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Es war einmal ein alter Zauberer, der hatte sein Leben lang gezaubert und viel Böses getan und war nun müde und alt, saß im Abendschein vor seiner Hütte im Wald, blickte über das Land hinaus und sagte zu sich selbst: »Was soll ich nun wohl noch zaubern, bevor ich sterbe? Ich weiß nicht, ob mir noch etwas übriggeblieben ist.«
Und er versuchte, sich an alle Künste zu erinnern, die er getrieben hatte, aber es fiel ihm nicht mehr alles ein, und selbst einiger Gärten und Höhlen vergaß er, in denen viele Kinder als Tiere oder Pflanzen lebten, in die er sie verwandelt hatte. So alt war er geworden.
Und wie er so an sein langes Leben zurückdachte, kam es ihm zum erstenmal recht eigentlich in den Sinn, daß er immer allein gewesen war, ohne Frau und Kind, ja, daß er sich nicht einmal seiner Eltern erinnern konnte. Und wie er alle die unschuldigen Kinder eigentlich nur verzaubert hatte, um sie ganz bei sich zu behalten, und wie er im stillen immer gehofft hatte, eines von ihnen werde sich in Liebe und Zärtlichkeit an sein Herz schließen. Aber sie fürchteten ihn alle, und immer war er allein geblieben, und je einsamer er wurde, desto böser wurde er auch, denn es sollte niemandem gut gehen, wenn es ihm nicht gut ging.
Während er so alles bedachte, wurde es ihm immer schwerer um sein Herz, und als die Elster, die er ausgeschickt hatte, um nach einem neuen Opfer zu spähen, krächzend aus dem Walde geflogen kam, zum Zeichen, daß sich etwas nähere, scheuchte er sie mit einem Steinwurf fort, und das war noch niemals vorgekommen, so lange er sich erinnern konnte.
»Ich will die Welt einmal rot machen«, sagte er bekümmert. »Vielleicht, daß ich fröhlich davon werde.« Und während er noch seinen Ring am Finger drehte und ein paar Worte dazu murmelte, wurde die Erde plötzlich blutrot, so weit er sehen konnte. Alle Bäume und Pflanzen, alle Eidechsen und Käfer, die Wolken, die am Abendhimmel standen, und die Schwalben, die darunter kreisten. Und die Menschen, die vor ihren Hütten saßen, erschraken zu Tode und bekreuzigten sich und flüsterten: »Der alte Mann geht wieder um.«
Der Zauberer aber, nachdem er eine Weile zugesehen hatte, schüttelte seinen weißen Kopf und sagte: »Auch dieses ist langweilig, und ebensogut kann sie wieder grün sein.« Und alles wurde, wie es gewesen war.
»Wenn ich den Menschen nun lange Affenschwänze wachsen ließe«, dachte er nach einer Weile, »so könnte das ganz lustig sein. Aber nach zehn Jahren werden sie denken, daß es immer so gewesen sei, und diejenigen einsperren, die keine Schwänze haben. Auch das ist nichts Rechtes.«
Und er erkannte verdrießlich, daß ihm nichts Ordentliches mehr einfiel und daß es am besten wäre, die Augen für immer zuzumachen und nichts mehr zu wissen.
Wie er nun so dasaß, die müden Augen halb geschlossen, und dem Abendlied der Vögel zuhörte, das ihm zum erstenmal süß und lieblich erschien, kam ein Knabe durch die Heidelbeerbüsche auf seine Hütte zugegangen, der war noch klein, aber ohne Furcht, und er trug ein Körbchen aus Birkenrinde, das war schon bis zum Rande gefüllt. Und was er nun noch an großen Beeren fand, das steckte er sich in den Mund, und er ging so ruhig seines Weges, als gebe es keine Nacht, keine wilden Tiere und keine Zauberer auf dieser Welt.
Der alte Mann war nun wieder ganz wach geworden, wie eine Spinne, deren Netz berührt wird, aber er dachte nicht daran, wie er des Knaben nun habhaft werden und worein er ihn verwandeln könnte, sondern erfreute sich nur an dem kleinen Menschenwesen, das ihm in seinen traurigen Abend hineingelaufen kam, und winkte ihm freundlich zu.
»Bist du vielleicht der alte Zauberer?« fragte der Knabe ohne Scheu und sah ihn mit seinen blauen Augen zutraulich an.
Da wurde der alte Mann beinahe etwas verlegen, hieß ihn neben sich auf der Bank Platz nehmen und fragte, was er denn von einem alten Zauberer wisse.
»Iß nur von meinen Beeren«, sagte der Knabe freundlich. »Es sind die schönsten, die im ganzen Walde standen, und du bist doch wohl schon zu alt, um dich nach ihnen zu bücken. Unterdes aber will ich dir erzählen, was du wissen willst. Wir sind sieben Brüder, und unsere Eltern wohnen in einer Hütte am See. Wir sind sehr arm, und an jedem Morgen sagt meine Mutter, daß sie mehr zu essen hätten, wenn ich nicht da wäre. Und der Vater und die Brüder sagen es auch. Und sie haben mich wohl nicht sehr lieb. Heute nun, als sie alle hungrig vom Mittagessen aufstanden, sagte die Mutter, ich sollte in den Wald gehen, um Beeren zu pflücken, und vielleicht würde ich den Wolf oder den alten Zauberer treffen, und wenn sie mich dabehielten, würde es schöner sein, als wenn ich wieder zurückkäme. Den Wolf habe ich nun nicht getroffen, aber wenn du der Zauberer bist, so will ich gern bei dir bleiben, damit sie mir nicht jedes Stückchen Brot vorhalten, das ich esse.«
Der alte Mann hatte so aufmerksam zugehört, daß er sogar die Beeren darüber vergessen hatte, und es war ihm ganz seltsam ums Herz, weil noch niemand so zutraulich zu ihm gesprochen hatte. »Wahrscheinlich weiß er nichts von mir, als daß ich ein Zauberer bin«, dachte er, »und wenn er das andere alles erfährt, wird er fortlaufen oder mich hassen wie die anderen.«
»Und was meinst du denn, liebes Kind«, fragte er nach einer Weile, »wie ein Zauberer beschaffen ist und was er den ganzen Tag tut?«
Da legte der Knabe seinen Kopf an die Hüttenwand, faltete die Hände und sagte: »Ich denke mir, daß ein Zauberer so etwas wie der älteste Sohn vom lieben Gott ist. Wenn er am Morgen aufwacht, verwandelt er zuerst einen großen Stein in ein frisches, goldfarbenes Brot und den Tau auf den Gräsern in Milch und Honig. Davon ißt er dann, bis er satt ist, und darnach läßt er einen Goldregen auf alle armen Kinder fallen, damit sie von ihren Eltern und Brüdern nicht mehr gescholten werden. Und wo ein Tier sich verlaufen hat, führt er es in den Stall zurück. Und wo ein Kind am Sterben ist, schickt er jemand mit dem Wasser des Lebens. Und wo ein Richter Unrecht spricht statt Recht, läßt er seine Hand zu Stein werden. Und wo ein König Gewalt an seinem Volke tut, verwandelt er ihn in einen Wolf, der an einer eisernen Kette liegt. Und überall, wo die Erde nicht so ist, wie der liebe Gott sie gewollt hat, kommt der Zauberer und macht alles richtig, und am Abend steht er vor dem lieben Gott und erzählt ihm alles, und der liebe Gott lobt ihn und gibt ihm einen großen Teller mit Grütze und Speck, und während er ißt, sagt der liebe Gott zu ihm, was er am nächsten Tag zu tun hat.«
Der alte Mann hörte zu, als werde ihm ein neues Evangelium gepredigt. Seine alten Hände zitterten ein bißchen und er konnte die Augen nicht von dem Knaben abwenden. »Und wer hat dir das alles erzählt?« fragte er endlich.
»Das hat mir niemand erzählt«, erwiderte der Knabe. »Das habe ich mir so ausgedacht, wenn ich hungrig auf meiner Streu lag und die Sterne an der Schuppentür vorüberziehen sah. Die Eltern und die Brüder haben mich ausgelacht, wenn ich davon sprach, und so habe ich alles für mich behalten. Du aber wirst mich nicht auslachen, denn du siehst so aus, als könntest du jeden Augenblick den Goldregen über alle armen Kinder fallen lassen.«
»Ach du armes, gutes Kind«, sagte der Zauberer ganz leise. »Und wenn ich nun ganz anders bin und ganz andere Dinge tue, als du sie dir ausgedacht hast, was wirst du dann wohl von mir denken?«
»Dann werde ich denken, daß ich dir helfen muß«, erwiderte der Knabe, »denn ich bin ein Sonntagskind, und dem sollen alle Dinge wohl gelingen. Aber könntest du jetzt eben vielleicht ein bißchen zaubern, weil ich es doch noch nie gesehen habe?«
Da erschrak der Zauberer und verbarg seine Hand mit dem Ring hinter seinem Rücken und dachte mit aller Kraft nach, wie er dem Knaben etwas ganz Liebliches vor Augen führen könnte, damit er bei ihm bliebe und sich nicht vor ihm fürchtete. Und dann drehte er den Ring einmal um seinen Finger und murmelte etwas dazu, und mit einem Mal hingen statt der Heidelbeeren an allen kleinen Sträuchern kleine silberne Glöckchen mit einem lieblichen Akkord, und es war, als ob der ganze Wald erklänge, und war so schön, daß der Knabe den Atem anhielt und seine beiden Hände fest um den Arm des Zauberers klammerte.
Und als alles wieder wie sonst war, atmete er tief auf und sagte: »Ich wußte es ja, daß du der Diener des lieben Gottes bist, und nur im Himmel kann es eine so schöne Musik geben wie eben hier im Walde.«
Der Zauberer sagte gar nichts, weil ihm das Herz so schwer schlug wie schon lange nicht, aber endlich fragte er doch, ob er dem Knaben nun den Weg nach Hause zeigen solle, da es schon dunkle.
Da machte der Knabe ein ganz trauriges Gesicht und fragte, ob er denn nicht bei ihm bleiben dürfe, weil es doch hier viel schöner sei als zu Hause, wo ihn niemand lieb habe und er jedem zur Last sei.
Und der alte Mann strich ihm mit seiner kühlen Hand ganz leise einmal über das Haar und sagte, wenn er bleiben wolle, so sei das sehr schön, und was er morgen denken werde, das müßten sie nun abwarten.
Dann führte er ihn in die Hütte, und als er seinen Ring drehte, stand auf dem Tisch ein großer Teller mit Grütze, und das braune Fett reichte bis zum Rand des Tellers, und goldfarbenes Brot lag daneben, und er stellte noch Milch und Honig dazu und saß schweigend daneben und freute sich, wie es dem Knaben schmeckte.
»Und ich kann wohl essen, soviel ich will?« fragte der Knabe. »Ohne daß du mir neidest wie meine Brüder?«
»Du armes, gutes Kind«, sagte der Zauberer wieder. »Je mehr du essen wirst, desto mehr werde ich mich freuen.«
Und darnach stand plötzlich in der Hütte ein goldenes Bett mit weißen Tüchern, und kaum hatte das Kind sich ausgestreckt, so schlief es auch schon ein und erwachte nicht einmal, als der alte Mann die Elster aus der Hütte trieb, die laut schimpfend wieder in den Wald zurückflog.
Der Zauberer aber saß die ganze Nacht vor seinem Herdfeuer, hatte die Hände zwischen den Knien gefaltet und blickte den Knaben an, der so lieblich wie ein Engel unter den weißen Tüchern schlummerte. »Was soll ich nun tun?« dachte er, »daß er sich nicht vor mir fürchtet und bei mir bleibt?« Und erst als die Morgensonne in die Hütte schien und die Vögel im Walde erwachten, hatte er einen Entschluß gefaßt und machte sich leise an sein Tagwerk.
Als er den Tisch gedeckt hatte, blickte er noch einmal auf den Schlafenden und machte sich dann leise auf den Weg zu den Höhlen und Gärten, an die er sich erinnerte, um den verzauberten Menschenkindern die Freiheit wiederzugeben, mit denen er so lange sein Spiel getrieben hatte.
Nach einer Weile erwachte der Knabe, rieb sich verwundert die Augen und wußte lange Zeit nicht, ob er träume. Aber dann erinnerte er sich, wusch sich am Brunnen vor der Hütte und setzte sich dann an den Tisch, so glücklich und stolz, als ob er ein Königssohn wäre statt armer Leute Kind. »Sicherlich ist der alte Mann zaubern gegangen«, dachte er, »und wenn er das Nötigste getan hat, wird er schon wiederkommen.«
Statt seiner aber kam die Elster in das offene Fenster geflogen, putzte ihre schimmernden Federn und blickte dazwischen den Knaben höhnisch an.
»Schmeckt es dem jungen Herrn?« fragte sie endlich mit ihrer krächzenden Stimme.
Der Knabe verwunderte sich etwas, aber dann meinte er, daß im Zauberland auch die Vögel sprechen müßten, dankte also für die Nachfrage und wollte gern wissen, ob die Elster auch einer der kleinen Diener des lieben Gottes sei, so wie der alte Mann ein großer Diener sei.
Da lachte die Elster so laut und höhnisch, daß sie sich fast verschluckte, und bat ihn, das vom lieben Gott doch noch einmal zu sagen. So etwas Komisches habe sie ihr Lebtag nicht gehört. Denn daß nach Gottes Willen Hunderte von unschuldigen Kindern in Tiere oder Steine oder Dornbüsche verwandelt werden sollten, oder ganze Länder mit Hagelschlag und Pestilenz verwüstet werden, oder Brot in Stein und Milch in Blut verwandelt werden: das habe sie vom lieben Gott doch noch nicht gehört, und sie lachte so, daß der ganze stille Morgenwald widerhallte.
Da wurde der Knabe unmutig und fragte, von wem sie denn überhaupt spreche.
»Nun, von dem alten Mann natürlich«, erwiderte die Elster, »in dessen Hütte du so behaglich sitzest und dessen Brot dir so schön schmeckt.«
»Du elende Verleumderin!« rief der Knabe zornig und jagte den Vogel mit Steinwürfen in den Wald. Aber darnach saß er mit bekümmertem Herzen auf der Bank und wartete auf den alten Mann, der so freundlich und liebreich zu ihm gewesen war.
Um die Mittagszeit kehrte der Zauberer wieder zurück, und das Herz war ihm leicht und schwer, als er den Knaben auf der Bank sitzen sah. Er stellte ein Rindenkörbchen mit Erdbeeren vor ihn hin, aber der Knabe schüttelte den Kopf. »Wo warst du?«, fragte er, »daß dein Gesicht so hell ist?«
Da erschrak der Zauberer, setzte sich müde auf die Bank und sagte: »Ich habe einen Teil gut zu machen versucht, davon ist mein Gesicht wohl hell geworden.«
»Und den anderen Teil?« fragte der Knabe.
»Den anderen Teil habe ich vergessen, und dazu mußt du mir helfen.«
»So ist es also wahr, was die Elster mir erzählt hat?« fragte der Knabe.
Der Zauberer seufzte. »Ich kann mir denken, was sie erzählt hat«, sagte er, »und das wird wohl wahr gewesen sein.«
Da bat der Knabe ihn, ihm doch sein ganzes Leben zu erzählen und ja nichts auszulassen, und wenn er dazu helfen könne, unschuldige Kinder zu erlösen, so wolle er gern sein Leben daran geben, denn um ihn werde doch niemand Leid tragen.
»Ach, liebes Kind, das wirst du wohl nicht«, sagte der Zauberer, aber dann begann er alles zu erzählen, was ihm im Gedächtnis geblieben war, Böses und Törichtes, und hin und wieder auch etwas Gutes, aber das Gute war nur wie ein Tropfen im Meer. Und auch das erzählte er, daß er eigentlich nur böse geworden sei, weil niemand ihn lieb gehabt habe und daß er des Ganzen müde geworden sei am letzten Abend. Und die Kinder, die er am Morgen erlöst habe, seien reich beschenkt worden von ihm, und nur um die sei das Herz ihm schwer, die er vergessen habe.
Ob es kein Mittel gebe, sich zu erinnern, fragte der Knabe nach einer Weile.
Da zögerte der Zauberer lange und sagte endlich leise: »Wenn ich ein unschuldiges Kind finde, das mich lieb hat, und stecke diesen Ring an seine Hand und das Kind dreht den Ring und spricht jedesmal eine Seligpreisung dazu, dann wird es sich statt meiner erinnern und alles erlösen können, was ich verzaubert habe. Aber bei jeder Seligpreisung wird ein Finger von seiner Hand abfallen, zur Buße für mich, und zum Schluß wird nur der Finger mit dem Ring übrig bleiben.«
Da sah der Knabe den Zauberer lange an, und als er gerade den Mund öffnen wollte, flog die Elster aus dem Walde über die Hütte hin und rief laut: »Hüte dich! Hüte dich!«
Da schwieg der Knabe wieder eine Weile, aber dann legte er seine junge Hand auf die alte des Zauberers und sagte: »Ob ich ein unschuldiges Kind bin, weiß ich nicht. Aber daß ich dich lieb habe, weiß ich, auch wenn du Böses getan haben solltest. So stecke nur den Ring an meine Hand, und wenn ich auch nur einen Finger behalte, so kann ich doch damit in den Sand schreiben, daß du ein gutes Herz hattest, weil es dir leid war um die unerlösten Kinder.«
Da beugte der Zauberer sein altes Haupt tief zur Erde, und zum erstenmal in seinem Leben fielen zwei Tränen aus seinen Augen, und sie fielen in das Gras vor der Bank, und wo sie hingefallen waren, da erblühten zwei rote Blüten, die das Volk tränende Herzen nennt, aber sie waren wie aus Edelsteinen geschliffen, und der ganze Wald leuchtete von ihnen.
»Nun sehe ich, daß ich recht tue«, sagte der Knabe fröhlich, zog den Ring von der immer noch widerstrebenden Hand und steckte ihn sich an den Finger. Und noch bevor der Zauberer ihn hindern konnte, drehte er den Ring einmal um und sprach: »Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.« Und er wußte nicht, weshalb er mit dieser Seligpreisung begann.
Aber kaum hatte er sie ausgesprochen, als auch die Hütte, der Wald, die Bank schon versunken waren, und sie standen beide in einem großen, blühenden Garten, der sah so herrlich aus wie der Garten Eden, und wie in ihm schienen auch alle Tiere versammelt zu sein, denn wohin sie sahen, auf den Gängen, in den Beeten, auf den Rasenflächen, überall lebte es von fleißigen Geschöpfen, die vom kleinsten Käfer bis zum sanften Reh eilig hinter ihrer Arbeit her waren. Denn jedes schien unter einem strengen Befehl zu stehen. Die einen sammelten Raupen von den Blättern, die anderen jäteten Unkraut, und wieder andere gruben die schwarze Erde um oder schleppten kleine Karren mit reifen Früchten hinter sich her. Aber alles geschah in lautloser Stille und ohne Freude, als stehe ein unsichtbarer Fronvogt über den leuchtenden Blüten.
Der Knabe stand ganz still, voller Verwunderung zuerst, aber dann bei jedem Herzschlag mit immer tieferer Trauer erfüllt, die er sich nicht erklären konnte. Der alte Mann aber hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen, als könnte er den Anblick nicht ertragen.
»Was ist das?« fragte der Knabe leise.
Da ging der Zauberer zu einem kleinen Gartenhaus und öffnete die Tür mit einem großen, seltsam geformten Schlüssel. In dem halbdunklen Raum war nichts als ein kunstvoll geflochtenes Seil, daran hing eine silberne Glocke, und an diese Glocke schlug der alte Mann nun mit einem kleinen Hammer, den er aus seinem Kleide zog. Es gab einen hellen, wunderbaren Ton, und als seine letzten Schwingungen verklungen waren, erhob sich überall aus dem weiten Garten ein langer, heller, vielstimmiger Jubelschrei, und als sie beide aus dem kleinen Haus hinaustraten, sahen sie überall, auf den Gängen und zwischen den Beeten, Kinder stehen, die trugen ihr Gerät noch in den Händen, aber mit den Händen winkten sie einander zu, und ihre Gesichter waren so hell wie die Gesichter von Auferstandenen.
»Wie konntest du das nur tun?« fragte der Knabe leise.
»Sieh hin!« erwiderte der alte Mann. Und damit trat er aus dem Schatten der Hütte in die helle Sonne. Und kaum erblickten die Kinder ihn, so liefen sie schweigend davon und drängten sich an dem großen Tor zusammen, das den Garten von der Welt abschloß.
»Siehst du es nun?« fragte der Zauberer traurig.
Da nahm der Knabe ihn bei der Hand und führte ihn zu den Kindern. »Seid nun ohne Angst«, sagte er freundlich. »Er hätte euch so gerne geliebt, und nur aus Traurigkeit hat er es böse mit euch gemacht. Aber seht, nun öffnet er das Tor, und haltet nun jedes von euch die Hand auf, damit ihr euer Geschenk empfangt.«
Und da zogen sie nun alle an dem alten Mann vorbei und jedes empfing eine kostbare Gabe, einen geschliffenen Stein, oder einen singenden Vogel, oder eine kleine Mühle, die Gold mahlte. Und jedes gab dem alten Mann die Hand, und bei jedem Händedruck wurde sein Gesicht heller und schöner. Und als der Garten nun leer und verlassen dalag, sah er sich einmal in der Runde um und sagte: »Siehst du, so war es, bevor sie kamen. So schrecklich einsam.«
Der Knabe aber drehte den Ring schon wieder an seiner Hand und sprach die nächste Seligpreisung, und plötzlich standen sie in einer großen Höhle, die war von vielen Lampen erhellt, und da standen viele blasse Kinder und mahlten in großen Mörsern glänzende Kristalle zu einem feinen Pulver, und alle waren still und traurig und bleich. Und auch für sie öffnete sich das Felsentor, und eine jubelnde Schar zog singend in die sonnige Freiheit hinaus. Und der alte Mann und der Knabe blieben allein zurück, und der Knabe warf einen scheuen Blick auf seine Hand, an der nun zwei Finger fehlten, und drehte dann den Ring zum drittenmal.
Und als er ihn neunmal gedreht hatte, seufzte der alte Mann tief aus Herzensgrund auf und sagte: »Nun ist es zu Ende, und nun ist niemand mehr übriggeblieben.« Und als er das gesagt hatte, standen sie wieder vor der Hütte, und es war Abend geworden, und die Elster lag tot auf der Schwelle. Da nahm der Zauberer den Knaben bei der Hand und führte ihn an einen verborgenen Brunnen, der war von einer runden niedrigen Mauer umgeben, und tief, ganz tief unten sahen sie beide ihre Spiegelbilder. »Wenn du mich hier hinunterstürzest«, sagte der alte Mann leise, »dann ist es zu Ende mit mir, und deine Hände werden so sein, wie sie gewesen sind, und alle meine Macht geht auf dich über, solange du den Ring trägst. Und ich bitte dich ganz von Herzen, es zu tun.«
Da lachte der Knabe und sagte: »Das wäre ein schöner Abend nach solch einem Tage, daß du nun wieder so allein wärest, wie du es dein Leben lang gewesen bist. Und glaubst du nicht, daß zehn Finger, mit denen man schaffen kann von der Frühe bis in die Nacht, besser sind als ein Ring, den man nur zu drehen braucht, um alles zu haben, was man nicht verdient hat?« Und damit streifte er mit seinem Rockärmel den Ring von dem letzten Finger seiner linken Hand, und sie sahen seine silberne Bahn in die dunkle Tiefe fahren und ihn aufschlagen und versinken, und in den Wasserringen sahen sie ihre Gesichter auseinanderfallen und sich wieder zusammenschließen.
Der alte Zauberer aber legte seine Hand plötzlich auf sein Herz, und die andere legte sich um die Schulter des Knaben. »Du hast es nicht gewußt«, sagte er leise, »aber mit dem Ring ist mein Leben in die Tiefe versunken, aus der es einmal aufgestiegen ist. Ich danke dir, denn du hast gut gemacht, was böse an mir war, und du konntest es gut machen, weil du mich lieb gehabt hast. Suche nicht nach dem Ring, denn ein reines Herz hat größere Zauberkraft als alle Zauberringe dieser Welt. Begrabe mich vor dieser Hütte, und dann gehe hinaus in die Welt. Zwei neue Hände hast du bekommen, und mit ihnen tue Recht und Barmherzigkeit, wohin du kommst. Das ist der wahre Zauber dieser Erde und das wahre Märchen, das immer bleibt, wenn auch die anderen alle versinken. Solange wir Kinder sind, bewegen wir den Ring, aber wenn wir aufhören, Kinder zu sein, bewegen wir unser Herz, und dazu hat uns Gott geboren auf dieser schmerzvollen Erde.«
Er hatte immer leiser gesprochen, und während seiner Worte sah der Knabe, daß die Hände des alten Mannes langsam verwelkten, und in dem Maße, in dem sie verwelkten, wurden seine eigenen Hände wieder, wie sie gewesen waren, und nur wo der Ring gesessen hatte, lief ein dünner roter Streifen um den Finger, wie ein Erinnerungszeichen an eine verheilte Wunde.
Mit diesen Händen begrub er den alten Mann vor der Hütte und pflanzte die Blumen in den Hügel, die aus seinen Tränen gewachsen waren.
Aber dann machte er sich auf, um sein Herz zu bewegen, wie der alte Mann ihm befohlen hatte.
* * *