Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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6.

Es mag nun aus Vorurtheil, oder aus Aberglauben, oder aus wirklicher Überzeugung daß es so und nicht anders gewesen, hergekommen seyn, – so viel ist gewiß: daß die Mexikanischen Tiziane, wenn sie die Göttin der Schönheit, oder prosaischer zu reden, eine vollkommene Schöne mahlen wollten, sich dazu durch die Idee der schönen Kikequetzel (so nennen sie die Nymfe, von welcher hier die Rede ist) zu begeistern pflegten.

Sie war, sagen sie, gerade und lang wie ein Palmbaum, und frisch und saftvoll wie seine Frucht. Ihre Gestalt war nach den feinsten Verhältnissen gebildet; vom Wirbel ihres Hauptes bis zu den Knöcheln ihrer schönen Füße war nichts eckiges zu sehen noch zu fühlen. Rabenschwarze Haare flossen ihr in natürlichen Locken um den erhabenen Busen. Sie hatte große schwarze Augen, eine kleine Stirne, hochrothe etwas aufgeworfene Lippen, eine Gesichtsfarbe, die ins Jonquille fiel, eine flache aufgestülpte Nase – mit Einem Worte, niemahls (sagen sie) hat die Natur etwas vollkommneres hervorgebracht.

Ein junger Sineser rümpfte die Nase bei diesem Gemählde. – Eine Schöne, rief er, mit großen Augen! mit einer kleinen Stirne! mit aufgestülpten Nüstern! – Ha! ha! ha!

Sie mag, beym Goldkäfer! so übel nicht gewesen seyn, schnatterte ein Hottentott – und, beym Goldkäfer! wenn sie zu ihren großen Augen und dicken Lippen noch kurze dicke Beine und nicht so langes Haar gehabt hätte, ich bin euch nicht gut dafür, daß ich mich nicht selbst in sie verliebt haben könnte.

Der Grieche – Aber, ach! es giebt keine Griechen mehr, welche wissen was die Gnidische Venus war!

Wir wollen nicht streiten, lieben Leute! – Der Himmel weiß, was für Drachen es in andern Planeten giebt, die sich selbst für schön, und alle unsre Liebesgöttinnen und Grazien für – Drachen halten!

Genug, die Nymfe Kikequetzel machte auf Koxkoxen denselben Eindruck, welche Juno mit Hülfe des Gürtels der Venus auf den Vater der Götter, und die schöne Fryne ohne Gürtel auf hundert tausend tapfre Griechen mit Einem Mahle machte; – und darum allein ist es zu thun.

Übrigens hätte ich wohl selbst wünschen mögen, daß die schöne Kikequetzel einen andern Namen geführt hätte. Unsre höchst verfeinerten Ohren sind durch die musikalischen Nahmen unsrer Cefisen und Cidalisen, Adelaiden und Zoraiden, Nadinen und Aminen, Belinden und Rosalinden, so verwöhnt, daß wir uns keine liebenswürdige Person ohne einen schönen Nahmen denken können. Es ist ein bloßes Vorurtheil. Aber was für eine Wirkung würde Kikequetzel in einer Tragödie oder in einem Heldengedicht, oder nur in einer kleinen Novelle thun? – Koxkox und Kikequetzel! – Wehe dem Dichter, der den Einfall hätte, diese Nahmen über das mühevolle Werk seiner Nachtwachen zu setzen! Alle Grazien und Liebesgötter könnten ihn nicht gegen das Lächerliche und Indecente in dem Nahmen Kikequetzel schützen. – Ich wiederhohle es, ich hätte ihr einen andern wünschen mögen; – und in der That, warum hätte sie nicht eben so gut Zilia oder Alzire heißen können?

Ein bloßer Zufall war Schuld daran. Als sie mit Koxkox bekannt wurde, hatte sie noch gar keinen Nahmen, und sie lebten eine geraume Zeit mit einander, ohne daß es ihm einfiel ihr einen zu geben.

Die Wahrheit von der Sache ist: Kikequetzel (welches in Koxkoxens Sprache ungefähr so viel als Freude des Lebens bedeutet) war der Nahme, den er ehmahls seinem grauen Papagay gegeben hatte. Einige Sommer nach dem Tage, da er das Mädchen unter dem besagten Rosenstrauche gefunden hatte, befiel den armen Kikequetzel das Unglück, von einer Schlange gegessen zu werden. Koxkox war etliche Tage untröstbar über diesen Verlust. Endlich fiel ihm, um das Andenken seines geliebten Papagayen zu erhalten, nichts bessers ein, als seinen Nahmen auf dasjenige überzutragen, was ihm das liebste in der Welt war: und so hieß das Mädchen Kikequetzel; – und so hat schon tausendmahl ein eben so zufälliger Umstand Dinge von unendliche Mahl größerer Wichtigkeit entschieden.

Der Umstand ist an sich so gering, daß wir ihn nicht berührt hätten, wenn er nicht dem Herzen des guten Koxkox Ehre machte.


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