Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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9.

Doch, was würden alle unsre Einwendungen helfen, wenn (wie Rousseau sehr wahrscheinlich findet) »es wirklich eine Art von Menschen gäbe, welche, von Alters her in die Wälder zerstreut, keine Gelegenheit ihre Fähigkeiten zu entwickeln gehabt, keinen Grad von Vollkommenheit erworben hätten, und sich, mit Einem Worte, noch dermahlen in dem ersten Stande der Natur befänden?«

Wo er wohl diese für ihn so merkwürdigen Menschen aufgetrieben haben kann? – Wo anders als in den Wäldern von Majomba in der Afrikanischen Provinz Loango, und im Königreiche Kongo, welches, nach Dappers Bericht, voll von Waldmenschen ist, – die allem Ansehen nach die nehmliche Art von Geschöpfen sind, welche in Afrika überhaupt Pongo's oder Quojas-Morro's, und in Ostindien Orang-Utang genannt werden.

Diese Geschöpfe sind, wie man uns berichtet, von der gewöhnlichen Größe eines Menschen, aber viel dicker, und so stark, »daß zehen Negern nicht genug wären, um einen davon lebendig zu fangen.« Sie gehen auf zwey Beinen, bedienen sich der Hände wie wir, sind proporzionierlich gestaltet, vorn am Leibe glatt, aber hinten mit schwarzen Haaren bedeckt. Ihre Gesichtsbildung ist von der Negern ihrer nicht gar sehr verschieden, außer, »daß ihnen die Augen tief im Kopfe liegen, und daß ihre Miene etwas wildes und gräßliches hat.« Ihre Weibchen haben eine volle Brust, wiewohl nicht völlig so gewölbt, – und vermuthlich auch nicht völlig so weiß, als die schönen Ober-Walliserinnen, deren unschuldige Dienstfertigkeit dem Filosofen St. Preux so beschwerlich war.Nouv. Heloise, Tom. I. p. 71.

Diese Thiere sind sehr böse, wenn man ihnen zu nahe kommt, und so launisch, daß sie nicht einmahl leiden können, wenn man ihnen ins Gesicht sieht. Indessen sind sie doch große Liebhaber von den Weibern und Töchtern der Negern, – (ein Umstand, aus welchem Rousseau hätte folgern können, daß sie eine natürliche Empfindung für die Schönheit haben; denn gegen ihre eigenen Weibchen muß doch wohl jede Negerin eine Venus seyn) – und die besagten Schwarzen erzählen fürchterliche Dinge über diesen Artikel von ihnen. Man sieht sie truppenweise in den Wäldern ziehen, und dann sind die reisenden Schwarzen des Lebens nicht vor ihnen sicher; ob sie gleich keine andre Waffen führen als ihre Fäuste, oder einen Prügel. – Sie fressen kein Fleisch, sondern nähren sich (wie alle andre Affen) bloß von Früchten und wilden Nüssen. Sie pflegen sich um die Feuer, welche die Negern, wenn sie durch die Wälder reisen, die Nacht über anzünden und unterhalten, zu versammeln, und gehen nicht eher vom Platze bis das Feuer erloschen ist; »ohne den Verstand zu haben, (sagt Battel) Holz oder Reiser herbey zu tragen, um es zu unterhalten.«Allgemeine Beschreibung der Reisen u. s. w. im III. Theile S. 264, 280, 320, u. folg. 

Barbot, welcher in seiner Beschreibung von Guinea dieser Geschöpfe nicht vergißt, thut von einer ähnlichen Art Meldung, die in Sierra Leone den Namen Barry's führen. Die Barry's lernen, wenn sie jung gefangen werden, auf zwey Beinen gehen, und werden gebraucht, Korn zu stampfen, Wasser zu tragen, und den Bratspieß zu wenden. Die Negern lassen sich nicht ausreden, daß diese Baviane so gut reden könnten als sie selbst, wenn sie nur wollten; aber sie wollen nicht, sagen sie, aus Furcht, man möchte sie mit noch mehr Arbeiten beladen.

Ich sehe nicht, warum Rousseau, der so eifrig ist, die Grenzen der Menschheit bis auf die ungeselligen Pongo's auszudehnen, diese ehrlichen Barry's vorbey geht, welche doch in Ansehen ihrer Gelehrigkeit und zahmen Sinnesart einen merklichen Vorzug vor jenen zu haben scheinen. – Oder ist es etwa gerade diese störrische Ungeselligkeit der Pongo's – wodurch sie so gut in seine Hypothese passen – was ihn zu dieser parteylichen Vorliebe verleitet hat?

Was hindert uns übrigens, aus ähnlichen Gründen auch die großen Affen an der Sanaga, von denen Le Maire in seiner Reise nach den Kanarischen Inseln spricht, den Rousseauischen Menschen beyzugesellen? Sie thun sich truppenweise zusammen wenn sie auf die Nahrung ausgehen, und unterdessen daß die übrigen Beute machen, steht einer auf einem hohen Baume Schildwache. Ihre Weibchen tragen ihre Jungen auf die nehmliche Weise auf dem Rücken, wie die Negernweiber die ihrigen, und bezeigen eine Zärtlichkeit für sie, die ihnen Ehre macht. Sie heilen ihre Verwundeten mit gewissen Kräutern, welche sie erst kauen und dann auf die Wunde legen.

Wer weiß wie viel andre Züge von Witz, Empfindung, Geselligkeit und Vervollkommlichkeit an diesen Geschöpfen noch zu entdecken wären, wenn sie – von Leuten, welche alles sehen was sie sehen wollen – von Filosofen beobachtet würden!

Doch Rousseau scheint sich zu begnügen, einen neuen Zweig des menschlichen Stammes in dem Orang-Utang oder Pongo entdeckt zu haben.

Indessen können wir nicht bergen, daß die Gründe, um deren willen er uns die Ehre erweiset, vieles (wo nicht das Ganze) von ihrer Stärke verlieren, so bald man das Interesse nicht dabey hat, das den Erfinder einer neuen Hypothese begierig macht, Erscheinungen zur Bestätigung derselben aufzutreiben.

»Die Nachrichten, (spricht er) welche Battel, Purchaß und Dapper von ihnen geben, beweisen, daß diese Herren keine guten Beobachter waren; sie machen falsche Schlüsse; man merkt, daß ihnen gar nicht in den Sinn gekommen ist, daß diese edeln Geschöpfe etwas bessers als Affen seyn könnten.«

Alles wahr; aber was gewinnen die Pongo's dabey?

»Unsre Reisebeschreiber (fährt Rousseau sinnreich fort) haben sich in den Kopf gesetzt, diese Geschöpfe, welche von den Alten unter dem Nahmen der Satyrn und Faunen für Götter gehalten wurden, zu Thieren herab zu würdigen; nach besserer Untersuchung wird man vielleicht finden, daß sie Menschen sind – denn gemeiniglich liegt die Wahrheit zwischen beiden Enden in der Mitte.«

Es gäbe ein gutes Mittel, meint er, wodurch auch die dümmsten Beobachter sich bis zur völligen Gewißheit überzeugen könnten, ob der Orang-Utang und seine Brüder zur menschlichen Gattung gehörten oder nicht.

Was für ein Mittel mag das seyn? – Seine Sittsamkeit hat ihm nicht erlaubt sich hierüber deutlich zu erklären; eine Bedenklichkeit, die an einem Cyniker, der von natürlichen Dingen handelt, ein wenig übertrieben scheinen möchte; – indessen giebt er doch hinlänglich zu verstehen, daß man eine kleine Kolonie aus jungen Pongo's und jungen Negermädchen anlegen müßte, um zu sehen was daraus würde.

Der Gedanke ist der einfachste von der Welt, und wir bedauern nur, daß er (wie Rousseau selbst bemerkt) nicht ausführbar ist; – wo nicht eben um des abermahligen Skrupels willen, der unserm Filosofen hier aufstößt, doch gewiß des höchst beschwerlichen Umstands wegen, weil diese Pongo's, seine Schutzverwandten, die brutalste Art von Liebhabern sind, die man sich einbilden kann. Nach den Erzählungen der Negern hätte sich der Fall, den Rousseau andeutet, schon oft zutragen sollen. Aber unglücklicher Weise ist noch keine einzige Negerin, die in ihre Hände fiel, mit dem Leben davon gekommen. – Und so dürfte freylich der Vorschlag einer Kolonie nicht ins Werk zu setzen seyn.

Inzwischen, und bis man durch genauere Beobachtungen im Stande seyn werde, den Bavianen in Loango, Kongo, Borneo und Java Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, glaubt Rousseau wenigstens eben so viel Grund zu haben, sich über diesen Artikel an den Kapuziner Merolla – »einen gelehrten Religiosen, welcher in dieser Sache ein Augenzeuge, und bey aller seiner Natureinfalt dennoch ein Mann von feinem Verstande gewesen sey« – zu halten, als an den Kaufmann Battel, an Dapper, Purchaß, und andre Zusammenstoppler.

Und was sagt denn Pater Merolla, auf dessen Zeugniß nun die ganze Sache beruhet?

Merolla sagt: die Schwarzen fingen zuweilen auf ihren Jagden wilde Männer und Weiber.

Das ist alles was ihn Rousseau sagen läßt, und das ist wenig. Er hätte hinzu setzen können: Merolla erzähle, er habe von einem gewissen Leonard gehört, ein gewisser Kapuziner habe ihm einen jungen Pongo verehrt, mit welchem er, Leonard, dem Portugiesischen Statthalter zu Loanda ein Geschenk gemacht habe; – und das ist auch nicht viel mehr als nichts. Alles, was wir zur Sache dienliches daraus nehmen können, ist: »daß die Einwohner zu Borneo und die Negern eine gewisse Art von Affen wilde Männer nennen;« – und dieß sagen zehen andre Reisebeschreiber (Batteln, Dappern und Purchassen mit eingerechnet) auch.

Ich würde mich bey dieser Kleinigkeit nicht aufhalten, wenn ich ein stärkeres Beyspiel wüßte, »was für Wunder die Liebe zu einer Hypothese thun kann.«

Rousseau glaubt den P. Merolla zu einem Zeugen für die Existenz seines wilden Menschen gebrauchen zu können. Auf einmahl geht in seiner Einbildungskraft eine Verwandlung vor, welche alle Ovidischen weit hinter sich zurück läßt, und beynahe noch wunderbarer ist, als die Erhebung eines Affen in den Menschenstand. Merolla, der abergläubigste und einfältigste Mann, der vielleicht jemahls einen spitzigen Kapuz getragen hat, wird auf einmahl ein gelehrter Mann, und – fidem vostram, Quirites! – ein homme d'esprit . – Ein sehr entscheidendes Beyspiel wird diejenigen, welche sich überwinden können die nachstehende Erzählung zu lesen, benachrichtigen, was für eine Art von homme d'esprit der ehrliche Merolla war.

Ein gewisser so genannter Graf von Songo, ein eifriger Anhänger der Missionarien in dem Afrikanischen Königreiche Kongo, hatte nach dem Absterben des Königs Don Alvarez einen von den Thronprätendenten, Nahmens Simantamba, unter betrüglichem Versprechen, ihm seine Schwester zur Ehe zu geben und ihm zur Krone zu verhelfen, in einem Hinterhalt mit dem größten Theil seines Gefolges ermorden lassen. Des Ermordeten Bruder fiel, die That zu rächen, in des Grafen Länder ein. Dieser brachte gleichfalls ein großes Heer auf (sagt Merolla, der damahls in Kongo war) und ging gerade auf seines Gegners Hauptstadt los. Er fand sie leer; alle Einwohner waren davon gelaufen. Seinen Soldaten blieb also kein andres Mittel übrig den Feinden Abbruch zu thun, als alles aufzuessen, was sie zurück gelassen hatten. Unter andern bemächtigten sie sich auch eines ungewöhnlich großen Hahns, der einen starken eisernen Ring um den einen Fuß hatte. Dieser Ring kam einem von den Klügsten (sagt der ehrwürdige Pater) verdächtig vor. Er versicherte seine Kameraden, der Hahn sey bezaubert, und warnte sie, ja nichts mit ihm zu thun zu haben. Allein diese rohen Leute versicherten ihn, daß sie den Hahn essen würden, und wenn er den Teufel zehnmahl im Leibe hätte. Der Hahn wurde also erwürgt, zerstückt, und in einem großen Topfe so lange gekocht, bis er fast sehr zersotten war. Hierauf schütteten sie ihn in eine Schüssel, sprachen ihr Tischgebet (denn es waren so gute Christen als es die neu bekehrten Negern gewöhnlich zu seyn pflegen) und setzten sich heißhungrig um den Tisch herum. Aber da sie nun in die Schüssel greifen wollten, siehe! da fingen die gesottenen Stücke des Hahnes an, eines nach dem andern, aus der Schüssel heraus zu steigen, und sich wieder so gut zusammen zu fügen, als ob sie nie getrennt gewesen wären. Kurz, der Hahn stand in wenig Augenblicken wieder frisch und gesund auf seinen Füßen, ging etlichemahl im Zimmer herum, bekam neue Federn, flog auf den nächsten Baum, schlug dreymahl mit den Flügeln, machte ein entsetzliches Getöse, – und verschwand. – Ob mit Hinterlassung des gewöhnlichen Wahrzeichens, hat der ehrwürdige Kapuziner vergessen zu berichten. – »Jedermann (setzt er, nachdem er diese Geschichte mit aller möglichen Einfalt und Ernsthaftigkeit erzählt hat, hinzu) kann sich leicht einbilden, was für ein Schrecken die Anwesenden bey diesem Anblick überfallen mußte, welche unter tausend Ave Maria vom Platze liefen, und den meisten Umständen dieser schrecklichen Begebenheit nur von ferne zusahen. Sie schrieben ihre Erhaltung lediglich dem Gebete zu, das sie vor Tische gesprochen hatten, sonst wären sie gewiß alle umgekommen, oder vom Teufel besessen worden.« So viel von P. Merolla. – Das nenn' ich einen Augenzeugen! einen Gelehrten! einen homme d'esprit!


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