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Neunzehntes Kapitel. Gesellschaftliches Treiben

Der gesellschaftliche Verkehr in China ist wie der antike Verkehr aller patriarchalisch organisierten Völker bis in die neueste Zeit ausschließlich Männerverkehr. Die Frauen walteten im Innern des Hauses, besuchten sich gegenseitig, tauschten ihre Erlebnisse und Ansichten aus, aber sie gingen nicht mit ihren Gatten und Vätern gemeinsam zu Gesellschaften. Eine Durchbrechung dieser Sitte fand nur statt bei Tempelbesuchen und Theatervorstellungen, auch bei Messen und Märkten kam es zuweilen vor, daß Frauen und Mädchen mit ihren Dienerinnen sich gelegentlich zeigten. Aber auch diese Ausnahmen waren wohl mehr geduldet als gewünscht. Selbst gute Freunde kannten gegenseitig kaum ihre Frauen; nur bei den Mandschus herrschte in dieser Beziehung mehr Freiheit. Durch diese Sonderung der Geschlechter bekam natürlich der ganze öffentliche Gesellschaftsverkehr seinen Charakter. Er war ungezwungen, gelegentlich ließ man sich etwas gehen, mancher fühlte sich erleichtert, wenn er der leitenden Hand der Gattin entronnen war; denn in China kommen trotz des herrschenden Patriarchats gelegentliche inoffizielle Rückfälle in ein gemäßigtes Matriarchat vor, die von dem Betroffenen meist sehr deutlich empfunden werden, wenn sie auch nach außen hin nicht hervorzutreten pflegen. Man kann jedoch nicht sagen, daß der gesellschaftliche Verkehr in gebildeten Kreisen unbeherrscht oder unfein wäre. Dazu wird er viel zu sehr geleitet und geordnet von den Regeln einer Sitte, die ohne lästige Formalitäten äußerer Art doch für alle Lebenslagen das Richtige nahelegt.

Mit den erwähnten Verhältnissen hängt es auch zusammen, daß der Gesellschaftsverkehr gewöhnlich nicht in den Privatwohnungen vor sich geht, sondern in Räumen von mehr oder weniger öffentlicher Art. Es gibt in Peking z. B. einige Klubgebäude, meist alte Prinzenpaläste oder sonstige vornehme Anwesen mit Gärten und Hallen, in denen man sich im Gespräch ergehen kann. Da bei den großen Entfernungen sich die Sitte herausgebildet hat, daß die Stunde der Einladung nie peinlich genau genommen wird, so hat man vor Beginn der Mahlzeit reichlich Zeit zu allen möglichen Unterhaltungen. Aber nicht nur solche Klubräume werden verwendet. Man kann auch die Räume eines Freundes entlehnen, der geeigneten Platz hat, oder stille Pavillons in einem der öffentlichen Gärten oder auch Räume in einem der größeren Restaurants der Hauptstadt. Man findet da stets geschlossene Säle, die in besonderen Höfen hegen, so daß jede Gesellschaft vollkommen ungestört für sich ist. Ein Wirtschaftsbetrieb wie in Europa, da man in einem großen Lokal herumsitzt, womöglich zwei verschiedene Kreise an einem Tisch, würde in China als roh und lästig empfunden; denn man kommt ja nicht nur zusammen zur gemeinsamen Betätigung des Ernährungsvorganges, sondern eine gutausgewählte und aufeinander abgestimmte Gesellschaft soll jedesmal ein kleines Kunstwerk geselligen Zusammenseins bilden. Darum ist man sorgfältig bedacht, bei der Auswahl der Gäste harmonisch vorzugehen. Man bittet nur Menschen, die zusammenklingen, die sich etwas zu bieten haben. Es sollen darum nicht zu viele sein, weil sonst die Gemeinsamkeit leicht in Einzelunterhaltungen auseinanderfällt, auch nicht zu wenige, weil dabei auch leicht der eine oder der andere aus der Gruppe fällt. Meist hält man sich in der Nähe der Zahl der acht Genien. Aus der Geschichte der T'angdynastie sind z. B. acht Weinheilige bekannt, eine trinkfrohe Gesellschaft von Dichtern in der Umgebung von Li Tai Po, die der Dichter Tu Fu besungen hat.

Eine solche Gesellschaft findet sich allmählich am verabredeten Ort ein. Ehe die Gäste vollzählig sind, steht oder geht man umher. Ein Diener bringt feuchte heiße Tücher, mit denen man sich Gesicht und Hände abwischt, was im Sommer erfrischend, im Winter erwärmend wirkt. Eine Tasse Tee wird vor jeden der Gäste gestellt. Melonen- und Sonnenblumenkerne stehen auf kleinen Tellerchen umher. Man knackt unter dem Sprechen die Schalen und ißt die Kerne. Man steckt sich eine Zigarette an und vertreibt die Zeit mit leichten Gesprächen über literarische Tagesneuheiten, Politik oder Kunst. Ein schweres Gespräch zu führen wäre jetzt nicht die Zeit, da die allmählich eintreffenden Freunde doch dauernd die Gedanken unterbrechen würden. Wenn die Speisenfolge nicht schon zum voraus festgelegt ist, so reicht der Gastfreund etwa die Speisekarte herum, und jeder Gast wählt irgendeine der Speisen aus, die nachher auf den Tisch kommen sollen. Endlich sind die Gäste vollzählig, und man begibt sich zu Tisch. Das ist in kleineren Landorten immer eine schwierige Sache, fast wie wenn zwei Deutsche miteinander durch eine Tür gehen sollen. Oft kommt es da vor, daß die einzelnen Gäste sich tückisch auf einen niedrigeren Platz setzen und die armen jüngeren Opfer obenan sitzen lassen wollen. Das können diese nun unter keinen Umständen dulden, und so entstehen oft minutenlange Höflichkeitskämpfe gegenseitiger Bescheidenheit. In den hauptstädtischen Gesellschaften ist das jedoch nicht mehr üblich. Da jeder der Gäste durch Alter und Stellung einen deutlich fixierten Platz hat, so schreibt der Gastfreund Namenkarten und legt sie an die Plätze, oder er gießt der Reihe nach unter Nennung der betreffenden Namen und mit einer Verbeugung Wein in die bereitstehenden Schälchen. Die Gäste folgen mit mäßigen Versuchen, sich weniger ehrenvolle Plätze zu sichern, den Aufforderungen des Wirts. Zutrinken des Wirts an die Gäste und dankende Erwiderung dieses Grußes eröffnet das Mahl.

Nun beginnt die Schlacht. Jeder Gast hat ein Tellerchen für Tunken, ein Tellerchen mit Sonnenblumen- oder Aprikosenkernen, einen Löffel für die Suppen, ein Paar Eßstäbchen und ein Weinschälchen vor sich stehen. Papier zum Abwischen der Geräte ist ebenfalls vorhanden. Die Speisen werden nicht einzeln angeboten, sondern auf größeren Platten oder Schüsseln in die Mitte des Tischs gestellt. Der Wirt fordert zum Zugreifen auf, und jeder holt sich mit seinen Stäbchen so viel er will. Natürlich sind die Speisen alle klein geschnitten, so daß sie bequem mit den Stäbchen erfaßt werden können – vorausgesetzt, daß man die Stäbchen zu meistern versteht. Europäer können das sehr selten, und es bildet für sie in der Regel eine angenehme Tischunterhaltung, ihren chinesischen Nebensitzern ihre Unwissenheit in Wort und Tat vorzuführen.

Man geht beim Essen selbstbeherrscht vor. Man trinkt ein Schälchen Wein, man nimmt gelegentlich einen Bissen der kalten Fleisch- und Gemüseschnitten, die zunächst auf dem Tisch stehen, legt die Stäbchen wieder hin, plaudert, ißt ein paar Melonenkerne, trinkt wieder und kostet dann einen anderen Bissen. Man hat keine Eile, man läßt sich Zeit. Fremde machen in der Regel den Fehler, daß sie vom ersten Anfang an, schon bei den Vorspeisen, viel zu ernsthaft ins Zeug gehen. Sie sind dann häufig nach dem dritten oder vierten Gang erledigt, oder müssen sich mit Hilfe von vielem Wein rettungslos den Magen überladen. Ein chinesisches Essen ist eine lange, ausführliche Sache und will mit Überlegung und Verstand genossen sein. Die europäische Art, die Speisen, die einem vorgesetzt werden, ohne Besinnen hinunterzuschlucken, ist dem Chinesen fremd. Er weiß, was er ißt, und schämt sich nicht, einen guten Bissen zu würdigen.

Der Wein, den man trinkt, ist in der Regel aus Reis gebraut und ist in Farbe und Geschmack dem Sherry nicht unähnlich, doch weniger alkoholhaltig. Jeder Chinese weiß, wieviel er davon vertragen kann, und richtet sich danach ein. Der beste Wein kommt aus dem Bezirk Schaohsingfu in der Nähe von Hangtschou. Aber die feinsten und ältesten Sorten bekommt man selten an Ort und Stelle, da sie meist nach der Hauptstadt gesandt werden.

Unter den kalten und warmen Vorspeisen befinden sich Bambussprossen und Föhrenblüteneier, sogenannte schwarze Eier, die in Europa immer noch als tausendjährige Eier verschrien sind, obwohl sie ihre Farbe und ihren etwas käseähnlichen Geschmack nur der besonderen Zubereitung in Kalk, Spreu, Salz und Lehm verdanken, von denen etwas durch die Schalen dringt und die schwefelhaltigen Eiweißstoffe färbt. Man könnte diese Eier am ehesten mit Soleiern vergleichen. Als Hauptspeisen werden nun mehrere Delikatessen in Schüsseln serviert. Bei feinen Diners gibt es zuerst indische Schwalbennester. Diese Nester stammen von einer Gattung Seeschwalben im Indischen Ozean, die zu ihrem Bau eine besondere Art von Meeralgen benützen. Sie werden in klarer Hühnerbrühe gekocht und haben einen überaus zarten Geschmack wie irgendeine feine Pilzart. Sie sind ein sehr kostbares Gericht, das daher häufig auch durch Agar-Agar verfälscht vorkommt. Europäer bringen diesem Gericht, das wirklich einen künstlerischen Gaumen voraussetzt, meist mehr Verwunderung als Verständnis entgegen. Ein früherer chinesischer Gesandter gab einmal in Europa bei einem Diner eine Schwalbennestersuppe. Eine Dame, die neben ihm saß, wollte ein solches Ding einmal sehen. Zuvorkommend ließ er ein Nest aus der Küche holen. Sie amüsierte sich darüber und wollte es zum Andenken mitnehmen. Nun erwachte auch das Interesse der anderen Gäste, und die ganze Gesellschaft nahm sich solche Andenken mit, ohne zu ahnen, daß sie ihren Gastgeber damit um viele Hundert Mark schädigte. Nach den Schwalbennestern kommen die Haifischflossen. Diese werden mit Hühner- und Entenbrühe einen ganzen Tag lang gekocht, bis sich die Flossenstrahlen gallertartig erweichen und einen ungemein kräftigen und doch zarten Geschmack bekommen. Namentlich mit Sojatunke zusammen schmecken sie gut. Ein richtiges chinesisches Gastmahl hat dreißig bis vierzig Gänge. Man kostet von jedem nur ein paar Bissen, weil man sonst bald leistungsunfähig würde.

Über dem Essen wird auch das Trinken nicht vergessen. Trinkspiele werden gemacht, teils alte, wie das bekannte Fingerspiel, teils neue, die oft einen humoristischen Anstrich haben wie Mann, Frau und Nebenfrau. Daumen ist Gatte, Zeigefinger Gattin, kleiner Finger Nebenfrau. Der Gatte siegt über die Gattin, die Gattin über die Nebenfrau und die Nebenfrau über den Gatten. Oder es wird eine Blume herumgereicht, während ein Diener die Trommel schlägt. Wer die Blume in der Hand hat, wenn die Trommel aufhört, muß trinken. So gibt es noch manche mehr oder weniger geistvolle Spiele, die alle darauf hinauslaufen, daß der Besiegte zum Trinken verurteilt wird.

Unterdessen erscheint Schüssel um Schüssel. Nach einer Serie kommt jeweils ein süßes Gericht, wie in Zucker gekochte Lotoskerne oder mit Zuckerfäden umsponnene Süßkartoffeln. Man wäscht Löffel oder Stäbchen vor und nach dem süßen Gang. Immer nach dem süßen Gang kommt eine neue Serie. Wenn die Gäste am Ende ihrer Kraft angelangt zu sein schienen, dann macht der Wirt den Vorschlag, zum »Essen« überzugehen. Denn das alles waren eigentlich nur etwas überentwickelte Vorspeisen. Das eigentliche Essen besteht aus Reis oder Hirse mit einigen Fleisch- und Gemüseschüsseln. Hat man den Reis gegessen, so steht man auf, spült den Mund und trinkt zu einer Zigarette noch eine Tasse von irgendeinem kräftigen Tee. Man wechselt noch ein paar Worte und verabschiedet sich dann sehr rasch.

Die einzelnen Mahlzeiten dauern, wenn sie erst angefangen haben, nicht übermäßig lange. Es kommt bei vielbeschäftigten Menschen wohl vor, daß sie an einem Abend zu zwei oder drei Mahlzeiten gehen. Sie sind von verschiedenen Freunden eingeladen und möchten keinen durch eine Absage kränken, so verabreden sie die Reihenfolge, in der sie bei den verschiedenen Diners erscheinen, und kommen dann bei dem einen zur ersten Hälfte, beim andern zur zweiten. Ein humaner Zug bei diesen Diners ist, daß nicht nur die geladenen Gäste bewirtet werden, sondern auch die Kutscher, Chauffeure oder Rikschakulis, die sie mitgebracht haben. Wenn die Gäste versammelt sind, wird eine Liste aufgestellt, wer einen Diener draußen hat, und jeder von ihnen bekommt dann eine kleine Summe für Eßgeld ausgehändigt, die dem Gastgeber mit auf die Rechnung gesetzt wird.

Diese Mahlzeiten zeigen mehr das offizielle Bild. Es gibt in Peking eine ganze Reihe von Restaurants, die auch recht guten Zuspruch von Europäern haben, denn ihre Speisen sind so vorzüglich und schmackhaft zubereitet, daß auch viele Fremde das Bedürfnis haben, sich von der täglichen Routine gelegentlich durch ein chinesisches Essen zu erholen.

Die Chinesen sind seit uralten Zeiten Meister der Kochkunst. Auch die bedeutendsten Staatsmänner und Weisen haben es für nicht unter ihrer Würde erachtet, sich mit dem Nachdenken über Speisen und ihre Zubereitung zu beschäftigen. Der Sage nach hat in der ersten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends der berühmte Staatsmann I Yin den großen König T'ang dadurch für seine Pläne gewonnen, daß er als Koch in seine Dienste trat. Das mag Sage sein, aber wir haben aus der Mitte des dritten vorchristlichen Jahrhunderts eine Abhandlung über die Gespräche, die bei diesem Anlaß geführt worden seien. Damals wenigstens muß also das Nachdenken sich diesen Dingen bereits zugewandt haben. Es heißt da Vgl. Lü Schï Ts'iu. u. a.:

Als der König T'ang den I Yin gefunden hatte, stellte er ihn im Ahnentempel dar. Er stellte ihn in das Licht des heiligen Feuers und bestrich ihn mit dem Blut des Opferschweins. Am folgenden Tag hielt er Hof und empfing ihn. Da redete er mit T'ang über die Kochkunst. T'ang sprach: »Könnt ihr die feinsten Speisen zubereiten?« I Yin sprach: »Euer Land ist klein, da läßt sich nicht alles beschaffen. Wenn man aber Großkönig ist, dann findet sich alles.« Dann hob er an: »Von den Tieren der drei Naturreiche haben die im Wasser lebenden einen tranigen Beigeschmack, die Fleischfresser einen wilden Beigeschmack und die Grasfresser einen ranzigen Beigeschmack. Aber trotz dieser Beigeschmäcke kann es gut schmecken. Es kommt nur auf die Zubereitung an. Die Grundlage aller Speisen ist vor allem das Wasser. Es gibt fünf Geschmacksarten, drei Materialien, neun Kochweisen, neun Bratweisen der Speisen, wobei es auf die Anwendung der verschiedenen Feuer ankommt. Zuweilen muß das Feuer rasch sein, zuweilen langsam. Den Beigeschmack des Tranigen, Wilden, Ranzigen bekommt man durch stärkere Gegenmittel weg, wenn man die richtige Reihenfolge nicht verfehlt. Bei der Mischung muß man süß, sauer, bitter, scharf und salzig richtig abwägen, man muß wissen, was von jedem früher, was später zugesetzt werden muß und wieviel von jedem. Diese Verteilung ist sehr kompliziert, muß sich aber in allen Stücken nach der Regel richten. Die Veränderungen, die mit den Speisen nach dem Anrichten noch in der Schüssel vor sich gehen, sind so fein und geheimnisvoll, daß man sie gar nicht in Worten erklären kann. Es ist wie bei den subtilsten Kunstgriffen beim Schießen und Wagenlenken, wie bei den geheimnisvollen Wachstumsvorgängen im Lauf der Natur.

Die abgelagerten Fleischstücke dürfen nicht verdorben sein, die gargekochten nicht zerkocht, die süßen Speisen nicht widerlich, die sauren nicht zusammenziehend, die salzigen nicht versalzen, die scharfen nicht brennend, die milden nicht fade, die fetten nicht abgestanden.

Das Beste unter den Fleischspeisen sind die Lippen des Orang-Utan, die Schwänze junger Schwalben, das Mark von Büffeln und Elefanten. Westlich von den Wanderdünen im Süden des Zinnoberberges gibt es Phönixeier, die die Leute von Yü essen. Die besten Fische sind die Butte vom Tung-T'ing-See und die Sardinen des Ostmeers. In der Nektarquelle gibt es einen Fisch, der heißt Scharlachschildkröte. Er hat sechs Beine und Perlen wie grüner Jade. In der Tiefsee gibt es einen Fisch, der heißt Flugfisch. Er sieht aus wie ein Karpfen und hat Flügel, mit denen er aus dem Wasser sich erheben kann. Unter den Gemüsen sind die besten die Algen vom K'unlun Berg, die Früchte vom Baum des Lebens. An den Ufern des Südpols gibt es ein Gemüse das heißt der Baum der Erkenntnis, seine Farbe ist wie grüner Jade; am Huaberg gibt es die beste Petersilie, am Yün-Mong-See die beste Sellerie. In Ts'in Yüan gibt es ein Kraut, das heißt Erdblüte. Unter den Gewürzen sind die besten der Ingwer von Yangpu, der Zimmt von Tschaoyao, die Pilze von Yüolo, Soße aus Aalen und Stören und das Salz von Tahsia. Unter den Getreidearten sind die besten das Korn vom Schwarzen Berg, die Hirse vom Putschouberg, der Sorghum vom Yangberg, die schwarze Hirse von der Südsee. Unter den Wassern sind die besten: der Tau von den Sanwebergen, das Wasser aus den Brunnen des K'unlun Berges und das von den Hügeln am Yangtse, das man Zitterwasser nennt. Unter den Früchten sind die besten die Früchte des Apfelbaums. Im Norden des Tschaogebirges gibt es alle Arten von Früchten, die die Götter speisen. Im Süden gibt es süße Apfelsinen, Mandarinfrüchte und Pumalos und die Steinohren vom Flusse Wan. Um sie herbeizuholen, bedarf es der schnellsten Pferde.

Wenn man nicht Großkönig ist, so kann man diese Dinge nicht vollzählig bekommen. Auch wenn man Großkönig ist, muß man sie nicht erzwingen wollen. Erst muß man die Wahrheit erkennen. Die Wahrheit liegt aber nicht irgendwo draußen, sondern sie ruht in uns selbst. Sind wir selbst fertig, so ist das Königtum fertig. Ist das Königtum fertig, so sind die feinsten Gerichte alle zu unserer Verfügung.

Während dieser Staatsmann seinen Fürsten durch die Unterhaltung über Speisen zum Guten lockte, hat später einmal der Koch I Ya des Fürsten Huan von Ts'i diesen ruiniert. Er hat seinen eigenen Sohn geschlachtet, weil der Fürst gern einmal Menschenfleisch gegessen hätte. Der Minister Kuan Tschung warnte den Fürsten vor dem Menschen, der dem natürlichsten Gefühl der Liebe zu seinem Sohn so ins Gesicht geschlagen habe. Aber der Fürst machte doch den Koch I Ya und seine Genossen zu Ministern. Diese machten später eine Verschwörung. Sie schlossen das Palasttor ab, bauten eine hohe Mauer und ließen niemand hinein, indem sie das für einen Befehl des Herzogs ausgaben. Eine der Frauen des Fürsten kletterte über die Mauer und kam zu ihm. Der Fürst sprach: »Ich möchte etwas zu essen.« Die Frau sprach: »Ich kann nirgends etwas bekommen.« Der Fürst sprach wieder: »Ich möchte etwas zu trinken.« Die Frau sprach: »Ich kann nirgends etwas bekommen.« Der Fürst sprach. »Warum?« Da erzählte sie ihm von der Verschwörung. Darauf verhüllte er sein Antlitz mit seinem Ärmel und hauchte seinen Geist aus im Palast des langen Lebens. Nach seinem Tod erhob sich Streit unter seinen Nachfolgern, und drei Monate blieb er unbeerdigt liegen, also daß endlich die Würmer zur Haustür herauskrochen.

Solche Geschichten zeigen, welche Rolle im Guten und Bösen die Kochkunst im Lauf der chinesischen Geschichte schon gespielt hat. Auch jetzt noch gibt es Gelehrte und Staatsmänner, die sich mit der Zubereitung und Erfindung neuer Gerichte beschäftigen. Kenner gehen überhaupt nur ausnahmsweise in große Restaurants. Denn dort gibt es im wesentlichen festbestimmte Speisen. Die Auswahl ist allerdings sehr groß, aber es sind doch immer wieder dieselben Typen. Man hat die Restaurants vom alten Schantungtyp, die die berühmten Gerichte servieren, die für ein gewöhnliches Festessen erfordert werden. Die neuen Schantunger Restaurants haben mehr die Art der Tsinanfuer Küche, die sich manches aus der europäischen Küche zugelegt hat, wie Milchsoßen, Spargel und Brotgebäck. Daneben gibt es noch Honan-, Setschuan- und Yangtschou-Restaurants. Die Kantonküche ist sehr verschieden von den übrigen Arten der Pekinger Küchen und wird im Norden nicht sehr geschätzt. Wer sich auskennt, kann beim ersten Bissen unterscheiden, welcher Gattung die Küche angehört. Merkwürdig ist, daß keins der Restaurants in Peking von Pekinesen betrieben wird. Es geht hier wie mit dem Wein: Alles ist aus anderen Provinzen importiert. Aber es gibt in den Provinzen nirgends eine so gute Küche wie in der Hauptstadt.

Neben diesen großen Restaurants gibt es aber auch noch Spezialitäten, die von den Kennern bevorzugt werden. Es gibt etwas abgelegen ein ziemlich kleines Haus. Der Wirt schlachtet jeden Tag ein Schwein. Das Fleisch wird in seinen verschiedenen Teilen in raffiniertester Weise zubereitet, so daß eine Unzahl der mannigfaltigsten Speisen auf dem Menu stehen. Der Zudrang ist vom Morgen an schon ziemlich groß, so daß oft kurz nach Mittag schon das ganze Schwein aufgegessen ist. Dann wird die Wirtschaft geschlossen. Weder Geld noch gute Worte können den Wirt bewegen, von seiner Gewohnheit abzugehen. Natürlich liegt in dieser schroffen Zurückhaltung die beste Geschäftsreklame. Denn sowie es gelingt, dem Publikum irgendeinen Genuß recht schwer zu machen, so strömt es in Scharen herzu, als ging es um die ewige Seligkeit. Hierin ist das Großstadtpublikum im Osten und Westen einander gleich.

Im Piänyifang ist das Entenrestaurant. Hier gibt es die berühmte Pekingente, die Krone aller Gerichte, wenn die Haut, auf dem Roste knusprig gebraten, in kleinen Stücken frisch auf den Tisch kommt. Man hat eine Art Mehlkuchen, den man mit Sojaextrakt betupft. Darin werden die Entenstreifen eingewickelt. Feinschmecker nehmen noch einen Porreestengel dazu. Auch sonst gibt es die verschiedensten Gerichte, weit über hundert, die alle aus Pekingenten zubereitet sind. Die Gegend ist abgelegen im äußersten Süden der Stadt. Die Räume sind dunkel und unbequem, aber in der schmalen Straße drängen sich abends die Autos, Pferde- und Menschenwagen aneinander, daß die Straße auf eine lange Strecke fast unpassierbar ist, denn jedermann muß doch einmal im Entenrestaurant gewesen sein. Auch die Fremden, selbst wenn manchen unter ihnen das schwere Entenfleisch Beschwerden bereitet.

Ein weniger feiner als origineller Ort liegt in der Nähe des Südtors. Wenn man abends durch das Tor in den Hof tritt, so sieht man überall Feuer lohen und Kohlen glühen. Um diese Feuer drängen sich sitzend und stehend die Gäste, um vom Rost sofort das knusprige Fleisch in Empfang zu nehmen. Es ist das Hammelrestaurant, in dem wir uns hier befinden. Warm, dampfend, gekocht, gebraten, geröstet kommen die Fleischstücke auf die Platten, Gemüse aller Art, die das Hammelfleisch schmackhaft machen, werden aufgetragen. Statt des milden Reisweins trinkt man hier häufig den schärferen Kornschnaps, der ebenfalls heiß getrunken wird.

Im Winter kann man auch wohl einen Feuertopf kommen lassen. Das ist ein kupferner Kessel, der von unten her durch Holzkohlen oder Weingeist geheizt wird, in dessen Wölbung heiße Fleischbrühe sprudelt. Platten mit rohen Fleischschnitten aller Art, mit Gemüse, Chrysanthemumblättern und Nudeln werden aufgetragen. Jeder der Umhersitzenden wählt sich die Stücke aus, die ihm munden, und hält sie mit seinen Eßstäbchen in die sprudelnde Brühe, bis sie gar sind. Man kann auf diese Weise jeden Grad der Fertigstellung, der einem angenehm ist, herstellen. Das Gericht wirkt ungemein erwärmend. Wenn man aber eine Weile in Kornschnaps und Schaffleisch gewütet hat, so bekommt man schließlich beinahe wilde Wolfsinstinkte, und man kann verstehen, wie manche Tiere sich in heißem Blut berauschen.

Das Gegenstück zu dieser primitiven Wirtschaft ist ein vegetarisches Haus. Der Wirt hat die Geschichte seiner Bekehrung aufschreiben lassen und an die Wände der Speisezimmer aufgehängt. Ihm waren einst im Traum die Seelen sämtlicher von ihm geschlachteten Tiere erschienen: die Schweine bösartig, schnarchend, manche sentimental quiekend, dann kamen die blökenden Schafe und Ziegen mit vorquellenden Augen, ein halbes Reh schlich sich heran, und die Scharen von Fasanen, Enten, Hühnern, Küken, Eiern gackerten und schnatterten durcheinander, die Fische wälzten sich schnalzend auf dem Boden, die Krabben und Tintenfische stierten aus tückischen, kleinen Augen, und die kleinen Reisvögel saßen traurig gerupft auf den Drähten. Sie alle klagten ihn des Mordes an und wollten sich zur Rache über ihn hermachen und ihn töten. Da flehte er um sein Leben und tat ein Gelöbnis, fürder kein Tier mehr zu töten und sich mit allen Kräften für sie einzusetzen. Da ließen sie ihn los, und er erhielt noch einige Geheimrezepte, um ganz besonders gute Sachen zu bereiten. Seitdem kann man in dieser Wirtschaft haben, was man will: geröstete Schweinenieren, Haifischflossen, Schwalbennester, Fischkoteletten und hundert Dinge mehr, die alle trefflich munden, aber alle nur vegetarisch zubereitet sind. Mit großer Geschicklichkeit versteht es der Wirt, die Leute vergessen zu machen, daß sie im Grunde heilig sind und die Askese der Fleischenthaltung treiben.

So gibt es noch eine ganze Menge von Spezialitäten, mit denen man sich die Zeit vertreiben kann. Neben erlaubtem Zeitvertrieb ist auch der unerlaubte nicht ganz unbekannt. Gelegentlich tun sich in verborgenen Winkeln einige Bekannte zusammen zum Spiel. In der Regel ist es das »Majongspiel«, das auf chinesisch Ma Ts'üo P'ai heißt, und von dem die Sage geht, daß es ein General Ma im Felde erfunden habe, um einen Zeitvertreib für seine Soldaten zu haben. In China ist das Spiel, wie jedes Glücksspiel, verboten, da es viel Unglück ins Haus bringt; denn trotz aller Ruhe bei der Handhabung der hübschen harmlosen Dominosteine pflegt es die Leidenschaft der Spieler aufs heftigste zu erregen, und nicht selten ist es, daß die ganze Nacht beim Spiel verbracht wird und der Morgen durch die Fenster scheint, wenn der Verlierer seine Verluste zusammenrechnet. Die Industrie, die sich mit der Anfertigung solcher Spiele beschäftigt, ist neuerdings sehr in Blüte gekommen wegen der unglaublichen Menge von Majongspielen, die eine Zeitlang namentlich nach Amerika exportiert zu werden pflegten. So heftig war diese Leidenschaft, daß die Damen sogar eigene »Majonggowns« aus China bezogen. Das waren aus der Mode gekommene und daher abgelegte Kleider von Prostituierten, die nun im Westen zu Ehren kamen. Später wurden für den Export auch extra antike Gewänder hergestellt, die ganz reinlich und neu aussahen. Wie heftig die Leidenschaft für Majong war, dafür ist das beste Beispiel eine kleine Geschichte, wie ein Dienstmädchen ihrer Herrin kündigte. Als sie nach dem Grund gefragt wurde, sagte sie, sie habe sich im Hause über gar nichts zu beklagen, aber der Hausherr sei geisteskrank geworden, und sie fürchte sich. Als sie kürzlich morgens früh ins Gesellschaftszimmer gekommen sei, habe immer noch Licht gebrannt, und der Herr sei erschöpft und fluchend auf dem Boden herumgekrochen. Als sie gefragt, ob er etwas suche, habe er sich aufgerichtet, sie mit fürchterlichen Augen angeblickt und gesagt: »Ich suche den Ostwind Ostwind ist der Name eines der Steine im Spiel.«.

Das Opiumrauchen ist zwar noch keineswegs ganz verschwunden, aber man kann doch bemerken, daß es sehr wesentlich zurückgegangen ist. Man scheut sich, es öffentlich zu betreiben, nicht nur, weil es gesetzlich verboten ist, sondern es ist nicht mehr gesellschaftsfähig. Namentlich in den gebildeten Kreisen Jung-Chinas sieht man mit unverhohlener Verachtung auf die »Opiumteufel« herab. Leider sind hauptsächlich aus Japan eine Menge von Mitteln eingeführt worden, die unter dem Vorwand, Arzneimittel zur Opiumentziehung zu sein, Morphiumpräparate und andere Gifte enthalten. Überhaupt, was unter dem Decknamen von Medizinen vom Ausland eingeführt und verkauft wird, ist empörend. Durch marktschreierische Anpreisungen werden Dinge verbreitet, deren man sich schämen sollte. Im besten Fall sind es wertlose Präparate, die nichts nützen, aber häufig wird die Angewöhnung aller möglichen Gifte auf diesem Wege betrieben, und das ganze Land wird entstellt durch eine gemein aufdringliche Reklame.

Von den Klubhäusern und Restaurants kommend, müssen wir noch einen kurzen Blick werfen auf die Teehäuser. Wie wir gesehen haben, ist die Gesellschaft in China im wesentlichen Männergesellschaft. Das bringt, ähnlich wie im alten Griechenland, die Sitte mit sich, während des Zusammenseins bei den Mahlzeiten gelegentlich kleine Sängerinnen kommen zu lassen. Die Mädchen waren ursprünglich junge Künstlerinnen. Sie beherrschten die Literatur, dichteten wohl selbst, spielten die Zither und sangen dazu. Sie waren gewöhnt an den Verkehr mit Männern, und während Damen aus der Gesellschaft errötend verstummten, oder wenn sie zu zweien waren, hinter dem vorgehaltenen Taschentuch kicherten beim Zusammentreffen mit einem fremden Mann, waren die kleinen Künstlerinnen frei und geistvoll in der Unterhaltung mit solchen fröhlichen Gesellschaften jüngerer Männer. Sie hatten ihre Standesehre: »Wir verkaufen unsere Stimme, nicht unsere Person.« Zum Schutz ihrer Tugend kam stets eine alte Dienerin mit, außerdem meist auch der Musiklehrer, der die Gesänge seiner Schülerinnen auf der Laute oder Geige begleitete. Doch wie es so zu gehen pflegt: das geistvolle, freie Beisammensein führte leicht zur erotischen Annäherung. Was dem Mann versagt war im Bereich des Ehelebens, dem so gut wie nie eine Zeit der jungen Liebe voranging, das fand er im Verkehr mit diesen Künstlerinnen. Die chinesische Lyrik ist voll von Gedichten über diese Mädchen, und viele Geschichten sind überliefert von treuer Liebe, Schmerzen der Trennung, Freuden des Wiedersehens, Verzicht und Sterben der Sehnsucht: kurz alles Pathos und alle Tragik des nicht durch gesellschaftliche Sitten geschützten, behüteten und gegängelten Eros liegt in diesen Beziehungen. Im Lauf der Zeit hat sich die Situation freilich etwas verschoben. Die Häuser, in denen die kleinen Künstlerinnen wohnen, sind meist im Besitz von Kupplerinnen. Die Dienerinnen, die die Tugend der Mädchen schützen sollten, sind meist finanziell an einem Lebenswandel ihrer Schutzbefohlenen interessiert, der weit abführt von aller Harmlosigkeit und Reinheit. Aber trotz allem ist der Schein noch recht gut gewahrt. Die Mädchen wohnen in Teehäusern. Man kann sie da besuchen, mit ihnen plaudern und Freundschaft schließen. Man trinkt seine Tasse Tee, ißt ein paar Melonenkerne oder Süßigkeiten, raucht eine Zigarette und bezahlt eine feste Summe, von der das Mädchen, das die Unterhaltung führt, die eine Hälfte mit ihrer »Tante« so heißen die alten Frauen, unter deren Hut die Mädchen stehen – zu teilen hat, während die andere Hälfte dem Besitzer des Lokals zukommt. Dabei geht alles ganz dezent zu. Man trifft sich etwa mit Freunden nach einem Gastmahl dort, plaudert eine Weile und entfernt sich, ohne irgendwie intimer geworden zu sein. Kommt man das erstemal in ein Teehaus, in dem man noch keines der Mädchen kennt, so werden sie der Reihe nach vorgestellt, und man nennt dem Diener den Namen der jungen Schönheit, mit der man sich gern unterhalten möchte. Die Mädchen sind stets in reizenden Gewändern, die meisten stammen aus Schanghai oder Sutschou. Sie sind munter, zutraulich und wissen dennoch jeden plumpen Annäherungsversuch mit Gewandtheit abzuwehren. Ein geschicktes Mädchen wird mehrere Gäste zugleich unterhalten können, die sie in verschiedenen Räumen unterbringt. Sie plaudert mit dem ersten eine Weile, entfernt sich unauffällig, um sich mit dem zweiten zu unterhalten, und so fort. Läßt einer der Gäste über ihre Abwesenheit Ungeduld merken, so ist sie im Augenblick mit der unschuldigsten Miene wieder da, weiß jedem den Eindruck zu geben, daß er der einzig ihr werte Gast ist, empfängt stets die Kommenden und geleitet die Gehenden. Die Unterhaltung bewegt sich um das künstlerische und literarische Leben des Tages. Auch politische Fragen werden besprochen. Gar manchem ernsten Mann ist es Bedürfnis, von den Sorgen des Tages sich zu erholen im harmlosen Gespräch mit seiner kleinen Freundin. Die Mädchen sind im allgemeinen diskret. Es gehört zu ihrer Erziehung, daß sie nie mit einem Gast über den anderen sprechen.

Mit der Zeit kann es dann auch zu intimeren Beziehungen kommen. Doch ist das keineswegs die Hauptsache, und das ganze Verhältnis behält auch in diesem Fall etwas Zartes und ist von den brutalen Massivitäten, wie sie in Europa mit der Prostitution verbunden sind, weit entfernt. Immer handelt es sich um ein Werben um die Gunst des Mädchens, und wenn das Mädchen dem Bewerber ihre Gunst gewährt, so ist stets die Fiktion einer Ehe für längere oder kürzere Zeit vorhanden. Es ist z. B. vollkommen unmöglich, daß ein Gast in einem Teehaus mit zwei Mädchen auch nur freundschaftlich verkehrt, da dies gegen den guten Geschmack verstieße.

In einem Punkt ist den armen kleinen Mädchen trotz des traurigen Schicksals, dem sie anheimgegeben sind, ein Rest von Freiheit gegeben. Sie kommen meist sehr jung in die Teehäuser und verweilen oft jahrelang darin, nur mit ihrer Musik und der Unterhaltung der Gäste beschäftigt. Keine Jungfrau wird gezwungen, ihre Reize zu verkaufen. Sie gibt sich das erstemal nur aus freiem Entschluß einem Mann zu eigen. Es ist auch schon vorgekommen, daß solche zarten Bande sich fest genug erwiesen, daß der Liebhaber seine Geliebte durch Zahlung einer Summe Geldes loskauft und sie als Nebenfrau oder selbst als Gattin für sich nimmt. Diese Mädchen sind dann meist nicht die schlechtesten Hausfrauen und wissen häufig ihrem Gatten infolge der Dankbarkeit und der Zuneigung, die sie gegen ihn als Retter empfinden, das Leben so friedlich und angenehm wie möglich zu machen. Freilich kann es auch vorkommen, daß ein intrigantes Frauenzimmer sich aus dem zarten Kind entwickelt, das die ganze Familie durcheinanderzubringen imstande ist. Es gibt eben hier wie anderswo Gute und Böse durcheinander.

Trotzdem eine gewisse Poesie über diesen Dingen schwebt, die dem Fremden alles in viel freundlicherem Licht erscheinen läßt, als ähnliche Verhältnisse anderwärts, ist das Los dieser kleinen Teehausmädchen meist ein unendlich trauriges, wie folgende Geschichte zeigt:

Die kleine Siu Ying war das Kind eines einfachen Kaufmanns in Schanghai. Harmlos verbrachte sie ihre Kindheit in Hongkew, dem Hafenviertel der Großstadt. Hoffnungen auf Glück und Schönheit belebten die Träume des Kindes. Einmal war eine Wahrsagerin gekommen und hatte ihr viel Schönes prophezeit. Nicht gewöhnlich werde ihr Schicksal sein. Entweder werde sie in einer Schule ausgebildet werden, oder werde sie sich als Künstlerin einen Namen machen. Siu Ying war ein schüchternes, sanftes Kind und spielte auf der Straße wie die anderen Kinder. Ein kleiner Bruder kam zur Welt; da wurde sie mit der Sorge um das kleine schreiende Ding betraut. Nun gab es ernste Stunden. Denn der Kleine war ein Tyrann, und die Schwester hatte genug zu tun, ihn zu hüten und ihn immer wieder zufriedenzustellen. Da starb der Vater plötzlich, als sie eben vom Kind zur Jungfrau heranzureifen begann. Es stellte sich heraus, daß er nicht nur nichts hinterließ, sondern sogar beträchtliche Schulden auf seinem Geschäft standen. Einst kam eine Bekannte zu Besuch. Sie sah gut und freundlich aus. Sie redete mit der Mutter über die kleine Siu Ying. Solche Mädchen hätten schon oft das Glück der ganzen Familie gemacht. Sie versprach, die Kleine als Künstlerin ausbilden zu lassen und mit nach der Hauptstadt zu nehmen. Sie werde da viel Geld verdienen, so daß sie die ganze Familie ernähren könne und mit der Zeit auch sicher noch imstande sein werde, die Schulden des verstorbenen Vaters zu tilgen und so sein Andenken vor der Nachwelt zu reinigen. Die gute Frau war sogar bereit, sofort ein paar hundert Dollar zu zahlen. Nur der Form wegen wurde ein Vertrag aufgesetzt: das Mädchen wurde der guten Frau zu eigen übergeben als Pfand für das geliehene Geld, das mit vier Prozent pro Monat zu verzinsen sei. Sobald sie Kapital und Zinsen zurückbezahlt habe, solle sie frei sein.

Siu Ying war selig, als sie von der Reise und all den goldenen Dingen hörte. Schöne seidene Kleider wurden für sie gekauft, in denen sie im Spiegel sehr niedlich aussah. Bald ging die Reise übers Meer nach Peking. Die Mutter schenkte ihr zum Abschied noch einen Ring mit grünen Chrysopras. Ihren kleinen Bruder nahm sie mit, um die Sorge für seine Erziehung der armen Mutter abzunehmen. Eine andere Tante, die auch ein wenig Geld vorgestreckt hatte, ging ebenfalls mit. Die erste Tante hatte noch ein ganz kleines Töchterchen. So war denn eine ganze Familie beisammen, als sie von ihrer Mutter voll froher Hoffnung Abschied nahm.

Sie hatte von Glück und Jugend Abschied genommen. In Peking wurde nun ein kleines dunkles Zimmer gemietet und außerdem in einem Teehaus erster Klasse ein Platz belegt. Die Ausstattung des Zimmers kostete wieder einige hundert Dollar. Ein Lehrer wurde gemietet, der der kleinen Siu Ying die Anfangsgründe des Singens beibrachte. Sie mußte Lieder in großer Zahl auswendig lernen und zu den schrillen Tönen der Geige des Lehrers mechanisch hersingen. Ein anderer Lehrer erteilte ihr und ihrem Bruder Unterricht im Lesen und Schreiben. Aber dieses Lernen war alles mühsame und harte Arbeit. Es war kein Gesang wie der Gesang des Vogels, frei und froh. Es war ein gequältes Nachsingen vorgespielter Noten, bei dem das Herz nicht dabei war. Auch das Schreiben war für die ungeübten Fingerchen recht schwer und ungewohnt.

Das Schönste waren noch die Kleider, die waren nach dem neuesten Schnitt, und sie freute sich, hübsch zu sein, wenn sie ihr Gesichtchen vor dem Spiegel schminkte. Nun sollte sie Gäste unterhalten. Das war etwas Entsetzliches. Ein paarmal hatten einige übermütige junge Männer die Kleine zur Gesellschafterin gewählt. Aber sie sprachen so seltsame Dinge und sahen sie so fremd und furchtbar an, auch wenn sie lachten. Sie wußte nicht, was die Männer von ihr wollten. Sie bekam Angst und war ganz verschüchtert. Bei Nacht aber hatte sie Heimweh und weinte bitterlich.

Sie hatte es sehr schwer. Von dem geringen Verdienst, mit dem sie infolge ihrer Schüchternheit sich begnügen mußte, sollte sie die ganze Gesellschaft, die sich an sie gehängt hatte, ernähren und sollte noch dazu Zinsen zahlen für die Vorschüsse. Sie bekam nicht soviel Geld zusammen, und statt weniger wurden die Schulden immer mehr. Eine Zeitlang kam ein Lichtblick in ihr Leben. Mit einigen chinesischen Freunden kam ein Europäer einst ins Teehaus. Der konnte Chinesisch und redete mit ihr. Erst hatte sie namenlose Angst; denn sie hatte gehört, daß die Fremden Kinder fressen, und so wußte sie nicht, was alles Entsetzliches geschehen werde. Aber die Tante lachte sie aus: »Die Fremden sind auch Menschen gerade so wie wir, wozu Angst vor ihnen haben?« Allmählich merkte sie auch, daß der Fremde es gut mit ihr meinte. Er verlangte nichts Schlechtes von ihr. Manchmal brachte er ihr kleine Geschenke mit, oft erzählte er seltsame fremde Märchen. Sie mußte ihm auch Märchen erzählen. Da erzählte sie ihm alle Märchen, die sie von ihrer Kindheit her wußte, und als ihr Vorrat zu Ende war, ließ sie sich von der Tante Märchen sagen, die sie dann abends ihrem Freunde wieder erzählte. Auch ihre neugelernten Lieder sang sie ihm vor. Er erkundigte sich nach ihrem Lesen und Schreiben, und ihm zuliebe lernte sie auch ein Gedicht auswendig und sagte es ihm als Überraschung auf, als er wiederkam. Allmählich gewöhnte sie sich an ihn wie an einen guten Freund. Sie hat ihm zuliebe auch Nähen gelernt. Auf der Straße liefen im Winter so viele nackte Bettelkinder herum, ihr Freund kaufte deshalb schon lange vorher Tuch und Watte, und sie nähte tagsüber, wenn sie nichts zu tun hatte. Als der Winter kam, waren zwölf Anzüge fertig, und sie freute sich, daß die armen Kinder auf der Straße warme Kleider zum Anziehen von ihr bekommen sollten. Da sie nun schon nähen konnte, so nähte sie auch ihrem Freund ein Paar Hausschuhe, hübsch ordentlich, mit gestickten Mustern. Die Geschenke, die sie bekam, erwiderte sie immer durch irgendeine kleine Aufmerksamkeit, denn sie wollte nicht undankbar erscheinen. Der Freund half ihr auch manchmal aus der Not. Wenn der Geburtstag der Hausmutter war oder ein Festtag, an dem die Angestellten des Teehauses ein Trinkgeld wollten, lud er wohl Freunde ein, so daß ein richtiges kleines Fest in ihrem Zimmer gefeiert wurde, das ihr Ansehen gab vor den anderen Menschen. Denn es ist sehr wichtig, daß ein Mädchen an solchen Tagen Gäste hat, sonst wird sie schlecht behandelt, und ihr schönes Zimmer wird ihr genommen, und sie wird in einen ganz geringen Raum verwiesen. Manchmal hörte man draußen vor den Vorhängen leidenschaftliches bitteres Weinen eines Mädchens, das einsam war und vergeblich auf einen Gast wartete. Wenn keiner kam, wurde sie geschlagen und beschimpft, und alles war fürchterlich. Der kleinen Siu Ying ging es nicht schlecht, solange ihr Freund sie besuchte. Sie machte auch Gegenbesuche. Sie wollte sehen, wie es in einem europäischen Haus aussah. Die Tante nahm sie zum Schutz mit, da sie nicht wagte, allein in ein fremdes Haus zu gehen. Sie brachte ein paar Süßigkeiten zum Geschenk mit und war ziemlich ängstlich, denn alles war so groß und schön und seltsam in solch einer fremden Wohnung.

Im Sommer verreiste der Freund. Das war sehr traurig, denn nun kam sie bald in Geldnot. Ihre Schulden häuften sich immer mehr, und sie weinte oft Nächte lang, weil sie nicht wußte, wie sie alles abbezahlen sollte. Sie hätte die Möglichkeit gehabt zu entfliehen, und sich in einem Asyl zu melden, wo solche Mädchen Zuflucht finden und aus den Krallen ihrer Peiniger befreit werden. Aber sie hatte nicht den Mut dazu. Denn die Tante hatte ihr immer schon erzählt, daß der Mensch alle Schulden abbezahlen müsse, die er gemacht. Wenn er es nicht tue, so müsse er als Kuh oder Hund wieder auf die Welt kommen und seinem auch wiedergeborenen Gläubiger so lange dienen, bis auch der letzte Heller abgetragen sei. Deshalb hatte sie auch abgelehnt, als ihr Freund sie aus dem Teehaus retten wollte und versprach, sie in einer Mädchenschule unterzubringen, damit sie etwas Rechtes lernen und ein anständiges Leben beginnen könne. Sie hatte sich erst gefreut; denn keines dieser Mädchen würde sich auch nur einen Augenblick besinnen, wenn ihm ein Weg geöffnet würde, der zum Leben emporführt. Sie hatte sich dann mit ihrer Tante besprochen. Die hatte ihr aber mit ihren Schulden so entsetzliche Angst gemacht, daß sie nicht wagte, das Anerbieten anzunehmen.

Damit war ihr Schicksal entschieden. Der Freund war fern und konnte ihr nicht helfen. Sonst hatte sie niemand auf der weiten Welt. Da kam ein Student aus der Gegend von Yangtse. Er schien sie lieb zu haben und war todunglücklich, als sie seine Liebe nicht gleich erwiderte. Er schwur, bei seiner Mutter durchzusetzen, daß er sie heiraten dürfe. Die Tante drängte das Mädchen von Tag zu Tag. Endlich gab sie nach. Es folgten ein paar kurze Wochen einer süßen Liebeszeit, in der das Mädchen zur Tiefe der Seele und voller Schönheit heranreifte. Der Student reiste in seine Heimat zurück und versprach ehestens zu schreiben. Er hat nie wieder etwas von sich hören lassen.

In banger Erwartung harrte Siu Ying auf seine Wiederkehr. Sie fühlte Ungewohntes in ihrem Leib sich regen. Die Tante tröstete sie: das komme wohl von Geistern her, die manchmal Nachts die Mädchen quälen. Sie werde vielleicht eine Maus zur Welt bringen, das sei nicht schlimm. Gleichzeitig gab sie ihr allerlei Arzneien ein. Aber sie brachte keine Maus zur Welt. Schon begann es, wohin sie kam, leise zu tuscheln und zu zischeln. Schadenfroh lachten manche Freundinnen über das Pech, das ihr passiert sei. Andere hatten Mitleid mit ihr. Aber niemand konnte ihr helfen. Sie mußte aus dem Teehaus verschwinden und sich in die Verborgenheit zurückziehen. Was wohl aus ihr geworden ist? –

So spielen tragische Ereignisse sich hinter der bunten Außenseite der festlich erleuchteten acht Gassen ab, in denen Abend für Abend die Autos sich drängen und vornehme Gäste die kleinen Teehausmädchen besuchen.

In der Nähe dieser Straßen stehen die Theater, in denen bis spät in die Nacht hinein gespielt wird. Man unterscheidet verschiedene Gattungen von Theaterstücken: das große historische und das bürgerliche Drama. Das große historische Drama zeigt sich schon in dem Aussehen der Schauspieler. In prächtigen Rüstungen, mit Wimpeln umsteckt, erscheinen sie. Die Peitsche in der Hand deutet an, daß sie zu Pferde sind, und in wilden Sätzen tummeln sie ihre imaginären Pferde, bis sie etwa absteigen und sich zum Kriegsrat versammeln. Der Oberfeldherr sitzt dann auf einem erhabenen Thron, der durch einen Tisch dargestellt wird. Soll eine Stadt erobert werden, so wird ein auf blaues Tuch gemaltes Stadttor vorübergetragen. Kulissen in unserem Sinn gibt es auf dem chinesischen Theater nicht, sondern ähnlich wie auf der Shakespeare-Bühne werden der Phantasie des Zuhörers nur einige allgemeine Anhaltspunkte gegeben. Die Kämpfe der Helden mit ihren oft bewundernswerten akrobatischen Kunststücken, ihre Gesänge und majestätischen Bewegungen werden von einer rauschenden Musik begleitet, die namentlich durch ihren Rhythmus aufregend wirkt. Die Masken sind alle symbolisch. Mut und Tapferkeit wird durch bunte schreckliche Zeichnungen des Gesichts angedeutet. Treue Krieger zeigen in der Regel ein tiefes Rot der Gesichtsfarbe, während falsche Betrüger widerliche Flecken in einem verdächtig blassen Gesicht zeigen. Die Schauspieler schreiten auf hohen Kothurnen. Alles ist stark stilisiert und auf die Ferne berechnet, da ja die Stücke in der Regel vor einem vieltausendköpfigen Publikum gespielt werden.

Wesentlich feiner als diese kriegerischen Stücke sind die bürgerlichen Dramen. Auch sie enthalten einen Wechsel von gesprochener Rede und Gesang. Das Orchester ist aber weniger lärmend. An Stelle der vielen Schlaginstrumente und Trommeln, die an europäische Ohren oft allzu große Anforderungen stellen, werden mehr Geigen und Flöten verwandt. Auch im bürgerlichen Stück ist Handlung und Bewegung stark stilisiert. Jede Gemütsbewegung hat ihren festen Ausdruck. Eine Frau, die Angst hat, hält z. B. einen Arm vor das Gesicht und den anderen auf den Rücken; höchste Aufregung zeigt sich in einem Zittern des ganzen Körpers usw. Die festen symbolischen Ausdrucksformen erleichtern das Verständnis der Handlung ganz bedeutend, zumal da ein gesungener Text auch in China nicht leichter verständlich ist als in Europa.

Für gewöhnlich wird in den größeren Theatern nur selten ein ganzes Stück auf einmal gespielt. Vielmehr nimmt man einzelne Akte heraus. In der Regel werden Teile von fünf bis sieben verschiedenen Dramen an einem Abend zur Darstellung gebracht. Da der Gang der Handlung dem chinesischen Theaterbesucher bekannt ist, findet er sich in diese abgerissenen Teile jeweils rasch hinein.

Als dritte Gattung kennt man noch eine Art Possen, in denen nur gesprochen, nicht gesungen wird. In diesen Stücken, die meist durch ihre drastische Handlung auch dem Europäer ohne weiteres verständlich sind, zeigen sich die bedeutenden humoristischen Talente, die es in China gibt, von ihrer besten Seite.

Dem europäischen Zuhörer fällt beim chinesischen Drama die Art auf, wie die Schauspieler beim ersten Auftreten ihren Namen nennen und eine kurze Charakteristik von sich geben. Im Grunde ist diese Methode von den Monologen unserer älteren Dramen nicht allzu verschieden.

Bis vor kurzem gab es in China nur Schauspieler, keine Schauspielerinnen. Auch die Frauenrollen werden in diesem Fall von Männern gespielt, und zwar gibt es eine Reihe vorzüglicher Frauendarsteller. Seit einiger Zeit sind auch Mädchentheater vorhanden. In diesen Theatern werden dann auch die Männerrollen von Mädchen gegeben. Die Schauspielerinnen sind meist ziemlich jung. Sie haben ihren Höhepunkt mit sechzehn und siebzehn Jahren. Wenn sie zwanzig Jahre alt sind, haben sie in der Regel schon einen Freier gefunden. Die schauspielerischen Leistungen dieser jungen Damen sind zum Teil so, daß sie mit Recht unter die größten Künstler gezählt werden können. Eine Pekinger Schauspielerin, K'in Hsüo Fang, spielt z. B. die Szene, wie eine Frau ins Kloster geht, wie ihr die Haare abgeschnitten werden, und wie sie, als sie ihre schönen langen Haare abgeschnitten in der Hand hält, allmählich zur Erkenntnis des furchtbaren Abschieds kommt, den sie nun von der Welt genommen hat, mit solcher Größe, daß auch im chinesischen Theater die Augen der Hörer feucht werden und alles ganz still und aufmerksam wird, was um so mehr bedeuten will, als im chinesischen Theater, ähnlich wie in den südeuropäischen Theatern, das Publikum keineswegs die ernste Spannung kennt, die bei uns üblich ist, sondern beliebig plaudert, raucht und Tee trinkt. Dazwischen gehen Verkäufer mit Erfrischungen; heiße feuchte Tücher werden angeboten, die namentlich im Sommer sehr angenehm zum Abwischen des Gesichts sind. Aber dieses bunte Leben schweigt immer dann, wenn ganz große Kunst die Herzen rührt, und solche Augenblicke wirken dann besonders stark.

Die Schauspieler hatten bis vor kurzem ein ziemlich verachtetes Dasein. Erst in letzter Zeit, seit es gebildete Leute unter ihnen gibt, beginnen sie auch als Künstler geschätzt zu werden. Die Berühmten beziehen gegenwärtig auch fürstliche Gehälter. Es ist nicht selten, daß ein Stern für einen einzigen Abend zehntausend Dollar bekommt. Außerdem haben namentlich die Schauspielerinnen zur Ausstattung der Bühne eigene Vorhänge, Polster und Tischdecken, die ihnen von begeisterten Verehrern gestiftet sind. Dennoch ist es sehr selten, daß die Schauspieler größere Vermögen ansammeln. Die Spesen sind zu groß; die kostbaren, seidenen, gestickten Gewänder müssen alle aus eigener Kasse angeschafft, Diener und Gehilfen müssen bezahlt werden, und die bekannteren Größen haben auch ein eigenes kleines Orchester zu ihrer Begleitung.

Das Theater galt früher in China wohl als Volksbelustigung, nicht aber als eine ernste Sache. Auch die ganze dramatische Literatur, die sehr bedeutende Reichtümer enthält, wurde nicht als vollwertige Literatur anerkannt. Das hat sich jetzt geändert. Das Theater ist heute Gesprächsthema in der großstädtischen Gesellschaft Chinas. Man hört die großen Künstler mit ungeheurer Ausdauer. Denn da jeden Abend erst die geringeren Kräfte auftreten, ist es selten vor Mitternacht, daß man die eigentlichen Sterne zu sehen bekommt.

In Europa kennt man japanische Schauspielerinnen, aber die chinesische Theaterkunst ist noch völlig unbekannt. Das chinesische Drama ist jedoch in einer Entwicklung begriffen, die hoffen läßt, daß auch von hier aus der europäischen Kunst noch wertvolle Anregungen zufließen werden.


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