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Es war einmal ein Junge, der war seiner Eltern einziges Kind, und die Eltern waren arme und rechtschaffene Leute. Sie waren schon alt, als das Kind geboren wurde, und sie freuten sich seiner sehr und taten ihm alles zuliebe, was in ihren Kräften stand. Manchmal sagten die Nachbarn, es sei nicht gut, ein Kind zu verwöhnen, und manchmal sei die Rute das beste Abendbrot. Aber davon wollten die Eltern nicht viel hören, und sie hatten auch weiter keine Sorge mit dem Jungen, außer daß er ein bißchen vorwitzig war und alles wissen und erkunden wollte und seine Nase gern in alle Dinge steckte, die eben vor seiner Nase lagen.
»Du wirst sie dir einmal doch noch verbrennen«, sagte dann die Mutter.
Aber der Knabe, in seiner altklugen Weise, lachte nur und erwiderte: »Besser eine verbrannte Nase als gar keine.«
Und dagegen war ja nun nicht viel zu sagen.
Der Mann und die Frau hatten ein Stück Acker, und damit plagten sie sich vom Frühling bis in den späten Herbst, und als der Knabe größer geworden war, mußte er ihnen fleißig zur Hand gehen, obwohl er lieber hinter den Krebsen her war, die unter den Erlenwurzeln am Bach hausten, oder in dem großen Walde verschwand, der hinter der Hütte anfing und dessen Ende niemand kannte und in dem es nicht geheuer sein sollte, wie die Leute sagten.
Doch tat er, was ihm aufgetragen wurde, wenn auch manchmal mit Seufzen und Stöhnen, und am meisten leid war es ihm, vom Morgen bis zum Abend Disteln in dem kleinen Weizenacker zu stechen. Und wenn er am Abend fertig zu sein meinte, waren am Morgen schon wieder hundert neue Stauden da, so daß er endlich dachte, das gehe nicht mit rechten Dingen zu, und es seinen Eltern sagte.
Da ging der Vater am späten Abend mit ihm noch einmal langsam über das Feld, fand keine Distel mehr, lobte seine Arbeit und meinte, daß es nun wohl aus sei mit dieser Plage.
Aber am nächsten Morgen, als der Knabe aus seinem Kammerfenster sah, standen die Disteln in ihrer dunklen Pracht wieder da, als ob niemand hinter ihnen hergewesen sei.
Da war der Vater bekümmert, schlug ein Kreuz über das Feld und sagte: »Entweder ist das nun der Teufel selbst, oder es ist die Alte aus dem Walde. Und das wäre noch schlimmer als der Teufel.«
Da lief der Knabe zu seiner Mutter und wollte alles von der Alten im Walde wissen. Aber die Mutter verwies es ihm ängstlich und meinte, es sei besser, ihren Namen nicht in den Mund zu nehmen. Es sei noch keinem ein Segen daraus erwachsen.
Dabei blieb es nun, aber dem Knaben ließ es den ganzen Tag keine Ruhe, und da sie am Abend eine Ziege geschlachtet hatten, die in den frischen Klee gegangen war, so schlich er sich um die Mitternacht aus seiner Kammer, nahm das Ziegenfell von der Scheunentür, hüllte sich darin ein und verbarg sich am Rande des Feldes, da wo es an den dunklen Wald stieß.
Der Mond stand rot und voll am dunklen Himmel, und noch bevor der Hahn krähte, sah der Knabe, wie eine Frau heimlich aus dem Walde kam, die war alt und runzlig, mit bösen Augen, und sie hatte ein weißes Laken umgebunden, so wie die Säer es tragen, wenn sie Korn in den Acker säen.
Da merkte der Knabe wohl, daß es nicht ganz geheuer war, was er sich vorgenommen hatte, aber es war nun zu spät zur Flucht, und seine Neugier trieb ihn auch an, zu ergründen, was es mit der Alten für eine Bewandtnis habe. Drückte sich also tief in den Graben und sah von ferne aus wie ein naschhaftes Tier, das auch zur Nacht noch in ein verbotenes Feld entkommen war.
Die Alte, bevor sie aus dem letzten Schatten des Waldes trat, schnupperte mißtrauisch wie ein Wild, bis sie das Dunkle im Graben entdeckte, das sie für eine Ziege hielt. Da war sie beruhigt und sagte nur: »Ist schon recht. Friß ihm nur den Klee weg, bis du platzest.« Und sie hing sich ihr Laken zurecht und ging langsam über das Weizenfeld. Und bei jedem Schritt nahm sie eine Handvoll von dem, was sie im Tuche hatte, und warf es über das Feld, ganz so, wie die Säer es tun.
Da wußte der Knabe nun Bescheid, wie es mit seiner Mühe um die Disteln beschaffen war, und obwohl ihm das Herz im Halse schlug, harrte er doch tapfer aus, bis die Alte ihr Zauberwerk vollendet hatte, und folgte ihr dann lautlos wie ein Schatten durch den mondhellen Wald. Und er wiederholte sich immer wieder die Worte, die sie gesprochen hatte:
»Wachse wild, wachse wild,
bis die Erde überquillt!«
Es war kein kurzer Weg, und er endete erst, wo die Felsen standen, die die Leute die Teufelsfelsen nannten. Da war eine Höhlung im Gestein, von Dornen und Schierling verdeckt, und da blieb die Alte stehen, blickte sich mißtrauisch um, hing dann ihr Laken auf einen Dornbusch, denn es war feucht vom Tau, und verschwand wie eine Ratte in ihrem Loch.
Der Knabe wartete, bis der Mond noch tiefer hinter die Tannen gesunken war, und dann ergriff er mit zitternden Händen das Laken, rollte es zusammen und lief wie ein Wiesel den Weg zurück. Im Holzschuppen fand er ein Pack dreizöllige Nägel, die der Vater für die Zaunpfähle brauchte, damit füllte er sich schnell alle Taschen, und so wie er war, atemlos und erhitzt, lief er den Weg wieder zurück, band das Laken um, schüttete die Nägel hinein und trat vor den Eingang der Höhle.
Seine Stimme wollte ihm nicht recht aus der Kehle heraus, aber dann ermannte er sich und sagte klar und deutlich:
»Wachse wild, wachse wild,
bis die Erde überquillt!«
Und damit warf er die scharfen Nägel wie ein Sämann in die Dornen vor dem Eingang, und kaum daß sie die Erde berührten, so wuchsen sie wie unter Zauberhand, und als das Laken leer war, stand ein Wald scharfer und blitzender Lanzen vor der Höhle, so dicht, daß kein Hase zwischen ihnen durchschlüpfen konnte, und das letzte Mondlicht funkelte in den geschliffenen Spitzen.
Da atmete der Knabe tief auf, und es schwindelte ihn ein bißchen vor der Macht, die er nun besaß. Aber er konnte noch nicht recht darüber nachdenken, rollte das Laken zusammen und ging langsam und todmüde nach seiner Hütte zurück. Dort verbarg er das Zaubertuch unter seinem Strohsack, und kaum hatte er sich ausgestreckt, so fielen ihm schon die Augen zu, und er erwachte erst, als die Sonne schon hoch am Himmel stand und der Vater ihn mit betrübter Miene weckte.
»Sie stehen schon wieder da«, sagte er, »und es lohnt nicht mehr der Mühe.«
Da war der Knabe gleich wach, und alle Geschehnisse der Nacht fielen ihm ein. »Laß es mich heut zum letztenmal versuchen«, bat er. »Ich denke, daß es mir heute gelingen wird.«
Und bis zum Abend stand er wieder im Weizenfeld und stach die Disteln aus.
Als nun am nächsten Morgen der Acker so sauber dalag wie nie zuvor, ging er zu seinen Eltern zurück, setzte eine gleichgültige Miene auf und sagte: »Es hat sich jemand anders die Nase verbrannt«. Und weiter war nichts aus ihm herauszubringen.
Aber von nun an juckte es ihn in den Händen, seine Macht zu erproben, und kaum hatten seine Eltern einmal die Hütte verlassen, um im Walde Streu zusammenzuharken, als er auch schon das Laken aus dem Versteck nahm, eine Metze mit Weizenkörnern hineinschüttete und zu der Brache ging, die der Vater eben umgepflügt hatte.
Da band er nun das Laken um, sagte seinen Spruch und warf die Körner über die Erde hin. Am nächsten Morgen aber rief er Vater und Mutter, und so sehr sie sich die Augen rieben, so blieb die grüne, dichte Saat doch auf dem Brachfeld stehen, und der Morgenwind wehte mit leichten Wellen über sie hin.
Da erschraken die Eltern und wußten nicht, was daraus werden sollte. Der Knabe aber lächelte geheimnisvoll, und so sehr die Mutter in ihn drang, blieb er doch schweigsam oder sagte höchstens: »Aus Kindern werden eben Leute, und so ist es wohl überall auf dieser Welt.«
Im Hochsommer aber ging der Vater nur widerwillig an das Feld, obwohl er seine Sense mit geweihtem Wasser besprengt hatte, und er gab das Korn an arme Leute, ohne etwas anderes dafür zu verlangen als ein »Vergelt's Gott!«
Den Knaben aber überkam es nun wie ein Rausch, und nachdem er heimlich im tiefen Wald die Macht des Tuches erprobt hatte und nie im Stich gelassen worden war, meinte er, daß es nun an der Zeit sei, sich an große Dinge zu wagen und aus seiner Dürftigkeit aufzusteigen zu Glanz und Herrlichkeit.
Nahm also Abschied von Vater und Mutter und sagte, daß er etwas in die Welt wolle, um mehr zu werden als ein Häuslersohn, und obwohl die Mutter ihn mit Tränen beschwor, doch Gottes nicht zu vergessen und lieber arm zu bleiben als eine Macht zu pflegen, die keinem Menschen zukomme, ließ er doch von seinem Vorsatz nicht ab, tröstete die Weinende und versprach wiederzukommen, sobald er etwas Großes geworden sei.
Als er nun einen Monat lang über Land gewandert war, kam er zur Königsstadt und fand alles Volk in Trauer und Bestürzung, denn der König des Nachbarreiches hatte das Land mit Krieg überzogen und die Bergwerke erobert, aus denen sie Eisen und Kupfer für ihre Waffen gewannen. Und die Großen des Reiches meinten, daß sie sich unter das Joch beugen müßten, wenn es ihnen nicht gelänge, Holz in Eisen zu verwandeln.
Der Knabe wanderte langsam durch die Straßen, hörte zu, was das Volk hier und da redete, und ließ sich dann vor den König führen.
»Was würde mein Lohn sein, Herr König«, sagte er, »wenn du morgen in der Frühe soviel Schwerter und Lanzen hättest, wie Weizenhalme auf deinen Feldern stehen?«
Da spotteten die Hauptleute seiner und verhöhnten ihn, aber der König verwies es ihnen und versprach dem Knaben alles, was sein Herz nur begehren würde. Denn er war ärmlich gekleidet, und der König meinte, daß sein Herz nicht nach großen Dingen trachten würde.
Der Knabe ließ sich einen Korb voll Schwerter und Lanzenspitzen reichen und versprach, am nächsten Morgen wiederzukommen. Vor den Toren der Stadt war er über eine weite Heide gekommen, dorthin ging er heimlich im ersten Mondlicht, band sein Laken um, sagte seinen Spruch und blieb bis zum Morgenlicht unter den Wacholderbüschen liegen, mit seinem Rock zugedeckt.
Als er erwachte und sich den Schlaf aus den Augen rieb, sah er schon Volk und Kriegsknechte am Rand der Heide zusammenlaufen und, soweit seine Blicke reichten, einen Wald von Schwertern und Lanzen, die blitzten in der Morgensonne. Da ging er dem König entgegen, den man gerufen hatte, verneigte sich und sagte: »Hier hast du, Herr König, was dein Herz begehrt hat.«
Da schwiegen nun freilich die Hauptleute, und der König wußte nicht, wie er ihn genug ehren sollte, hieß ihn an seiner Seite bleiben und machte ihn zu seinem obersten Kämmerer.
Am Abend ließ der Knabe das Heer sich vor dem Feinde aufstellen, hieß es die Nacht ruhig bleiben und bat um einen Korb mit Nägeln. Damit ging er um das weite Feld hinter dem Feinde, säte seine Saat aus, und am Morgen starrte hinter dem feindlichen Heer ein Wald von Eisenspitzen, so daß jeder Rückzug ihm abgeschnitten war und es demütig um Gnade bitten mußte.
Da war nun über Nacht der Knabe zum Größten des Reiches hinter dem König geworden, hatte einen Palast und Diener, Kleider und Waffen und alles, was das Herz eines Armen begehren mochte. Und soviel auch gute und falsche Freunde in ihn drangen, daß er sein Geheimnis enthülle, so war er doch beizeiten klug geworden und ließ sich nichts anders ablocken, als daß eine gute Fee ihm zur Seite stehe und daß seine Kraft aufhören würde, wenn er das Geheimnis offenbarte.
Als er nun so in Macht und Ehren war, machte er sich eines Tages auf, um seine Eltern wiederzusehen. Er hatte sein prächtigstes Gewand angelegt und sein schönstes Pferd bestiegen, und als er eines Abends vor der elterlichen Hütte hielt, verneigten seine Eltern sich tief, denn sie erkannten ihn nicht. Und auch nachher blieben sie scheu und schweigsam, sahen seine Geschenke nur von weitem an und taten fast, als wäre er ein Fremder, den eine gutherzige Laune zu ihnen geführt hatte.
Als er nun erzählt hatte, wie er mächtig und reich in des Königs Landen sei, nahm seine Mutter ihn beiseite, griff scheu nach seiner Hand und sagte: »Liebes Kind, möchtest du mir nun wohl sagen, wie es mit deiner armen Seele bestellt ist?«
Da lachte er, küßte sie und erwiderte, daß sie sich darum keine Sorgen machen möchte. Wer jung und mächtig sei, brauche sich um seine Seele nicht allzu sehr zu bekümmern. Sie wachse, wie die Blumen wüchsen, und Sonne und Tau habe sie umsonst.
»Die Seele hat nichts umsonst«, erwiderte die Mutter ernst. »Und weißt du auch, daß es in den Nächten aus dem Walde ruft, seit du fort bist? Als ob jemand um Hilfe rufe?«
Da erschrak der Knabe ein bißchen, weil er an die Alte dachte, aber er wußte sie gut versorgt hinter dem Wald von Nägeln, und es geschah ihr nur recht für den Distelsamen, den sie ausgesät hatte.
Er blieb nicht länger als einen Tag, denn es war ihm nun alles fremd und eng geworden, und als er wieder Abschied nahm, atmete er erleichtert auf und ritt fröhlich den weiten Weg zurück.
Wie die Zeit nun dahinging, kam es ihm immer öfter in den Sinn, seine Macht vor allen Bewunderern und Neidern zu zeigen, und da es keine Gefahr mehr für das Reich gab, begann er Mutwillen mit seinem Wundertuch zu treiben.
So lebte ein Wundarzt in der Hauptstadt, der ihm nicht hold war und im Gespräch oft verlauten ließ, daß der schlaueste Zauberer sich zuletzt in seinen eigenen Schlingen fange. Dem wollte er eine Lehre erteilen, und da der Wundarzt auch Zähne zog, wenn die Leute darum zu ihm kamen, so verschaffte der Knabe sich eine Menge davon, säte sie in einer dunklen Nacht auf dem großen freien Platz vor des Arztes Tür und sah am Morgen mit Vergnügen, wie das Volk sich lärmend oder scheu vor dem Wald von Zähnen drängte, der so dicht war, daß man nur mit festen Schuhen zu der Tür des Arztes gelangen konnte.
Oder er säte auf dem großen Festplatz vor dem Königspalast viele Hände mit Kürbissamen, und am Morgen lagen die riesigen Früchte zu Tausenden vor der Marmortreppe, so daß ein ganzes Heer von Gärtnern bis zum Abend schaffen mußte, um den Zugang frei zu machen.
Die Gedankenlosen lachten darüber als über die Laune eines Mächtigen, viele aber hielten es für ein gottloses Werk und sagten, daß man gewärtig sein müsse, eines Morgens über Dingen zu erwachen, die einem das Herz stillstehen lassen würden.
Auch der König ermahnte seinen Kämmerer, doch von solchen Dingen zu lassen, da niemand sich dieser Erde mehr sicher fühle, aber der Knabe lachte nur, und der Rausch seiner Macht ergriff ihn so, daß ihn schwindelte.
Auch trieb es ihn nun bisweilen, Böses zu tun, nur um der bloßen Lust willen, und wenn er sah, wie die Leute ihm scheu auswichen oder die Mütter weinten, deren Kindern er Leid angetan hatte, fühlte er erst, wie hoch er gestiegen war und daß die ganze Erde Grund hatte, vor ihm zu zittern.
Nun hatte der König eine Tochter, die war klug und kühlen Herzens, und mit ihr taten sich die Großen des Reiches zusammen und beredeten sich mit ihr, wie der Knabe zu stürzen wäre. Und es dauerte nicht lange, da merkte der Knabe, daß die Königstochter ihn heimlich voller Liebe ansah, sobald er am Hofe war.
Das war ihm nun gerade recht, eine Königskrone zu tragen statt der alten Mütze, die seine Mutter ihm vor Jahren gereicht hatte, und es dauerte nicht lange, so wurde die Hochzeit gefeiert, und am Morgen darnach, als der Kämmerer seine junge Frau in den Garten führte, lagen statt der Tautropfen Tausende von Diamanten auf den Gräsern und Blumen, und das war nun sein Hochzeitsgeschenk.
Von da an aber sann die Königstochter Tag und Nacht darauf, wie sie erfahren könnte, wo ihr Mann das Zauberlaken verbarg und wie sie es ihm entwenden könnte. Und als ihr weder Schmeicheln noch Trotzen dazu verhalf, lag sie Nacht für Nacht ohne Schlaf, bis er sich endlich einmal heimlich davonmachte, um seinem Zaubergewerbe nachzugehen. Da verbarg sie sich, bis er wiederkam und in eine kleine Kammer schlich, in der nur Küchenkräuter und Gewürz aufbewahrt wurden.
Da wußte sie genug, und am nächsten Tage, als er das Haus verlassen hatte, lag sie in der Kammer auf den Knien und suchte, bis sie das Laken fand. Da ließ sie von ihren Frauen ein Stück herbeischaffen, das dem andern wie aus den Augen geschnitten war, vertauschte die Laken und verbarg das echte im Königspalast.
Nun war in diesem Jahr eine Mißernte über das Land gekommen, und der König, der jetzt in das Geheimnis eingeweiht war, bat seinen Kämmerer, mit seiner Macht wieder etwas Gutes zu tun und die Heide vor der Stadt in ein Weizenfeld zu verwandeln.
Das wollte der Jüngling gern tun, und bei der Nacht holte er das Laken aus der Kammer, füllte es mit Weizenkörnern und tat auf der Heide, wie er bisher getan hatte.
Am Morgen bat die Königstochter ihn, mit ihr vor die Stadt zu gehen, da sie sich an dem Anblick des Feldes und der Freude der Hungrigen erbauen wollte. Schon von ferne sahen sie die Menge des Volkes, Soldaten und Hauptleute, und der Kämmerer wunderte sich, daß niemand ihn grüßte, ja daß von weitem Fäuste gegen ihn gehoben wurden und Flüche erschallten.
Aber dann stand er wie vom Blitz getroffen, als er die Heide groß und leer vor sich liegen sah, von Sand und Heidekraut bedeckt, und nicht ein einziger Weizenhalm wiegte sich im Wind.
Und wie er so über das leere Land hinwegsah, und die Flüche und Verwünschungen klangen von ferne an sein Ohr, war es ihm, als erblickte er ganz in der Ferne die traurigen Augen seiner Mutter und hörte ihre traurige Stimme sagen: »Möchtest du mir nun wohl sagen, wie es mit deiner armen Seele bestellt ist?«
Da zerriß ihm sein Herz, und er erkannte, wie er gesündigt hatte. Und als die Hauptleute kamen und Hand an ihn legten, folgte er ihnen willig und stumm, und nur als er das Lächeln auf den Lippen der Königstochter sah, blieb er stehen, sah sie traurig an und sagte: »Du lächelst, aber das, was du unter dem Herzen trägst, weint um dich und mich.«
Da lag er nun in einem tiefen Kerker und erblickte weder Sonne noch Sterne und bedachte sein törichtes Leben und alles, was er den Menschen an Leid zugefügt hatte. Aber am tiefsten tat ihm sein Herz weh, wenn er an die Königstochter dachte, denn er wußte, daß sie ihn verraten hatte, und ihr hatte er doch nichts als Liebes erwiesen aus Herzensgrund.
Als sie nun am Abend zu ihm kam und ihm von ihrem Vater ausrichtete, daß er frei davongehen könne, wenn er ihr den Spruch verrate, den man zu dem Zaubertuch sprechen müsse, sonst aber sein Haupt auf den Block zu legen habe, sah er sie lange an und sagte dann: »Eher will ich tausend Tode sterben, als das Böse weiterreichen in böse Hände. Du aber sage mir, weshalb du mir Leid angetan hast, und wußtest doch, daß ich dich liebe?«
Da wurde sie verwirrt unter seinen traurigen Augen, stand auf und sagte, daß sie noch zweimal wiederkommen dürfe, um ihn zu fragen, dann aber nicht mehr.
Als sie zurückging in das verlassene Haus, mußte sie ein paarmal stehen bleiben und sich an die Mauer lehnen, weil sie das Kind unter ihrem Herzen fühlte, und die traurigen Augen des Knaben wollten ihr nicht aus dem Sinn. In der Nacht träumte es ihr schwer, und am Morgen war ihr Kissen naß von Tränen. Sie ließ niemanden vor sich und saß den ganzen Tag an dem goldenen Springbrunnen in ihren Gärten und sah zu, wie der silberne Strahl mit leisem Klingen in die Schale zurückfiel. Und wenn sie die Augen schloß, hörte sie nicht den Klang des Wassers, sondern eine ferne Stimme, die sagte immer wieder: »Und du wußtest doch, daß ich dich liebe ,...«
Als sie zur Nacht in den Kerker trat, nahm sie ein Bündel unter dem Mantel hervor, reichte es dem Knaben und sagte: »Nimm es nun wieder, und mit seiner Macht befreie dich!«
Da sah er, daß es das Laken war, und er trat an das vergitterte Fenster, das auf einen unterirdischen Hof führte, lehnte die Stirn an die Eisenstäbe und dachte, wie süß die Freiheit sei, süßer als alles auf der Welt. Aber dann schüttelte er den Kopf und drehte sich um, doch da war seine Zelle leer, und die Königstochter war leise gegangen.
Er wickelte das Laken wieder zusammen, legte es sich unter den Kopf und lag ganz still im Dunklen. Und während seine Gedanken sich abmühten, den rechten Weg zu finden, schlief er ein.
Im Traum aber sah er seine Mutter, die stand auf einem weiten, öden Feld und hatte das Laken umgebunden und starrte hinein, als sähe sie etwas darin. Und um sie herum war nichts zu sehen, kein Wald, kein Strom, kein Haus, nur das unendliche Feld, und der Himmel darüber war dunkel und nur von ein paar Spalten zerrissen, und aus den Spalten fiel ein fahles Licht wie von einer fernen Morgendämmerung auf die Erde.
So verlassen stand die Mutter auf dem dunklen Feld, daß er sich aufmachte, zu ihr zu laufen, aber wie er näher kam, sah er, daß sie weinte, und die Tränen fielen eine nach der anderen in das Laken, und so viele waren schon gefallen, daß das Tuch ganz schwer davon war, als trüge sie Wasser darin.
Da blieb er stehen, weil er wußte, daß alle Tränen um ihn gefallen waren, und da tauchte die Mutter die rechte Hand langsam in das Laken und ging nun langsam über das Feld und säte ihre Tränen aus, und ihre blassen Lippen flüsterten leise einen Spruch, der war fast derselbe wie der der alten Frau, aber doch anders, und als der Knabe näher trat, verstand er ihn.
»Brennet still, brennet still,
bis euch Gott verlöschen will!«
Und überall, wo eine Träne hinfiel, brannte ein kleines Licht mit bläulicher Flamme auf dem Feld, und wie die Mutter weiter und weiter ging, waren es Tausende von kleinen Flammen, die leuchteten wie Frühlingsblumen, so daß der dunkle Himmel darüber sich langsam blau färbte im Widerschein. Und das Ganze war schön und traurig zugleich und so still wie ein Friedhof am Allerseelentag.
Da erwachte der Knabe mit klopfendem Herzen, und er setzte sich auf, nahm das Zaubertuch auf seine Knie und zerriß es in tausend kleine Stücke, die warf er durch die Gitterstäbe aus dem Fenster, und der Wind nahm sie und trug sie davon.
Den ganzen Tag war er so heiter, daß die Wächter sich verwunderten, und nur wenn er an die Königstochter dachte, war ihm das Herz ein bißchen schwer.
Am Abend kam sie zum drittenmal, saß still auf seinem Lager und fragte ihn dann, wie er seine Rettung bedacht habe.
Da zog er einen kleinen Leinenfetzen aus seinem Kleid, hielt ihn auf der flachen Hand und sagte: »Das ist der Rest davon, und alles andere hat der Wind genommen.«
Da erschrak sie und weinte still vor sich hin.
»Weshalb weinst du?« fragte er. »Warst du es denn nicht, die mir meine Stärke entwendet hat, und nun weinst du darum?«
»Es ist nun alles anders geworden«, erwiderte sie, »und mein Herz trägt Leid um dich, weil es dich liebt.«
Da saß er eine Weile wie betäubt und konnte es nicht fassen, aber dann leuchtete sein Gesicht, er umfing die Königstochter und herzte sie und sagte: »Nun will ich gern den Tod erleiden, nachdem du mir dieses geschenkt hast. Nimm nur das Kind fort von hier, wenn du es geboren hast, und trage es zu meinen Eltern, damit es in der Armut aufwächst.«
Aber sie schüttelte den Kopf und sagte: »Ich will nicht ohne dich sein, und du mußt nun tun, was ich mir ausgedacht habe. Denn du sollst den Tod nicht erleiden, nur weil die Hauptleute es wollen.«
Und sie bat ihn solange, bis er ihr nachgab. »Bedenke aber dieses«, sagte er, »ich werde an der Heide auf dich warten, und wenn du nicht kommst, so werde ich wissen, daß sie dich festgehalten haben, und dann werde ich morgen in der Frühe auf dem Richtplatz stehen.«
Aber sie lächelte schon wieder. »Vertraue mir nur«, sagte sie, »bisher war ich klug um böser Dinge willen, nun will ich es um guter Dinge willen sein.«
Dann tauschten sie ihre Gewänder, und der Knabe band ihr goldenes Tuch um sein Haar, zog es sich tief in die Stirn und nahm mit Tränen Abschied von ihr. Sie aber, in seinem Knabenanzug, stellte sich vor das Gitterfenster, lehnte die Stirn an die Stäbe und war in der Dunkelheit wie sein Ebenbild.
Als der Knabe nun an die Kerkertür pochte, beugte der Wächter sich tief vor ihm, und er verließ ungehindert das Tor.
Nach einer Weile nun pochte die Königstochter in dem Kleid des Gefangenen an die Tür, und als der Wächter widerwillig öffnete, mit einem Licht in der Hand, enthüllte sie ihr Gesicht und ihr weiches Haar, und er erschrak zu Tode.
»Fürchte dich nicht«, sagte sie freundlich. »Morgen in der Frühe gehe zu meinem Vater und sage ihm dieses: mein Herz hat bereut, denn ich trage ein Kind von meinem Gatten. So habe ich ihm das Zaubertuch wiedergebracht, und mit seiner Hilfe sind wir beide entflohen. Wenn aber das Kind groß geworden ist, will ich es ihm bringen, daß er Freude an ihm habe. Denn ich will es in Armut und Demut erziehen, und es soll ohne Zauber wirken, was jetzt durch das Tuch geschehen ist.«
Der Wächter fiel auf die Knie und küßte ihre Hand, und sie ging ungehindert durch das Tor bis zu der Heide, wo der Knabe wartete.
Die Sterne schienen, und sie gingen Hand in Hand nach Süden zu, wo die Hütte des Knaben lag. Ihre Wange ruhte an seiner Schulter, und wenn er ihr vorhielt, daß sie nun leben müßte wie eine Magd, lächelte sie nur und bat ihn, nicht zu vergessen, daß sie ein Königskind trage. Und dafür wolle sie gern eine Magd sein.
Nach einer Weile aber blieb er stehen, strich ihr über das gelöste Haar und sagte mit seinem alten Knabenlächeln: »Zuerst aber wollen wir auf das Weizenfeld gehen und Disteln stechen.«
Und damit war sie gern einverstanden.
* * *