Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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Koxkox und Kikequetzel.

Eine mexikanische Geschichte.

Ein Beytrag zur Naturgeschichte des sittlichen Menschen.

1769 und 1770.

1.

Vor undenklichen Jahren kam, nach einer alten Mexikanischen Sage, ein großer Komet, auf seiner Reise um die Sonne – man weiß nicht aus welcher Veranlassung – dem Planeten, welchen unsre Vorfahren bewohnten, so nahe, daß beide Sterne, nach menschlicher Weise zu reden, handgemein mit einander werden mußten.

Das Gefecht war eines der hartnäckigsten, welche seit langer Zeit in den Gefilden des Äthers vorgefallen waren. Die besondern Umstände davon sind, aus Mangel beglaubter Zeugnisse, unbekannt. Alles, was wir davon sagen können, ist: daß, nachdem der Mond seiner Schwester Erde zu Hülfe gekommen, de Komet sich endlich genöthiget fand, mit Zurücklassung des größten Theils von seinem Schweife, die Flucht zu ergreifen, und, es sey nicht aus Feigheit oder Scham über seine mißlungene Unternehmung, sich im leeren Raume so weit zu verlaufen, daß er, nach der Meinung der besten Sinesischen Sternseher, bis auf den heutigen Tag den Rückweg noch nicht hat finden können.

Wie wichtig der Verlust seines Schweifs für ihn gewesen sey, können wir nicht bestimmen. Aber so viel ist gewiß, daß die Erde wenig Ursache hatte, sich dieses erfochtenen Siegeszeichens zu erfreuen. Denn unglücklicher Weise, befanden sich in diesem Schweife (welcher nach der mäßigsten Berechnung eine Million dreymahl hundert vier und vierzig tausend fünf hundert sechs und sechzig Mexikanische Meilen lang, und verhältnismäßig breit und dick war) obenhin gerechnet wenigstens tausend Millionen Tonnen Wassers, welches in erschrecklichen Güssen auf die arme Erde herunter stürzte, und in wenigen Stunden eine solche Überschwemmung verursachte, daß alle Menschen und Thiere des ganzen mittlern Theils der Halbkugel, von Luisiana und Kalifornien an bis zu der Erdenge Panama, dadurch zu Grunde gingen; wenige einzelne ausgenommen, die so unglücklich waren, in den Klüften der höchsten Gebirge einem feuchten Tode zu entrinnen, um aus Mangel an Lebensmitteln von einem trocknen aber unendliche Mahl grausamer aufgerieben zu werden.

Hüet und seines gleichen würden kein Bedenken tragen, uns zu versichern, daß diese alte Mexikanische Sage nichts anders als eine durch die Länge der Zeit abgenutzte, und (nach Gewohnheit der blinden Heiden) mit Fabeln wieder unterlegte und ausgeflickte Nachricht von der Mosaischen allgemeinen Sündflut sey.

Ich bin nicht belesen genug, um mit einem so belesenen Manne wie Hüet zu haberechten. Es kann seyn! – Aber da es eben so möglich ist, daß diese Mexikanische Überschwemmung nur partikular gewesen und später erfolgt ich als jene; und da, aus Mangel zuverlässiger kronologischer Nachrichten, sich in dieser Sache nichts bestimmen läßt: so – überlasse ich diese Frage unberührt einem jeden, der sich ihrer annehmen will, – um zu derjenigen interessanten Begebenheit fortzueilen, welche der Leser, wofern er über diesem Anfang noch nicht eingeschlafen ist, im zweyten Kapitel dieses rhapsodischen Werkes, mit allen Grazien der Neuheit, deren eine so alte Geschichte nur immer fähig ist, beschrieben finden wird.


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