Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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22.

»Auf die Natur selbst ungehalten zu werden?« –

Dazu möchte Tlantlaquakapatli wohl eben so wenig Recht haben als Plinius, den es verdroß, daß wir keinen Pelz, oder nicht wenigstens ein hübsches warmes Schwanenfell mit auf die Welt bringen.

»Und warum sollte Unschuld der Sitten, Friede, Eintracht, Genügsamkeit, und alles was das wahre Glück des Lebens ausmacht, nicht das Antheil eines ganzen Volkes seyn können?«

Ich rede nicht von Utopia, oder einer neuen Atlantis, oder dem Lande der Severamben, oder demjenigen, wonach uns der Dichter der Basiliade gelüstig machen wollte. Es giebt wirklich ein Volk in der Welt, welches schon Jahrhunderte in einem so glücklichen Zustande lebt, und, wenn sich kein mißgünstiger Dämon in seine Sachen mischt, noch Jahrhunderte eben so glücklich bleiben kann; – ein beneidenswürdiges und unbeneidetes Volk, welches die holden Träume der Dichter von goldnen Zeiten und unschuldigen Arkadiern realisiert – und von dem wir unsern Lesern künftig mehr zu sagen gedenken.

Aber, ein einzelnes Beyspiel vermag nichts über unsern Filosofen, – zumahl wenn er einen Anstoß von Milzbeschwerung hat. Ich kann mir freylich einen Zusammenhang von günstigen Umständen denken, sagt er, unter welchen Koxkox und Kikequetzel mit ihren Nachkommen vielleicht bis ins zehnte Glied unschuldig und glücklich hätten bleiben können; und wer wird mir läugnen, daß ein solcher Zusammenhang, unter einer Million andrer Verknüpfungen, in einer Million von Jahren, einmahl wirklich werden kann? – Aber was hilft uns das, (fährt er fort) so lang' es nur einen einzigen Umstand braucht, um eine Unschuld zu zerstören, die ihre ganze Stärke von Unwissenheit und Gewohnheit erhält?

Koxkox und Kikequetzel waren ein Paar sehr unschuldige gute Leute, so lange sie allein waren. Sie liebten einander; wie hätten sie anders können? Sie thaten einander gutes – weil sie sich liebten; und was hätten sie davon gehabt einander zu plagen? Ich wollte nicht dafür stehen, daß es nicht zuweilen kleine Zwistigkeiten unter ihnen gegeben hätte: aber diese machten nur den Schatten im Gemählde ihrer Glückseligkeit; und das Vergnügen der Aussöhnung war desto lebhafter.

Sie liebten ihre Kinder, – dann da konnte noch keine unbillige Theilung der älterlichen Zuneigung, keine ehrgeitzige oder eigennützige Begünstigung des einen auf Unkosten der übrigen, keine Eifersucht einer eiteln Mutter über die wachsenden Reitzungen einer Tochter, in denen sie erblickt was sie nicht mehr ist, Statt finden. – Sie liebten ihre Kinder, und diese Kinder waren unschuldig, so lange sie – Kinder waren. – Aber was half ihnen alles das? Ein einziger Umstand – Doch, wir wollen die Sache, so weit es möglich seyn wird, mit Tlantlaquakapatli's eignen Worten erzählen.


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