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Der Todweber

In einer Hütte am Rand eines großen Waldes lebten einmal ein Mann und eine Frau, die hatten jeder einen Webstuhl und waren wegen ihrer Kunst und ihres Fleißes weit in der Runde angesehen und wohlgelitten. Und wenn auch ihr Tagewerk mühsam war und der Rücken ihnen am Abend schmerzte, so waren sie doch zufrieden, denn sie hatten ihr gutes Auskommen, und selbst aus der Königsstadt kamen die Frauen und Töchter der Vornehmen, um einen Teppich oder ein Gewand bei ihnen zu bestellen, denn an keinem Webstuhl des Landes gab es so leuchtende Farben oder so kunstvolle Muster, in denen Bäume und Vogel, Blumen und Menschengesichter ihr zauberhaftes Wesen trieben.

Aber als sie nun langsam älter wurden und alles besaßen, was ihre bescheidenen Herzen sich wünschten, wurde die Frau immer trauriger, denn sie hatten kein Kind, und gerade dieses wünschte die Frau sich aus Herzensgrund.

Der Mann versuchte sie zu trösten und hielt ihr oft vor, daß die Kinder immer Sorgen brächten, sei es daß sie krank würden oder gar ein böses Herz besäßen. Aber die Frau erwiderte, daß die Mutterliebe selbst ein böses Herz mit Liebe umfange, und bald darauf begann sie, alle klugen Frauen in der Nähe und Ferne aufzusuchen und mit kostbaren Geschenken um Rat und Hilfe zu bitten.

Doch blieb alle ihre Mühe umsonst, und sie begann mit dem Schicksal zu hadern und böse mit Gott zu sprechen, als ob er schuld an ihrer Unfruchtbarkeit wäre.

Eines Abends nun, als der Mann über Land gegangen war und sie müde und in bitteren Gedanken vor ihrem Webstuhl saß, pochte es an die Hüttentür und ein vornehmer Fremder trat ein, von dem sie meinte, er sei aus der Königsstadt und wolle für seine Liebste einen Teppich bestellen. Aber er lächelte nur auf ihre Frage, lehnte sich nachlässig über den Webstuhl, spielte mit dem Gehänge seines Schwertes und sagte endlich, daß ihr Kummer ihn dauere und daß er wohl Rat wisse, wenn sie auf eine kleine Bedingung eingehen wolle.

Da schämte sich die Frau, daß ein Fremder von ihrer Not wußte, aber dann erwiderte sie doch, daß sie alles tun wolle, wenn sie nur ein Kind an ihrem Herzen wiegen könnte.

»Nichts leichter als das«, sagte der Fremde, »und in einem Jahr soll die Wiege schon neben diesem Webstuhl stehen, wenn du mir einen kleinen Teil von dem Neugeborenen versprichst, also daß ich ihn mir einfordern kann, sobald es mir Zeit scheint.«

»Was für einen Teil?« fragte die Frau erschreckt.

»Das läßt sich nicht so sagen«, erwiderte der Fremde, »aber es ist unbedeutend, und ihn herzugeben, macht nicht die geringsten Schmerzen, und kein anderer Mensch kann sehen, daß er fehlt.«

»Wenn es nun aber ein Auge wäre?« fragte die Frau.

Da lachte der Fremde und meinte, ein Auge hinzugeben, würde wohl Schmerzen machen und auch nicht unbemerkt bleiben.

»Aber wenn es nun eine Hand wäre oder ein Fuß?« fragte die Frau wieder.

Wieder lachte der Fremde, und nachdem er zu allen ihren Fragen den Kopf geschüttelt hatte, wurde die Frau bange, daß er des Handels müde werden könnte, und willigte in den Vertrag, obwohl ihr das Herz ein wenig schwer war und die Augen des Fremden ihr in der Dämmerung plötzlich zu glühen schienen wie Kohlen in der Asche.

»So ist es recht«, sagte der Fremde zum Schluß und reichte ihr ein kleines Fläschchen, das war mit einer klaren Flüssigkeit erfüllt. »Nimm davon an jedem Abend drei Tropfen, und es wird dir nicht an dem fehlen, was du dir wünschest.«

Und damit nickte er ihr zu, lächelte noch einmal auf eine seltsame Weise und war in der Dämmerung verschwunden, ohne daß sie die Tür gehen hörte.

Die Frau verbarg die Begegnung vor ihrem Mann, und nachdem sie sieben mal sieben Tage die Tropfen getrunken hatte, war das Fläschchen leer und sie fühlte sich gesegneten Leibes. Und als sie es ihrem Mann offenbart hatte, waren sie beide froh und besprachen schon miteinander, was der Knabe einmal werden sollte, denn sie hatten keinen Zweifel, daß es der schönste Knabe werden würde, den es jemals auf der Welt gegeben hatte.

Und als ein Jahr vergangen war, stand die Wiege wirklich neben dem Webstuhl, wie der Fremde gesagt hatte, und ein schöner Knabe lag darin und spielte mit den bunten Fäden, die von dem Holz herunterhingen. Und die Frau war so glückselig, daß sie einen Teppich für den Fremden zu weben begann, wenn er einmal wiederkäme, und darauf war Gottvater zu sehen, wie er das Licht von der Finsternis schied, und etwas Schöneres hatten ihre Hände noch niemals fertig gebracht.

Doch verging ein Jahr nach dem andern, ohne daß der Fremde wiederkam, und der Teppich hing über dem Bett des Knaben, der nun heranwuchs, und in der Abenddämmerung, bevor die Augen ihm zufielen, freute er sich an den bunten Fäden, und nur das Gesicht in der Mitte des Teppichs war ihm unheimlich mit den großen Augen, die alles zu sehen schienen, was in dem kleinen Raum vor sich ging.

Die Frau hätte nun gern gleich einen Prinzen aus dem Knaben gemacht, so herrlich erschien er ihr, aber der Mann verbot ihr alle törichten Gedanken, und als der Knabe groß und verständig genug geworden war, hielt er ihn an, täglich eine Reihe von Stunden am Webstuhl zu sitzen und unterwies ihn in seiner Kunst, daß sie nicht mit seinem Tode verloren gehe und nur wie eine Sage unter den Leuten bleibe. Und obwohl der Knabe nur widerwillig sich zu diesem Handwerk weisen ließ, zeigte sich bald, daß in seinen Händen und Augen eine wunderbare Kraft lebte, also daß die Vornehmen aus der Stadt sich noch mehr als sonst in der kleinen Hütte drängten, um ihm zuzusehen, wie das Bildwerk unter seinen Händen wuchs und strahlte und leuchtete.

Je mehr Ruhm der Knabe aber erwarb, desto verhaßter war ihm sein Tun, gerade als ob ein Zauber ihn zwänge, dem er sich nicht entwinden konnte, und eines Abends, als die Mutter allein neben ihm stand, schleuderte er das Schiffchen beiseite und rief: »So möchte ich wohl lieber dem Teufel meine Seele versprechen als vom Morgen bis zum Abend über diesen Fäden sitzen!«

Da erschrak die Mutter, erinnerte sich des Fremden und beschwor ihn, doch solche Gedanken aus seiner Seele zu verbannen.

Der Knabe aber stand mißmutig auf, nahm seine Flöte, die er kunstvoll zu spielen verstand, und ging in den Wald, in dem es schon dämmerte und in dem der Schwarzspecht klagend den kommenden Regen anzeigte.

Da saß er am Rande einer Lichtung und versuchte, auf seiner Flöte den Vogelruf nachzuahmen, und je klagender der schwarze Vogel rief, desto schriller erklang seine Flöte. Und wie er nun mißmutig auch dieses Spiel ließ, kam plötzlich ein Fremder über die Lichtung, blieb vor ihm stehen, spielte mit dem Gehänge seines Schwertes und sagte lächelnd: »Mir scheint, man ist seines Lebens nicht ganz froh?«

Da erzählte der Knabe alles, was ihn bedrückte, und daß er reich sein möchte wie die Vornehmen, die in seine Hütte kamen, und daß er sein halbes Leben dafür hingeben möchte.

»Das hast du schon«, sagte der Fremde und lächelte wieder. »Aber du dauerst mich, und ich will dir helfen, denn es gibt so eine Art von Verwandtschaft zwischen uns. Nur von dem Webstuhl dich befreien, das kann ich nicht. Dort wurdest du ins Leben gerufen, und dort mußt du auch sterben. Aber das kann ich dir schenken, daß deine Kunst so groß wird, daß die Menschen sie mit Gold mehr als zehnfach aufwiegen werden und daß du nicht mehr als eine Stunde des Tages dazu brauchst. Bist du es so zufrieden?«

Da zögerte der Knabe etwas, denn eben rief der Schwarzspecht, und es klang, als lache jemand gellend und höhnisch. Aber dann schlug er doch ein und fragte nur, was er dagegen zu leisten habe.

»Nichts«, erwiderte der Fremde. »Unser Vertrag ist schon längst geschlossen, und dies tue ich nur, weil du mir wie ein Sohn bist.«

Und dabei winkte er nachlässig mit der Hand und war verschwunden wie ein Nebelstreif.

Der Knabe aber ging langsam und in Gedanken heim.

Nun traf es sich, daß am nächsten Tage der Kanzler des Königs in die Hütte kam und einen besonders schönen Teppich für sein Schlafgemach bestellte, und er wünschte, daß der Knabe ihn webe, von dessen Kunst er schon soviel vernommen habe.

Der Knabe war bereit, aber er verlangte einen so ungeheuren Lohn, daß die Mutter sich bekreuzigte und der Kanzler zornig wurde. Doch blieb der Knabe bei seinem Willen, und nachdem der Kanzler überdacht hatte, daß er mit einer neuen Steuer leicht das Vielfache des Lohnes gewinnen könne, fügte er sich, denn er war ein harter Mann und wußte den letzten Taler aus dem Sparstrumpf der ärmsten Witwe zu pressen.

Als er fortgeritten war, schwieg der Knabe zu allen Vorwürfen seiner Mutter, und als die Eltern zur Ruhe gegangen waren, setzte er sich an den Webstuhl, um mit der Arbeit zu beginnen. Aber es war ihm seltsam dabei zumute, denn das Schiffchen flog von selbst, kaum daß er die Hände zu rühren brauchte, auch seufzte das Holz des Stuhles wie Menschenseufzer, und er vermochte seine Augen nicht zu dem Gewebe aufzuheben, so sehr ihn darnach verlangte. Der kalte Schweiß trat ihm auf die Stirne, und als er aufspringen und aus der Hütte stürzen wollte, sah er mit Grausen, daß der Teppich fertig war, als ob er eine Woche lang vom Morgen bis zum Abend darüber gesessen hätte, daß seine Farben so leuchteten, als seien alle brennenden Blumen eines Gartens darüber ausgeschüttet, und daß in der Mitte mit schwarzen Fäden ein Richtblock gewebt war, in dem ein Beil steckte, von dessen Schneide es rot heruntertropfte.

Da stand der Knabe lange Zeit und starrte auf sein Werk, und dann schlich er mit zitternden Knien auf sein Lager, bedeckte seine Augen mit den Händen und lag so die ganze Nacht, ohne Schlaf zu finden. Am Morgen aber verbarg er das Gewebe, daß seine Eltern es nicht sähen.

Als der Kanzler nun wieder zur Hütte geritten kam, erblaßte er zuerst, als er den Teppich sah, aber dann lachte er laut auf und meinte, der Knabe möge sich doch vielleicht besser versehen mit solchen Scherzen. Da aber der Teppich so schön sei, wie kein König ihn besitze, so wolle er das Mittelstück gern in Kauf nehmen, zahlte den versprochenen Lohn und ritt wieder davon.

Von diesem Teppich wurde viel geredet, landauf und landab, als nach einem Monat der Kanzler auf Befehl des Königs in den Kerker geworfen wurde, da das bedrückte Volk sich empörte, und als er nach sieben mal sieben Tagen sein Haupt auf den Richtblock legte.

Aber nun war es, als ob die Tür der Hütte nicht mehr still stehen wollte und als ob die Königsstadt ihre reichsten und vornehmsten Bewohner nirgendwo anders hinzuschicken hätte als in das arme, kleine Haus am Walde. Und obwohl der Knabe nie mehr als einen Auftrag für die Woche annahm, so häufte sich doch das Gold in seiner Kammer, und er hätte längst mit seinem Gewerbe aufhören und ein Schloß anstelle der Hütte erbauen können, wenn die Habsucht nach dem Golde ihn nicht ergriffen und mit tausend Krallen festgehalten hätte. Und so wie eine fremde Gewalt ihm die Hände beim Weben führte, so schien sie auch sein Herz zu führen, also daß er alle kindliche Fröhlichkeit verlor und nur froh war, wenn seine Hände in Bergen von Gold wühlen konnten.

Als es sich nun aber bei jedem Male erwies, daß jeder Käufer, der die Hütte betrat, nicht nur ein strahlendes Gewebe, sondern auch den Blick auf sein Schicksal erwarb, drängten sich wohl die Vornehmen und Neugierigen immer mehr zu ihm, aber das Volk blickte mit Grauen auf ihn, wo immer er sich zeigte, und nannte ihn nicht anders als den Todweber, wiewohl in seinen Teppichen oft genug ein Ruhmeskranz oder eine goldene Schale oder eine Wiege statt des Todes erschien.

Das ging solange, bis eines Tages der älteste Sohn des Königs mit seiner Schwester heimlich um die Abendzeit in der Hütte erschien, und die Saumpferde konnten die Last des Goldes und der Edelsteine kaum tragen, die ihnen aufgeladen worden war. Da erschrak der Knabe und weigerte sich, an den Webstuhl zu gehen, aber als die Geschwister die Schätze vor ihm ausbreiteten und ihn fast kniefällig um sein Werk baten, vermochte er nicht zu widerstehen und bat sie, in drei Tagen wiederzukommen, ihm aber nicht anzurechnen, was in dem Gewebe zu sehen sein würde.

Das versprachen sie auch und lächelten heimlich über seine Angst, aber als sie wiederkamen und die beiden zusammengerollten Teppiche empfingen, zauderten sie doch, sie zu öffnen, und erst fern von der Hütte, im letzten Tageslicht, stiegen sie von den Pferden, öffneten die Rollen und starrten lange auf das, was sie erblickten. Und erst als sie wieder im Sattel saßen, kam ihnen die Sprache wieder, und sie versuchten, mit Lachen und Scherzen das leise Grauen fortzutreiben, das ihnen zwischen den Schultern saß.

Es zeigte nämlich der eine Teppich einen Galgen auf einem verlassenen Hügel und der andere eine Frau in Ketten, die an einem Strick fortgeschleppt wurde, soviel sie sich auch wehrte.

Der Knabe aber begann um diese Zeit, seine Schätze im Walde zu vergraben und den Ort unkenntlich zu machen.

Von diesen Dingen kam zuerst nur ein dunkles Gerücht in das Volk, aber es wuchs und verbreitete sich immer mehr und griff solange um sich, bis eines Abends ein verhüllter Mann in der Hütte erschien, dessen Haar war schon weiß, soviel man erkennen konnte. Der stand lange vor dem Knaben, betrachtete ihn und strich mit der Hand wie in Gedanken über den Webstuhl. Und der Knabe sah, daß ein herrlicher Ring an der Hand steckte, obwohl der Mann sie gleich wieder in seinem Mantel verbarg.

»Scheint es dir recht, für Gold und Edelstein das Glück der Menschen zu verkaufen und ihre Herzen zu verwirren?« fragte der Mann endlich.

Der Knabe schüttelte den Kopf. »Wer hinter den Vorhang blicken will«, erwiderte er, »darf nicht erschrecken, wenn ein Gespenst ihn ansieht.«

»Und du selbst«, fragte der Mann weiter, »hast du dein Schicksal schon gewoben?«

Wieder schüttelte der Knabe den Kopf. »Es verlangt mich nicht nach solchem Wissen«, sagte er.

»Wie nun«, fragte der Mann weiter, »wenn ich deinen Webstuhl in Splitter schlagen und dich in den Kerker werfen ließe?«

Der Knabe lächelte. »Wahrscheinlich«, erwiderte er, »würde ich auch an den Gittern meines Kerkerfensters weben können, und die Spinnen würden mir die Fäden geben. Auch eines Königs Hand kann einen fließenden Strom nicht aufhalten.«

»Aber sie kann ihn rot färben von Blut«, sagte der Mann.

»Es wird nicht das meinige allein sein«, erwiderte der Knabe.

Eine Weile schwieg der Mann, an den Webstuhl gelehnt, und nur seine Augen leuchteten finster aus dem verhüllten Gesicht. Dann legte er die Hand um den Griff eines Schwertes, dessen Form der Knabe unter dem Mantel erkannte. »Setze dich nun hin und webe!« sagte der Mann, und es war, als sollte die Klinge gleich aus dem Mantel herausfahren.

»Wie du willst«, sagte der Knabe trotzig.

Und als er nach einer Stunde den Blick hob, schweißbedeckt und todmüde in allen Gliedern, sah er, daß das ganze Gewebe von Kronen bedeckt war, herrlich funkelnd in allen Farben des Regenbogens, aber jede Krone war in der Mitte zerbrochen, und rote Fäden hielten die beiden Hälften mühsam zusammen.

Da riß der Mann den Teppich aus dem Webstuhl, trat mit seinen Eisenschuhen darauf und ging aus der Hütte, ohne sich umzublicken.

Noch aber war nicht ein Monat vergangen seit diesem Abend, da fiel der König des Nachbarreiches mit einer gewaltigen Streitschar über das Land, und ehe acht Tage um waren, war das Land verwüstet und die Königsstadt ein Haufen von Trümmern, und der König ging im weißen Haar, in einen dunklen Mantel gehüllt, an einem Bettelstab aus seinem Reich. Seinen Sohn aber hingen die Feinde an den Galgen, und die Prinzessin führten sie in Ketten als eine Sklavin fort.

Da graute es den Knaben vor seiner Kunst, und er rührte den Webstuhl nicht mehr an, so sehr auch die Eroberer Gold und edle Steine vor ihm ausbreiteten. Und er trachtete darnach, den Fremden wiederzufinden, um seinen Vertrag mit ihm zu lösen. Aber soviel er den Wald durchstreifte und auf seiner Flöte blies, der Fremde blieb verschwunden, und nur der Schwarzspecht lachte höhnisch zu dem Lied seiner Flöte.

Da wurde das Herz des Knaben ohne Freude, und auch seine Schätze waren ihm verhaßt, und er bereute, was er getan hatte. Und als seine Eltern schnell nacheinander starben und er ganz allein war, saß er viele Stunden des Tages vor seinem Webstuhl, die Stirn an das kühle Holz gelegt, und wußte nicht, wozu er auf der Welt war.

Und als nach Jahresfrist der entthronte König mit einem neuen Heer wiederkam und die Feinde schlug und wieder auf seinem Throne saß, ohne Kinder und von Gram erfüllt, mietete der Knabe eines Tages viele Maultiere, belud sie mit seinen Schätzen, die er aus dem Walde ausgegraben hatte, und führte sie vor den Königspalast. Dort warf er sich vor den Stufen des Thrones nieder und sprach? »Du bist nun ärmer als ich, Herr König, denn dein Fleisch und Blut ist von dir gegangen. Nimm nun alles, was ich besitze, und gib den Armen davon. Es ist unrecht Gut, aber in den Händen der Armen kann es noch einmal gedeihen.«

Da sah der König ihn mit seinen traurigen Augen an und sagte: »Einmal zürnte ich dir, weil du sahst, was meine Augen nicht sahen. Aber nun meine ich, daß du noch ärmer bist als ich, denn ärmer ist niemand als der, vor dem das Schicksal sich nicht mehr verhüllt. Gott hat ihm die Hoffnung genommen, und es ist, als habe er ihm sein letztes Kleid genommen. Mit deinem Gold aber will ich tun, wie du begehrt hast.«

Da führte der Knabe seine Maultiere wieder zurück, gab sie ihren Besitzern ab und war am Abend wieder in seiner Hütte. Und wie er vor dem leeren Webstuhl saß und nicht wußte, ob er leben oder sterben sollte, klopfte es an seine Hüttentür, und ein fremder Knabe trat leise ein, dessen Stirn und Haar waren so hell, daß die Hütte davon erleuchtet schien wie von einem fernen Licht. Der lehnte sich an den Webstuhl, wie der König damals getan hatte, sah den Knaben freundlich an und sagte: »Heute um Mitternacht wollte der andere zu dir kommen, den du einmal im Walde trafst. So habe ich ihm den Weg abgenommen, weil dein Herz traurig ist. Nimm nun die Fäden, die hier hängen, und webe ein Kleid für dich, denn deine Seele friert, und es ist ihr nötig, sich zu wärmen.«

Da erschrak der Knabe und wollte es nicht tun, aber der Fremde sah ihn gütig an und sagte: »Hast du für soviele das Schicksal gewoben und fürchtest dich nun, es für dich selbst zu tun?«

Da schämte der Knabe sich, nahm die Fäden und begann, das Schifflein hin und her zu werfen. Und wie die Arbeit vorwärtsging, wurde ihm immer leichter ums Herz, so als ob sein Körper zu fliegen beginne, und es war ihm, als hörte er seine Flöte von ferne oder den Klang von hellen Glocken. Der fremde Knabe aber sah ihm lächelnd zu und rückte hin und wieder mit seinen weißen Händen die Fäden zurecht.

Und dann stand er auf und ging lächelnd davon.

Den Knaben aber fand man am nächsten Morgen vor seinem Webstuhl sitzend. Es sah aus, als schlafe er, aber als sie ihn an der Schulter berührten, sahen sie, daß er tot war. Und er lächelte so, wie der Fremde gelächelt hatte.

Da sahen sie lange auf den letzten Teppich, den er gewebt hatte. In der unteren Hälfte war ein weißes Lamm, und aus seiner Wolle fielen rote Tropfen. Darüber aber war das Gewebe zerstört und wie ausgebrannt, und man sah nur einen Umriß wie von einem Gesicht, und es hatte dieselben Formen wie das Gesicht Gottvaters, das die Mutter in den Teppich für den Fremden gewebt hatte. Und obwohl der Teppich zerstört war, leuchtete er wie von einem fernen Licht, und die Menschen nahmen ihn vom Webstuhl, legten ihn sanft über das Gesicht des Toten und schlossen die Tür der Hütte leise hinter sich.

* * *


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