Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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8.

Koxkox war, nach der gelehrten Zeitrechnung des Filosofen Tlantlaquakapatli, – gegen welche sich vielleicht Einwendungen machen ließen, ohne daß den Wissenschaften ein merklicher Nutzen aus der ganzen Erörterung zugehen würde – Koxkox, sage ich, war in dem wichtigen Augenblicke, wovon die Rede ist, achtzehn Jahre, drey Monate, und einige Tage, Stunden, Minuten und Sekunden alt.

Er war fünf Fuß und einen halben Palm hoch, stark von Gliedmaßen, und von einer so guten Leibesbeschaffenheit, daß er niemahls in seinem Leben weder Husten, noch Schnupfen, noch Magendrücken, noch irgend eine andre Unpäßlichkeit gehabt hatte; – welchen Umstand der weise und vorsichtige Kornaro, in seinem bekannten Buche von den Mitteln alt zu werden, seiner Mäßigkeit und einfältigen Lebensart zuschreibt.

Die Absonderung seiner Säfte ging also vortrefflich von Statten, und die flüssigen Theile befanden sich bey ihm mit den festen in diesem glücklichen Gleichmaße, welches, nach dem göttlichen Hippokrates, die Bedingung einer vollkommenen Gesundheit ist.

Alle seine Sinne und sinnlichen Werkzeuge befanden sich in derjenigen Verfassung, welche – in allen Handbüchern der Wolfischen Metafysik – zum Empfinden erfordert wird. Die Kanäle seiner Lebensgeister waren nirgends verstopft, und die Fortpflanzung der äußern Eindrücke in den Sitz der Seele, (welche, im Vorbeygehen zu sagen, ihm so bekannt war als irgend einem Psychologen unserer Zeit) nebst der Absendung der Volizionen und Nolizionen aus dem Kabinet der Seele in die äußersten Fäserchen derjenigen Werkzeuge, welche bey Ausführung derselben unmittelbar interessiert waren, ging mit der größten Leichtigkeit und Behendigkeit von Statten.

Er hatte ungefähr vor zwey Stunden eine starke Mahlzeit von Früchten und geröstetem Maiz gethan, und ungefähr drey Nößel von einem Trank aus Wasser, Kakaomehl und Honig zu sich genommen, von welchen beiden Ingredienzien das erste bekannter Maßen sehr nährend, und das andre, nach Boerhaave und allen die Er abgeschrieben hat und die Ihn abgeschrieben haben, ein vortreffliches Konfortativ ist, dessen Koxkox weniger als irgend einer von unsern angeblichen Mädchenfressern nöthig gehabt zu haben scheint.

Es war ungefähr um vier Uhr Nachmittags, in dem Monat, worin ein allgemeiner Geist der Liebe die ganze Natur neu belebt, alle Pflanzen blühen, tausend Arten von bunten Fliegen und Schmetterlingen, aus ihren selbst gesponnen Gräbern aufgestanden, ihre feuchten Flügel in der Sonne versuchen, und zehen tausend vielfarbige Wizizilis auf jungen Zweigen aus ihrem langen Winterschlummer erwachen, um unter Rosen und Orangenblüthen zu schwärmen, und ihr wollüstiges Leben, welches mit der Blumenzeit anfängt, zugleich mit ihr zu beschließen.

Es ist sehr zu bedauern, daß Tlantlaquakapatli, aus Mangel eines Reaumürschen oder irgend eines andern Thermometers, nicht im Stande war, den Grad der Wärme zu bestimmen, auf welchem sich damahls die Luft befand.

Es war ein schöner, warmer Tag, sagt er, die Luft rein, und der oberste Theil derselben lasurblau; und es wehte ein angenehmer Wind von Nord-West-West, welcher die Sonnenhitze so gut mäßigte, daß das Roth auf Koxkoxens Wangen, etliche Augenblicke zuvor eh' er das schlafende Mädchen erblickte, nicht höher war, als es auf den innersten Blättern einer neu aufgehenden Rose zu seyn pflegt.

Unser Filosof – welcher glaubt, daß alle diese Umstände bey Berechnung der Ursachen und Wirkungen der menschlichen Leidenschaften mit in Rechnung gebracht werden müssen – ist eben so genau in Angebung aller der kleinen Bestimmungen, unter welchen die schöne Kikequetzel dem jungen Mexikaner in die Augen stach.

Seiner Beschreibung nach, war sie gerade so gekleidet, wie die Grazien der Griechen oder die Töchter der Karaiben auf den Antillen, das ist in derjenigen Kleidung, wegen welcher der ältere Plinius – vermuthlich in einem Anstoß von schlimmer Laune – mit der Natur einen Zank anfängt, der uns (alles wohl überlegt) der unbilligste unter allen scheint, welche jemahls ein mißmüthiger Filosof mit ihr angefangen hat.Plin. Hist. Natural. L. VII. in prooemio.

Sie lag auf einem grünen Rasen, dessen dichtes blumenvolles Gras sie (wie Homer von seiner bekannten Göttergruppe auf dem Ida sagt) sanft empor zu heben schien. Ihr Haupt ruhte auf einem Haufen der schönsten Blumen, welche sie vermuthlich selbst (es wäre denn, daß man glauben wollte, daß Zefyr oder irgend ein andrer Sylfe ihr diese Galanterie gemacht habe) zu diesem Gebrauch zusammen getragen hatte. Ihr rechter Arm – dessen schöne Form unser Filosof nicht unbemerkt läßt – verbarg einen Theil ihres Gesichts, und bekam durch die Verkürzung, und den sanften Druck, den er von seiner Lage litt, einen Reitz, der – wie alle Grazien – sich besser fühlen als zeichnen, und besser zeichnen als beschreiben läßt. – Das leichte Gesträuch, welches eine Art von Sonnenschirm um sie zog, warf kleine bewegliche Schatten auf sie hin, welche die pittoreske Schönheit des Gemähldes – denn noch war es nichts mehr für unsern Mann – erheben halfen.


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