. »Schone sie nicht und tritt standesgemäß auf, selbstredend ohne durch Extravaganzen aufzufallen. Ist das Geld verbraucht, so werde ich dich schon wieder mit neuem versehen.«
Otto nahm die Börse lächelnd in Empfang, verabschiedete sich und sprengte seinem Gasthofe zu. Es fiel ihm nicht schwer, abends mit dem Kommandanten, welcher viel in dem Gasthofe verkehrte, bekannt zu werden. Otto hatte diesem durch sein sicheres Auftreten und seine elegante Erscheinung, vor allem aber durch den vornehm klingenden Namen eines Ritters von Gasculin, den er sich beigelegt hatte, gewaltig imponiert und bald alles erfahren, was er wissen mußte. Am anderen Tage konnte er Gaston schon Mitteilung machen.
»Ich bin sehr zufrieden,« sagte letzterer, »wir wollen sie schon aufgreifen. Das ganze Geld ist uns sicher. Kehre zurück zum Gasthof, mache ein einfältiges Gesicht und verrate dich nicht. Du wartest die weiteren Anweisungen ab, die ich dir durch einen zuverlässigen Mann schicken oder selbst bringen werde.«
»Noch eins, Gaston,« sagte Otto, »jenes Mädchen – hast du von dem nichts mehr gehört?«
»Besonderes nicht. Ich weiß nur, daß es in der Gegend von Sittard bei einem alten Bettelweibe, deren Sohn auch zu meinen Leuten gehört, gewohnt hat und von dort weggelaufen ist. Wohin, ist nicht bekannt geworden. Es wird wohl umgekommen sein.«
»Da brauche ich also kein Geld mehr zu schicken?«
»Nein, die Mühe kannst du dir sparen.«
Otto verließ das Kastell und begab sich wieder in die Stadt. Er lebte wie ein junger Fürstensohn, der sich nichts zu versagen braucht, verkehrte mit den ersten Familien in Breda und wurde in allen besseren Häusern gastlich aufgenommen. Nach acht Tagen kamen von dem ausgeschickten Deckentransporte drei verwundete Männer mit dem Wagen zurück und berichteten dem Kommandanten, daß sie unterwegs von einer großen Anzahl Räubern überfallen und vollständig ausgeplündert worden seien. Jetzt hieß es auch, daß der Transport eine ungeheure große Summe Geldes mitgenommen habe, die den Räubern ganz in die Hände gefallen sei. Darob herrschte große Bestürzung in der Stadt. Der Kommandant wollte mit einer Anzahl Truppen ausziehen, um die Räuber zu züchtigen und zur Herausgabe ihrer Beute zu zwingen. Jedoch er besann sich eines besseren, da er vernahm, daß die Zahl der Räuber eine sehr große gewesen und dieselben spurlos verschwunden seien. Otto bedauerte dem Kommandanten gegenüber lebhaft den Vorfall und ließ sich nichts merken. Ja, er bot demselben sogar seine persönliche Unterstützung an für den Fall, daß dieser doch noch beabsichtige, die Verfolgung der Banditen aufzunehmen.
Tags darauf kam Bescheid, daß Otto nach Maastricht kommen sollte, um dort verschiedenes auszuspionieren. Er verließ also Breda und begab sich dorthin. So dauerte das Leben viele Jahre. Die Bande wurde immer verwegener und der Schrecken der ganzen Gegend. Otto führte ein Herrenleben, und der schwarze Baas gewann ein immer größeres Vermögen. Für ihn sowohl wie für Otto war alles stets gut abgelaufen, bis der alte Vit mit der Bande aneinandergeriet und dieselbe auf dem Wege zwischen Wehr und Brocksittard gründlich zusammenhieb und wo der schwarze Baas mit genauer Not entkam.
Es war um diese Zeit, als Otto mit einem Dutzend verwegener Reiter in der Gegend von Gladbach umherstreifte, da es hieß, die Hessen wollten große Schätze von Krefeld und Gladbach nach Jülich schaffen. Otto hatte sich damals von dem Kommandanten in Breda ein Empfehlungsschreiben geben lassen und fiel es ihm daher nicht schwer, sich bei den Befehlshabern der einzelnen Städte einzuführen und alles auszukundschaften. Eines Tages befand er sich mit seinem Trupp auf der Straße von Kleinenbroich nach Gladbach und begegnete dort einem Reiter, der eine Reiterin, ein junges Mädchen, bei sich hatte.
»Ei, wohin, Landsmann?« fragte Otto, das Paar anhaltend.
»Nach Kleinenbroich,« erwiderte Born, denn er war es mit Eva.
Otto betrachtete das Mädchen, welches ihm furchtlos in die Augen sah, und erschrak heftig, da ihm die Züge sehr bekannt vorkamen.
»Laßt uns vorbei und gebt den Weg frei,« sagte Born zu Otto ärgerlich, zog sein Schwert und drängte sein Pferd hart neben Evas Pferd.
»Langsam, Freund,« sagte Otto, »Ihr sollt uns zuerst Rede und Antwort stehen, wer Ihr seid und was Ihr wollt.«
»Das haben wir nicht nötig,« rief Born gereizt. »Ihr versperrt uns den Weg, wie Wegelagerer es zu tun pflegen. Hopp, Brauner!« Dabei gab er dem Tiere die Sporen, daß es sich aufbäumte, ergriff dann Evas Pferd am Zügel und wollte, da die anderen Pferde Platz machten, das Weite suchen. Aber ein abseits stehender Räuber legte auf ihn sein Gewehr an, und der arme Kerl stürzte, tödlich getroffen, vom Pferde. Nun wurden Weidenzweige abgerissen und die Eva damit gefesselt. Dann ging's im raschen Trabe auf Gladbach und von da auf Erkelenz zu, zur Scheune. Auf dem Wege fragte Otto Eva über ihre Familienverhältnisse aus und hatte bald die Gewißheit, daß er hier das einst geraubte und totgeglaubte Kind seines Bruders vor sich habe. Eva bemerkte wohl das große Interesse, das Otto für sie bekundete, und wußte es sich nicht zu erklären. Dieser befahl den wüsten Gesellen, das Mädchen, welches eine Landsmännin von ihm sei, mit Achtung zu behandeln. Nachdem er die Angelegenheit mit dem schwarzen Baas überlegt hatte, wurde Eva nach Grippekoven gebracht und dort gefangen gehalten. Es gebrach ihr nicht an Lebensmitteln, und ihr Wächter Aret war auch ein ganz vernünftiger Mensch, welcher nur nicht duldete, daß sie sich außerhalb der Ruine aufhielt. Otto wußte offenbar nicht, was er mit dem Mädchen anfangen sollte. Vorläufig hielt er es für am besten, daß sie in Grippekoven bliebe. Eva hatte schon so viel in ihrem jungen Leben durchgemacht, daß sie sich nicht sonderlich über ihre Gefangenschaft grämte, sie fügte sich daher schnell in's Unvermeidliche und war fröhlich und guter Dinge. Oft sang sie mit ihrer frischen jugendlichen Stimme, daß es bis in den Wald hinein schallte, und die Leute, die es hörten, sich bekreuzten und glaubten, irgendein neckischer Geist locke den Wanderer, auf die Schloßruine Grippekoven zu kommen, um dann im Moraste zu versinken und zu sterben.
Gerade so wie in anderen Städten war Otto auch in Erkelenz mit dem Kommandanten Valliers bekannt geworden und unterhielt rege Beziehungen mit ihm. Dabei hatte er diesem die Geschichte Evas erzählt und gesagt, daß sie die entführte Tochter eines französischen Hauptmannes sei, natürlich verschwiegen, daß er es selbst war, der sie hatte rauben lassen.
An einem Morgen, als Aret ziemlich lange geschlafen hatte, war Eva früh aufgestanden, vor die Ruinen getreten und hatte dort den Pfad gesehen, welcher zu der Furt durch den Schloßgraben führte. Sie schaute sehnsüchtig hinüber und plötzlich kam ihr der Gedanke, zu fliehen. Sie watete durch den Graben und lief, so rasch sie konnte, in der Richtung auf Erkelenz zu. Dabei vermied sie die breiten Wege und Hauptstraßen und benutzte die fast unwegsamen Pfade. Als sie eine breite Straße in der Nähe von Erkelenz überschreiten wollte, wurde sie von sechs Soldaten erblickt, welche sie sofort anhielten.
»Ei, schmucke Dirne, wo willst du hin?« fragte ein Sergeant.
»Nach Kleinenbroich.«
»So, das ist aber noch weit. Ich denke, du gehst mit uns nach Erkelenz,« und damit faßte er Eva am Arme.
»Laßt mich in Ruhe,« sagte Eva, sich losreißend. »Ich bin die Schutzbefohlene eines französischen Kavaliers und verlange, wenn ihr mich mitnehmen wollt, zu Eurem Kommandanten geführt zu werden.« Eva hatte aus dem Benehmen Ottos die Überzeugung gewonnen, daß er Achtung vor ihr habe, und deshalb sagte sie dreist den Soldaten, sie stehe unter seinem Schutze.
Der Sergeant warf Eva einen ironischen Blick zu, während die Soldaten zweideutige Bemerkungen machten, die dem jungen Mädchen die Schamröte in die Wangen trieben.
»Ah, ich verstehe,« – sagte er mit bedeutsamem Lächeln. »Aber beruhigt Euch, schönes Fräulein,« setzte er hinzu, die stolz abweisende Haltung Evas bemerkend, welche ihn stirnrunzelnd und unwillig anschaute. »Kommt nur mit. Unter meinem Geleite seid Ihr so sicher, wie unter dem Schutze Eures Kavaliers.«
Der ganze Zug begab sich nach Erkelenz, wurde eingelassen, und Eva sofort vor den Kommandanten geführt. Valliers erinnerte sich, daß Otto mit ihm von dem Mädchen gesprochen habe, und sagte, es solle ihr nichts geschehen, sie müsse aber in Gewahrsam bleiben, bis Herr von Gasculin weiteres über sie bestimmen würde. Dann befahl er einem Soldaten, sie zum Gefangenwärter Mertens zu bringen; in dessen Familie sollte sie vorläufig verbleiben.
Am Abend, als Eva im Stübchen des Gefängniswärters saß und damit beschäftigt war, die zerrissenen Kleider der Kinder auszubessern, schaute sie zum Fenster hinaus und erblickte unter einem Haufen Bewaffneter, die daherkamen, Paul.
Sie hatte sich nicht getäuscht, er war es. Sie fühlte ihr Herz klopfen, aber sie nahm sich zusammen, um sich nicht zu verraten.
»Was fehlt dir, Kind?« fragte die Frau des Gefängniswärters, »du siehst ja ganz angegriffen aus.«
»Ach, gute Frau Mertens, die Luft in der kleinen Stube ist so drückend, ich kann es fast nicht aushalten.«
»Nun, so gehe ein wenig an die frische Luft, Kind.«
Das ließ sich Eva nicht zweimal sagen, sie eilte auf den Hof und trippelte dort ungeduldig auf und ab. Jetzt kam Mertens zurück. Er hatte den Gefangenen eingeschlossen und schritt nun, mit dem Schlüsselbunde rasselnd, über den Hof.
»Ei, Kind, was willst du hier?« fragte er freundlich. »Die Abendluft genießen?«
»Jawohl, Herr Gefangenwärter. Ich hatte Kopfschmerzen.«
»Kind, wir haben da hohen Besuch. Der Gefangene ist niemand anders als der schreckliche Räuberhauptmann, der schwarze Baas.«
Eva wollte in ein lautes Lachen ausbrechen, besann sich aber eines andern und sagte scheinbar gleichgültig: »Nicht möglich, Herr Gefangenwärter! So ein hübscher junger Mann kann doch kein Räuberhauptmann sein!«
»So, Fräulein Naseweis, woher kennst du denn den hübschen jungen Mann?«
»Ei, ich habe ihn soeben gesehen, als ich am Fenster saß, und er vorbeigeführt wurde.«
»Na, und ich habe ihn festgeschlossen. Vorläufig wird es wohl mit dem Räubern ein Ende haben. Er soll mir nicht entkommen.«
Sie traten beide ins Haus, und Eva sah, wie er in eine kleine Kammer ging, wo allerlei Folterwerkzeuge umherlagen, und den Schlüsselbund an die Wand hing. Das Essen wollte Eva heute gar nicht schmecken. Den ganzen Abend drehte sich das Gespräch um den schwarzen Baas.
»Der Kerl wird gefoltert,« sagte Mertens, »bis er angibt, wo er die Reichtümer verborgen hat, und dann wird er aufs Rad geflochten oder verbrannt.«
»Man sieht es aber dem jungen Manne nicht an, daß er ein so grausamer Mensch sein soll,« entgegnete Frau Mertens.
»Mehrere Herren wollten das auch nicht glauben, aber er hatte Dokumente bei sich, die klar bewiesen, daß er der gefürchtete Bandit war. Der Mensch hat eine Unmasse von Schandtaten verübt und wird jetzt seinen verdienten Lohn erhalten. Schade, daß man die andern Räuber nicht mitgefangen hat! Wer weiß, wie viele Soldaten hier in der Gegend verschwunden sind! Der Kerl und seine Banditen lauerten im Dunkel des Waldes allem auf, was des Weges kam. Ein Glück, daß ihm nun das Handwerk gelegt worden ist!«
In später Abendstunde erst begab sich alles zur Ruhe. Mertens ging noch einmal hinüber und lauschte an der Tür, ob der Räuber auch noch da sei. Er hörte das Gerassel der Ketten und suchte zufrieden sein Lager auf. Als alles im tiefen Schlafe lag, schlich Eva aus ihrem kleinen Kämmerchen, welches oben unter dem Dache lag, herunter und ging in die Folterkammer. Dort tastete sie im Finstern nach dem Schlüsselbunde. Einige Feilen hatte sie schon vorher zu sich gesteckt. Sie fand die Schlüssel und wickelte sie in die Schürze, damit sie nicht rasseln sollten, huschte dann über den Hof, öffnete leise die Kerkertür, und stand bald vor dem erstaunten Paul, dem sie, wie wir bereits wissen, zur Flucht verhalf. Dann begab sie sich wieder in ihr Kämmerchen, um zu lauschen, ob sich nichts Verdächtiges regte. Auf einmal hörte sie den Kampf Pauls mit der Schildwache, lief an das kleine Fenster und sah, wie Paul auf die Ringmauer zulief und dort verschwand.
»Gott sei Dank!« hauchte sie, »er ist in Sicherheit.«
Am anderen Morgen war große Aufregung in Erkelenz, daß der schwarze Baas entflohen sei. Mertens war in größter Bestürzung, aber er hatte seine Pflicht getan, hatte er doch den Schlüsselbund an dem Haken in der Folterkammer gefunden, wo er ihn selbst hingehängt hatte.
»Da seht ihr, ein wie gefährlicher Verbrecher er ist,« sagte er, »und daß die verwegenen Kerle ihn herausgeholt haben!«
Der Kommandant kam und untersuchte selbst den Kerker und das Schloß, wobei er Mertens in ein strenges Verhör nahm. Jedoch mußte er schließlich dem Soldaten glauben, daß derselbe von sechs Räubern überfallen worden sei.
»Es ist eine Schande,« sagte er zu dem ihn begleitenden Hauptmanne. »Aus einer geschlossenen Feste holen die Kerle ihren gefesselten Anführer heraus!«
Am andern Morgen kam der Offizier Hermann in die Stadt und begab sich sofort zum Kommandanten.
»Ah, sieh da, willkommen Herr Leutnant!« sagte Valliers freudig, ihm die Hand reichend. »Was führt Euch denn hierher? Ich glaubte Euch beim General.«
»Ich bin für kurze Zeit beurlaubt, Herr Kommandant, und komme zu Euch wegen einer jungen Dame, die hier gefangen sein soll.«
»Ah, dieses hübsche Fräulein. Die interessiert Euch wohl, wie?«
»Freilich, ich habe sie jedoch noch nie gesehen. Sie ist die Tochter des Hauptmanns Peter van Este, der unter dem General Guébriant steht.«
»Und ist vor vielen Jahren aus dem elterlichen Hause geraubt worden,« ergänzte Valliers.
»Wie Ihr seht, kenne ich die Geschichte. Ein Herr von Gasculin, der angeblich mit dem Mädchen entfernt verwandt ist, hat sie mir erzählt und auf seine Veranlassung halte ich das Mädchen hier in Gewahrsam, weil er fürchtet, man könnte sich seiner wieder bemächtigen.«
»Ein entfernter Verwandter?« frug Hermann sinnend. »Wer könnte das sein? Ich weiß nur, daß sie einen Vater und einen Pflegevater mit Namen Vit Gilles hat, der das Mädchen als Findelkind bei sich aufnahm.«
»Wer nahm sie auf?« fragte Valliers, Hermann gespannt anblickend.
»Der alte Vit Gilles.«
»Ei, Donnerwetter! Ist das nicht der Schelm, der die ganze Gegend hier unsicher macht, der Soldaten niedermetzelt, und dessen Leute Briganten sind?«
»Einen Briganten Vit kenne ich nicht, wohl einen ehrenwerten tüchtigen Kriegsmann, der nur da dreinschlägt, wo es gilt, den Schwachen zu verteidigen und die armen Bewohner vor der rohen Willkür der entmenschten Hessen zu schützen.«
»Hm! Ihr scheint dem Manne sehr gewogen zu sein.«
»Das bin ich auch, und ich habe verschiedene Male Schulter an Schulter mit ihm gekämpft. Der schlichte Mann ist wie ein tüchtiger Feldherr, voll Energie und Umsicht, und er hat ebenso tüchtige, geschulte Leute.«
»Wißt Ihr, wo er sich aufhält?« fragte Valliers lauernd.
»Jawohl, ich war ja längere Zeit bei ihm.«
»Ach, das ist prächtig! Dann werdet Ihr uns hinführen, wir überfallen die Bande und nehmen ihr die ungeheuren Schätze ab, die sie aufgespeichert haben soll.«
»Ah, das wäre Verrat, Herr Kommandant, und dazu gebe ich mich nicht her!«
»Was? Ihr seid verpflichtet dazu!«
»Keineswegs.«
»Ihr seid Offizier und müßt die Rebellen vernichten helfen.«
»Wenn ich in ehrlichem Kampfe ihnen gegenüberstehe, so werde ich für meine Sache streiten, aber niemals die Leute verraten.«
»Ist das Euer letztes Wort, Herr Hermann?«
»Mein letztes.«
»Gut, so seid Ihr verhaftet. Wache herein!«
Zwei Soldaten erschienen und pflanzten sich neben der Tür auf.
»Noch einmal, Herr Leutnant, hört auf eines Freundes Wort, der es gut mit Euch meint, wollt Ihr uns zu dem Raubneste führen?«
»Auch nicht, wenn ich Euch das Mädchen freigebe?«
»Auch dann nicht.«
»Einer von euch,« redete Valliers die Wachen an, »geht zu Mertens und sagt ihm, er solle das Mädchen hierher bringen.«
Ein Soldat entfernte sich.
»Hört mal, Hermann, und seid vernünftig. Ich habe zwar diesem Edelmann versprochen, das Mädchen hier in Haft zu halten – aber verpflichtet bin ich nicht dazu. Auch geht mich die ganze Sache ja gar nichts an. Wenn Ihr mir daher helfen wollt, dieses Raubnest auszuheben, so bin ich bereit, Euch dieses Mädchen ohne weiteres auszuliefern.«
Hermann gab keine Antwort. Sein auf den Hof gerichteter Blick wurde durch eine weibliche Gestalt gefesselt, die in diesem Augenblick von einem Soldaten hereingeführt wurde.
Gleich darauf trat Eva ins Gemach und verneigte sich leicht vor den beiden Offizieren.
»So, nun überlegt Euch die Sache. Eine Viertelstunde lasse ich Euch Zeit!«
Mit diesen Worten ließ Valliers die beiden allein, indem er dachte, das junge Mädchen würde schon das Ihrige dazu tun, um Hermann zur Vernunft und zum Nachgeben zu bringen.
»Edle Jungfrau,« redete Hermann, sich vor Eva vorbeugend, diese an, »ich bin gekommen, Euch aus der Gefangenschaft zu retten. Vertraut mir, ich komme im Auftrage Eures Vaters, des Herrn –«
»In wessen Auftrag? Meines Vaters? Ich kenne leider meinen Vater noch nicht und weiß nicht, ob ich Euch Glauben schenken darf, Herr Offizier.«
»Euer Vater, dem Ihr als Kind geraubt worden seid, ist der Hauptmann van Este im französischen Heere, ein Freund von Vit Gilles, dem wackeren Manne, den Ihr Großvater nennt.«
»Und wo befindet sich mein Vater?«
»Er ist beim General. Vit ist nicht weit von hier, und ich habe ihm versprochen, Euch zu befreien.«
»Ich danke Euch, Herr,« sagte Eva errötend, und reichte ihm die Hand. »Aber wie soll ich aus Erkelenz herauskommen können, wo ich so streng bewacht werde? Also, mein Vater lebt noch? Gott, ich danke dir, so bin ich also nicht namenlos, bin also kein wirkliches Findelkind!« rief sie freudig aus.
»Könnte ich Eurem Vater nur Nachricht geben, damit er wüßte, daß seine Tochter noch lebt!«
»Wie verließet Ihr meinen Großvater? Ist er noch wohl und gesund?«
»Gewiß, er ist noch wohlauf und läßt Euch grüßen. Es wird hier von mir verlangt, ich solle seinen Aufenthalt verraten, damit er gefangen wird, aber niemals werde ich das tun und wenn es mein Leben kosten sollte! Euren Paul hat man hier für den schwarzen Baas gehalten.«
»Das weiß ich wohl. Ob er glücklich entkommen ist?«
»Jawohl, er ist wieder glücklich beim Großvater eingetroffen. Wo befindet Ihr Euch denn hier?«
»Ich bin im Hause des Gefängniswärters Mertens, gehe aber frei im Hause umher. Ein französischer Edelmann trägt die Schuld, daß ich gefangen gehalten werde.«
»Das habe ich gehört. Begreife nur nicht, warum er Euch nicht zu sich genommen hat, da er doch vorgibt, Euer Verwandter zu sein und Euch statt dessen hier festhalten läßt. Die Sache kommt mir rätselhaft vor.«
Jetzt trat Valliers mit zwei Soldaten wieder ein.
»Nun?« wandte er sich mit kurzer Frage an den Offizier.
»Es bleibt bei dem, wie ich gesagt habe,« erwiderte Hermann. »Zu Verräterdiensten lasse ich mich nicht gebrauchen.«
»Gut, wie Ihr wollt,« sagte Valliers. »Wenn Ihr mit den Rebellen haltet, muß ich Euch als solchen behandeln.« Und zu den Soldaten gewandt, befahl er: »Den Offizier bringt in den Wassenberger Turm, das Mädchen aber zum Aufseher Mertens zurück.«
»Wie, Ihr wollt mich gefangen setzen, Herr Valliers?« fragte Hermann erregt.
»Das nicht, aber mich Eurer Person versichern.«
»Ich gebe Euch mein Ehrenwort, daß ich ohne Eure Erlaubnis die Stadt nicht verlassen werde.«
Valliers machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich will mir die Sache überlegen,« sagte er, »ebenso was das Mädchen anbetrifft. Morgen werden wir mit der Besatzung ausmarschieren und nur Wachen hinterlassen, und bis zu meiner Rückkehr bleibt Ihr in Gewahrsam.«
Hermann und Eva wurden nach entgegengesetzten Seiten abgeführt.
Wilm, der fast allein von der Bande des schwarzen Baas übrig geblieben, war eben beim Kommandanten gewesen und hatte sich erboten, ihm den Schlupfwinkel Vits anzugeben, dann könnte Valliers die Scheune überfallen und alle Schätze heben. Es lagen jedoch nur 400 Soldaten in Erkelenz, und Valliers durfte nur 200 Mann mitnehmen, deshalb sandte er zu dem Kommandanten Bertin nach Dahlen, daß dieser einige hundert Mann mitschicken sollte.
Nachmittags kamen 300 Mann von Dahlen, und Kommandant Bertin selbst mit, weil er auch gerne von den Schätzen mithaben wollte. Herrn Valliers gefiel es zwar nicht, daß Bertin mitkam, jedoch machte er gute Miene dazu. Am andern Morgen in aller Frühe marschierten Bertin und Valliers an der Spitze von 500 Soldaten auf Cörrenzig zu, um Vit auszuheben. Vorne bei den Kommandanten ritt Wilm, welcher den Weg und auch den unterirdischen Gang zur Scheune zeigen sollte. Valliers war gut gelaunt und freute sich auf die große Beute.
Hermann hatte wohl die große Unruhe am frühen Morgen in der Stadt bemerkt, dachte aber nicht daran, daß es nun seinem Vit an den Kragen gehen sollte. Eva befand sich wieder in ihrer milden Haft bei Mertens und wußte nicht, was eigentlich nun mit ihr geschehen sollte und warum sie nicht frei umhergehen durfte. Jeden Tag hoffte und betete sie, daß ihr Vater erscheinen möge, um sie zu befreien.