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Die Kinder und der Wichtelmann

Vor langer Zeit lebten einmal an einem alten Stromarm drei Besenbinderfamilien, die waren sehr arm, aber sie hatten jede ein Kind, und darüber vergaßen sie alle ihre Not. Ihre drei Hütten standen unter Weiden und den Birken des Altwassers, wo die Wasserhühner am Tage und die Frösche und Rohrdommeln in der Nacht lärmten, und die Kinder, solange sie noch nicht zu arbeiten brauchten, liefen den ganzen Sommertag nackend und bis zu den Hüften im warmen Wasser herum, fingen Fische und Salamander und meinten, daß es im Paradiese auch nicht schöner gewesen sei.

Derweil gingen ihre Eltern über Land, schnitten ihre Besenruten und kamen am Abend wieder, gebeugt unter den schweren Bündeln, und wenn die Kinder einen alten Hecht gefangen hatten, der schon Moos auf dem dunklen Rücken trug, freuten sie sich, lobten ihre Kinder und ließen es sich alle zusammen wohl schmecken.

Die drei lernten nun nicht allzuviel von der Schulweisheit der Menschen, aber sie kannten so viele Märchen, wie die junge Birke Blätter hatte, und was darin gesagt war von Treue und Tugend, von Wahrheit und Recht, das glaubten sie wie das Evangelium, und so gingen sie auf ordentlichen Wegen durch ihre Kinderzeit.

Sie hatten einander besondere Namen gegeben, mit denen sie sich riefen, wenn sie allein waren, und so hieß das Mädchen Linde, weil es so sanft und lieblich aussah, der ältere Knabe Blondel, weil sein schlichtes Haar so leuchtete wie die Sonne, und der jüngere Iwo-Iwo, weil er, wenn ihm etwas nicht gefiel oder er es nicht glaubte, »I wo!« zu sagen pflegte, und das hieß soviel wie »Keine Rede davon!«

Als sie nun größer geworden waren und die Eltern immer müder und gebeugter, kam es bald, daß sie nun selbst tagüber hinausgehen mußten, um die Ruten zu schneiden. Da war es nun vorbei mit den schönen Spielen im Altwasser, und so lustig es auch war, im Sonnenschein an den Mooren entlang zu streifen und zu sehen, wie das Bündel der Reiser wuchs, so war es im Regen und kalten Herbstwind doch ein bitteres Tagwerk, und manchmal weinte das Mädchen und wischte sich mit den erforenen Händen die Tränen von den Wangen. Dann stand der Knabe Blondel unglücklich daneben und erzählte ihr, daß er nun bald die Springwurzel finden würde, und dann dürfe sie nur in einem warmen Samtmantel auf einem Thron sitzen und werde nie mehr zu frieren brauchen.

Dann lächelte das Mädchen unter Tränen und sah ihn dankbar an. Iwo-Iwo aber ballte die Faust gegen die reichen Dörfer in der Ferne, wo sie ihre Besen verkauften und die Kinder ihnen Spottverse nachriefen. »I wo!« sagte er böse, »austreiben werden wir sie und in das Moor jagen, und jedes von uns wird ein ganzes Dorf haben und König darin sein!«

»Wirst du denn das auch können, König sein?« fragte das Mädchen. Und dann lachten sie alle ein bißchen und seufzten ein bißchen und machten sich wieder an ihre Arbeit.

Am Abend aber, als sie ihre Bündel heimtrugen und sich an einem Grenzhügel ein wenig ausruhten, sagte das Mädchen: »Gut sein ist doch besser als fremde Kinder ins Moor jagen.«

Da nickte der Knabe Blondel, aber Iwo-Iwo stand stumm, auf seinen Stab gestützt, und sah zu, wie das Abendrot über den fernen Dörfern verging.

Indessen blieb alles beim alten, aber eines Sommermorgens, als sie am Heiderand, wo das Moor anfing, Birkenruten zu schneiden begannen, erschraken sie auf einmal zu Tode, denn zwischen den niedrigen Wacholderbüschen, auf denen der Tau noch funkelte, kam ein kleines Menschenwesen herausgestürzt, das reichte den Kindern nur bis zum Knie, hatte aber einen grauen Bart und war ganz wie ein alter Mann, nur daß es so winzig aussah, daß sie fast lachen wollten.

Aber da sahen sie, daß eine Schlange sich hinter ihm her durch das Heidekraut ringelte, und sie sahen, daß sie den bösen Zickzackstreifen auf dem Rücken trug, und sie glitt so schnell hinter dem kleinen Wesen her, daß sie es bald erreichen mußte, denn für den kleinen Mann war das hohe Heidekraut wie ein Wald, der ihm bis zu den Augen reichte, und seine Kräfte erlahmten schnell.

»Eine Kreuzotter!« schrie Iwo-Iwo, und beide Knaben stürzten sich mit ihren Besenmessern auf die Schlange und teilten sie in zwei Hälften, die sich ohnmächtig auf der Erde hin und her wanden.

Das Mädchen aber saß schon im Heidekraut, hielt den Kopf des kleinen Mannes auf den Knien, wischte ihm den Schweiß von der Stirn und bat ihn, getröstet zu sein, da die böse Schlange schon tot sei.

Und wie sie nun alle drei um ihn herumhockten und sich verwunderten, was für ein Wesen aus ihren Märchen das wohl sein mochte, kam der kleine Mann wieder ganz zu sich, zog seine Mütze über dem grauen Haar wieder zurecht, sah sie freundlich an und sagte endlich: »So seid ihr die ersten Kinder, die mich sahen, denn ich bin ein Wichtelmann, und kein menschliches Auge hat mich noch erblickt.«

»Ein ganz richtiger Wichtelmann?« fragte Iwo-Iwo und verschlang ihn fast mit den Augen.

»Ein ganz richtiger«, erwiderte der kleine Mann lächelnd, »und ich habe mein ganzes Leben in den Dörfern verbracht, die um das Moor liegen. Aber die Kinder dort sind böse, und sie nahmen den Brei aus den kleinen Schüsseln, die die Alten mir hinstellten, und taten Sand hinein, und da wurde ich es müde und bin hierher gezogen und wohne unter der Erde in einem alten Kaninchenbau und will mit den Menschen nichts mehr zu tun haben. Und wenn ihr nicht da gewesen wäret, so würde ich schon tot sein, und niemand würde mich begraben haben.«

Und damit stand er auf und setzte seinen kleinen Schuh auf die tote Schlange.

Die Kinder baten ihn, noch zu bleiben und von seinem dunklen Haus zu erzählen, aber er schüttelte den Kopf und sagte: »Es ist nicht unsere Art, mit Menschenkindern zu sprechen. Aber wenn ihr weiter brav seid, so werdet ihr schon ab und zu etwas von mir merken und werdet dessen, so hoffe ich, froh sein.«

Und damit winkte er ihnen freundlich zu, und ehe sie sich versahen, war er im Heidekraut und zwischen den Wacholderbüschen verschwunden, und sie sahen einander an, als ob ihnen das Ganze geträumt hätte.

Den ganzen Tag und die halbe Nacht sprachen die Kinder davon, und Iwo-Iwo war ganz nachdenklich geworden und meinte endlich, man müßte herausbekommen, wo der Wichtelmann lebe und ob er nicht vielleicht verborgene Schätze in seiner Höhle habe. Aber die beiden anderen schalten ihn aus und fragten ihn, ob er ebenso böse sein wolle wie die Kinder in den Dörfern, und dabei blieb es denn.

Am nächsten Morgen aber, als sie wieder an den Moorrand kamen, schrie das Mädchen plötzlich vor Freude auf, denn vor den ersten Büschen, dort wo sie die Schlange erschlagen hatten, lagen sauber aufgeschichtet ganze Bündel von Besenreisig, soviel wie sie in einem halben Tag kaum zusammenbringen konnten. Da redeten sie aufgeregt durcheinander, wogen die Bündel in den Händen und riefen alle zusammen über das Moor hin: »Danke, lieber Wichtelmann! Danke, lieber Wichtelmann!«

Aber es war nun das Echo aus dem Walde zu hören und keine andere Antwort sonst.

Den beiden Knaben wäre es nun recht gewesen, in der Heide liegen zu bleiben, die Arme unter den Kopf zu verschränken und den weißen Wolken zuzusehen, wie sie durch den blauen Himmelsraum dahinzogen. Aber das Mädchen wollte nichts davon hören. »Wenn wir bis zur Mittagszeit fleißig sind«, sagte es, »dann haben wir unseren Vorrat fertig, und dann könnt ihr tun, was ihr wollt. Aber das hat der Wichtelmann sicherlich nicht gewollt, daß wir Tagediebe werden, sonst hätte er auch den ganzen Vorrat für uns schneiden können statt der Hälfte.«

So waren sie denn fleißig wie sonst, und um die Mittagszeit zündeten sie ein kleines Feuer an, brieten Kartoffeln in der Asche und ließen es sich wohl sein. Aber als die Augen ihnen in der warmen Sonne zufielen, vernahmen sie plötzlich in der Ferne das Lied einer Flöte, das klang so sanft wie der Ruf eines Pirols, und noch niemals hatten sie so etwas Schönes gehört. Da richteten sie sich auf und lauschten, und nun war es ihnen, als erklinge das Lied unter der Erde, aber so sehr sie lauschten und suchten, so war es bald hier und bald da, als wandere unter ihnen jemand einen dunklen Gang entlang, und endlich falteten sie nur andächtig die Hände und hörten zu.

»Das ist der Wichtelmann«, flüsterte das Mädchen, und die anderen glaubten es auch.

Von nun ab fanden sie an jedem Morgen die fertigen Bündel daliegen, und an jedem Morgen stellten sie nun eine kleine Holzschale mit Buchweizenbrei und einen Becher mit Honig dorthin, wo sie die Bündel gefunden hatten, und immer standen am nächsten Morgen Schale und Becher leer, aber sauber gewaschen da. Und sie freuten sich der stillen Freundschaft mit dem Unterirdischen und sprachen zu niemandem davon, auch zu ihren Eltern nicht, denn sie meinten, es würde dem kleinen Mann nicht recht sein.

So ging es wohl drei Jahre zwischen ihnen, und die Kinder wuchsen heran und dachten sich nichts anderes, als daß es immer und ewig so bleiben würde. Aber eines Sommermorgens, als sie wieder an das Moor kamen, um Schale und Becher zu holen, saß der kleine Wichtelmann dort in einer Sandkuhle, und obwohl die Sonne warm auf ihn herniederschien, hatte er eine Decke um seine Schultern gelegt und die Mütze tief in seine Stirn gezogen, und die Kinder sahen, daß ihn fror und daß sein altes Gesicht ganz klein und grau geworden war.

Da erschraken sie, und das Mädchen kniete bei ihm nieder und sagte: »Bist du krank, lieber Wichtelmann, und sollen wir dir einen Kräutertee kochen?«

Da lächelte der kleine Mann wie früher, streichelte die Wangen des Mädchens mit seiner welken Hand und sagte: »Du bist ein gutes Kind, aber das letzte Kraut ist schon für mich gepflückt, und ihr sollt euch keine Mühe mehr mit mir geben. Aber da ihr immer gut zu mir gewesen seid, besser als alle Menschenkinder, so bin ich noch einmal herausgekommen aus meinem dunklen Haus, um euch etwas zu geben, bevor ich sterbe.«

Da weinte das Mädchen und der Knabe Blondel, und selbst Iwo-Iwo sah bekümmert vor sich hin, und sie wollten den kranken Wichtelmann zu ihren Eltern tragen, damit er dort gepflegt und wieder gesund werde.

Aber der Wichtelmann schüttelte den Kopf. »Ach nein, liebe Kinder«, sagte er. »Unsereins kann nicht so sterben wie ihr. Unsichtbar muß ich dahingehen, wie ich gelebt habe, und nach meinem Tode kommen schon die Meinigen, um mich zu begraben, wie es Sitte ist bei uns. Aber vorher müßt ihr dieses ansehen.«

Und er schlug seine Decke zurück, und die Kinder sahen drei Säckchen zu seinen Füßen stehen, die waren aus Birkenrinde zierlich geflochten und mit einem grauen Samen gefüllt, wie manche der Waldsträucher ihn haben.

Da tauchte der Wichtelmann seine Fingerspitzen in das erste Säckchen, nahm ein paar Körner heraus, streute sie in den Sand und sagte:

»Wichtelmann läßt es euch sagen:
ewig sollt ihr Früchte tragen!«

Und wie er es gesagt hatte, wuchsen aus dem Sand ein paar grüne Blätter heraus, und aus ihnen ein hoher Stiel, und aus ihm eine große, rote, blühende Nelke, und neben ihr viele, viele andere, daß es leuchtete wie viele Edelsteine und die Kinder vor Entzücken aufschrien.

Und wieder tauchte der Wichtelmann seine Fingerspitzen in das zweite Säckchen, nahm ein paar Körner heraus, streute sie in den Sand und sagte:

»Wichtelmann läßt es euch sagen:
ewig sollt ihr Früchte tragen!«

Und wie er es gesagt hatte, wuchsen aus dem Sand ein paar grüne Halme heraus, die trugen an ihrer Spitze Ähren, viele und schwere Ähren, und jede war mit Weizenkörnern gefüllt, so wie die Kinder sie noch niemals gesehen hatten, und der Knabe Blondel streichelte sie und sagte leise: »Soviel Brot ,... für alle armen Besenbinderkinder.«

Bevor aber der Wichtelmann seine Hand in das dritte Säckchen tauchte, sah er die Kinder mit seinen müden Augen an und sagte: »Wir könnten es nun dabei lassen, denn mit Brot und Blumen und Arbeit läßt sich schon ein gutes Leben führen, und mehr habe ich auch nicht gehabt.«

Aber Iwo-Iwo blickte mit glänzenden Augen auf das dritte Säckchen und meinte, er möchte wohl gerne wissen, was darin sei.

Da seufzte der Wichtelmann ein bißchen, aber dann säte er auch diese Körner aus und sprach dazu seinen Zaubervers. Und wie er ihn gesagt hatte, lag auf dem weißen Sand ein Haufen von Goldstücken, die funkelten so, als hätte die Sonne dort ein paar Tropfen ihrer Glut verloren, und Iwo-Iwo beugte sich vor und starrte mit glänzenden Augen auf den kleinen Schatz, und dann seufzte er tief auf und sagte endlich leise: »Und das ist doch das Schönste von allem!«

Da schüttelte der Wichtelmann seinen grauen Kopf und sagte: »Das habe ich mir wohl gedacht, aber sieh nur zu, daß es dir nicht das Herz verbrennt!«

Und dann bat er die Kinder, sich jedes ein Säckchen zu wählen, und wenn sie wollten, könnten sie auch alle dasselbe wählen, und es brauchten nicht alle drei genommen zu werden.

Da sahen die Kinder einander an, ob nicht eines das andere kränken würde mit seiner Wahl, aber nur Iwo-Iwo fürchtete sich, daß eines ihm zuvorkommen könnte, und griff schnell nach dem dritten Säckchen. Da lächelten die beiden anderen, und das Mädchen nahm den Blumensamen und Blondel das Weizenkorn, und so waren sie alle zufrieden.

Der Wichtelmann aber sah ernst vor sich hin, zog die Decke fester um seine Schultern und sagte: »Nun müßte ihr zusehen, was daraus wird, und wohl achtgeben auf eure Hände und Herzen. Denn das Unterirdische, wenn es einmal in das Irdische eintritt, gibt seine Macht an die Menschenkinder ab, Glück wie Schuld, und ich möchte gern, daß ihr immer in Liebe an mich denkt.«

Da bedankten die Kinder sich sehr und versprachen es und drangen noch einmal in ihn, mit ihnen zu gehen, damit er wieder gesund werde. Aber er schüttelte nur den Kopf, streichelte noch einmal ihre Wangen und hieß sie dann an ihr Tagwerk gehen. Und als das Mädchen zwischen den Wacholderbüschen sich noch einmal umwendete, sah es die kleine Gestalt sich langsam erheben und mühsam durch das hohe Heidekraut davon gehen, und die Decke schleifte hinter ihm her wie ein alter Königsmantel. Und das Ganze sah so traurig aus und verlassen, daß das Mädchen sich noch immer die Augen trocknen mußte, als die beiden anderen schon längst wieder an der Arbeit waren.

Von da ab sahen sie den Wichtelmann nicht mehr. Kein Besenreisig war mehr für sie geschnitten, und Schale und Becher waren nicht berührt. Aber drei Tage später, als das Mädchen in der Vollmondnacht aus seinem Kammerfenster blickte, sah es weit hinten am Moorrand viele kleine Lichter dicht über der Erde dahinziehen, als schwebten sie, und sie waren in einer langen Reihe geordnet, immer zwei und zwei, und in ihrer Mitte war etwas Dunkles zu sehen, wie eine kleine Truhe, und auch sie schien dahinzuschweben zwischen Nebel und Mondesglanz.

Da faltete das Mädchen die Hände, und ein paar große Tränen fielen langsam auf seine Wangen, denn es wußte, daß dort der kleine Wichtelmann von den Seinigen zur letzten Ruhe geleitet wurde.

Nun waren die Kinder wieder so allein wie früher, und als sie am nächsten Tage dort saßen, wo der Wichtelmann Abschied von ihnen genommen hatte, begann Iwo-Iwo davon zu sprechen, was sie nun mit dem Erbe beginnen sollten.

Das Mädchen meinte, daß sie leben sollten wie bisher, bis sie ein paar Jahre älter geworden wären. Aber Iwo-Iwo schüttelte die Faust gegen die fernen Moordörfer und sagte, daß er es denen nun zeigen wollte, was er könne und sei, und daß er morgen schon in die Welt gehe, um den Samen aus dem Säcklein auszustreuen und bald als ein großer Mann wiederzukehren.

»Sieh nur zu, daß es dir nicht das Herz verbrennt!« sagte das Mädchen leise mit des Wichtelmannes Worten. Aber Iwo-Iwo lächelte und erwiderte nur, daß Feuer noch niemals Feuer verbrannt habe.

Und am nächsten Morgen nahm er Abschied von den drei Hütten, hielt das Birkentäschchen mit dem Goldsamen fest an seine Brust gedrückt und war bald zwischen den Wacholderbüschen verschwunden.

Das Mädchen und der Knabe Blondel blieben noch drei Jahre still bei ihrer Arbeit. Da waren sie erwachsen, und da die alten Besenbinder krank und ganz gebeugt von ihrem schweren Leben waren, so meinten die Kinder, daß es nun an der Zeit sei, ihr Erbe anzurühren, damit die Alten einen stillen Lebensabend hätten.

Um diese Zeit kam ein Bote von Iwo-Iwo mit einem Beutel Gold und der Nachricht, daß er in der Königsstadt ein großer und mächtiger Mann geworden sei und zur Rechten des Königs sitze. Da kaufte der Knabe Blondel von dem Gold ein Pferd und einen Pflug und brach einen Sommer lang die Heide um die drei Hütten um, soweit sein Auge reichen konnte. Und wenn das Mädchen ihm das Essen aufs Feld brachte und sie beieinander unter einem Wacholderbusch saßen, dann legte der Knabe seine verarbeitete Hand auf die des Mädchens und sagte: »Wenn der Weizen zum erstenmal blüht, so wirst du meine Frau, und du sollst der größte Segen sein, größer als aller Segen des Wichtelmanns.«

»Nicht größer«, erwiderte dann das Mädchen. »Aber so, wie er es gemeint hat.«

Im Herbst aber warfen sie den Samen aus, das Mädchen den Blumensamen in einem weiten Ring um die drei Hütten, und der Knabe den Weizensamen dahinter, bis an den Rand der Heide. Und als der Winter vorüber war und darnach der Frühling, fuhr der Wind leise durch ein gewaltiges Weizenfeld, und um die drei Hütten stand ein Wald von rot blühenden Nelken, die reichten bis an die Fenster, und ein so süßer Duft stieg von ihnen auf, daß die Bienen und Hummeln und Schmetterlinge der ganzen Welt sich über ihnen zu versammeln schienen. Und als der Weizen blühte, flocht das Mädchen sich den Myrthenkranz für sein Haar, und sie wurden Mann und Frau, wie sie es sich lange gewünscht hatten.

Am Abend des Hochzeitstages aber stahl das Mädchen sich leise durch den Nelkenwald und lief zum Moorrand, wo der Wichtelmann gesessen hatte. Dort stellte es die Holzschale in das Heidekraut, gefüllt mit einem Wenigen von allem, was es zum Hochzeitsschmaus gegeben hatte, und den kleinen Becher mit dem Wein, den sie dazu getrunken hatten. Und dann kniete das Mädchen nieder und dankte dem toten Wichtelmann noch einmal für sein Erbe.

Am Morgen waren Speise und Trank verschwunden. In der Holzschale aber lag ein winziges goldenes Brot, nicht größer als eine Eichel, und auf dem Becherrand stand eine winzige goldene Wiege, nicht größer als ein Tannenzapfen.

Da trug die junge Frau beides behutsam nach Hause und setzte es zu Häupten ihres Bettes auf die alte Truhe und stellte blühende Nelken herum und betete am Morgen und am Abend davor wie vor einem Muttergottesbild.

Eines Abends im Spätsommer aber, als der Weizen geschnitten war und in goldenen Garben auf dem großen Felde stand, sahen der Mann und die Frau einen Bettler über die Stoppeln kommen, der stützte sich auf einen Stab und sah müde und elend aus wie ein alter Mann. Und als er näher gekommen war, schrien sie beide auf, denn sie erkannten Iwo-Iwo. Und sie fingen ihn in ihren Armen auf und betteten sein Haupt in ihrem Schoß, und er lag ganz still und blickte auf die Weizengarben und den roten Nelkenwald, auf dem die Abendsonne schimmerte.

»Feuer hat Feuer verbrannt«, sagte er leise, »so wie er es gesagt hat. Sie haben mir alles genommen, auch das Säckchen, und mich in den Kerker geworfen, und kleine Leute haben mich befreit. Nehmt mich nun auf als euren Knecht und habt Geduld mit mir, bis ich sterbe.«

Da trösteten sie ihn und waren liebreich zu ihm wie zu einem kranken und heimatlosen Kind.

Und als er eine Weile bei ihnen gewesen war, bat er sie, daß sie ihm Pferd und Wagen schenken möchten, und als er beides bekommen hatte, belud er zu Beginn jeder Woche den Wagen mit Weizensäcken und fuhr über Land und kam erst am Ende der Woche wieder. Und bald wußten sie, daß er es zu allen armen Besenbinderdörfern weit in der Runde fuhr, um dort seine Gabe zu verteilen. Und sie hörten auch, daß alle Kinder ihn liebten und ihm weit entgegengelaufen kamen, um neben ihm auf den Säcken zu sitzen und die Leine zu halten.

Er aber blieb ein stiller Mann, der selten lächelte, aber immer gut und freundlich war. Und als die junge Frau eines Abends zum Moor ging, um einen Blumenstrauß für ihr Kind zu pflücken, sah sie ihn dort sitzen, wo der Wichtelmann gesessen hatte, und es erbarmte sie seiner, und sie blieb bei ihm stehen, strich ihm über das dunkle Haar und sagte: »Was sitzest du hier, Iwo?«

»Es hat mein Herz verbrannt«, erwiderte er leise, »und ich warte, daß er es wieder heilt.«

Da sagte die Frau: »Nicht die Toten heilen, sondern die Armen und die Kinder. Fahre nur fort, Gutes zu tun mit deinen Händen, so wird dein Herz wieder heilen, und jedes Kind, das an deinem Wagen steht und die Hände ausstreckt, legt ein Goldstück zu deinem Schatz, und es wiegt schwerer als alle die, die aus den grünen Samen gekommen sind.«

»Und denkst du, daß er es so gemeint hat?« fragte er.

»Ja«, sagte die Frau und strich ihm das Haar aus der Stirn. »Erinnerst du dich noch?

›Wichtelmann läßt es euch sagen:
ewig sollt ihr Früchte tragen.‹

Und das wollen wir versuchen, unser ganzes Leben lang.«

Und darnach taten sie alle drei.

* * *


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