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Es war einmal eine arme Witwe, die war so arm, daß sie manchen Morgen nicht wußte, was sie ihren drei Söhnen zu essen geben sollte, und obwohl sie den ganzen Tag am Spinnrad saß und ihre Söhne den kleinen Acker bestellten und hin und wieder ein paar Fische im See ringen, so kamen sie doch auf keinen grünen Zweig, und an den langen Winterabenden saßen sie oft vor dem kleinen Torffeuer und bedachten, wie es mit ihnen besser werden könnte, ohne daß sie sich von der Frühe bis in die Nacht plagen müßten.
Nun war der Sinn der beiden Ältesten nur darauf gerichtet, so schnell wie möglich zu Reichtum zu kommen, weil sie ihres armseligen Lebens ganz und gar überdrüssig waren. Der Jüngste aber war ein stilles und unbeholfenes Kind, und die Mutter wußte nicht, was einmal aus ihm werden sollte, und wenn die beiden Brüder ihn verspotteten, so wehrte sie ihnen nicht und tat wohl gar das Ihrige dazu. Er aber ließ geduldig alles über sich ergehen und sah nur mitunter mit seinen großen blauen Augen die Mutter und die Brüder an. Dann verstummten sie, als hätte ein wehrloses Tier sie angesehen, und für eine Weile war es dann wieder gut zwischen ihnen.
Aber als das Frühjahr wieder gekommen war, besprachen sich die beiden ältesten Brüder, und abends vor dem Herdfeuer sagten sie, daß sie nun beschlossen hätten, in die Königsstadt zu gehen, um dort für sich selbst zu sorgen. Und als sie so gesprochen hatten, sagte der Jüngste, daß er mit ihnen gehen würde, weil es für die Mutter leichter sein würde, für sich allein zu sorgen.
Da lachten sie alle drei und fragten ihn, ob er ein Kämmerer des Königs werden wolle, aber er erwiderte nur, daß keiner von ihnen von der Zukunft wisse und daß sie sich auch um ihn nicht weiter zu bekümmern brauchten. Nur das wollten sie alle drei geloben, daß sie sich der Mutter annehmen wollten, sobald sie es zu etwas gebracht hätten.
Da waren sie alle ein bißchen beschämt, daß er allein daran gedacht hatte, und waren es zufrieden, daß er mit ihnen ginge. Die Mutter aber weinte ein bißchen, daß sie nun alle drei Söhne verlieren sollte, packte ihre kleinen Bündel und buk von dem Rest des Mehles drei kleine Brote, damit sie unterwegs nicht Not zu leiden hätten. Und als sie in der Frühe aufbrachen und Abschied nahmen, gab sie jedem von ihnen das kleine Brot und sagte: »Bleibt nur auf dem rechten Wege, liebe Kinder, und haltet dieses Brot in Ehren, denn es ist alles, was ich euch geben kann. Und wenn es euch gut geht, so denkt an mich und vergeßt nicht, daß ich meine Tränen in dieses Brot gebacken habe.«
Da versprachen sie alles, küßten ihre Mutter und waren bald in dem großen Walde verschwunden, der gleich hinter ihrer Hütte begann. Die beiden Ältesten fingen gleich an, von ihrer Zukunft zu sprechen und wie sie am schnellsten Schätze sammeln könnten, der Jüngste aber ging still seines Weges, dachte seiner verlassenen Mutter und hielt das kleine, noch warme Brot an seine Brust gedrückt, als sei es ein Vermächtnis, das er bewahren müsse.
Um die Mittagszeit nun, als sie im Schatten einer alten Linde rasteten, begannen die Brüder gleich von ihrem Brot zu essen, er aber nahm nur von dem getrockneten Fisch, den er in sein Bündel gelegt hatte, und trank aus der Quelle, die zu ihren Füßen aus dem Moos entsprang. »Sicherlich wirst du zuerst ein reicher Mann werden«, sagte der Älteste spöttisch, »und wir werden zu dir kommen, wenn es uns schlecht ergeht.«
Aber während sie ihn auf solche Weise gutmütig neckten, sahen sie, daß eine alte Frau des Weges kam, die ging ganz gebeugt und stützte sich auf einen langen Stab. »Eine alte Frau bedeutet nichts Gutes«, sagte der Älteste. »Ich wünschte, es wäre statt ihrer eine Königstochter des Weges gekommen«.
Die alte Frau grüßte sie freundlich und ließ sich seufzend bei ihnen nieder, und sie sahen, daß sie müde und ohne Kraft war. »Liebe Knaben«, sagte sie, »möchtet ihr wohl einer alten Frau ein bißchen zu essen geben? Denn ich bin schon lange unterwegs, und es hungert mich sehr.«
»Wer einen langen Weg vor sich hat, muß rechtzeitig an seine Speise denken«, sagte der Älteste, »aber eine kleine Rinde kann ich dir wohl abgeben, wiewohl meine Mutter es nur für mich gebacken hat.« Und er brach ein Stückchen von der Rinde ab und reichte es ihr.
Die Frau bedankte sich, und nachdem sie gegessen hatte, sah sie den Knaben an und sagte: »Es ist mir so, als ob es nach Tränen schmecke, und du darfst das nicht vergessen.«
»Das weiß ich auch allein«, erwiderte der Älteste hochmütig.
Nach einer Weile sah die Frau den zweiten der Brüder an und sagte: »Ein Stückchen Rinde ist ein bißchen wenig, und es hungert mich immer noch.«
»Alte Leute sollten nicht soviel essen«, sagte der zweite der Brüder, »aber eine kleine Rinde kann ich dir wohl abgeben, wiewohl meine Mutter es nur für mich gebacken hat.« Und er brach ein Stückchen ab und reichte es ihr.
Die Frau bedankte sich, und nachdem sie gegessen hatte, sah sie den Knaben an und sagte: »Es ist mir so, als ob auch dieses nach Tränen schmecke, und du darfst das nicht vergessen.«
»Ich habe ein ganz gutes Gedächtnis«, erwiderte dieser hochmütig, »und du brauchst dich um mich nicht zu sorgen.«
Nach einer Weile sah die Frau den Jüngsten an und sagte: »Du darfst nicht böse sein, aber es hungert mich immer noch.«
Da zog der Jüngste sein Brot aus dem Kleid und sagte: »Meine Mutter hat mir anbefohlen, es in Ehren zu halten, aber ich denke, daß es keine größere Ehre gibt, als einen Hungrigen zu speisen.« Und damit reichte er ihr das ganze Brot und brach nur eine kleine Ecke ab, die er sorgsam in seinem Kleid verwahrte.
Die Frau bedankte sich, und als sie zu Ende gegessen hatte, sah sie den Knaben an und sagte: »Auch dieses schmeckt nach Tränen, aber es schmeckt nicht bitter, sondern süß, und so trägst du wohl einen kostbaren Schatz an deinem Herzen.«
Da lachten die beiden anderen und meinten, das werde wohl der einzige Schatz bleiben, den er erwerben werde.
Die Frau aber öffnete das kleine Bündel, das sie mit sich trug, und zog drei kleine Fläschchen hervor, die waren aus einem grünen Stein geschliffen und mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt. »Auch der Arme kann etwas schenken«, sagte sie lächelnd, »und nun müßt ihr mir erzählen, was ihr euch am meisten wünscht.«
»Ich wünsche mir soviel Gold«, sagte der Älteste schnell, »daß es mir bis zum Scheitel reicht, wenn ich aufrecht stehe.«
»Und ich wünsche mir soviel Gold«, sagte der Zweite schnell, »daß ich mich darin einhüllen kann wie in einen Mantel.«
Der Jüngste aber schwieg, und erst als die Frau ihn noch einmal fragte, sagte er langsam: »Ich wünsche mir, daß ich allen Menschen so helfen kann, wie ich möchte.«
Da lachten die Brüder von neuem, aber die Frau sah sie der Reihe nach ernsthaft an, reichte jedem sein Fläschchen und sagte: »Jedes Herz ist seines Lohnes wert. Bedenkt das wohl!«
Und damit verschloß sie ihr Bündel wieder, nahm ihren Stab zur Hand, grüßte die Knaben und war bald hinter den Büschen verschwunden.
Die Brüder blieben noch eine Weile sitzen, drehten die grünen Gräser in ihren Händen und sprachen über ihren seltsamen Gast. »Es war wohl doch nicht mehr als ein altes Kräuterweib«, sagte der Älteste, »das sich wichtig machen wollte, und wir könnten die Flaschen ebensogut in den Wald werfen, als mit uns nehmen.« »Wasser können wir auch aus der Quelle schöpfen«, meinte der zweite, »und etwas anderes als Wasser ist sicherlich nicht darin.« Und damit öffnete er den schön geschnittenen Verschluß und roch daran. »Nichts«, sagte er, »und es riecht nicht einmal.«
Der Jüngste aber barg sein Geschenk neben dem Rest des Brotes in seinem Kleid und ermahnte die Brüder, die Gabe doch hoch zu achten, denn er sei des Glaubens, daß es eine besondere Frau gewesen sei, die bei ihnen gesessen habe.
Da lachten die beiden anderen wieder, und so machten sie sich von neuem auf den Weg. Am Abend aber, als sie von des Jüngsten Brot haben wollten, schüttelte dieser den Kopf und sagte: »Ihr seht, liebe Brüder, daß ich selbst nicht davon esse, und einer von uns soll wenigstens etwas von der Mutter Hand bei sich tragen.«
Als sie so eine Woche gewandert waren, kamen sie endlich zur Königsstadt, und am Tor nahmen sie Abschied voneinander, wünschten jeder dem andern alles Gute, und die beiden Älteren ermahnten den Jüngsten noch lachend, doch nicht zu schnell reich zu werden und wohl auf seine beiden Geschenke zu achten.
Den ganzen Tag suchten sie nach einer passenden Arbeit, und am Abend, als ihre Füße sie schmerzten, kehrte der Älteste bei einem Töpfer ein, der eine große Werkstatt hatte, weil es ihm gefiel, wie die Gesellen auf einem Schemel hockten und nur die Scheibe zu drehen hatten. Der zweite aber blieb bei einem Weber sitzen, in dessen Haus viele Webstühle gingen, weil es ihm gefiel, wie die jungen Helfer jeder auf einer Bank saßen und nur das Schifflein hin und her zu schleudern hatten. Der dritte aber ging an allen Werkstätten vorüber, und erst als er einen würdigen Mann mit einem weißen Bart langsam des Weges kommen sah, von einem Knaben gefolgt, der Flaschen und Instrumente trug, und er beim Umfragen vernahm, daß das ein berühmter Arzt sei, der gegen den Tod kämpfte, folgte er ihm bis an sein Haus und bat ihn dann, ihn in die Lehre zu nehmen. Und da dem Mann seine stillen, blauen Augen gefielen, so behielt er ihn bei sich, und zur Nacht streckte jeder der drei Brüder seine Füße unter einem fremden Dach aus.
Als der Jüngste aber vor dem Einschlafen noch mit der Hand nach seiner Brotrinde tastete, um zu sehen, ob er sie nicht etwa verloren habe, erschrak er bis ins Herz hinein, denn statt der Rinde war das ganze Brot wieder da, so wie seine Mutter es ihm gereicht hatte. Da saß er im Dunklen auf, brach vorsichtig eine kleine Ecke heraus und aß davon, und als er seine Hand wieder zärtlich über das Brot gleiten ließ, fühlte er, daß es wieder ganz und rund war. Da faltete er die Hände darüber und bedankte sich bei der alten Kräuterfrau, denn er wußte nun ganz gewiß, daß er es ihr zu verdanken hatte.
So gingen die drei nun ihrem Handwerk nach, wußten nichts voneinander, denn die Stadt war groß und dicht bevölkert, und mühten sich jeder nach Kräften, ihren Meistern wohl zu dienen. Nach einem Jahr aber schon merkten die beiden älteren, daß von Gold und Schätzen bei ihrer Arbeit nicht die Rede sein könne, obwohl es hieß, daß Handwerk goldenen Boden habe, und sie meinten beide, daß der Boden sehr tief liegen müsse, wenn das Sprichwort sich bewahrheiten sollte. Nur der Jüngste war mit seinem Tagwerk wohl zufrieden, und der alte Mann sagte, daß er eine besondere Kraft in seinen Händen und Augen habe. Und wo jemand mit dem Tode rang, starb er leicht und lächelnd, wenn der Knabe seine Hand ihm auf die Stirne legte.
Als nun wohl drei Jahre vergangen waren, ereignete es sich eines Tages, daß die Meister der beiden älteren Brüder mit allen ihren Gesellen und Lehrlingen und allem, was ihre Werkstatt erzeugt hatte, zu einem großen Markt zogen, der alle drei Jahre am Meeresufer abgehalten wurde. Und da die Brüder die Jüngsten waren, so wurden sie angewiesen, zu Hause zu bleiben und die Werkstatt zu behüten.
Als es nun ganz still geworden war in den großen Räumen, kam es dem Ältesten in den Sinn, einmal auf eigene Faust ein großes Werk zu versuchen, statt sich unter den Augen des Meisters mit Handlangerarbeit abzuquälen. Und da es ihm nicht an Plänen und Geschicklichkeit mangelte, so meinte er, daß ihm ein großer Krug wohl gelingen würde, dessen Form ihm schon lange vor Augen schwebte, der sanft und edel in der Gestalt war und der so groß sein sollte, daß ein Mann darin würde aufrecht stehen können. Und als er von der Frühe bis zur Nacht am Werk gewesen war und selbst Speise und Trank darüber vergessen hatte, sah er voller Freude, daß es ein herrliches Werk geworden war und wohl geeignet, auf der Terrasse des Königspalastes zu stehen. Und während er noch den Krug mit den Armen zu umspannen versuchte und überlegte, ob der Ofen wohl groß genug sei, um den Brand zu beginnen, fühlte er in seiner Brusttasche etwas Hartes, das gegen seine Haut drückte, und als er darnach griff, erkannte er mit Verwunderung das grüne Fläschchen, das er längst vergessen hatte, zog den grünen Glaskorken heraus, roch daran und lächelte in der Erinnerung an lang vergangene Zeiten. Und wie im Spiel hob er die Gabe der alten Frau über den Rand des Kruges und ließ einen Tropfen in das Innere fallen, um zu hören, wie es sich in dem hohlen Gefäß ausnehmen würde.
Aber wie der helle Klang des aufschlagenden Tropfens sein Ohr erreichte, erschrak er so, daß er das Fläschchen bald hätte fallen lassen, denn vor seinen Augen verwandelte sich mit einem Schlage der feuchte, unansehnliche Ton in ein herrliches Gebilde von reinem Gold, so strahlend, daß er die Augen schließen mußte, und als er fast taumelnd zurücktrat, erkannte er, daß er niemals etwas Wunderbareres auf dieser Erde erblickt hatte.
Er verschloß schnell alle Türen und Fenster, zündete alle Kerzen an, die in dem großen Raum standen, und saß dann still auf einem der Hocker, den Kopf in die Hände gestützt, und wurde nicht müde, das Wunder zu betrachten, das wie ein Götterbild den Raum beglänzte. Und nun erinnerte er sich des Wunsches, den er damals im Schatten der alten Linde ausgesprochen hatte, und er preßte das grüne Fläschchen fest an seine Brust und überlegte schon schnell, worauf er den nächsten Tropfen fallen lassen sollte, um etwas noch Größeres als den Krug in Gold zu verwandeln.
In der Nacht aber, während er überlegte, daß der Meister nach seiner Rückkehr ihn des Kruges leicht berauben könnte, faßte er einen klugen Plan, wiewohl es ihm nicht leicht war, sich von seinem Schatz zu trennen. Es lag nämlich die einzige Tochter des Königs an einer schweren Krankheit auf den Tod darnieder, und keiner der vielen Ärzte und Sterndeuter vermochte ihr zu helfen, so hoch auch die Belohnung war, die der König ausgeschrieben hatte. Am Morgen nun lief der Knabe zur Nachbarschaft, mietete einen schweren Wagen und viele Hände, ließ den goldenen Krug aufladen und fuhr mit ihm zum Palast, während das Volk sich in den Straßen drängte und dem jungen Meister zujubelte.
Vor den König geführt, erklärte der Knabe mit bescheidenen Worten, daß er diesen goldenen Krug der kranken Prinzessin schenke und daß bei seinem Anblick vielleicht ihr Leiden sich mildern werde. Alle andere Auskunft verweigerte er ehrerbietig, war es aber zufrieden, daß der König ihn zum Herrn seiner Schatzkammer ernannte und für immer in seinem nächsten Hofstaat sehen wollte. So war er über Nacht aus einem armen Lehrbuben zu einem Großen des Reiches geworden und bedachte lächelnd, wie weit seine Brüder wohl gekommen wären und daß es nicht klug sein würde, ihnen von der Wundergewalt des Fläschchens zu erzählen.
An demselben Tage nun saß der zweite Bruder müßig in der leeren Werkstatt und bedachte, daß es nun eine gute Gelegenheit wäre, sein Traumbild eines Gewandes zu verwirklichen, das er lange im Herzen getragen hatte und das tausendmal schöner, leichter und prächtiger werden sollte als alles, was der Meister jemals fertiggebracht hatte. Saß also von der Frühe bis zur Nacht an seinem Webstuhl und hörte nicht eher auf, als bis er das fertige Werk in seinen Händen hielt, so glänzend wie das Kleid eines Paradiesvogels und so leicht wie die Feder eines Zaunkönigs. Und als er es in Stolz und Freude an seine Brust drückte, wurde auch er nach langen Jahren des grünen Fläschchens wieder gewahr, zog es aus der Tasche, öffnete es und ließ ohne Absicht einen winzigen Tropfen auf das Gewebe fallen.
Und auch er erschrak bis ins Herz hinein, denn unter seinen Händen lag plötzlich ein goldenes Gewand, mit Edelsteinsplittern besät, so kostbar, wie Menschenaugen es noch nie erblickt hatten, und so leicht, daß der geringste Hauch des Mundes es von der Tischplatte aufhob. Da erinnerte er sich der Worte, die er zu der alten Frau gesprochen hatte, wie er sich soviel Gold gewünscht hatte, daß er sich darin einhüllen könnte wie in einen Mantel. Und er preßte das grüne Fläschchen fest an seine Brust und legte das goldene Gewand neben sein Lager, damit er es noch im Schlaf mit seiner Hand berühren konnte.
In der Frühe aber machte er sich auf zum Königspalast, hörte, daß es der Prinzessin nach kurzer Besserung wieder schlechter gehe, vernahm die Geschichte von dem goldenen Krug, ließ sich vor den König führen und übergab ihm das Kleid als ein Geschenk für die kranke Königstochter. Der König verwunderte sich über diese zweite Gabe so sehr wie über die erste, konnte seine Blicke kaum von der ausgebreiteten Pracht abwenden und ernannte den Knaben zum Herrn seiner Kleider- und Wäschekammer und wollte ihn für immer unter seinem Hofstaat sehen.
So war auch der zweite Bruder nun über Nacht aus einem armen Lehrbuben zu einem Großen des Reiches geworden, und als er zu dem ihm angewiesenen Palast ging, bedachte er lächelnd, daß es dem älteren Bruder anscheinend nicht an Klugheit fehle und daß nur der Jüngste wahrscheinlich noch immer im Dunkeln leben werde, als ein armer Tagelöhner vielleicht oder als Bettler sogar, und daß es gut wäre, daß nur zwei hinter das Geheimnis des Fläschchens gekommen wären, damit der Ruhm nicht noch mehr geteilt zu werden brauchte.
Die Kunde von diesen wunderbaren Geschenken erreichte wohl auch den jüngsten Bruder, der nun weder ein Tagelöhner noch gar ein Bettler war, aber er achtete ihrer nicht, denn sein Meister lag mit einem schweren Fieber darnieder, und so war er Tag und Nacht fast ohne Pause unterwegs, um die Kranken der Stadt zu versorgen, und in den wenigen Minuten der Ruhe dachte er an die Prinzessin, die er oftmals in Begleitung des alten Arztes besucht hatte und um deren Krankheit er sich mehr sorgte als selbst der König. Denn sie war nicht nur schön von Angesicht, sondern auch sanften und liebreichen Gemütes, und wenn er an sie dachte, schlug das Herz ihm schwerer und süßer als sonst.
Er war der einzige unter den Brüdern, der die Gabe der alten Frau nicht vergessen hatte, aber eine große Scheu hatte ihn bisher davon abgehalten, die Wirkung der Tropfen zu erproben. An diesem Abend nun vernahm er bei seinen Krankenbesuchen, daß das goldene Gewand wohl für eine Weile eine Besserung bewirkt hatte, aber daß sie ebenso schnell vergangen war wie am Tage zuvor und daß jedermann im Palast die Hoffnung aufgegeben hatte, das geliebte Königskind noch einmal froh und gesund wiederzusehen.
Da ging der Knabe wie in einem schweren Traum heim, saß schweigend am Lager seines Meisters und sagte endlich: »Meint Ihr, Herr, daß es Gott wohlgefällig sei, bei einem Sterbenden einen Trank zu versuchen, der einem in einer besonderen Stunde mit einer besonderen Weissagung übergeben worden ist?«
»Liebes Kind«, erwiderte der Arzt nach einer Weile freundlich, »weißt du nicht, daß der Trank, den wir reichen, das Kleine ist, und das Herz, das ihn gibt, das Große? Lasse den Trank durch dein Herz gehen, ehe du ihn reichst, und wenn Hilfe noch möglich ist, so wird sie davon kommen.«
Da ging der Knabe ganz verwirrt in seine Kammer, nahm das Brot und das grüne Fläschchen aus der Truhe, drückte sie beide an sein Herz, gedachte seiner Mutter mit aller Liebe und ging dann langsam zum Königspalast. Die Diener und Mägde weinten in den Sälen, und als er an das Lager der Sterbenden trat, winkte der König ihm mit der Hand, als sei doch alles verloren. Der goldene Krug stand zu Füßen des Lagers, und das herrliche Kleid war achtlos darüber geworfen. »Wenn dieses nicht geholfen hat«, sagte der König, »was soll ihr denn sonst helfen?«
»Gold, Herr König«, erwiderte der Knabe leise, »ist keine Speise für Sterbende.«
»Und welches ist denn ihre Speise?« fragte der König.
»Liebe, Herr König. Für die Sterbenden wie für die zur Welt Kommenden.«
Und er setzte sich auf den Rand des Lager, strich der Prinzessin das feuchte Haar aus der Stirn und redete ihr flehentlich zu, daß sie noch einmal erwache. Und als sie die Augen aufschlug, die schon an der Grenze eines fremden Landes waren, und ihm liebreich zulächelte wie immer, brach er ein kleines Stück von dem Brote ab, ließ einen Tropfen aus dem Fläschchen darauf fallen und reichte es ihr an die Lippen. Und wiewohl sie tagelang nichts mehr zu sich genommen hatte, aß sie langsam von dem Brot, schloß die Augen und fiel sogleich in einen tiefen Schlaf.
»Wenn du sie getötet hast, so wird es dein Leben kosten«, sagte der König.
Aber der Knabe hieß den König mit einer Gebärde die Hand der Prinzessin fassen, und sie fühlten beide, daß sie kühl geworden wäre und daß das Herz mit ruhigen, gleichmäßigen Schlägen in ihr pochte.
Da kniete der Knabe an dem Lager nieder, lauschte auf den ruhig gewordenen Atem und blieb so die ganze Nacht. Und als die Morgensonne in das Gemach fiel und die ersten Vögel vor den Fenstern sangen, schlug das Königskind die Augen auf, blickte voller Verwunderung auf den Knienden und sagte: »So bist du es, der mir das Leben gerettet hat, denn ich fühle, daß ich ganz gesund bin und daß der Schatten des Todes für immer von mir gewichen ist.«
Zuerst vermochte der Knabe vor Glückseligkeit nicht zu sprechen, und erst nach einer Weile sagte er: »Nicht ich, geliebte Prinzessin, sondern eine fremde Gewalt, die durch mein Herz in dein Blut gedrungen ist, hat dich gerettet, und all mein Verdienst ist, daß ich ihr vertraut habe, wie es mir anbefohlen wurde.«
Als nun die Nachricht von der Genesung der Königstochter sich in der Stadt verbreitete, hallten alle Straßen von Jubel wider, und der König schloß den Knaben in seine Arme und bat ihn, sich zu wünschen, was sein Herz nur begehre. Aber der Knabe begehrte nichts als ein paar Stunden zu schlafen, weil er zu Tode erschöpft war, und nur dies versprach er, am Abend zu dem großen Dankesmahl zu kommen, das der König für alle ausrichten wollte, die an seinem Kummer teilgenommen hatten, ob sie nun reich oder arm waren.
Und als die Kerzen nun in der großen Halle zu Hunderten brannten und die Trompeten von den Zinnen schmetterten und jedes Gesicht im Palast wie auf den Straßen vor Freunde schimmerte, trafen die Brüder nach so langen Jahren an der Tafel des Königs wieder zusammen und alle verwunderten sich, daß soviel Kunstfertigkeit bei den Söhnen nur einer Mutter zu finden sei. Die beiden ältesten aber hatten ihren Spott verlernt, als der jüngste nun zur Linken der Königstochter saß, waren unmutig und neideten ihm sein Glück, taten auch das Ihrige, um zu verbreiten, daß es Zauberkunst sei, die ihm geholfen habe, und flüsterten zu ihrer Umgebung, daß ein gewisses grünes Fläschchen wohl einer Untersuchung durch des Königs Gericht wert sei.
Aber während diese Kunde sich allmählich um die Tafel verbreitete und langsam auch den König und die Prinzessin erreichte, geschah auf der großen Marmortreppe vor dem Palast etwas anderes, wovon man in der Halle noch nichts wußte. Dort wurde nämlich Fleisch, Brot und Wein für alle Armen und Bettler gereicht, und als die Sterne schon aufgezogen waren, erschien dort eine Frau, die hatte ihr Elendsgesicht mit einem Tuch verhüllt und war nur in Lumpen gekleidet, so arm war sie. Und während alle anderen ihre Hände begierig nach jeder Speise ausstreckten, hielt sie einen der Diener am Kleide fest und sagte: »Gehe nun in die Halle des Königs und sprich zu dem ältesten meiner Söhne, daß seine Mutter in Hunger und Lumpen vor dem Tore sitze und ihn um ein Stückchen des Brotes bitte, in das sie vor Jahren ihre Tränen hineingebacken habe. Und sprich es so laut, daß jedermann es hören kann.«
Da fragte der Diener, wer denn ihr ältester Sohn sei, und sie erwiderte: »Derjenige, der den goldenen Krug verfertigt hat.«
Da wunderte der Diener sich, tat aber, wie ihm geheißen worden war, trat hinter den Stuhl des Sohnes und sagte seine Botschaft. Und wie er es gesagt hatte, wurde es ganz still im Saal, und aller Augen waren auf den Angeredeten gerichtet.
Da errötete dieser vor Scham und Zorn, schickte den Diener fort und ließ sagen, daß er von keinem Brote wisse und daß es wahrscheinlich ein Bettelweib sei, das einen unziemlichen Scherz mit ihm treiben wolle.
Nach einer Weile kam der Diener wieder zurück, stellte sich hinter den Stuhl des zweiten Sohnes und sagte: »Nun hat die Frau mich zu Euch geschickt und gesagt, wenn unter drei Söhnen einer seine Mutter verleugne, so sei es genug des Grames, und sie bitte Euch um ein Stückchen des Brotes.«
Da errötete auch der zweite Sohn vor Scham und Zorn, und während aller Augen auf ihn gerichtet waren schickte er den Diener fort und ließ sagen, seine Mutter sei längst gestorben und hätte nicht nötig gehabt, mit dem Bettelsack umherzuziehen.
Der jüngste Sohn aber verhüllte sein Angesicht mit den Händen und sagte leise: »O meine Brüder, wollt ihr denn der Tränen vergessen, wenn ihr schon des Brotes vergeßt?«
Nach einer Weile kam der Diener wieder zurück, stellte sich hinter den Stuhl des jüngsten Sohnes und sagte: »Nun hat die Frau mich zu Euch geschickt und gesagt, zwar habe sie die geringste Liebe an Euch gewendet, aber wenn Ihr eine Krume des Brotes habt, so möchtet Ihr doch so barmherzig sein und ihrer nicht vergessen.«
Da weinte der Knabe laut auf, verließ die Tafel und ging schnell hinaus, und als er nach einer Weile wiederkam, führte er die Mutter an seiner Hand, enthüllte ihr vergrämtes Antlitz und ließ sie sich auf seinem Platz niedersetzen. »Dies, Herr König,«, sagte er, »ist unsere Mutter, die uns geboren hat, und ich will mich ihrer nicht schämen. Und wenn wir zu geringen Blutes sind für dieses Haus, so laß uns aufstehen und zurückkehren in unsere Dürftigkeit. Vorher aber laß mich meine Mutter speisen und tränken, wie sie mir getan hat, als ich ein unmündiger Knabe war.«
Und er brach von dem runden Brot ab, das er in seinem Kleide trug, und der König und alle Großen sahen mit Verwunderung, daß es wieder rund und ganz wurde wie vorher, und ließ aus dem grünen Fläschchen einen silberhellen Tropfen darauf fallen. »Iß nun und trinke, liebe Mutter«, sagte er, »und glaube doch nicht, daß ich deiner vergessen hätte.«
Und wie die Mutter den ersten Bissen von dem Brot genommen hatte, fiel Elend und Gram von ihr ab, und ihr Gesicht war, wie es vor Jahren gewesen war. »Mein liebes Kind«, sagte sie unter Tränen, »vergib mir nun alles, was ich dir unrecht getan habe. Denn ich hielt dich für den geringsten unter meinen Söhnen und wußte nicht, daß du der größte unter ihnen bist.«
Die beiden Brüder aber wollten gutmachen, was sie verfehlt hatten, und es war ihnen nicht recht, daß aller Augen nun an ihrem Bruder hingen. Traten also herzu, sagten, daß es nur ein Scherz gewesen sei und daß sie nun erst ihre Mutter in Gold hüllen wollten, wie sie es verdiene. Aber als sie ihre Fläschchen öffneten, um das Brot in Gold zu verwandeln, erschraken sie, denn die grünen Gläser waren leer, und kein Tropfen kam aus ihnen heraus.
Da stand der alte König auf, hob die Hand, bis in der großen Halle nur das leise Knistern der Kerzen zu hören war, und sagte: »So ist also schon Recht gesprochen worden, bevor ich es zu sprechen brauche. Ihr beiden habt die Gnade nicht gehütet, die euch verliehen wurde, weder das Brot der Mutter noch den Zaubertrank. Ihr habt an nichts als an das Eurige gedacht, und so soll es euch auch ferner ergehen. Legt Ämter und Besitz wieder zurück in meine Hand und kehrt zu eurem Handwerk zurück, bis es euch goldenen Boden trägt. Du aber, als ein Knabe mit reinem Herzen, hast dich der Kranken, hast dich meines Kindes und deiner Mutter erbarmt, und so wirst du dich des Volkes erbarmen, wenn du statt meiner auf diesem Throne sitzest. Iß nun mit meinem Kinde von deinem Brot, und möchte eure Liebe solange dauern, wie dein Brot gedauert hat.«
Da umarmten der Knabe und die Prinzessin einander, und die Trompeten schmetterten von den Zinnen, und das Volk jubelte auf allen Straßen, und die Armen segneten den jungen König, der statt des Schwertes ein Brot in den Händen trug.
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