Christoph Martin Wieland
Beyträge zur geheimen Geschichte der Menschheit
Christoph Martin Wieland

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7.

Was in unsern Zeiten wegen der Patagonen vorgegangen, giebt uns ein klares Beyspiel, wie es, sehr natürlicher Weise, mit den historischen und kosmografischen Vergrößerungen zuzugehen pflegt. Vielen ältern Reisebeschreibern zu Folge waren diese Bewohner der westlichen Küste des Magellanischen Landes noch einmahl so hoch als Europäer von gewöhnlicher Statur; und dieß bestätigte Frezier in seiner Reisebeschreibung von 1732 aus dem Munde verschiedener Spanier, die als Augenzeugen sprachen. Zwey und dreyßig Jahre hernach befuhr (bekannter Maßen) der Kommodor Byron die Küste, wo diese Titanen zu Hause seyn sollten; er sah sie, und, wiewohl sie ihm noch immer groß genug vorkamen, um mit allem Respekt, den man seinen Höhern schuldig ist,Wie leicht die Überraschung und das Erstaunen auch den verständigsten Mann zu unmäßigen Hyperbolen bringen können, davon kann uns Byron selbst zum Beyspiel dienen, da er sagt: sein Lieutenant, Cumming, der doch selbst sechs Fuß zwey Zoll maß, wäre diesen Riesen gegenüber so klein wie ein Zwerg geworden – und doch betrug der Unterschied höchstens nur drey bis vier Zoll! von ihnen zu sprechen, so fand er sie doch wenigstens um drey bis vier Fuß kleiner als die Spanier (die das Große lieben) sie gemacht hatten. der größte, den er unter etlichen hunderten sah, schien ihm, dem Augenmaß nach, nicht viel kleiner als sieben Fuß. Endlich lernte Kapitän Wallis zwey Jahre darauf die nehmlichen Riesen kennen, die man, weil sie fast immer zu Pferde sind, eben so wohl hätte zu neuen Centauren machen mögen. Zu gutem Glück hatte er just ein paar Meßruthen bey sich. In solchen Fällen ist nichts über eine Meßruthe, um hinter die eigentliche Wahrheit zu kommen. Man maß die längsten unter ihnen, und siehe! es fand sich nur Einer, der sechs Fuß sieben Zoll maß, und etliche wenige von sechs Fuß fünf bis sechs Zoll; die meisten hatten nur fünf Fuß zehn Zoll bis sechs Fuß. – Und so schmolz eine Länge, die nach Spanischem Augenmaß zehn bis eilf Fuß betrug, in einem Engländischen Auge auf sieben, und durch die Meßruthe auf sechs bis siebenthalb herunter.

Man muß gestehen, dieß ist immer noch viel, und eine ganze Nazion solcher stattlicher Männer, mit Weibern nach Proporzion, muß für einen armen Europäer allerdings ein sonderbarer und schauerliche Anblick seyn. Aber sehr vermuthlich ist die Größe dieser Patagonen auch das non plus ultra der menschlichen Statur: und wenn wir von der angeblichen Größe der Menschen in den Patriarchen- und Heldenzeiten alles abziehen, was davon auf Rechnung der verschiednen Maße, und des Betrugs der Augen, und der Lügenhaftigkeit der Wanderer, Seefahrer und Dichter, und der Vergrößerung, die jede Sache durch das Fortwälzen aus einem Munde in den andern erhält, zu setzen ist; so wird wohl eine Länge von siebenthalb bis sieben Fuß das höchste seyn, was die Riesengeschlechter der ältesten Zeit, und die stattlichsten Männer der heroischen und ritterlichen zu fordern haben. Herkules hatte, nach der Ausrechnung des Pythagoras, sieben Fuß; eben so viel hatte Karl der Große – wiewohl er diesen Beynahmen einer andern Größe zu danken hat. Ich kenne aus der Geschichte keinen dritten Mann zu diesen beiden. Ihre Stärke war in Verhältniß mit ihrer Größe; sie waren unermüdet in Thätigkeit, tapfer in Duldung, mächtig im Streit, und mächtig in Frauenliebe. Wie sollten wir also nicht sicher annehmen können, daß die Statur dieser zwey gewaltigsten Söhne des Himmels und der Erde das wahre Maß heroischer Größe und Majestät sey, welches, verbunden (wie bey jenen beiden) mit Stärke und Schönheit, diejenige äußerliche Gestalt giebt, die eines Mannes würdig ist, vor dem (nach Shakspeares Ausdruck) dir Natur aufstehen und sagen soll: Das ist ein Mann!


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