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Die Zauberkugel

Es war einmal ein Knabe, der war armer und rechtschaffener Leute Kind. War aber von Kind an zu keiner Arbeit recht lustig. Strich nur über die Heide, lag im Grase und sah den Wolken zu, meinte immer, Feen oder Schatzmännlein anzutreffen, um dann ein Leben in Herrlichkeit zu führen, und prahlte laut von Dingen, die er nur im Traum gesehen hatte, und von großen Taten, die er einmal vollführen wollte. So daß die Eltern Kummer um ihn trugen und ihm ein schlechtes Ende weissagten.

Er aber winkte nur mit der Hand bei solchen Reden, als schlage er alles solches in den Wind, pfiff sich ein Lied und ersah den ersten besten Augenblick, in dem er sich wieder durch eine Zaunlücke davonmachen und auf die Vogeljagd gehen konnte oder wonach ihm sonst der leichte und unbeständige Sinn stand.

Brachte er einmal einen bunten Kieselstein nach Hause, so legte er ihn abends vor sich hin auf den Eichentisch, wendete ihn nach allen Seiten und prahlte, es würden nicht viele Wochen ins Land gehen, so würde er ihn in Gold verwandeln. War es ein Vogel, den er gefangen hatte, und mochte es auch nur eine flügellahme Krähe sein, so stand er sinnend vor dem geflochtenen Käfig und behauptete, dies sei der Paradiesvogel, und wenn er es nicht wäre, so würde er ihn über kurze Zeit darein verwandeln. Und war es ein gekrümmter Blechreifen, den Zigeuner verloren oder fortgeworfen hatten, so putzte er ihn lange mit Sand und Wasser, bis er kümmerlich glänzte, und meinte, so ausgeschlossen sei es nicht, daß er einmal eine Königskrone tragen werde.

Die Mutter lachte ihn aus als einen Narren, von dem sie nicht wußte, wie er ihr ins Nest geraten sei, der Vater aber sagte nur: »Sieh nur zu, daß du nicht einmal einen Strick um den Hals bekommst und am Galgen hochgezogen wirst!«

Da dachte er, daß seine Eltern doch recht dumme Leute wären und daß es hohe Zeit wäre, ihnen zu zeigen, daß er aus anderem Holze geschnitzt sei.

So verging ein Jahr nach dem anderen, und der Flaum begann ihm schon auf der Oberlippe zu sprießen, als er eines Tages über die Heide strich, so weit, wie er noch nie gewesen war, und plötzlich von fern einen wunderbaren Glockenlaut vernahm, in drei Tönen, die einander abwechselten, aber unregelmäßiger als Glockenklang, manchmal schnell nacheinander und manchmal in langen Pausen.

Da begann ihm das Herz zu klopfen, als wäre seine große Stunde nun gekommen, und er lief schnell den Tönen nach, von einem Wacholderbusch zum andern und von einer niedrigen Birke zur nächsten, damit niemand ihn sähe. Und da er in solchen Dingen wohl bewandert war, so gelangte er ungesehen bis zu einer tiefen Mulde im Heidekraut, warf sich dort leise nieder und hob langsam den Kopf über das blühende Kraut.

Da blieb ihm nun fast das Herz stehen vor Verwunderung und Entzücken, denn vor ihm, auf einer ebenen Sandfläche, erblickte er drei Zwerge mit langen Bärten und Zipfelmützen, die hatten jeder eine goldene Kugel vor sich liegen, so groß wie eine Kinderfaust, und mit diesen Kugeln spielten sie ein fröhliches Spiel, so daß jeder die seinige über den Sand rollte und die der andern damit zu treffen und wegzuschieben versuchte. Und jedesmal, wenn eine Kugel an die andere stieß, gab es einen tiefen, herrlichen Ton, als werde eine große Glocke angeschlagen.

Die Augen traten dem Knaben fast aus dem Kopfe, mit solcher Begierde starrte er auf die rollenden und schimmernden Kugeln, und er hatte kaum einen flüchtigen Blick für die Zwerge, denen er doch Jahr für Jahr mit Leidenschaft und Sehnsucht nachgespürt hatte. Die Ohren klangen ihm von den unaufhörlichen Tönen, und er lag wie im Traum, die Hände um das Heidekraut gepreßt, und wagte kaum zu atmen, aus Angst, es könnte sich alles auflösen und in nichts vergehen.

Aber dann rollten bei einem besonders starken Wurf zwei der Kugeln weitab ins Heidekraut, während die dritte, an der Seite getroffen, leise nachtönend bis an den Rand seiner Mulde gelangte. Und indes die Zwerge sich eilig auf die Suche nach den beiden verlorenen machten, streckte der Knabe ganz verstohlen seine Hand aus, ergriff die Kugel mit zitternden Fingern und war wie eine Schlange davongekrochen, lange ehe die kleinen Männer den Verlust gemerkt hatten. Dann lief er wie der Wind über die Heide, immer noch von Busch zu Busch, die Kugel mit beiden Händen umklammert, und es war ihm, als trüge er nun schon die Königskrone und brauchte nur einen stillen Platz, um sie sich auf das junge Haupt zu setzen.

Zu Hause verbarg er die goldene Kugel im Schuppen unter dem Brennholz und tat so, als wäre alles wie sonst. Doch sah die Mutter ihn prüfend von der Seite an und fragte ihn, ob er einem Geist begegnet wäre. Da lachte er und sagte: »Ja, einem goldenen!« Und machte sich auf dem Hof etwas zu schaffen.

Am Abend aber, als er meinte, daß die Eltern am Herde säßen, nahm er heimlich die Kugel aus dem Versteck, legte sie aus einer Hand in die andere, ließ sie ein Stück über den Boden rollen und ergriff schließlich einen kleinen Hammer, weil es ihn ganz schrecklich darnach verlangte, den wunderbaren Glockenton wieder zu hören.

Aber wie der Hammer auf das goldene Metall schlug und die Luft in aller Weite von dem herrlichen, tiefen Ton erklang, geschah etwas so Schreckliches, daß er die Kugel fallen ließ, als wäre sie von Feuer, und erstarrt wie eine Steinsäule dastand. Denn in demselben Augenblick erhoben alle Tiere in den Ställen ihre Stimme, so laut und durchdringend, als wäre der Habicht oder der Wolf unter ihnen. Das Pferd wieherte, die Kuh brüllte, die Ziegen meckerten, der Hahn krähte, und alle Hühner schrien, als reiße man ihnen jede Feder einzeln aus.

Am schrecklichsten aber war, daß der Vater und die Mutter, die noch einmal aus dem Hause getreten waren, um nach den Feldern zu sehen, dort, wo sie standen, zu tanzen begannen, als wären sie noch in ihrer Brautzeit, immer auf derselben Stelle, wie gebannt oder verzaubert.

Da entsetzte sich der Knabe und stieß die Kugel mit dem Fuß heimlich unter die Brennesseln, und als der letzte Ton in der fernen Luft verklang, hörte alles seltsame Wesen wie abgeschnitten auf. Alle Tiere waren stumm wie in tiefer Nacht, und Vater und Mutter standen still, wischten sich den Schweiß von der Stirn und den Traum aus den Augen und starrten einander ratlos und verstört an.

Sie fragten den Knaben, aber er wußte von nichts, hatte keinen Glockenton gehört, nichts gesehen, nichts vernommen, und es hätte ihn auch keine Lust zum Tanzen angewandelt.

Da sahen sie ihn auf eine seltsame Weise an, als sei er ein fremdes Kind, von den Unterirdischen vor ihre Schwelle gelegt, und gingen still wieder ins Haus. Die Mutter räucherte die Küche mit Wacholderzweigen, die sie ins Feuer hielt, und der Vater verwahrte die Tür mit einem starken Riegel.

Der Knabe aber lag lange wach und starrte in den vollen Mond, der vor dem Kammerfenster langsam vorüberglitt. »Sie haben sie verzaubert, zur Strafe für mich«, dachte er, »und sie hoffen, daß ich sie nun schnell zurücktrage. Aber so klug wie ein Zwergenkopf ist mein Kopf auch, und wahrscheinlich noch etwas klüger. Und sie haben vergessen, auch mich zum Tanzen zu bringen, wenn ich die Kugel anschlage, und das haben sie sehr dumm gemacht.«

Ein paar Tage ließ er still vorübergehen, verbarg die Kugel in der Heide und nahm dann eines Morgens Abschied von den Eltern, einen großen Tragkorb auf dem Rücken. Er werde wohl etwas ausbleiben, meinte er, und vielleicht etwas heimbringen. Auch dem Nichtsnutzigen falle ja manchmal etwas zu.

Er hob die goldene Kugel aus ihrem Versteck und machte sich in die Königsstadt auf, weil er wußte, daß dort Markttag gehalten wurde. Zur Nacht schlief er in der Heide ein wenig, die Kugel unter seinem Rock verborgen, und in der Morgenfrühe war er schon unter den Leuten, die von nah und fern sich drängten, um die Wunderdinge zu betrachten, die man feilhielt.

Er ging von einem Ende des Marktes zum andern, ganz langsam, als sei er auf etwas Besonderes aus, und prägte sich genau ein, wo die Dinge lagen, nach denen sein Herz am meisten begehrte: Früchte und duftende Braten, Wein und Backwerk, Schmuck und kunstvolles Spielzeug. Und als er so gut Bescheid wußte, daß er im Dunkeln darnach hätte greifen können, nahm er die Kugel heimlich in die linke Hand und schlug mit dem kleinen Hammer an die goldene Wölbung, daß es von allen Häusern und Palästen widerklang.

Da war es nun wohl so, als hätte ein wilder Zauber sich über den ganzen Marktplatz gestürzt oder als wäre gar der Jüngste Tag angebrochen. Alles, was an Vieh zum Markte getrieben worden war und eine Stimme besaß oder auch nur ein Stimmlein, begann mit aller Kraft zu rufen, als gelte es das Leben, so daß die Mauern dröhnten und die Wimpel und Fahnen wie im Sturmwind wehten. Was aber an menschlichen Wesen versammelt war, begann auf seiner Stelle zu tanzen, als habe eine Feder sich gelöst und treibe nun die Glieder in wildem Takte auf und ab. Der Bauer und die Bäuerin tanzten, die Butter und Honig in großen Körben und Krügen zum Markte gebracht hatten. Der Hirte und sein Weib, die Wolle verkauften, der Fischer, der die Karpfen und Hechte vor sich behütete. Es tanzten der Landmann und der Städter, Kriegsknechte und Priester, Feuerschlucker und Sterndeuter, groß und klein, arm und reich, ja selbst die Kinder in der Wiege hoben die Arme und krähten und jauchzten vor Lust.

Nur der Knabe stand still und blickte mit einem leisen Grausen auf die aus den Fugen geratene Welt. Aber dann schüttelte er mit spöttischem Lächeln den Kopf, und während er den Schlag an die goldene Kugel erneuerte, sobald die Tonwellen sich in der Ferne verloren, belud er seinen Korb mit allen herrlichen Dingen, die er ausgewählt hatte, und wenn die Gesichter der Beraubten sich im Tanze ohnmächtig vor Zorn verzogen, drehte er ihnen eine lange Nase und schlug um so eifriger mit dem kleinen Hammer an die Wunderkugel.

Und erst als die gestohlenen Schätze über den Rand des Tragkorbes quollen, hob er ihn stöhnend auf den Rücken, nickte den Tanzenden zu und ging langsam durch ihre Reihen hindurch, auf die Heide hinaus und in den tiefen Wald hinein. Und erst als er in voller Sicherheit war, ließ er die müde Hand mit dem Hammer sinken, lagerte sich in das warme Moos und begann nach Herzenslust zu schmausen und zu trinken, als habe er vier Wochen Fastenzeit hinter sich. Und nachdem er ein paar Stunden geschlafen hatte, machte er sich wieder auf und wanderte den ganzen Tag und die ganze Nacht, weil er nicht erwarten konnte, zu sehen, was für Gesichter seine Eltern wohl machen würden.

Aber es ging nicht so aus, wie er gedacht hatte, denn seine Mutter, statt die Hände zusammenzuschlagen, blickte mit traurigen und der Vater mit finsteren Augen auf die Herrlichkeiten, die den Eichentisch bedeckten.

Wo er solches wohl her habe, fragte die Mutter endlich leise.

Da lachte er und erwiderte, das sei ihm so zugefallen und sie möchten es sich nun schmecken lassen und einsehen, daß er wohl doch nicht ganz auf den Kopf gefallen sei.

»Räume das fort!« sagte der Vater und stützte die Faust auf den Tisch. Und so drohend war sein Wort, daß der Knabe trotzig gehorchte. »Nicht, dann nicht!« erwiderte er in Gedanken, trug den Korb in die Heide, aß allein zu Abend und verbarg dann den Rest sorgfältig vor den Füchsen und Vögeln.

Zu Hause wurde nichts mehr darüber gesprochen, und da sie in der Einöde lebten, so kam auch keine Kunde von den Wunderdingen aus der Königsstadt zu ihnen.

Der Knabe aber dachte Tag und Nacht, wie er mit der goldenen Kugel mehr erwerben könnte als nur Speise und Trank. »Dieses war nur der Anfang«, dachte er, »es muß noch besser kommen.«

Und wie er einmal wieder über die Heide ging, traf er einen Pechsammler, der ging zu den großen Wäldern und erzählte ihm, daß der König zu einem großen Kriegszug rüste, um das Nachbarreich zu erobern. Da horchte der Knabe auf, fragte den Mann aus, als wollte er selbst teilnehmen daran, und nahm dann freundlichen Abschied.

Am Abend sagte er seinen Eltern Lebewohl, meinte, daß er vielleicht länger ausbleiben würde und daß auch der Nichtsnutzige zuweilen mehr heimbringen könne als Speise und Trank; dann nahm er die goldene Kugel aus dem Versteck und lief die ganze Nacht unter den Sternen dahin, bis zu der Stelle, wo die große Heerstraße den Wald durchschritt.

Und als er sich etwas ausgeruht hatte, sah er schon von ferne die Staubsäule, die über der Kriegsmacht des Königs sich erhob und immer näher rückte. Er kauerte still in seinem Versteck und gab wohl acht auf alles, was an ihm vorüberzog, Krieger und Pferde, Saumtiere und Lastesel, Rüstung und Waffen. Und als schließlich der König selbst mit seinen Söhnen langsam an ihm vorüberritt, nahm er schnell den kleinen Hammer, und die Zaubertöne hoben sich klingend und herrlich über den Wald.

Da lachte er aus Herzenslust, als er hoch und gering aus den Sätteln springen sah, so eilig, als hätten sie auf Feuer gesessen, und als der große Tanz des Kriegsvolkes begann und Tausende von Pferden wie zur Schlacht wieherten. So wohl gefiel es ihm, daß er gar nicht aufhören konnte, den Hammer zu schwingen, obwohl er sah, wie der Schweiß den Tanzenden von der Stirne lief.

Aber endlich schien es ihm doch Zeit, ein Ende zu machen. Er ergriff das Pferd des ältesten Königssohnes am Zügel, das ihm besonders wohlgefiel, belud es mit Gold und Waffen und Gewändern, vergaß auch nicht Speise und Trank und machte sich dann lachend davon, und noch lange klang der Glockenton über die Wälder und stand wie ein unbesieglicher Zauber über dem tanzenden Heer.

Als er heimkam, war der Vater zornig, ergrimmte in seinem Herzen und wies ihn für immer aus dem Hause. Und so machte er sich zu einem alten Schafstall auf, der verlassen und halb zusammengesunken in der Heide stand, richtete sich dort ein, und wenn ihn hungerte, setzte er sich auf das Pferd, ritt bis an die Küste des Meeres, wo Räuber und Gesindel lebten, und tauschte dort Waffen oder Gewänder gegen alles ein, wonach sein Magen verlangte.

Und mit jedem Ritt wuchs ihm der Übermut, und er sann schon darüber nach, wie er etwas Bleibendes erwerben könnte, das ihm nicht unter den Händen zerränne wie Gold oder die andere kleine Beute, die er gewonnen hatte.

Von nun an begann er, sich immer häufiger in der Königsstadt zu zeigen, in kostbare Gewänder gekleidet, daß niemand ihn erkenne. Er hielt seine listigen Augen immer offen, und es dauerte nicht lange, so hatte er seinen Plan gefaßt.

An dem Tage, an dem das große Maifest gefeiert wurde und der König mit seinem ganzen Hofstaat sich unter das Volk mischte, ließ er sein Pferd in einem Gebüsch am Flußufer, mischte sich unter die Menge und gelangte bis zu der Festwiese, wo der König mit den Seinen unter einem Purpurzelt saß. Die älteste Prinzessin ging im Reigen mit den Mädchen des Volkes, und sobald der Knabe sie erblickte, trat er näher, nahm die Kugel aus dem Gewand und ließ den Hammer an ihre goldene Krümmung schlagen.

Da gab es nun einen Tanz, wie er ihn noch nie gesehen hatte, und ehe die Prinzessin es sich versah, war sie von den Armen eines Fremden aufgehoben und aus dem tanzenden Gewühl getragen, immer weiter und weiter, bis auf den Rücken eines Pferdes, wo er ihr die Hände mit einer goldenen Schnur band, und so führte er sie über die Heide.

Als er Kugel und Hammer im Gewand verbarg, fragte sie ihn zornig, was das bedeute und ob sein Kopf ihm zu lose auf den Schultern sitze.

Aber er lächelte freundlich, hielt sie vor sich im Sattel fest und erwiderte, daß er sie zu heiraten und auf dem königlichen Thron zu sitzen gedenke.

Da lachte sie voller Verachtung und sagte nur: »Es hat noch niemand auf meines Vaters Thron gesessen, der so nach Schafschmutz riecht wie du.«

Da hieß er sie zornig schweigen und meinte nur, auch sie werde bald erfahren, wie Schafschmutz rieche, und der Hochmut werde ihr bald vergehen.

So lebte nun die Prinzessin im Schafstall, weinte des Nachts bittere Tränen, mußte das Essen für den Knaben kochen und sann die ganze Zeit hin und her, wie sie in den Besitz der goldenen Kugel und ihres Zaubers gelangen könnte. Er aber lag ihr ständig in den Ohren, daß sie nur ihr Jawort zu geben brauche, um herrlich und in Freuden an seiner Seite zu leben.

Einmal nun, als der Knabe wieder an das Meer geritten war, nachdem er die Tür sorgsam verwahrt hatte, sah sie, am Herde sitzend, wie ein goldener Sonnenstrahl durch das schadhafte Dach auf den Lehmboden zu ihren Füßen fiel. Da stand sie schnell auf, holte die lange Leiter, die sie unter dem alten Heu und Stroh gesehen hatte, stellte sie auf den Herd, bis sie an einen der Dachbalken reichte, riß oben das zermürbte Schilf mit ihren weißen Händen auseinander, glitt am tiefen Dach herunter und lief bald über die Heide, so schnell ihre Füße sie tragen konnten. Und so froh war ihr ums Herz, daß sie laut zu singen begann, als gebe es keine Gefahr mehr für sie auf der ganzen Erde.

Wie sie nun vielleicht schon eine Meile von dem Schafstall entfernt war, fing sie an langsam zu gehen und bedachte nun erst, in welcher Richtung wohl ihre königliche Heimat liegen mochte. Und wie sie so unschlüssig vor sich hinging, sah sie plötzlich in einer Sandmulde einen Zwerg sitzen, der hatte seinen großen Kopf in beide Hände gestützt und sah sie traurig an. Und da sie mitleidigen Herzens war, so trat sie näher und fragte ihn, weshalb er so traurig sei.

Da erzählte er ihr die Geschichte der goldenen Kugel und daß er ohne sie keine Macht habe, an den bösen Knaben zu gelangen.

Da schrie die Prinzessin laut auf, klatschte in die Hände und berichtete ihm von ihrem Los. »Und er riecht nach Schafschmutz!« setzte sie empört hinzu.

Der Zwerg nahm ihre rechte Hand zwischen seine alten Hände und sagte: »Wenn du mich ein bißchen lieb hast, so darfst du nun noch nicht nach Hause eilen, sondern mußt wieder in den Schafstall zurück. Sieh diese Nadel, die ich dir gebe. Mit ihr mußt du, wenn er schläft, dieses Zeichen in die goldene Kugel ritzen. Und dann wirst du schon sehen, was geschehen wird. Sieh nur zu, daß er mit dem Hammer an sie schlägt.«

Und er ritzte mit der Nadelspitze ein Zeichen in ihre Handfläche, das sah aus, als wären zwei Dreiecke ineinander geschlungen.

Da versprach die Prinzessin es, wenn auch mit schwerem Herzen, und er begleitete sie, bis das tiefe Schilfdach über den Baumwipfeln zu sehen war.

Nach einigen Tagen kam der Knabe müde von seiner Reise zurück, befahl der Prinzessin seinen Reisesack auszupacken und legte sich gleich auf sein Lager, so schnell war er geritten.

Als er in tiefem Schlafe lag, stahl die Prinzessin sich leise an sein Lager, sah, daß er die Kugel mit beiden Händen an seinem Herzen hielt, nahm die Nadel und ritzte beim Schein des Torffeuers ganz vorsichtig das Zeichen in die goldene Oberfläche.

Und darnach schlief sie friedlich ein.

Am Morgen war sie so fröhlich, wie er sie noch nie gesehen hatte, und als er sie nach der Ursache fragte, erwiderte sie, daß sie ihren Sinn nun doch wohl ändern werde und daß sie vorher nur noch eine große Bitte habe.

Sie solle es nur sagen, meinte der Knabe herablassend.

Ja, sie möchte wohl, ehe sie eine Königin werde, noch einmal nach Herzenslust tanzen, und er möchte doch wieder einmal seinen kleinen Zauberhammer schwingen, damit die Füße ihr ganz leicht würden.

Das wollte er gern tun, sagte der Knabe, nahm die Kugel aus dem Gewand und schlug den Hammer gegen sie.

Aber wie wurde ihm zumute, als kein Glockenton erklang! Als nur ein dumpfer Ton aus der Zauberkugel sich erhob, so dumpf, als hätte er auf einen Lederball geschlagen. Er starrte auf das herrliche Gebilde in seiner Hand, und siehe, vor seinen Augen verwandelte das Gold sich in stumpfes Grau und die goldene Fläche in ein Gewirr grauer Fäden, und was er in Händen hielt, war nichts als ein großes Knäuel Schafwolle, und die grauen Fäden fielen von dem Knäuel und spannen sich lautlos um seine Hände und seinen Körper und seine Füße, und er mußte die Fäden um seine Hand wickeln, immer schneller und schneller, damit er nicht unter ihnen erstickte und ganz gefangen wurde.

Die Prinzessin aber stand lachend daneben und sah ihm zu. Sie tanzte nicht, sie stand ganz still und sah, wie seine Hände hin und her flogen, und noch niemals hatte sie jemanden gesehen, der ein Wollknäuel so schnell abwickelte wie er. Und es wurde nicht kleiner, so sehr auch seine Hände flogen. Es blieb immer so groß, wie es gewesen war, und auch das Knäuel, das er um die Hand wickelte, wurde so groß wie die Kugel und nicht größer und kleiner.

»So, nun hast du wohl dein Handwerk gefunden«, sagte die Prinzessin ruhig, schloß die Tür hinter sich ab und ging ein Stück in die Heide hinaus, wo der Zwerg still in der Sonne saß und auf sie wartete. »So ist es gelungen«, sagte er und dankte ihr. »Und nun wird mein Herz wieder froh werden.«

Als sie beide in den Schafstall zurückkehrten, saß der Knabe noch immer da und wickelte die Wollknäuel, so schnell, wie ehemals die Füße der Tanzenden sich nach seinem Befehl bewegt hatten. Der Zwerg sah ihm eine Weile zu und sagte dann: »Siehst du, mein Bursche, gestohlenes Gut ist niemand hold.«

Und er berührte das Knäuel in des Knaben linker Hand, und sogleich erglänzte unter seiner Hand die goldene Kugel, die nahm er und barg sie in seinem Kleid. Das andere Knäuel aber behielt der Knabe in seinen Händen, und so viele Fäden er auch davon abwickeln mochte, so viel neue wuchsen ihm nach.

»Da hast du nun zu tun dein Leben lang«, sagte der Zwerg, »und sobald du aufhörst, sobald werden die Fäden dich umwickeln und ersticken. Und so geht es allen, die ihre Hand ausstrecken nach fremdem Gut und die sich eine Krone auf ihren Dummkopf setzen wollen.«

Und er nahm Abschied von der Prinzessin, versprach ihr, immer zu kommen, wenn sie ihn rufe, und hieß sie das Ende des Fadens in die Hand nehmen und daran den Knaben bis in ihr väterliches Haus zu führen. Und sie brauche nicht Sorge zu tragen, daß er ihr entweiche.

Da wickelte nun die Prinzessin ein langes Stück des Fadens ab und ging damit auf die Heide hinaus, und sobald sie sich umdrehte, sah sie hinter sich den Knaben, wie er mit beiden Händen die Wolle wickelte, als hätte er sein Lebtag nie etwas anderes getan.

Da war nun ein großer Zulauf des Volkes in der Stadt, und viele erkannten ihn wieder und schmähten ihn und wünschten ihn am Galgen zu sehen. Aber alles verging vor der großen Freude, daß die geliebte Königstochter wieder da war.

Der König wollte ihn gleich an den Galgen hängen lassen, den Raben zur Speise, aber die Prinzessin bat für ihn und meinte, ein Leben lang Wolle zu wickeln, sei eine größere Strafe als in einem Augenblick vom Leben zum Tode zu gelangen.

Da saß er nun auf den Stufen, die zum Thronsaal führten, so daß alles Volk ihn sehen konnte, und dachte mit Sehnsucht an die Tage seiner Herrlichkeit. Und tröstete sich damit, daß die Prinzessin ihm versprochen hatte, den Zwerg um seine Erlösung zu bitten, sobald er Reue empfinde und sich bessern wolle.

Bis dahin aber wurde er von Haus zu Haus geschickt, wo die Wolle eben gesponnen war, und keine Hausfrau erinnerte sich, jemals jemanden gesehen zu haben, der so eilig und geschickt war, die Wolle in saubere Knäuel zu wickeln. Und aus allen Nachbarhäusern kamen die Frauen und Kinder und sahen zu, wie seine Hände flogen. Und wie er sich daran gewöhnt hatte, war es ihm gar nicht unlieb, daß er so viele Bewunderer um sich sammelte, prahlte von seinen Tagen und sagte: »Wartet nur, was aus mir noch werden wird!«

Aber dann lachten sie ihn aus und riefen: »Warte nur, bis die Zwerge kommen!«

Dann erschrak er, beugte sich über sein Knäuel und wünschte sich im stillen, daß alle Kugeln der Welt viereckig sein möchten und nicht rund, damit er sie besser halten könnte und sie ihm nicht unter den Händen fortliefen.

So dumm war er mit seinen siebzehn Jahren.

Und so blieb er auch.

* * *


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