Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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10.

Es ist wahr, alles, was von dem Hermes der Ägypter an, durch die weisesten und wirksamsten Geister, durch die Heroen, durch die Gesetzgeber, durch die Erfinder, durch alle Arten von Genien, durch alle Arten von Triebfedern der moralischen Welt, zum allgemeinen Besten der Gattung bisher gewirkt worden ist, besteht nur in Bruchstücken, in Materialien, welche zum Theil noch roh, zum Theil mehr oder weniger bearbeitet da liegen.

Aber es ist eben so wahr, daß diese Materialien nur auf die Vereinigung günstiger Zufälle mit der zusammen gestimmten Thätigkeit großer Seelen warten, um zu dem einzigen Werke, was würdig ist jede fühlende und denkende Seele zu begeistern, zu einem allgemeinen Tempel der Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts aufgeführt zu werden.

Religion, Wissenschaften, und ihr, liebenswürdige Künste der Musen! – ihr habt in der Kindheit der Welt die rohen, verwilderten Menschen gezähmt, die Städte vereiniget, Gesetzen unterwürfig gemacht, und mit der edlen Liebe eines gemeinschaftlichen Vaterlandes beseelt! – Eurer freundschaftlich vereinigten Wirksamkeit ist es aufbehalten, das große Werk zur Vollendung zu bringen, und aus allen Völkern des Erdbodens, – dieses Sonnenstaubs in dem grenzenlosen All der Schöpfung – Ein Brudergeschlecht von Menschen zu machen, welche durch keine Nahmen, keine Wortstreite, keine Hirngespinste, kein kindisches Gebalge um einen Apfel, keine kleinfügige Absichten und verächtliche Privatleidenschaften, wider einander empört, – sondern von dem seligen Gefühl der Humanität durchwärmt, und von der innigen Überzeugung, daß die Erde Raum genug hat alle ihre Kinder neben einander zu versorgen, durchdrungen, einander alles Gute willig mittheilen, was Natur und Kunst, Genie und Fleiß, Erfahrung und Vernunft, seit so vielen Jahrhunderten auf dem ganzen Erdboden, wie in ein allgemeines Magazin, aufgehäuft haben. Eurer freundschaftlich vereinigten Wirksamkeit ist es aufbehalten, dieses glorreiche Werk zu Stande zu bringen, sage ich. Denn, getheilt, oder durch unselige Vorurtheile entzweyt, und mit euch selbst im Streite, werdet ihr nimmermehr, nimmermehr das wahre Ziel eurer Bestimmung erreichen! Getheilt werdet ihr ewig, wider eure Absicht, Böses stiften; vereinigt werdet ihr alle Menschen glücklich machen!

Schwärme ich? – Es sollte mir leid seyn, wenn nur Einer von denen, welche vorzüglich dazu berufen sind auf ein so edles Ziel zu arbeiten, denken könnte, daß der einzige allgemeine Endzweck der Natur, der sich denken läßt wenn überall ein Plan und eine Absicht in ihren Werken ist, eine Schimäre sey.

Ist es eine Schimäre – nun so wissen wir, was wir von dieser sublunarischen Welt zu denken haben.

So macht alles zusammen genommen eine so schale, so bürleske, so sinn- und zwecklose tragi-komische Pastoral-Farce aus, daß man alle Harlekins, Mezzetins und Bernardons der Welt getrost aufbieten kann, eine schalere zu erfinden! So sind alle Narren weise Leute, und die Sokrates und Aristoteles, die Epaminondas und Timoleon, von jeher die einzigen Narren in der Welt gewesen! – –

Welches der Himmel verhüten wolle!


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