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Yüan Schï K'ai schon hatte es nicht ganz leicht gehabt, die verschiedenen Generale mit fester Hand zusammenzuhalten. Doch hat er zum mindesten im Norden die Macht unbedingt besessen. Er hatte immer kluge Männer zur Seite, die dem Militär die Waage zu halten vermochten. Er versammelte sie in Peking als seine Freunde, die von jedem Untergebenenverhältnis dispensiert waren und ihm nur mit ihrem Rat zur Verfügung standen. Unter ihnen ragte an geistiger Bedeutung hervor Hsü Schï Tsch'ang, der den Titel eines Erziehers des Kaisers bekommen hatte und sich von seiner Ruhe in den Tsingtauer Hügeln am Meer wenn auch schweren Herzens löste, um seinem Freunde zu Diensten zu sein.
Nach dem Tode Yüan Schï K'ais regten sich die antagonistischen Kräfte. Auf dem Präsidentenstuhl saß Li Yüan Hung, ein Mann voll von rechtschaffenen Gesinnungen, der auch das Parlament wieder berief und mit der Ausarbeitung einer ständigen Verfassung betraute. Ministerpräsident war Tuan K'i Jui, der fähigste unter Yüan Schï K'ais früheren Generalen. Er hatte eine Partei oder richtiger einen Klub von Generalen, Staatsmännern und Finanzleuten um sich versammelt. Nach dem Lokal, in dem sie zusammenzukommen pflegten, wurden sie der Anfuklub genannt. Sie bestanden zum großen Teil aus Elementen von der Yangtsegegend. Ihnen gegenüber bildete sich ein anderer Teil der Militärführer als Tschïlipartei aus, die ihr Haupt in den Generalen der Nordarmee Ts'ao K'un und Wu P'e Fu hatten. Ts'ao K'un war an sich ein unbedeutender Mensch, der weiter nichts erstrebte als Genuß der Annehmlichkeiten, wie sie die Macht verleiht. Aber er war in den Händen ehrgeiziger und gemeiner Menschen. Wu P'e Fu überragte ihn weit an Bildung und persönlichem Kaliber. Wu P'e Fus Grundsatz war die Einigung Chinas durch Blut und Eisen. Er war aber ständig in Not, die zur Unterhaltung seines Heeres nötigen Mittel aufzubringen, da die Familie T'sao K'uns in schamloser Weise die öffentlichen Gelder stahl. Das bildet überhaupt ein charakteristisches Merkmal der Zeit der Diadochenkämpfe in China, daß die meisten von den Leuten, die auf kürzere oder längere Zeit zur Macht kamen, in ganz großzügiger Weise sich aus öffentlichen Mitteln bereicherten. Man hat vielfach in Europa über die Korruption gesprochen, die unter den Beamten während der letzten Zeiten des Kaisertums geherrscht habe, und es läßt sich in der Tat nicht leugnen, daß wenigstens einige – längst nicht die Mehrzahl – der höheren Beamten im Lauf ihres Lebens eine oder mehrere Millionen zusammenbrachten. Aber diese Beträge verschwinden gegenüber den Beträgen, die im modernen China auf die Seite gebracht wurden. Man ging jetzt mit wahrhaft amerikanischer Großzügigkeit vor. Der zehn- und mehrfache Betrag der Summen, die früher in Jahrzehnten aufgesammelt wurden, kam jetzt in Jahren und Monaten zusammen. Der Unterschied zwischen China und Amerika ist nur der, daß der amerikanische Staat so ungeheure Einkünfte hat, daß Skandal auf Skandal folgen kann, ohne daß die Staatskassen sich leeren, während in China das Geld so knapp ist, daß vom Universitätsprofessor bis zum Polizisten die Beamten monate- und jahrelang mit ihren Gehältern im Rückstand bleiben müssen, wenn die Machthaber ihre Beutel füllen.
Außer diesen Epigonen Yüan Schï K'ais kam noch eine dritte Gruppe in Betracht: das kleine Häufchen der Kaisertreuen. Unter ihnen war General Tschang Hsün die ausgesprochenste Persönlichkeit. Er war vollkommen ungebildet und eine absolut unkomplizierte Natur. Angeblich soll er vom Roßknecht an allmählich sich emporgearbeitet haben unter persönlicher Förderung der Kaiserin-Witwe. Das vergaß er der Dynastie nicht. Er hatte die Achtung vor dem konservativen konfuzianischen Ideal nicht verloren. Er behielt noch jahrelang seinen Zopf, und auch seine Soldaten gingen noch stolz mit ihren dicken gepflegten Zöpfen umher zu einer Zeit, da in Schanghai und Peking die Zöpfe als reaktionär schon den Leuten auf der Straße von eigens dazu bestellten Polizisten abgeschnitten wurden. Er kannte weder die Gesetze der Taktik noch der Strategie, aber er war ein alter Haudegen und hatte Mut, und wenn es aufs Kämpfen ankam, dann stellte er sich wirklich zum Kampf.
Ihm stand eine Zeitlang zum mindesten nicht fern der Gouverneur und Befehlshaber der Mandschurei, Tschang Tso Lin. Er hat die Räuberkarriere hinter sich. Eigentlich heißt er gar nicht Tschang Tso Lin. Aber als sein Räuberhauptmann, der wirklich Tschang Tso Lin hieß, von dem Regierungsgeneral aufgefordert wurde, sich zu melden unter Zusicherung von freiem Geleit, wagte er es an Stelle des ängstlich gewordenen Hauptmannes und unter dessen Namen sich zu stellen. Er erhielt nun, da die Sache tatsächlich gut ablief, den diesem zugedachten Posten und blieb von da ab Tschang Tso Lin.
Das waren die hauptsächlichsten Vertreter der verschiedenen einander entgegengesetzten Parteien. In diese Verhältnisse griff zunächst der Weltkrieg ein. Der amerikanische Gesandte Paul Reinsch, ein Deutscher von Geburt, der diesen Makel durch vermehrte Deutschfeindlichkeit gutzumachen suchte, agitierte in Übereinstimmung mit der Politik Präsident Wilsons in der Richtung, China erst zum Abbruch der Beziehungen mit Deutschland und dann zum Eintritt in den Krieg zu bewegen. Dabei mußte er China möglichst weitgehende Hoffnungen machen, ohne positiv etwas zu versprechen. Denn die ganze Sache war auf einen großzügigen Betrug Chinas angelegt, da man schon längst vorher die Treue Japans durch geheime Verträge erkauft hatte, die auf Kosten von Chinas Integrität und Souveränität gingen. England, Frankreich, Rußland hatten alle Geheimverträge mit Japan geschlossen, alle auf Kosten Chinas und zum Teil so geheim, daß die verschiedenen Partner Japans und Japan selbst den Inhalt der Verträge vor den übrigen Partnern geheim hielten. Eben deshalb mußte Amerika an die Front, das durch keinen solchen Vertrag gebunden war, und daher China gegenüber mit besserem Gewissen Hoffnungen erwecken konnte.
So kam es, daß Tuan K'i Jui, der Ministerpräsident, der für den Krieg war, im Parlament zunächst eine Mehrheit kaufte – das Parlament wurde immer mehr zu einer Gesellschaft m. b. H., die aus dem Verkauf ihrer Stimmen ein gutes Einkommen bezog, ohne irgendwen zu »vertreten« als sich selbst –, die den Abbruch der Beziehungen mit Deutschland beschloß. Li Yüan Hung, der dagegen war, sah sich als Präsident der Republik genötigt, dem Parlamentsbeschluß Folge zu leisten.
Der nächste Schritt war der Beschluß des Parlaments, in den Krieg gegen Deutschland einzutreten. Der Süden unter Sun Yat Sen war dagegen. Im Parlament fand sich diesmal keine Mehrheit. Man übte einen Druck auf den Präsidenten aus, das Parlament aufzulösen. Die Parlamentarier zogen sich nach Süden zurück. Li Yüan Hung verschwand von der Bildfläche.
Dies war der Moment des chinesischen Kapp-Putsches, der von Tschang Hsün veranstaltet war. Tschang Hsün sah sich dabei von anderer Seite gedrängt. Es blieb ihm schließlich nichts anderes übrig, als den jungen Kaiser auf den Thron zu erheben. Aber nur fünf Tage dauerte die neue Monarchie. Sie war zu schlecht organisiert. Vor allem hatte man versäumt, mit dem mächtigen Mann Tuan K'i Jui sich ins Benehmen zu setzen. Dieser aber war keineswegs gewillt, die über Nacht geschaffene Tatsache anzuerkennen. Es kam zu Straßenkämpfen in Peking. Tschang Hsün zog sich in den Schutz des Gesandtschaftsviertels zurück Tschang Hsün hat seine Rolle seitdem ausgespielt, er fand bis zu seinem kürzlich erfolgten Tod ein Unterkommen in der Armee Tschang Tso Lins. Auch die Aussichten der Mandschudynastie sind seither vollkommen auf den Nullpunkt gesunken.. Der Kaiser trat ungefährdet – er hatte ja nichts dafür gekonnt – in seine bisherige Stellung zurück, und Hsü Schï Tsch'ang, der alte Freund des verstorbenen Yüan Schï K'ai, wurde Präsident. Der Krieg gegen Deutschland wurde auf den Druck der Alliierten erklärt. Dennoch blieb die Stimmung in China im allgemeinen durchaus freundlich gegen Deutschland, und die Behandlung der internierten Deutschen war die denkbar beste. Auch als später nach dem Abschluß des Waffenstillstandes die Deutschen auf englischen Schiffen gewaltsam aus China abtransportiert wurden in der Absicht, dadurch den deutschen Handel endgültig zu vernichten, nahmen sich die Chinesen der Deutschen nach Möglichkeit an und verhinderten manche unmenschlichen Härten der christlichen Europäer. Im übrigen hat diese Rückbeförderung der deutschen Kaufleute einen Erfolg gehabt, der dem beabsichtigten entgegengesetzt war. In jener Zeit nämlich trat der Sturz des während des Krieges auf mehr als das Doppelte seines Wertes gestiegenen chinesischen Silberdollars ein. Alle ausländischen Firmen, die damals in China Geschäfte machten, hatten enorme Verluste. Viele machten Bankrott. Vor dem allem wurden die Deutschen gewaltsam behütet, und als sie nach China zurückkamen, was nach sehr kurzer Zeit der Fall war, konnten sie mit frischer Kraft in das Geschäft eintreten.
Die Regierung in Peking war in den Jahren 1919 und 1920 in den Händen der Partei Tuan K'i Juis, der sogenannten Anfupartei, die den Japanern sehr nahe stand. Der Präsident suchte zwischen der Anfu- und der Tschïlipartei zu lavieren, um durch das Gleichgewicht der Kräfte seine Autorität herzustellen. Aber es gelang ihm nicht. Schließlich kam es zu offenen Kämpfen zwischen der Anfu- und der Tschïligruppe, deren Feldherr Wu P'e Fu war. Wu P'e Fu siegte, obwohl Tuan K'i Jui von japanischer Seite bedeutenden Zuzug erhalten hatte. Tuan K'i Jui zog sich in die Fremdenniederlassung von Tientsin ins Privatleben zurück, um seine Zeit abzuwarten. Es ist eines der größten Hindernisse der Gesundung der chinesischen Verhältnisse, daß diese Fremdenniederlassungen, die der chinesischen Jurisdiktion entnommen sind, bestehen. Auf diese Weise wird eine Entscheidung der politischen Verhältnisse nahezu unmöglich gemacht. Wenn ein Beamter oder Parlamentarier sich seine Summe Geldes zusammengebracht hat und sich nicht mehr sicher fühlt, so flieht er mit seinem Geld nach Tientsin oder Schanghai und genießt sein Leben dort in Frieden, ohne daß die Möglichkeit vorhanden wäre, daß er von China aus zur Rechenschaft gezogen werden könnte. Ebenso zieht sich die in den Kämpfen jeweils unterliegende Partei nach den Fremdenniederlassungen ins Asyl zurück, nur um zu geeigneter Zeit aufs neue wieder aufzutauchen.
Nach dem Siege Wu P'e Fus trat ein starker Rückgang der bisher so mächtigen Anfupartei ein. Der Hauptgrund war ihre Unbeliebtheit namentlich bei der Jugend, der ihre Japanfreundlichkeit ein Dorn im Auge war. Noch aber stand als nicht zu verachtender Gegner der Einigung mit Blut und Eisen in der Mandschurei Tschang Tso Lin. Im Frühjahr 1922 rückte er in Tschïli ein. In der Nähe von Peking kam es zur Schlacht. Tschang Tso Lin wurde besiegt. Große Teile seines Heeres gerieten in Gefangenschaft und wurden später auf Staatskosten nach der Mandschurei zurücktransportiert. Aber Wu P'e Fu unterschätzte den Gegner. Er begnügte sich damit, daß er Tschang Tso Lin nach der Mandschurei zurückdrängte. Englische Missionare haben sich damals eingemischt und eine Konferenz der feindlichen Führer auf einem englischen Kriegsschiff in der Nähe von Schanhaikuan bewirkt, durch die das Spiel abgebrochen wurde.
Wu P'e Fu, und durch ihn Ts'ao K'un, hatte gesiegt, und seine Herrschaft umfaßte damit den Norden von der mandschurischen Grenze bis zum Yangtse ziemlich unbestritten. Weitere Kämpfe in Fukiän und Setschuan sollten das Gebiet nach Süden und Westen ausdehnen, während die schwachen Versuche Sun Yat Sens, eine »Strafexpedition« nach Norden zu unternehmen, kläglich scheiterten, da er mit seinem General Tsch'en K'iung Min in einen sehr unliebsamen Kampf geriet, der den Süden für lange Zeit hemmte.
Hsü Schï Tsch'ang legte die Präsidentschaft nieder, da er keine Möglichkeit für eine Durchführung seiner Gedanken mehr sah. Auf den verlassenen Präsidentenstuhl setzte man dann auf die weiter oben beschriebene Art den schon einmal vertriebenen Li Yüan Hung, den man solange auf dem Posten ließ, bis dieser Platz reif zu sein schien für Ts'ao K'un selbst, worauf denn Li Yüan Hung abermals vertrieben wurde.
Nur das eine war nicht zu verhindern, daß die Südprovinzen sich formell von der Zentralregierung lösten. Die tatsächlichen Verhältnisse wurden dadurch freilich nur wenig berührt, da auch von den übrigen Provinzen keine Einnahmen oder Steuern an die Zentralregierung abgeführt wurden. Vielmehr ist die Zentralregierung ziemlich ausschließlich auf die Einnahmen, die das Seezollamt ihr auszuzahlen für gut befindet, angewiesen. Diese Einnahmen stehen aber weitgehend unter der Kontrolle der alliierten Gesandten, von deren gutem Willen somit letzten Endes abhängt, ob die chinesische Regierung die ihr zustehenden Gelder ausbezahlt bekommt oder nicht. Immerhin lag es im Interesse dieser Gesandten, eine Zentralregierung in China zu haben, schon damit sie bei ihr eventuelle Beschwerden anbringen konnten.
Man kann nicht sagen, daß das Schauspiel, das von den fremden Gesandtschaften in China aufgeführt wird, besonders erbaulich ist. Es besteht in einem dauernden Druck auf die chinesische Regierung, um alle möglichen Wünsche durchzusetzen, und einem ebenso starken passiven Widerstand von chinesischer Seite, die nur nachgibt, wenn es absolut nicht anders geht. Die chinesische Regierung hat bei dieser Haltung die Sympathie des ganzen chinesischen Volkes auf ihrer Seite. Denn die verschiedenen chinesischen Parteien mögen untereinander noch so sehr entzweit sein und einander noch so heftig bekämpfen: in dem Moment, da eine ausländische Macht sich einmischen wollte, findet man sie sofort einig. Als z. B. England einmal den Schutz der von Nanking nach Tientsin führenden Bahnstrecke übernehmen wollte, um dem chinesischen Handel gegen unvorhergesehene Angriffe von militaristischer Seite beizustehen, traf es auf glatte Ablehnung der chinesischen Handelskammern, obwohl sie die erbittertsten Feinde der Militaristen sind. Dieselbe Haltung des Volkes hat sich auch bei dem Boykott und dem passiven Widerstand im Sommer 1925 gezeigt.
Auf diese Weise haben die europäischen Mächte sehr viel von ihrem Prestige verloren. England, das früher maßgebend in China war, sieht sich immer mehr in den Hintergrund geschoben. Eine Zeitlang trat Amerika sehr stark in den Vordergrund. Amerika hatte nie Landerwerbungen in China erstrebt und hatte häufig eine großzügige und entgegenkommende Haltung namentlich in Geldangelegenheiten gezeigt. Es hatte, ebenso wie China, sich geweigert, den Vertrag von Versailles zu unterschreiben, durch den China als Lohn für seine Teilnahme am Krieg gegen Deutschland zum Verlust der Provinz Schantung verurteilt wurde, die an Japan ausgeliefert werden sollte. Amerika hatte dann die Washington-Konferenz einberufen, um den Frieden der Welt zu befestigen. Diese Konferenz beendete de facto das englisch-japanische Bündnis, indem Amerika und Frankreich in den Verband eintraten, woraus sich dann bald die Kombination England-Amerika gegen Frankreich-Japan ergab. In Washington wurde auch zwischen China und Japan verhandelt, und mit einiger Hilfe von England und Amerika gelang es den Chinesen, das besetzte Tsingtau, die Schantungbahn und die Souveränität in Schantung von Japan wiederzubekommen. Heute befinden sich zwar noch eine Menge Japaner in Schantung, aber ihr gewaltsamer Einfluß ist gebrochen. Langsam, aber sicher bekommen die Chinesen die Zügel wieder in die Hand.
Dennoch blieb der amerikanische Einfluß nicht ungeschwächt. Es waren eben lange nicht alle Hoffnungen erfüllt worden, die Amerika erweckt hatte. Die Aufhebung der Konsulargerichtsbarkeit, die in Aussicht genommen war, ist ihrer Verwirklichung noch keinen Schritt näher gekommen. Die Revision der Zollverträge wurde noch immer verschoben. Auch in den mongolischen Fragen und der Frage der südmandschurischen Bahn hat Amerika vollkommen versagt. Überall sah man sich der japanischen Vergewaltigung hilflos preisgegeben.
Dazu kam, daß nach Anschluß der fernöstlichen Republik an Sowjetrußland von Rußland aus erneut eine zwar manchmal etwas laute, aber doch geschickte und entgegenkommende Politik getrieben wurde. Karachan kam nach Peking mit der Fiktion des von allen Seiten schwerbedrückten China, das in Rußland seinen einzigen guten Freund habe, und nach einigem Poltern, das von chinesischer Seite sehr ruhig aufgenommen wurde, kam ein sehr günstiges russisch-chinesisches Abkommen zustande. China wird durch Rußland in absehbarer Zeit nicht bolschewisiert werden, aber es hat durch Rußland Rückgrat und Selbständigkeit gewonnen.
Die Politik Japans machte in den letzten Jahren eine entschiedene Wendung durch. Den Krieg benützte Japan aufs ungenierteste, um China zu knebeln und militärisch zu unterwerfen. Selbstverständlich gab es auch damals in Japan vernünftige Leute, die diese Politik mißbilligten. Aber sie kamen nicht zu Wort. Die Gelegenheit, daß Japan freie Hand in Ostasien hatte, schien den damaligen Machthabern doch zu günstig. Allein die Lage Japans blieb nicht so vorteilhaft. Zu seinem Unglück siegte im Weltkrieg die Partei, auf deren Seite es gekämpft hatte, viel zu unbedingt für die japanischen Wünsche. Mit einem siegreichen, aber stark geschwächten Deutschland hätte man günstiger abschließen können. Denn das ließ sich trotz aller Bundesgenossenschaft nicht leugnen, daß man das Vertrauen der Alliierten verloren hatte. Es kam dazu, daß sich die Folgen des Krieges schwerer fühlbar machten, als man gedacht hatte. Das sibirische Abenteuer, das als Zug gegen den Bolschewismus von den Alliierten geplant, aber schließlich nur noch von Japan fortgesetzt worden war, mußte liquidiert werden. Schließlich kam das Erdbeben dazu, das auf die japanische Mentalität weit tiefer und deprimierender wirkte, als das für europäische Begriffe faßbar ist. Es war in den Augen der Japaner nicht weniger als in denen der Chinesen ein Gottesurteil. So schlug denn in Japan die Stimmung um, besonders da die Verwicklungen mit Amerika und Australien immer ernster wurden. An Stelle der kriegerischen Unterwerfung Chinas faßte man eine friedliche Verständigung ins Auge.
Trotz gelegentlicher Festessen mit diesen Tendenzen ist das japanische Kultur-Liebeswerben in China zunächst auf ziemliche Kühle gestoßen. Es war ein zu ungewohntes Bild: dieser neue Bruder, der die Friedensschalmei blies. Immerhin ergeben sich neue Perspektiven aus den letzten Ereignissen. Japan hat ja auch versucht, sich aus dem Konflikt von 1925, der durch rohe Behandlung chinesischer Arbeiter allererst entstanden war, rechtzeitig wieder herauszuziehen und England isoliert in der unangenehmen Position, boykottiert zu werden, sitzen zu lassen.
Deutschland nimmt in allen diesen Entwicklungen eine Sonderstellung ein. Es ist vollkommen desinteressiert. Das einzige Interesse besteht in der Förderung und Ausgestaltung wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen. Es hat sich entschlossen auf den Boden der Gleichberechtigung gestellt und die Konsulargerichtsbarkeit aufgegeben. Man kann ruhig sagen, daß die gemachten Erfahrungen im Ganzen genommen durchaus nicht unbefriedigend sind. Man erkennt in China die deutsche Wissenschaft und die deutsche Tüchtigkeit an und ist gerne bereit, von beiden bei der Ausgestaltung der Zukunft Gebrauch zu machen. So hat denn die deutsche Politik dank der ruhig-zurückhaltenden und überlegenen Persönlichkeit des Gesandten Dr. Boyé in der letzten Zeit entschiedene Fortschritte zu verzeichnen. Selbstverständlich kann man nicht erwarten, daß auf chinesischer Seite ein über die genannten Punkte hinausgehendes Interesse für Deutschland vorhanden wäre. Ein solches Interesse könnte erst in Betracht kommen, wenn die wiederangesponnenen Fäden zwischen Deutschland und China sehr viel fester und zahlreicher geworden sind. Die deutsche Position ist insofern günstig, als sie ein Vorangehen auf einem Weg bedeutet, auf dem die übrigen Mächte früher oder später folgen müssen; denn daran ist kein Zweifel, daß trotz allem entgegengesetzten Anschein China sich als selbständige und gleichberechtigte Macht durchsetzen wird.
Ehe wir die neueste Phase der politischen Verhältnisse behandeln, müssen wir noch einen Blick werfen auf das, was im Norden von China und in der Mongolei vor sich ging.
Als die bolschewistische Revolution in Rußland ausbrach, kam es in Ostsibirien zu Kämpfen zwischen den roten und weißen Russen. Zur Unterstützung der weißen Partei griffen die Alliierten ein, anfangs Amerikaner und Japaner gemeinsam, schließlich blieben die Japaner allein übrig. Sie waren durch die Bluttat von Nikolajewsk, wo sämtliche Japaner von den Bolschewiken getötet worden waren, besonders angereizt worden. Daß sie aber schließlich sich doch zurückziehen mußten, nachdem die roten Russen immer unwiderstehlicher vordrangen und die fernöstliche Republik mit der Hauptstadt Tschita begründeten, die sich später mit Sowjetrußland vereinigte, lag zum großen Teil daran, daß der Bolschewismus auf die japanischen Truppen überzugehen drohte und man in Japan nicht sicher war, was für Konsequenzen sich daraus noch ergeben könnten. Immerhin taten die Japaner alles, was sie konnten, um die weißen Russen wie Koltschak oder Horwart zu stützen, die dort noch kämpften.
Dasselbe geschah mit der Mongolei. Sie hatte sich von China unabhängig gemacht. Die Mongolenhäuptlinge standen der Mandschudynastie nahe und wären auch bereit gewesen, sich an einer Bewegung zu beteiligen, die zu einer Wiedereinsetzung des Mandschus geführt hätte. Aber in jenen Gegenden stand von Weißrussen der Kosakenhäuptling Semionoff mit seinem »Berater«, dem Baron Ungern-Sternberg. Diese versuchten die Mongolen für ihre Zwecke auszunutzen und manövrierten deshalb mit Vertretern der Mandschudynastie, durch die sie die Autorität über die Mongolen zu erlangen hofften – alles unter dem Segen der Japaner. Wie wenig es ihnen dabei aber um die chinesische Sache zu tun war, geht daraus hervor, daß ein Mongolenfürst, der persönlich Fühlung mit den Mandschukreisen nehmen wollte, auf grausame Weise umgebracht wurde. Man schoß ihn samt seinem ganzen Anwesen und allem, was darin war, einfach mit Artillerie in Grund und Boden, so daß nur ein Trümmerhaufen übrig blieb. Nachher entschuldigte man sich den Mandschus gegenüber mit einem Mißverständnis, man habe ihn für einen Verräter und Revolutionär gehalten.
Damals sind die chinesischen Truppen der Anfupartei, die in der Mongolei die chinesischen Interessen vertreten wollten, niedergemacht worden. Ungern-Sternberg, der vielleicht weniger grausam war als pathologisch veranlagt, war bedeutender als Semionoff, dessen Gehilfe er anfangs gewesen. Vielleicht gerade infolge seiner pathologischen Veranlagung besaß er etwas Dämonisch-Machtvolles, das auf seine Umgebung faszinierend wirkte. Er glaubte sich zum Herrscher Asiens berufen wie Tschingiskhan, mit dem er das Horoskop gemein hatte. Er glaubte streng an das Schicksal, und mit einer gewissen großartigen Schwermut ging er diesem Schicksal auch dann noch nach, als es zum Untergang sich wandte. In seiner Umgebung waren einige Teufel von bestialischer Grausamkeit, die er aus Aberglauben oder Gleichgültigkeit gewähren ließ, die ihn aber schließlich ins Unglück stürzten. Semionoff hatte eine feinere Witterung für die eigene Sicherheit, und als die Sache anfing, gefährlich zu werden, schickte er zuerst seine Frau mit Kisten voll Gold über die Grenze. Von diesem Gold wurde zwar einiges vom chinesischen Seezoll beschlagnahmt, der größere Teil aber kam ungestört durch. Er wollte sich dann in Amerika niederlassen, wurde aber dort in keiner Weise gewünscht. Komisch wirkte die Begründung. Semionoff hat Hunderte, vielleicht Tausende von Menschen auf die bestialischste Weise morden lassen. Er war einer der gefährlichsten Räuber gewesen, die sich in jenen Gegenden herumgetrieben. Das alles fiel nicht weiter ins Gewicht. Selbstverständlich! Lief doch auch der General Howart unter alliiertem Schutz jahrelang in Peking umher und imponierte bei diplomatischen Empfängen durch seinen langen Bart. Aber Semionoff konnte keinen Trauschein beibringen, aus dem hervorging, daß er mit der Frau, mit der er zusammenlebte, einer schönen und klugen Abenteurerin, amtlich verheiratet war. So konnte man ihm, wahrscheinlich mit Recht, den Vorwurf der Bigamie machen. Damit war er natürlich in den Vereinigten Staaten unmöglich.
Schließlich gelang es den Sowjets, trotz all dieser Charakterköpfe in der Mongolei festen Fuß zu fassen, und nun geschah etwas, das als grandioser Witz der Weltgeschichte bezeichnet werden muß. Die Mongolen, deren Kulturstufe die nomadische ist, die noch unterhalb des Ackerbaus stehen, konstituierten sich als Sowjetrepublik. Und der lebende Buddha wurde Ministerpräsident! Selbstverständlich standen russische Ratgeber den einzelnen Ministerien zur Seite. Seit Rußland mit China sich geeinigt hat, soll auch die Selbständigkeit der Mongolei wieder aufhören, ebenso wie die der nordmandschurischen Eisenbahn, denn Rußland liegt nur daran, daß beide Gebiete nicht von einer feindlichen Macht als Angriffsbasis benützt werden.
Während durch diese Ereignisse die Mongolei immer mehr ins Licht des allgemeinen Interesses der Welt gerückt wurde und regelmäßige Autoverbindungen durch die Wüste Gobi Vgl. Sven Hedin, Von Peking nach Moskau. eingerichtet wurden, näherten die Verhältnisse in China sich einem neuen Konflikt. Nachdem Ts'ao K'un Präsident geworden war, sammelten sich seine Gegner, die ja an sich einander ebenso feindlich gegenüberstanden, zu gemeinsamem Angriff. Tschang Tso Lin hatte Zeit gehabt, die reichen Hilfsmittel der Mandschurei, die er als fast unumschränkter Herrscher zur Verfügung hatte, zur Reorganisation seines geschlagenen Heeres zu verwenden. Mit Japan stand er in freundnachbarlicher Verbindung, und auch mit Rußland gelang in letzter Zeit eine Annäherung. Er hatte mit Sun Yat Sen und Tuan K'i Jui Fühlung genommen, und auch der Truppenführer Lu von Hangtschou bei Schanghai war mit im Bunde. Auf der anderen Seite verfügte aber Wu P'e Fu ebenfalls über recht beträchtliche Hilfsmittel: Der Norden Chinas war in seiner Hand. Die Truppenführer am Yangtse hielten zu ihm. Sein bekanntester Feldherr aber war der christliche General Feng Yü Hsiang. Feng Yü Hsiang machte viel von sich reden durch seine Christlichkeit und seine stoische Einfachheit und machte damit namentlich auf seine amerikanischen Freunde großen Eindruck. Er hielt straffe Manneszucht und zeigte etwas Biederes in seinem Wesen.
Der Krieg brach in Schanghai aus, das der General Lu für sich beanspruchte, während es eigentlich zu dem Bezirk des Freundes von Wu P'e Fu, Ts'i Hsiä Yüan, gehörte. Ohne große Schwierigkeit wurde Lu besiegt, da Tschang Tso Lin versäumt hatte, rechtzeitig einzugreifen. So konnte denn Wu P'e Fu diesmal bis nach der Grenze der Mandschurei, Schanhaikuan, vorrücken, und seine Aussichten Tschang Tso Lin gegenüber waren nicht ungünstig, zumal da ja von Sun Yat Sen kaum etwas zu fürchten war.
In diesem Moment erklärte sich der christliche General Feng Yü Hsiang, der sich im Besitz von Peking befand, für neutral und ging darauf offen zu den Feinden seines Oberfeldherrn Wu P'e Fu über. Wu P'e Fu wurde nun mit leichter Mühe geschlagen und entkam nur mit genauer Not. Der christliche General vertrieb darauf den jungen Kaiser aus seinem Palast. Der Kaiser begab sich in den Schutz der japanischen Gesandtschaft. Ferner wurden auf die Ergreifung Wu P'e Fus Prämien ausgesetzt. Der Präsident Ts'ao K'un wurde verhaftet. Sein Bruder, der leitende Geist der Familie, starb plötzlich. Der Hauptmann der Leibwache Ts'ao K'uns, der zu diesem in einem anrüchigen Verhältnis stand, wurde erst seines Geldes beraubt und dann erschossen. Kurz, der Christ schaltete, als wenn er schon Kaiser von China wäre. Da kam Tuan K'i Jui, von Tschang Tso Lin mit seinen Truppen begleitet, nach Peking und übernahm ruhig und selbstverständlich die Zügel der Regierung. Der christliche General aber hielt es für geratener, sich in die Westberge zurückzuziehen und das Buch der Wandlungen zu studieren.
Nun steht Tuan K'i Jui wieder an der Spitze. An sich ein durchaus fähiger Kopf, wird sein Erfolg davon abhängen, was für Gehilfen er für das Werk der Neuorganisation Chinas gewinnt. Ein neues Kapitel der chinesischen Geschichte hat begonnen, und mit Spannung kann man seine Entwicklung erwarten.