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Man hat das Werk des Grafen August von Platen seiner Formstrenge und seines steilen Antikisierens wegen lange Zeit als eine Nachkommenschaft der Klassik betrachtet. Es hat noch bis in die neueste Zeit Verehrer gefunden, die in ihm die große deutsche Erneuerung der antiken Dichtkunst begrüßten, während andere wieder es vorsichtig klassizistisch benannten. Doch der tiefer dringende Blick in jene schwer zu übersehenden geistigen Zusammenhänge der größten deutschen Literaturepoche, den uns die neuere Bemühung der geistesgeschichtlichen Forschung zu tun lehrt, wird auch das Herkommen dieses nicht so sehr durch seine Größe als durch seine Eigenart ungeselligen Werkes aus dem Lebensgefühl des romantischen Geistes erkennen.
Freilich: der Romantik als einer im engeren Sinn literarischen Schule stand Platen in seinen späteren Jahren fern. Als ihn einmal ein kunstverständiger Freund auf ein Gedicht von Novalis verwies, verstand er, wie es in seinem Tagebuch heißt, »keine Silbe davon«, und der Geistesschatz, den das Freundespaar Achim von Arnim und Clemens Brentano mit »Des Knaben Wunderhorn« wieder ins Gedächtnis der Deutschen gehoben hatten, blieb von ihm unbeachtet wohl nur, weil er eine persönliche Abneigung gegen die Herausgeber hatte. Er haßte diese »Mystiker und Romantiker« und lobte jeden, dem es gegeben war, sie »unter seine Geißel zu nehmen«. Er selbst hat dazu gern die Gelegenheit ergriffen. Mit Heine und Immermann kam es zu heftigen literarischen Fehden, in deren Verlauf jene berüchtigten Stellen in den »Bädern von Lucca« entstanden, während Platen, um seinem Dichtergroll Luft zu schaffen, mit dem »Romantischen Ödipus« wie schon früher mit der »Verhängnisvollen Gabel« die literar-satirische Komödie des Aristophanes erneuerte.
Wenn aber das Wort romantisch in seiner weiteren Bedeutung jenen geistigen Zustand bezeichnet, wie er als Möglichkeit den Einzelnen zu allen Zeiten bedrohte, wie er aber als allgemeines Schicksal einer oder gleich mehrerer Generationen erst in neuester Zeit, vorbereitet durch Renaissance, Reformation und Aufklärung, seine Auswirkung fand, – wenn der Begriff romantisch in seiner Entwicklung allmählich dahin kam, den Auseinanderfall von Individuum und Welt zu bezeichnen, so gilt er in vollem Maß auch für Platen.
Romantik ist eine Grundlage geistiger Natur und als solche eine Gegebenheit, aus der sich – erst als Folge – die mannigfaltigsten Möglichkeiten ergeben. In der mit Platen zeitgenössischen Bewegung, die als die eigentliche Romantik gilt und die in Friedrich und August Wilhelm von Schlegel, in Brentano, Eichendorff, Tieck und Immermann ihre Verkünder und Verwirklicher fand, stellen sich von diesen Möglichkeiten nur ein paar wenige dar. Schon bei Kleist und bei Hölderlin, die zu jener Zeit noch im Verborgenen blieben und deren Werk Platen nicht mehr kennengelernt hat, führte die Richtung, die sie von ihrem romantischen Ausgangspunkt einschlugen, in ein ganz anderes Gebiet geistiger Entscheidungen. Die Brüder Schlegel, Brentano und viele andere, um der Bedeutsamkeit des Falles wegen noch Zacharias Werner zu nennen, überwanden den Zwiespalt, der sich zwischen ihrer von allen Bindungen gelösten, frei im Leben schwebenden, darum wissenden und schmerzlichst daran leidenden Individualität und der formlos gewordenen, weil ordnungslos erkannten Welt aufgetan hatte, indem sie zurückkehrten zu Glaube und Dogma, versuchend (zum Teil mit fragwürdigem Erfolg), dies unaushaltbar gewordene Ich wieder einzureihen in den durchgegliederten Kosmos des christlichen Weltbildes. Kleist aber raste, um der Unmöglichkeit seines absolut gewordenen Ichs zu entgehen, mit der Genauigkeit einer Geschoßbahn der Selbstvernichtung entgegen, und als Hölderlin den Zusammenbruch seiner hymnischen Welt erlebte, in der er die Sicherstellung der Seele zu finden geglaubt hatte, schlug ihn der Anblick einer Realität, die ebenso ordnungslos wie bedrängend und ungeheuerlich war und von der uns seine letzten Bruchstücke Erschütterndes wissen lassen, mit Wahnsinn. Die Möglichkeiten, die sich aus der gleichbleibenden romantischen Grundsituation ergeben, sind fast beliebig zahlreich; sie können positiv sein oder negativ. Durch das ganze 19. Jahrhundert zieht sich die romantische Landstraße hin, besäumt von den unter sich zusammenhanglosen, einander oft seltsam ungleichen Denkmalen der einzelnen Wanderer, und noch in unserer Zeit scheint vor ihr ein unabsehbares Ende zu liegen.
Platen nun war der Ahnherr einer romantischen Geisteskindschaft, die das leidende Ich, das dem Zusammenhang mit einer als Ordnung erkannten Welt entfallen war, in ein zeit- und raumloses Reich geistiger Bildung zu retten versuchte. Ihm als der »schöneren« Welt steht die Wirklichkeit durchaus entgegen, – unbewältigt, der Anklage schuldig, zur Flucht treibend oder kurzweg achtlos gelassen. Im späteren Münchner Dichterkreis und in jener Versammlung deutscher Geister, die um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts in Florenz sich zusammenschloß (der Essayist Hillebrandt und der ältere Heyse gehörten zu ihm), und dessen Mittelpunkt später der Bildhauer Adolf von Hildebrand wurde, fand zwar dieses Lebensgefühl die ihm entsprechende Daseinsform, doch es mußte sich zeigen, daß dies nun keineswegs ein Bewältigen der Wirklichkeit und des Lebens im klassischen Sinn war; das »schöne« Leben, das hier der Einzelne zu führen vermochte, und dessen tieferen Gründen Adalbert Stifter in seinem »Nachsommer« auf eigene Art nachgespürt hat, vollzog sich auf einer äußerst künstlich erschaffenen Insel. Es entspricht nur der Sonderart dieses geistigen Geländes, daß es nicht imstande war, Überdauerndes an Kultur wachsen zu lassen, sondern nur Gelegenheit bot, Kultur in Gestalt von überkommenem Gut zu genießen, zu verzehren oder im besten Fall zu reproduzieren. Ein solch ästhetisches Leben an sich, wie es viele als Rettung und Beruhigung ersehnten und wie es von manchen noch später gelebt wurde, konnte nur möglich sein, wenn der Betreffende zu müde, zu unentschlossen oder zu unfähig war, sich den Illusionismus dabei einzugestehen. Streng betrachtet entstand sein Lebensraum nicht anders als durch ein willkürliches, wenn nicht gewaltsames Ausbreiten subjektiver Traumwelt in einen gewissen Bezirk des Wirklichen, der nicht ohne Bedeutung gewöhnlich in den Landschaften eines ausgewählten Italiens lag; den jedoch ebensogut die vier Wände eines besonders hergerichteten Salons umgrenzten, und in dem das einzelne Individuum, nicht ohne von seiner Größe und Herrlichkeit überzeugt zu sein, der romantischen Problematik entging.
Wofern es immer in Deutschland einen Ästhetizismus gab, wurde Platen als sein erster Märtyrer verehrt. Indessen nicht mit vollem Recht. Denn die Unüberwindlichkeit des Gegensatzes zwischen dem wirklichen und dem schöneren Dasein, die Platens Seele zerriß, hatte ihre Ursache in der Beschaffenheit seiner Natur und nicht allein, wie man schon anzunehmen geneigt war, in der Mißgunst der Lebensumstände, der Zeit und der Zeitgenossen. Platen entbehrte der geistigen Genügsamkeit des radikalen Ästheten. Er vermochte zwar nicht, die Wirklichkeit zu bestehen, wehrlos und unaufhörlich verwundbar war er ihr ausgesetzt; doch jeder Versuch, sich vor ihr in den elfenbeinernen Turm zu flüchten, endete mit der enttäuschenden Einsicht in die Unzulänglichkeit dieses Auswegs.
»Ich beneide diejenigen nicht, die durch die Musen unsterblich werden, ich schätze mich selig aber, daß die Musen mein Leben beblümen. Nicht durch die eigenen Dichtungen, die sie mir schenken (denn noch bin ich weit von meinem Ideal weg), aber durch die Lektüre der Dichter. Welch einen reinen Genuß verschafft sie mir nicht, wie verschönt sie meine Jugend, welch eine Fülle von glücklichen Stunden hat sie mir nicht schon verschafft! Was machte sie mich nicht schon alles vergessen! Ja, ohne sie würde mir auch die Liebe ein tödlicher, beständig begleitender Affekt sein. Wie sehr bin ich nicht der Vorsehung deshalb verpflichtet, für diese unendliche Neigung für die Meisterwerke der Poesie, für dies Feenleben im Wirklichen eingepuppt, für dies feine Ohr gegen die Schönheit der Verse? Was kümmern mich nun die lauten, die anderen Freuden, von denen meine Jugend nichts weiß? An jedem Tage, an dem ich ein schönes Gedicht las, kann ich da nicht getrost sagen: Vixi?«
Nach diesen Feststellungen, die der Zweiundzwanzigjährige in seinem Tagebuch macht, scheint es, als könne ihm mit jenem »Feenleben im Wirklichen eingepuppt« die Flucht aus der Unwirtlichkeit des täglichen Daseins gelingen. Doch im selben Tagebuch, das nahezu ein Vierteljahrhundert lang Hoffnung und Enttäuschung seines Lebens im steten Wechsel vermerkt, findet sich, schon einen Monat später, die widerlegende Stelle: »Lektüre und ewig Lektüre! Es scheint fast, ich lebe nur, um zu lesen, oder ich lebe nicht einmal, sondern ich lese nur.«
Platen war sich der Fragwürdigkeit seiner Lebensform wohl bewußt. Dies ehrt ihn und zeichnet ihn aus bei aller Machtlosigkeit, mit der er Zeit seines Lebens der Wirklichkeit und ihrer Forderung gegenüberstand. Das schönere Leben, wenn es sich bot, vermochte nicht, seine unruhige Seele zu beheimaten. Platen war einer der ersten nurästhetischen Geister, doch zugleich wird das Ästhetentum bereits mit ihm hinfällig, indem er es bis zu seiner Unmöglichkeit hin durchlebt. Jenseits der Beschränkungen, die es setzt, erkennt er zuweilen das Feld der versprechenden Wirklichkeit, die auf ihn wartet; zugleich aber weiß er, daß er sie niemals bewältigen kann. Aus dieser Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen Lebensflucht und Lebenssehnsucht, die erst im letzten Abschnitt von Platens Leben durch seinen völligen Verzicht auf Welt zur Lösung kam, entwuchsen ihm seine wahrhaftigsten Gedichte.
O süßer Tod, der alle Menschen schrecket,
Von mir empfingst du lauter Huldigungen:
Wie hab ich brünstig oft nach dir gerungen,
Nach deinem Schlummer, welchen nichts erwecket!
Ihr Schläfer, ihr von Erde zugedecket,
Von ewgen Wiegenliedern eingesungen,
Habt ihr den Kelch des Lebens froh geschwungen,
Der mir allein vielleicht wie Galle schmecket?
Auch euch, befürcht ich, hat die Welt betöret,
Vereitelt wurden eure besten Taten,
Und eure liebsten Hoffnungen zerstöret.
Drum selig alle, die den Tod erbaten,
Ihr Sehnen ward gestillt, ihr Flehn erhöret,
Denn jedes Herz zerhackt zuletzt ein Spaten.
*
»Im erfreulichen Weinmonat« des Jahres 1796 – Goethes Leben naht um diese Zeit bereits der reifen Fülle seines Herbstes, die deutsche Romantik entfaltet sich, Frucht und zu gleicher Zeit Blüte überdrängen den deutschen Geistesbaum – ist Graf August von Platen-Hallermünde in Ansbach geboren: ein Nachgeborener des Geistes wie ein Nachgeborener seines Geschlechts. Beides hat sein Leben schicksalhaft bestimmt.
Die Familie war wenig begütert. Als einzige standesgemäße Versorgung blieb für den jungen, aus einer zweiten Ehe seines Vaters hervorgegangenen Platen nur die seiner Natur widersprechende Laufbahn des Offiziers. 1811 tritt er in München in das königlich-bayrische Kadettenkorps ein; nach einigen Jahren erfolgt seine Aufnahme in die Pagerie, die unter den angehenden Offizieren eine geistige Auslese darstellte.
Frühzeitig schon fühlt sich Platen durch die Anforderungen des militärischen Berufes beschwert. Das höhere Maß an Bildung, das ihm die Pagerie übermittelt, kommt seinem Hang zur Kunst und zu schöngeistigen Beschäftigungen entgegen; zugleich aber läßt es ihn den praktischen Teil seiner Ausbildung nicht als Ergänzung, sondern als Behinderung im Erreichen eines anderen Ideales erblicken. Schon hier wird der Bruch zwischen Ich und Welt in seinem Leben zukunftsbestimmend vollzogen.
Der Zwang, dem Platens überempfindlicher Geist von frühester Jugend an in einem der strengsten menschlichen Pflichtenkreise ausgesetzt war, hat ihm den inneren Blick für Sinn und Wert der menschlichen Lebensformen ein für allemal heillos getrübt. Vieles kam erschwerend von außen hinzu: Spott der Kameraden, Tadel der Vorgesetzten, obwohl er »gewiß nie wissentlich seine Pflicht versäumte«, – Umstände, die seine anfällige Seele in ungerechtem, aber nicht unbegründetem und vielleicht entschuldbarem Groll verbittern ließen. Der Militärstand wurde ihm zu einem Lebenskreis »herzloser Geschäfte«, in dem er keinen »seelenvollen Menschen« fand. Seine Abneigung dagegen, die durch eine nicht als Überwindung, sondern als Vergewaltigung seiner selbst geleistete Pflichterfüllung bis zum Übermaß gesteigert ward, mußte notwendigerweise eine Überschätzung, ja Verkennung geistigen Daseins hervorrufen. So wird es verständlich, wenn Platen 1816 den Jahrestag seiner Rückkehr aus dem weltgeschichtlichen Feldzug gegen Napoleon feiert, indem er ein neues Bildungserlebnis sucht. »Es ist heute ein Jahr her, seit wir, von Frankreich zurückkehrend, in München einmarschierten. Ich habe diesen Tag dadurch gefeiert, daß ich zuerst anfing, den Homer im Original zu lesen.« Doch was Platen bei dem griechischen Dichter suchte, war nicht jenes Werk, das unaufhörlich neu und gewaltig auch diese, die seinige Welt bestätigte, sondern die Ferne, die Zuflucht, die Sicherung im Bereich des schöneren Daseins.
In den militärisch ruhigen Jahren nach dem Wiener Kongreß ergibt sich für Platen die Möglichkeit, als Offizier einen größeren Urlaub zu nehmen und auf Grund der weiterlaufenden, freilich geringen Bezüge, die sich später um die Einnahmen aus seinen Büchern etwas vermehrten, ein bescheidenes, aber unabhängiges Leben nach seinem Geschmack zu fuhren. 1818 zieht er nach Würzburg und beginnt dort leidenschaftlich betriebene, wenn auch ungeregelte Studien, viele Wissensgebiete nur streifend, ohne maßgeblich davon beeindruckt zu werden, so: Philosophie und Naturwissenschaften; in andere, wie in Geschichte, tiefer eindringend, um schließlich neben und über allen weiteren Beschäftigungen sich eine staunenswerte Kenntnis in Sprachen und Literatur zu erwerben.
In den Jahren 1819 bis 1826 setzt er dieses Leben in Erlangen fort, unterbrochen von gelegentlichen Reisen nach Böhmen, Österreich und Mitteldeutschland, an den Rhein und in die Schweiz. Die Aufzeichnungen seines Tagebuches geben in dieser Zeit geradezu die Geschichte einer Bildung – einer Bildung allerdings, die mehr im Stofflichen befangen bleibt, als daß sie tatsächlich im aktiven Sinn des Wortes als Entfaltung und Formung einer menschlichen Natur betrachtet werden könnte. Platens geistig-seelische Substanz, deren sich schon der sehr junge Dichter bewußt geworden ist, kam, wie man es häufig bei Frühverstorbenen beobachten kann, über einen erstaunlichen Zustand von Frühreife nicht hinaus. Das Urteil festigt sich zwar, Kenntnisse werden erweitert, der Überschwang der Gefühle besänftigt sich; mit zunehmendem Alter schlägt die Müdigkeit den Aufschwung der Seele oft für Monate nieder: solches läßt sich im Verlauf der Tagebuchaufzeichnungen wohl verfolgen; doch es vollzieht sich, ohne daß Platens innere Natur dadurch entscheidend verändert würde.
»Ich gefalle mir in meinem Zimmer und bei der Einrichtung meiner Bibliothek, die den Fenstern gegenüber eine gute Wirkung hervorbringt, und die ich nun so vervollständigt habe, daß fast kein dichterisches Genie dabei fehlt weder aus dem antiken, noch aus dem neueren Europa«, vermerkt er in seinem Tagebuch im ersten Erlanger Jahr.
Es gab kaum eine bis zu jener Zeit geistig bedeutsam gewordene europäische Sprache, mit der er sich nicht beschäftigt hätte. Wenn Schopenhauer in seinen »Paralipomena« einmal erwähnt, ein Mann, der Anspruch auf Bildung erhebe, müsse sieben Sprachen beherrschen, die deutsche zuerst, dann die beiden antiken, ferner Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch, so wird dieses Bildungsideal von Platen noch weit übertroffen. Er beherrschte des Dichters Camoëns wegen, wie Schopenhauer, außerdem auch das Portugiesische und vermochte in holländischer, dänischer und schwedischer Sprache zu lesen. Schließlich lernte er, angeregt von dem zeitgenössischen Interesse für den Orient und aus Vorliebe für Hafis, Persisch.
Diese in Erlangen verbrachten Jahre waren die beruhigtesten und, soweit Platen dessen teilhaftig werden konnte, die am meisten Befriedigung spendenden seines Lebens. Er findet Umgang mit den Geistern der Zeit; Schelling, der in Erlangen lehrte, wendet an ihn ein freundschaftliches Interesse, gibt ihm Urteil und Anregung, desgleichen der in orientalischen Sprachen und Verhältnissen weit bewanderte Rückert. Auf einer Reise nach Thüringen 1821 besucht er Goethe in Weimar. Nach der Schilderung, die er von seiner Erscheinung gibt, ist es schon der orphische Greis. »Er ist sehr groß, von starkem, aber gar nicht ins Plumpe fallendem Körperbau. Bei seiner Verbeugung konnte man ein leichtes Zittern bemerken. Auch auf seinem Angesichte sind die Spuren des Alters eingeprägt. Die Haare grau und dünn, die Stirn ganz außerordentlich hoch und schön, die Nase groß, die Form des Gesichts länglich, die Augen schwarz, etwas nahe beisammen, und wenn er freundlich sein will, blitzend von Liebe und Gutmütigkeit. Güte ist überhaupt in seiner Physiognomie vorherrschend. Er ließ uns auf das Sofa sitzen und nahm bei Gruber Platz. Bei der Feierlichkeit, die er verbreitet, konnte das Gespräch nicht erheblich werden, und nach einiger Zeit entließ er uns wieder.«
Eingesponnen in seine geliebten Studien, denen sich oft als ein unmittelbarer Ertrag eine immer fülliger werdende lyrische Produktion anschließt, verbrachte Platen diese Erlanger Jahre. Mit Gleichgesinnten führt er das unaufhörliche Gespräch des Geistes. Vorübergehend ergreifen ihn Stimmung und Tendenzen der Zeit. Er begeistert sich für die nationalen Befreiungskämpfe der Polen und Griechen. Er stellt sich gegen die Wiener Kongreß-Politik und die Tyrannis der Fürsten; er gibt sich auch religiösen Strömungen hin. Dieses Geöffnetsein nach außen ist die Folge einer gewissen Beruhigung in sich selbst. Er nimmt diese Einflüsse an, auf dem sicheren Boden seiner stillen Studierstube stehend, als ein Mann des Gedankens, nicht als einer der Tat. Nur Mißverstehen, Verwirrung und Schmerzen, die sich aus seinen Freundschaften zuweilen ergeben, sind die vorübergehenden düsteren Beleuchtungen dieser ihren äußeren Umständen nach überaus idyllischen Jahre.
Freilich: man kann von Platen nicht sprechen, ohne die unglückselige Veranlagung zu erwähnen, die ihn zwang, sein Liebesverlangen auf Angehörige des eigenen Geschlechtes zu richten. Platen selbst hat darum Qualen erduldet, die ihn freisprechen müßten, ginge es an, im formalrechtlichen Sinn eine Schuld festzustellen. Wie auch Beurteilung und Einschätzung der Tatsache ausfallen mögen, – zunächst erweist sie sich als eine ihm schicksalhaft auferlegte menschliche Sonderart, in deren physische Bedingungen das Wesen Platens befreiungslos eingespannt war.
Jahrelang hat Platen mit dem Aufwand seiner ganzen Herzkraft versucht, diesen Trieb zu verwandeln in den Eros des Geistes. Die Liebe, die der Mensch und Mann in ihm weckte, war wohl persönlichen Ursprungs: es war zunächst der Einzelne, dem sie galt. In ihm aber suchte Platen das überpersönliche Urbild menschlicher Vollkommenheit zu umfangen, und mehr als in der sinnlichen Schönheit suchte er es in der innerlichen des Geistes. »Er war nicht schön, auch nicht sehr groß, blond und sehr schmächtig«, schildert der Jüngling der Münchner Pagenzeit den Grafen Mercy d'Argenteau, um aber fortzufahren: »In ihm hatte ich plötzlich ein Ideal gefunden, auf das ich die edelsten Eigenschaften der menschlichen Seele übertrug.« In solchem Empfinden mußte wahrhaft (wie es an anderer Stelle heißt) »Liebe zu allem Schönen und Vollkommenen« wirken, – »eine ewige Mahnung zur Tugend, die ewige Warnung vor allem, was das Gute verdammt.«
Es versteht sich, daß diese Liebe gleichwohl ihr Naturell nicht verleugnen konnte, und daß die von ihr Betroffenen, sobald sie dessen bewußt wurden, von Platen sich kühl und befremdet zurückzogen, ihn häufig auch mit Vorwürfen und Schmähungen überschüttend. Zwei Erlebnisse, das eine zu Anfang, das andere zu Ende der Erlanger Jahre, haben durch ihren besonders unglücklichen Ausgang für Platens Leben nachhaltige Bedeutung gewonnen. 1819, als er Würzburg verlassen hatte und zur Sommerfrische in Iphofen weilte, schickte er an einen neu gefundenen Freund, Eduard Schmidtlein, im Übermaß des Gefühls einen Brief nebst einer Reihe von Freundschaftsgedichten, deren Empfindungen, wie man nach einigen Anhaltspunkten vermutet (die Gedichte selbst sind nicht erhalten), auf eine nicht unverfängliche Art in Gedanken und Bildern der römischen Elegiker ausgedrückt waren. Schmidtlein antwortete auf diese Sendung mit einem empörten Brief, den Platen, der sich frei von eigentlicher Verdorbenheit fühlte, als ein mahnendes Dokument in sein Tagebuch aufnahm. Wenn ein Vergehen hier tatsächlich vorliegt, so war es ein »excès d'une fantaisie émue«, – die Übertreibung einer erregten Phantasie, wie Platen sich ausdrückt. Sein ethisches Feingefühl litt darunter aufs Schlimmste. »Oh, warum hat mich denn die Vorsehung derart geschaffen!« Die Folgen, die sich bei der geringsten Unvorsichtigkeit oder Lässigkeit des Gefühls aus seinen Freundschaften ergeben mußten, wurden ihm plötzlich erschreckend klar. Die Katastrophe hatte ihn aufgerüttelt – auch geläutert, indem sein Sinn für Unterscheidungen von nun an peinigend scharf war.
Die zweite große, ebenfalls unglückliche Freundschaft, der ein größerer Sonettenkranz gewidmet ist, beschließt 1826 Platens Aufenthalt in Erlangen und war nicht zuletzt ein Grund, warum er Deutschland verließ, um von nun an unstet umherzuschweifen. Nochmals hatte er geglaubt, in Karl Theodor German, einem Erlanger Theologiestudenten, jenes »von frühester Kindheit ersehnte Ideal eines Freundes gefunden zu haben«.
»Gott mag wissen«, schreibt er, »weshalb dieser Mensch mich so sehr begeistert; aber aus den Sonetten geht hervor, daß ich nie so ganz, so edel, so uneigennützig geliebt habe.«
Der junge German zog sich zurück, sobald er spürte, welcher Art, wenn auch noch so sublimiert, Platens freundschaftliche Neigung war. »Seitdem ich gar keine Hoffnung mehr auf seinen Umgang habe«, berichtet das Tagebuch, »– denn seit unserer letzten Unterredung grüßt er mich nicht einmal mehr –, wird mir jede andere Gesellschaft auf eine Art zur Last, die ich nicht auszusprechen vermag, und alles ist in mir abgestorben. Wenn ich ihm vollends, was jedoch selten geschieht, begegne, so falle ich in die gehässigste Stimmung der Welt. Unglücklicherweise sehe ich ihn täglich, wenn er seine Kollegien besucht, vorübergehen, und er verfehlt nie, wenn er allein ist, zu mir heraufzublicken. Dennoch liebt er mich nicht, und dennoch hat mir nie ein Mensch ein so himmelschreiendes Unrecht hinzugefügt wie dieser, der mir die gemeinsten Saufbrüder unter den Studenten vorzieht ... Ich kann ihn als ein personifiziertes deutsches Publikum betrachten. Einer behandelt mich wie der andere. Und so wurde mein Leben in den innersten Wurzeln angegriffen, und Ruhm und Freundschaft, wovon eines wenigstens für das andere trösten könnte, mir auf gleiche Weise verweigert!«
Es ist jene kritische Zeit, als Platen mit seinen ersten Veröffentlichungen hervorgetreten war, ohne den erhofften Erfolg zu finden. Verbitterung kommt in ihm auf, Gefühl von Vereinsamung. Dem titanischen Wunsch, der große Dichter der Deutschen zu sein, erscheint die vorläufige Schätzung im engeren Kreise gering. Die politischen Verhältnisse mißbehagen ihm. Alles wirkt zusammen, um jene quälende Unruhe in ihm zu erregen, die bis zu Ende seines Lebens nie mehr von ihm wich.
Ein glücklicher Aufenthalt in Venedig im Herbst 1824, der die »Venezianischen Sonette« gezeitigt hatte, ließ ihm nach seiner Rückkehr nach Deutschland Italien in der Erinnerung als das Gelobte Land erscheinen. Kaum aber ist er das zweitemal dorthin unterwegs, schon beim Überschreiten des Brenners, weiß er, und dieses Vorherwissen wird in der Folgezeit bitter bestätigt, »daß das Glück in Italien so wenig wohnt als anderwärts.«
Was Platen der Wirklichkeit abverlangte, hat sie ihm niemals geben können, weil sie es niemals besaß. Mit einem vorgefaßten Bilde, das der »Einbildungs«kraft seiner idealischen Seele entsprach, trat ihr Platen entgegen, schönheitssüchtig, hochgemut, begeisterungsfroh, um alsbald und jedesmal in Enttäuschung zusammenzusinken, wenn das Wirkliche in seiner nüchternen Klarheit, in seiner argen und widerständlichen Schöne, mit seinem gleichmütigen Tage ihn antrat. Was die Welt ihm an barer gemünzter Herrlichkeit schenkte, nahm er, überströmend von Dank, in Verwahr. Es blieb in seinem ganzen Leben nur wenig. Der Welt aber die Herrlichkeit tätig abzugewinnen, indem sie als das, was sie war: vollkommen und unzulänglich zugleich, durchgelebt wurde, diese Fähigkeit war Platen versagt.
Darin liegt auch der eigentliche Grund seiner Einsamkeit. Die Hoheit des Menschenbildes, das er im Freunde zu sehen begehrte, war eine Idee und konnte als solche ihm niemals verwirklicht begegnen. Auch eine Freundschaft, die unter dem glücklichsten Zeichen begann, wie die mit August von Kopisch, mußte in Ernüchterung enden, und es fragt sich, ob das edle Bild, das Platens Verse von German entwerfen, nicht nur infolge der unüberwundenen Ferne des Menschen erhalten blieb. Platens Eros konnte sich niemals erfüllen, weil er der Kraft entbehrte, sich dem Wirklichen wirklich anzuverbinden. Was in ihm wirkt, ist der romantische Eros, der das sokratische Verhältnis von Wirklichkeit und Idee verkehrt. An Stelle des liebenden Voranschreitens in den Beständen des Wirklichen, das allmählich zur Anschauung der Idee führt, tritt nun die großgeartete, aber fixe Idee, die nach ihrem Verwirklichtsein sucht. Dies mußte als unaufhörliche Täuschung mißlingen. Die Geschichte von Platens Freundschaft mit Kopisch, die sich 1827 entwickelte, ist typisch für den Ablauf eines solchermaßen erweckten Gefühls. Es sei daher in seinen verschiedenen Stationen einmal verfolgt.
11. Juli (Ort: Neapel): »Nun wollte mich Gündel auch mit einem Schlesier namens August Kopisch bekannt machen, der aus Sizilien kommt und sich schon drei Jahre in Italien aufhält. Er ist Maler und Dichter und soll neuerdings ein Trauerspiel über ›Chrimhildens Rache‹ geschrieben haben. Diesmal weigerte ich mich standhaft; aber Semler lud mich ehevorgestern zu Tische und brachte mich auf diese Weise mit Kopisch zusammen. Ich erwartete wenigstens bloß eine trockene, gewöhnliche Bekanntschaft zu machen, aber es kam noch viel schlimmer, da jener schöne, heitere und liebenswürdige junge Mann einen nur zu tiefen Eindruck auf mich machte ...«
26. Juli: »Mein Verhältnis zu Kopisch hat sich auf das schönste und freundlichste entwickelt. Er ist einer der edelsten und liebenswürdigsten Charaktere, die mir jemals vorgekommen ... Da er bei allen Vorzügen auch ein Dichter ist, und zwar einer, der es ernsthaft mit sich meint, so läßt sich leicht denken, daß dadurch tausendfache Berührungspunkte zwischen uns entstehen. Eine ähnliche Freundschaft kann im Leben kaum zweimal vorkommen.«
29. Juli: »... mit Kopisch fühlte ich mich ganz glücklich, wiewohl diese Tage nicht ohne Mißhelligkeiten zwischen uns abliefen, wenn auch nie ein eigentlicher Streit entstand und die Liebe bei allem vorherrschte.«
19. August: »Seitdem ich nicht mehr geschrieben, ist ein Streit zwischen mir und Kopisch vorgefallen, so daß wir uns acht Tage lang nicht gesehen haben. Der Geheimrat hat uns wieder zusammengebracht, und scheint zwar alles wieder beim alten; doch ist die alte Eintracht und Liebe nicht eigentlich zurückgekehrt, wiewohl ich mich während jener acht Tage in einem Zustand von Leerheit, Langeweile und selbst körperlichen Leidens befand, der nicht traurig genug zu beschreiben ist.«
20. September (Sorrent): »Sonst sind ein paar Oden entstanden; eine an Kopisch, den ich seit Neapel nicht mehr gesehen habe. Diese Ode gab aber Anlaß zu einer neuen Entzweiung, die nicht leicht mehr gehoben werden kann, und ich wünsche es auch nicht.«
8. Oktober: »Noch vor meiner Abreise von Sorrent erhielt ich einen sehr freundschaftlichen Brief von Kopisch, der unsere Mißverständnisse ziemlich beseitigt hat.«
24. Oktober (Neapel): »Kopisch habe ich erst ein einziges Mal gesehen. Er wohnt gegenwärtig sehr weit von mir.«
25. November (Rom, nach der Abreise von Neapel): »Kopisch brachte mir den Abend vorher noch schöne Sorrentiner Orangen und ein Gedicht, worin er über meine Kälte in der letzten Zeit klagt und den Tag heranwünscht, der uns einmal wirklich vereinigen sollte. Wirklich habe ich mir viel gegen ihn vorzuwerfen und ich fühle in diesem Augenblick mehr als je, was ein so treuer und zärtlicher Freund wert ist, und hätte noch in Neapel verweilen sollen. Gleichwohl weiß ich nicht, ob wir zusammen taugen.«
Schließlich verebbt die Beziehung in einem gleichmäßig-kühlen Austausch gemeinsamer Interessen. Platen blieb einsam. Die wenigen Menschen, die in späteren Jahren noch in Zusammenhang mit ihm standen, waren Verehrer seiner Kunst und als solche in durchaus einseitiger Freundschaft mit ihm verbunden. Platen suchte in ihnen nicht mehr als ein Gegenüber, das ihm notwendig war, um seine persönlichen Angelegenheiten, literarischer Art vor allem, zur Aussprache bringen zu können. Meistens vollzog sich dieser Verkehr auf schriftlichem Wege, wovon ein ausgebreiteter Briefwechsel zeugt. Dazwischen lagen kurze persönliche Begegnungen, Zeiten vorübergehenden Umgangs, wie sie das rastlos schweifende Leben, das Platen in den letzten neun Jahren seines Lebens führte, bot.
Abgesehen von kurzen Aufenthalten in München und Augsburg weilte der Dichter seit 1826 ununterbrochen in Italien. Neapel, Rom und Venedig halten ihn längere Zeit. Einmal verbringt er in zufriedener Einsamkeit einen idyllischen Sommer auf der im Meerbusen von La Spezia gelegenen Insel Palmaria. Es scheint, als ob eine und dieselbe Landschaft gleichgeartete Seelen anziehe. Auch Shelley, dem englischen Dichter, dessen Werk Platen erst Jahre später kennengelernt hat, und der gleich ihm die Religion der Schönheit verkündete, ist jene Gegend eine Zeitlang zur Lebenslandschaft geworden. Und in gleicher Weise, nur allgemeiner, konnte um jene Zeit die »romantische« Küste, die den Golf von Neapel besäumt, und deren überschwengliche Reize Platen entzückten, als ein Treffpunkt der schönen Geister gelten, wie ja Capri, Sorrent und Amalfi bis heute einer weiten Gemeinde gefühlerweckende Namen geblieben sind.
Platen besuchte indessen auf seinen Fahrten, die er oft in der schlechtesten Jahreszeit unternahm und auf denen er geduldig Strapazen und Fährlichkeiten ertrug, auch ein Italien, das damals noch wenig bekannt war: die Insel Elba, die nördliche Romagna, Apulien und Kalabrien, schließlich Sizilien. Doch während der reisende Goethe in Italien noch Wirklichkeit suchte und fand, wurde es für Platen bereits zum klassischen Land der Bildung. Er hat es geliebt als ein riesiges Museum, das dem Bestand aufnehmenden Geist und dem ästhetischen Gefühl fast unbegrenzte Möglichkeiten gab. Sein Tagebuch füllt sich mit kunsthistorischen Notizen. In jeder Stadt, die er betritt, sieht er sich zuerst nach den vorhandenen Kunstdingen um, wenn möglich das Reisehandbuch vor Augen, dessen Angaben er nachprüft und in seinem Tagebuch gewissenhaft richtigstellt. Er kennt allmählich alle wichtigen Bauten und Bildwerke; dem Umgang mit dem feinsinnigen Kunsthistoriker Karl Friedrich von Rumohr verdankt er das Verständnis für die Baukunst der italienischen Gotik. Neben den Werken der Antike und der Renaissance lernt er auch die Tafelbilder der primitiven sienesischen Maler schätzen. Er beschäftigt sich mit der Geschichte Italiens, schreibt als Ergebnis seiner Studien unter anderem die »Geschichten des Königreichs Neapel«. Doch alles blieb Wissen und Kenntnis; nur weniges wurde durch die Kraft des Erlebens dem eigentlichen Personenbereich anverwandelt. Wenn Goethe bei seinem Besuch in Assisi über dem Anblick des kleinen spätrömischen Minervatempels den gewaltigen Fresken Giottos die Beachtung versagte, so war das Gebiet, das Platens geistiger Blick zu umfassen vermochte, um vieles größer. Doch es schien, als hätte sich mit der zunehmenden Fülle des Aufgenommenen die Nachhaltigkeit der Wirkung im selben Maße verringert. Der Gewinn, den Goethes ausschließliches Sich-Beschränken auf das, was für ihn personbildend wirkte, getragen hat: die Vollendung des Individuums blieb aus, und mit ihr auch jenes andere Erlebnis, das gleich Goethe so mancher Deutsche im Süden suchte und fand: das Bestätigtwerden der Wirklichkeit und ein stärkeres Teilhaben an ihr. Einsam, unerfüllt und ohne den Beistand des großen Draußen starb Platen am 5. Dezember 1835 in Syrakus.
Der Natur und darum auch der gültigen Leistung nach war Platen ausschließlich Lyriker. Sein dramatischer Nachlaß blieb ohne selbständigen Wert. Er besteht aus den beiden schon eingangs erwähnten literar-satirischen Komödien, die zur Zeit ihrer Entstehung in der deutschen Literatur als wieder erneuerte Gattung ein Unikum darstellten – sowie aus einer Reihe tragisch mißglückter Versuche zur hohen Tragödie: tragisch, weil der Widerspruch von Platens Vermögen und Platens Wollen hier von Anfang an unlösbar war.
Eingeschlossen im eigenen Ich, bar jeder tieferen Kenntnis des Menschlichen, welt- und wirklichkeitsfremd, durch und durch monologischen Geistes, erlag Platen einer bitteren Selbsttäuschung, wenn er glaubte, er besitze für das Theater ein von Natur aus fruchtbares Talent, das nur infolge des mangelnden Lebensgrundes verkümmere. Keines seiner hinterlassenen Tragödien-Bruchstücke vermag jenes fraglose Gebürtigsein aus dem drängenden Aufruhr der Seele zu bezeugen, wie es die gleichfalls in Einsamkeit entstandenen kleistischen Stücke bestimmt. Das Urteil, das Platen über das französische klassische Drama fällte: es besitze zwar Verstand, Geist und Gefühl; nur Originalität und auch Phantasie dürfe man nicht bei ihm suchen, gilt vornehmlich für seine eigenen Entwürfe. Was ihm zum Dramatiker fehlte, war vor allem die primitive Lust am Erfinden, der natürliche Theatersinn überhaupt. Das Schaffen eines Trauerspiels blieb für ihn eine Frage ästhetischer Überlegungen, die ihn immer weiter von aller Bühnennatur entfernten. Nachdem er bei der dramatischen Produktion der gesamten Weltliteratur in die Schule gegangen, nachdem seine Schätzung selbst von Shakespeare und Schiller abgerückt war, sah er sich, als er schließlich versuchte, eine dem griechischen Theater ebenbürtige Tragödie hervorzubringen, der eigentlich gestalterischen Kraft entblößt. »Wenn einmal meine erste Tragödie vom Stapel gelaufen sein wird, so werden die anderen schnell folgen«, schrieb er im Mai 1827 aus Neapel an Gustav Schwab, »es fehlt mir nur an der Form, an Stoff und Gehalt ist vorerst noch Überfluß.«
Platen kam niemals dazu, diese erste Tragödie zu schreiben. »Tristan und Isolde« und eine »Iphigenie in Aulis« sind Gegenstand der letzten Anstrengungen, die er macht. Ihr Ergebnis kommt nicht über ein paar knappe, in ihrer dramatischen Führung nicht sehr wirksame Entwürfe hinaus. Das Einzige, was gelingt, sind bezeichnenderweise lyrische Details: ein Gesang; ein paar Chöre; ein Monolog Agamemnons. Im Gedicht allein verwirklicht sich Platens geistiges Schicksal, findet es Eingang und Dauer und erfährt schließlich seine Begrenzung. Dabei ist die Beschaffenheit seines lyrischen Ausdrucks vielgestaltiger, als man gemeinhin denkt. Neben Balladen wie »Das Grab im Busento«, das seinen Ruhm schon dem Schullesebuch verdankt, neben den funkelnden »Venezianischen Sonetten«, neben der steilen Odenform der späteren Jahre liegen Gebilde vor, meist aus der Frühzeit, die dem einschränkenden Urteil des älter gewordenen Dichters nicht mehr genügten und die daher in die Ausgabe letzter Hand nicht aufgenommen wurden, die aber, wie es sich zeigt, in ihrem eigenen Gesetz durchaus beruhen können und uns das Bild eines wenig gekannten Platen vermitteln.
In der ersten bedeutenderen Veröffentlichung, mit der der Dichter 1821 hervortrat, den »Lyrischen Blättern«, finden sich noch zahlreiche lied- und spruchartige Formen, in denen, trotz der Anempfundenheit an die großen Vorbilder der Zeit, Platens lyrisches Thema schon unverkennbar aufklingt:
Wenn des Leichtsinns Rotte
Die Natur entstellt,
Huldge du dem Gotte
Durch die ganze Welt.
Hin zur Blume trete,
Doch zerknick sie nie,
Schau sie an und bete:
Wär ich schön wie sie!
In kristallne Quellen
Schleudre keinen Stein,
Bete zu den Wellen:
Wär auch ich so rein!
Überall dir günstig
Weht ein Gott dir zu,
Darum liebebrünstig
Handle, wandle du.
Später hat Platen in der Aussprache seiner Briefe und durch die Tat des Gedichtes solche Ausdrucksweise nachdrücklich mißbilligt. Doch es ergreift auf eigene Art und spricht für Platens wahrhaftes, in den starren Wortgebäuden seiner spätesten Zeit nicht immer leicht festzustellendes dichterisches Gnadentum, wenn solche ganz in der Unschuld des Wortes sich bewegenden Verse, gleichsam illegitim, den legitimen Gang seiner dichterischen Entwicklung bis zum Ende begleiten. Selbst dem ehern gewordenen Mund des Dichters der »Festgesänge« entschlüpft zuweilen noch eine schwebende Wortmelodie, in der sich der Drang des Herzens unmittelbar ausspricht, die aber der Strenge des Dichters wie eine Verfehlung des Gefühls erscheint, die er am liebsten wieder zurückgenommen hätte:
Du denkst an mich so selten,
Ich denk an dich so viel,
Getrennt wie beide Welten
Ist unser beider Ziel.
Ich möchte beide Welten
Durchziehn an deiner Hand,
Bald schlummern unter Zelten,
Bald gehn von Land zu Land.
Und willst du mir vergelten
Durch Liebe dies Gedicht,
Dann fließt um beide Welten
Ein rosenfarbnes Licht.
Das Gedicht ist 1834, ein Jahr vor Platens Tod, entstanden, in unmittelbarer Nachbarschaft von Versen wie diesen:
Es schlummert längst mir im Heiligtum bildender Kraft
An dich, o Fürst, ein Gesang,
Dem vaterländischer Zukunft Bürgschaft verliehn das Geschick.
Der geistige Abstand, der zwischen diesen nahezu gleichzeitigen Gebilden liegt, entspricht der Entwicklung, die Platen als Lyriker durchgemacht hat. Sie ist äußerlich und innerlich eine Entwicklung der Form, – innerlich insofern als die Form, die für Platen ein selbständiges geistiges Wesen war, mehr und mehr zum eigentlichen Ausdruck seiner dichterischen Individualität wurde. Platens seelische Biographie stellt sich geradezu dar als eine Entwicklung der dichterischen Ausdrucksgestalt. Die zunehmende Unpersönlichkeit der Form als ein an sich bestehendes Sein wurde ihm schließlich zur sichersten Bestätigung seines gefährdeten Selbst. Nur so läßt sich jener berühmt gewordene Aphorismus erklären: »die Vollendung der Form ist die höchste Selbstverleugnung des Künstlers«, den Platen an der entscheidenden Wende seines Lebens, kurz vor der ersten italienischen Reise geprägt hat. Formalismus bedeutet hier alles andere als eine künstliche Spielerei: er besaß für Platen geradezu einen religiösen Aspekt. Nichts weniger als die Erlösung des Selbst sollte sich durch diese Vollendung vollziehen. Je schwieriger die Form zu erfüllen war, je unnachgiebiger sich ihr Gesetz dem Drang der Aussage entgegenstellte, desto sicherer fühlte das dichtende Ich sich geborgen, gerettet, – verewigt zugleich durch das Opfer der eigenen Hingabe.
Die Gehalte treten hinter diesem Problem einer allerdings nur pseudometaphysisch betrachteten Form in ihrer Bedeutung immer stärker zurück. In ihrer Grundsituation schon dem fünfundzwanzigjährigen Dichter bewußt, bleiben sie künftighin beinahe unverändert. Immer seltener erregen sie in ihm den natürlichen Zwang zur Aussage; sie gelten schließlich nur noch als Werkstoff, unter dem der Dichter beliebig und willentlich seine Auswahl trifft. Zuweilen werden sie sogar vom Motivkreis der jeweils gehandhabten Form bestimmt. Doch ist es die Eigenart von Platens Lyrismus, daß das, was sich unter solchen Umständen ergibt, nun keineswegs leblos ist, wie es die Folge eines bloßen Nachahmens wäre, daß es zwar anderseits auch nicht einmalig ist im Sinn eines Originals; – sondern indem sich die unleugbare Zeugungskraft des Dichters ganz der Einfühlung in Fremdes verschreibt, entstehen jene typisch platenschen Gebilde, die als eine gleichwertige Vermehrung bestimmter, bereits vorhandener Bestände an Dichtung zu gelten haben. Die Gaselen, die Platen unter dem Einfluß von Hafis geschrieben hat, sind eine echte Erweiterung der persischen Gattung ins Deutsche und dürfen mit ihren besten Stücken den hafisischen durchaus gleichgestellt werden. Platen hat sich die Form der Gasele nicht so sehr angeeignet im Sinn eines Könners: als Beherrscher und tändelnder Spieler; vielmehr stellte er seine dichterische Individualität bedingungslos dienend unter den Zwang ihres Gesetzes.
Dieses der deutschen Sprache aufzuerlegen, war nicht leicht. Ihre Reimarmut, die zugleich ein rasches Entwerten der leicht sich einstellenden Reime zur Folge hat, steht von Natur aus in schroffem Gegensatz zur Form der Gasele, die mit einem sechs- bis siebenmal wiederholten Gleichklang (oder auch indem sie ebenso oft ein und dasselbe Endwort verwendet) eine alternierende Folge von ungereimten Versen zusammenbindet. Aber gerade in der Schwierigkeit dieser Aufgabe lag für Platen die stärkste Versicherung ästhetischer Werte. Neben vielen mißglückten Gebilden, bei denen, wie es nicht ausbleiben konnte, das Wesen dieser Form in einem ganz und gar unüberwindlichen Gegensatz zum Wesen der deutschen Sprache erscheint, sind ihm in dieser Gattung endlich auch zahlreiche Stücke gelungen, da in dem Wortprunk und in der monotonen, ebenso aufreizend wie einschläfernd wirkenden Wiederkehr der Reime die orientalisch entgrenzende, mystische Trunkenheit von Sinnen, Geist und Gefühl zu betörendem Ausdruck kommt:
Wach auf, wach auf, o Hafis, wir lieben den Wein, wie du;
Den Reim, wir runden, reihn ihn, und reichen ihn rein, wie du;
Wir betten gern im Hain uns, auf Rosen und am Jasmin,
Im Rausche ziehn heraus wir, im Rausche hinein, wie du;
Wir schleudern weg den Koran, der heilige Gluten dämpft,
So zügellos, so standhaft im Lieben zu sein, wie du;
*
Du fingst im lieblichen Trugnetz der Haare die ganze Welt!
Als spiegelhaltende Sklavin gewahre die ganze Welt!
Ich suche um deine Gestalt her den Schatten des ew'gen Seins,
Der Segler, suchend, was nicht ist, umfahre die ganze Welt.
Was täuschen jene so tief sich? Enthüllte nur mir allein
Dein rätselbannendes Antlitz die wahre, die ganze Welt?
Der Sofi geißele wund sich, mich ritze die Rose bloß,
Er scheid und trenne, was eins ist, ich paare die ganze Welt!
Entgegen dem herkömmlichen Urteil, das sich von literaturhistorischen Zusammenhängen bestimmen läßt, möchte man solche und ähnliche Stücke als den Höhepunkt von Platens Gaselendichtung betrachten. Platen selbst hat sich später von dieser ihm allzu hafisisch erscheinenden Weise abgewandt. Eine neue Sammlung Gaselen, die er 1823 veröffentlichte, trug den richtunggebenden Vorspruch:
Der Orient ist abgetan,
Nun seht die Form als unser an.
Jene trunkene Musik, die in dem früheren Gedichtkreis »Spiegel des Hafis« Gefühl und Gedanke durchströmt, und die dem persischen Dichter nicht nur nachempfunden, sondern unter dem Eindruck einer kurzen, aber glücklichen Freundschaft mit Otto von Bülow wahrhaft nacherlebt ist, verstummt. Die Gasele wird nun betrachterisch, im Ausdruck gedämpft, wenn nicht kalt; oft bloß reflektierend. Sie begleitet seine Produktion bis in die letzten Jahre, Verzicht, Klage und Anklage des alternden Dichters aussprechend.
Die Entmusikalisierung des dichterischen Wortes, die sich an der Entwicklung von Platens Gasele verfolgen läßt, ist für den gesamten Verlauf seines lyrischen Schaffens bezeichnend. Künstlerisch ist sie begründet durch Platens allmählich gewonnene, von ihm selbst wiederholt ausgesprochene Anschauung vom Gedicht als einem plastischen Kunstwerk. Menschlich aber mag sie der seelischen Erstarrung des Dichters entsprechen, die ihn seit dem endgültigen Verlassen des heimatlichen Bodens als Folge seiner heillosen Einsamkeit immer stärker bestimmt. Die Spanne zwischen der Gegenwärtigkeit der Empfindung und ihrem Ausdruck im fernen idealen Wort wird nahezu unüberbrückbar. Wenn ihre Vereinigung endlich zustande kommt, ist die Empfindung längst abstrakt geworden, farblos und ohne Klang. Die mit der Willkür des Intellekts gebrauchten Worte sagen sie nur noch aus; sie vermögen nicht mehr sie leiblich zu enthalten.
Auch eine zweite lyrische Gattung, in der es Platen zur Meisterschaft brachte: das Sonett, ist dieser späteren Wandlung des dichterischen Vorgangs erlegen. Das große Vorbild, dem er hier folgte, war Shakespeare, dessen Liebessonette er nacherlebend in blumiger, barock anmutender Sprache um seine deutschen Stücke vermehrte.
Vollkommenheit in dieser spezifisch romantischen Form und zugleich sein ausschließliches geistiges Eigentum erlangte Platen erst mit den Sonetten, zu denen ihn sein venezianischer Aufenthalt 1824 inspirierte. Sie sind aus den glücklichsten Umständen hervorgegangen, die jemals in Platens äußerem und innerem Leben zusammenkamen. Achtundzwanzigjährig hatte er sich seiner Person genügend versichert, um nicht mehr im Fremden aufzugehen, und, aufs lebhafteste angetan von jenen venezianischen Wochen, war er noch verschont von der bald darauf einsetzenden Erkaltung der Psyche, die später seine dichterische Intensität nahezu aufheben sollte.
In den venezianischen Sonetten, ja nur in ihnen, hat Platen Welt im eigentlichen Sinne angerufen und gestaltet. Zum ersten und letzten Mal in seinem Leben hat er sich auf eine kurze und glückliche Zeit einbezogen gefühlt in einer Ordnung äußerer Dinge. Immerhin ist es kennzeichnend, daß auch diese Ordnung des Wirklichen, an der sich sein Lyrismus erregte, im buchstäblichen Sinn eine künstliche war: eine Welt der bildenden Künste, das Venedig der Gemälde und Bauten.
Der Canalazzo trägt auf breitem Rücken
Die lange Gondel mit dem fremden Gaste,
Den vor Grimanis, Pesaros Palaste
Die Kraft, das Ebenmaß, der Prunk entzücken.
Doch mehr noch muß er sich den Meisterstücken
Der frühern Kunst, die nie ein Spott betaste,
Euch muß er sich und eurem alten Glaste,
Pisani, Vendramin, Cà Doro bücken.
Die gotschen Bogen, die sich reich verweben,
Sind von Rosetten überblüht, gehalten
Durch Marmorschäfte, vom Balkon umgeben:
Welch eine reine Fülle von Gestalten,
Wo, triefend von des Augenblickes Leben,
Tiefsinn und Schönheit im Vereine walten!
1826, in dem Jahr vor der endgültigen Abreise nach Italien, entsteht der letzte Kranz von Sonetten. Die unglückliche Neigung zu German und die Kritik an den heimischen Umständen literarischen und politischen Lebens geben den Anlaß dazu. Ein einzelnes, 1830 entstandenes Sonett ist dann das letzte, das Platen gemacht hat, zugleich eines der schönsten, indem hier die Strenge und Schwierigkeit der Form wie ein Werkstattgeheimnis verborgen bleibt und der Betrachter nur die Wirkung der durch Meisterschaft erreichten, ungezwungen und leicht erscheinenden Vollkommenheit spürt. Form und Gehalt haben in ihm eine ideale, weil durchaus gegenseitig begründete Verbindung gefunden. Das Sonett, das, entsprechend seinem Geteiltsein in zwei vier- und zwei dreizeilige Strophen, von ursprünglich dialektischer Eigenart ist, erhält hier durch das Ausgesagte seine vollendete formale Bestätigung. Und umgekehrt wieder könnte das Ausgesagte nicht anders als in dieser Form zur wesentlichen Erscheinung gelangen. Das Sonett ist die natürliche Ausdrucksform für ein im Bewußtsein des überlegenden Geistes gebrochenes Gefühl. Während seine durch gleichbleibende Reime aneinander gebundenen Vierzeiler den festgestellten Gemütszustand enthalten, dessen Aussage, um allen Einzelheiten und Differenzierungen gerecht zu werden, notwendig eines gedehnteren Versraumes bedarf, wird in den beiden nachfolgenden Dreizeilern, die nicht nur die Form, sondern nun auch der Reimwechsel von den vorhergehenden Strophen absetzt, der schon äußerlich knappere Gedankenschluß gezogen.
Es sehnt sich ewig dieser Geist ins Weite,
Und möchte fürder, immer fürder streben:
Nie könnt ich lang an einer Scholle kleben,
Und hätt ein Eden ich an jeder Seite.
Mein Geist, bewegt von innerlichem Streite,
Empfand so sehr in diesem kurzen Leben,
Wie leicht es ist, die Heimat aufzugeben,
Allein wie schwer, zu finden eine zweite.
Doch wer aus voller Seele haßt das Schlechte,
Auch aus der Heimat wird es ihn verjagen,
Wenn dort verehrt es wird vom Volk der Knechte.
Weit klüger ists, dem Vaterland entsagen,
Als unter einem kindischen Geschlechte
Das Joch des blinden Pöbelhasses tragen.
In diesem letzten Sonett verewigte sich ein schmerzlicher, aber künstlerisch glücklicher Augenblick in einer Zeit, als Platen auf alle übrigen poetischen Pläne epischer wie auch dramatischer Art zu verzichten begann und sich immer ausschließlicher, hartnäckiger, leidenschaftlicher um eine Nachfolge der hohen antiken Lyrik bemühte. Auch dieser Entschluß ist aus einem spezifischen Bildungserlebnis hervorgegangen, wonach sein im Laufe der Jahre gereiftes literarisches Urteil schließlich der Dichtung der Alten den Preis zuerkannte. Ihr nachzueifern schien ihm die allein seligmachende Möglichkeit, durch die er selbst die Höhe der Dichtkunst zu erreichen hoffte.
Die erste antikisierende Ode, die vor seinem späteren Urteil noch endgültig bleibt, »An König Ludwig« (von Bayern) gerichtet, entstand 1825 in Erlangen, nachdem er einige Jahre lang eine eingehende Horaz-Lektüre getrieben hatte. In der Zeit, als die Sonettenproduktion sich zur stärksten Fülle entfaltete, entstehen die nächsten, »Florenz« und »Die Pyramide des Cestius«: – Aufgaben in erster Hinsicht, an denen der sehnsüchtige Ehrgeiz des Dichters immer schwierigere Formen zu meistern versuchte. Das Problem der antiken Dichtung war für Platen im Problem ihrer Form beschlossen. Auch wenn er zuweilen der Einsicht nahe kam, daß diese Form der sichtbar gewordene Ausdruck einer geistigen Haltung war, von der sich seine eigene grundsätzlich abheben mußte, so kam er doch nicht zu dem Schluß, daß hier ein unlösbares Verhältnis bestand, bei welchem die Haltung als nährende Kraft unbedingte Voraussetzung war zu dem lebendigen Plasma der Form. Die Form Platens blieb tot, wenn auch im einzelnen noch so gemeistert, weil seiner Natur der antikische Lebens- und Geistesraum fehlte. Goethe, der weitverwurzelte, der auch in diese Schicht drang, konnte in den »Römischen Elegien« wahrhaft antik sein. Hölderlin reichte mit seiner Sehnsucht dorthin, und diese sprengte schließlich auch folgerichtig seinen klassischen Vers. Klopstock vermochte zumindest das starre Gerüst der antikischen Strophe in seinen besten Oden mit der naiven Eigenlebendigkeit seiner Sprache zu füllen. Und hier, im Vergleich zu Klopstocks unklassischem Antikisieren, wird auch ein zweites Verhängnis klar, dem Platens Gedicht unterlag. Die Sprache, die dem Hamburger Barden noch etwas Flüssiges blieb, das verhältnismäßig leicht dem auferlegten Druck des Versbaus nachgab, erstarrt bei Platen zu einem synthetischen Stoff, aus dem sich, Silbe für Silbe ausgewogen nach ihrem materiellen Gewicht, der mühsame Vers zusammensetzt. Platen wähnte, das Höchste an Dichtkunst geleistet zu haben, wenn er die Längen und Kürzen der antiken Versmaße im Deutschen peinlich genau durch entsprechend wirkende Silben ersetzte. Indem er aber versuchte, an Stelle des musikalischen Aufbaus, den das dichterische Deutsch von Natur aus besitzt, dem lateinischen Vorbild zuliebe eine Organisation körperhaft wirkender Gewichte zu setzen, entzog sich ihm die Seele der Sprache und ging ihre eigenen Wege.
Aus der Überzeugung allein, – aus dem fanatischen Glauben an den absoluten Wert der selbständig gewordenen Form fließt noch die notwendig heilsame Kraft, die ein solchen Versuchen entspringendes Gebilde davor bewahrt, als nichtige Spielerei zu erscheinen. Das Pathos ist echt. Es gibt in deutscher Literatur nur wenige ebenso stark überzeugende Töne geistiger Leidenschaft, wie etwa in der Hymne an den Grafen Fugger, Töne, die zugleich so entschieden der dem Pathos allgemein drohenden Gefahr, für einen kühleren Zuhörer den Mißton der Lächerlichkeit mitschwingen zu lassen, entgehen.
Die Beurteilung wird hier zu trennen wissen. Was man an einem authentischen Kunstgebilde als hervorstechenden Zug entdeckt: jene Naturhaftigkeit, die, auf unendliche Weise verwandelbar, auch die abstrakteste Ordnung des Geistes noch durchzubeleben vermag, – sie fehlt hier. Der Wert solcher Dichtung ist nicht mehr ästhetisch zu fassen. Wenn ihr dennoch ein Wert unzweifelhaft innewohnt, so ist er zunächst nicht leicht zu benennen. Er liegt begründet in der ungeheuren Anstrengung, mit der Platen seinen Geist auf immer strengere Art disziplinierte, um ein eingesehenes Ideal zu verwirklichen: die vollkommene Form. Platen hat deren Anspruch in seinen Oden und Hymnen schließlich erfüllt. Unserer Betrachtung aber will sie als Trugbild erscheinen, und dies um so mehr, als die Gebilde, in denen sie Wirklichkeit wurde, abgesehen von wenigen Ausnahmen, keine Gedichte mehr sind. Die Form an sich ist ohne Leben. Leben aber, und zwar ein unsagbar schmerzliches, ein wirkliches und in dieser Art selten geleistetes, war die Anstrengung, die alle Kräfte aus Platens verzichtendem Dasein in sich zog, um jenes irrige Ziel zu erreichen. In ihr liegt der Wert beschlossen. In bezug auf die Kunst, ja, in bezug auf jede Bemühung des Geistes ist dieser ethisch in höchstem Maß.
Platen, möchte man sagen, hat für die Dichter gedichtet. Die Strenge und Unerbittlichkeit seines künstlerischen Vorgehens, unter dessen zehrendem Einfluß allmählich alles Substanzhafte schwand, bis der zuckende Lebensnerv der dichterischen Natur zur Beobachtung bloßgelegt war, wird dem anderen Dichter immer ein Anblick sein, der ihn zum Höchsten verpflichtet, ihn zur Besinnung bringt über die eigentümliche Kraft, die in ihm selbst sich regt, – über Möglichkeit und Unmöglichkeit ihrer Natur.
Der alternde Platen ist der Dichter an sich. Alles verschwand für ihn vor dem einzigen Vorgang, durch welchen der Mensch kraft einer ihm angeborenen Fähigkeit einen Vers macht. Das Erleben der Welt als eine Voraussetzung und das leibhaftige Gedicht als Ergebnis verloren vor diesem Tun um des Tuns willen immer mehr Belang und Bedeutung. Gefühl und Gedanke, die sich für Platen aus dieser entrückten Situation ergeben, bilden schließlich den einzigen echten Gehalt, den er noch aussagen kann. So oft ihn seine schwierigen Verse umschreiben, treten sie fast gesetzhaft – auch die Sprache schmiegt sich dann plötzlich – unter das Zeichen des echten Gedichts.
Stets am Stoff klebt unsere Seele, Handlung
Ist der Welt allmächtiger Puls, und deshalb
Flötet oftmals tauberem Ohr der hohe
Lyrische Dichter.
Gerne zeigt jedwedem bequem Homer sich,
Breitet aus buntfarbigen Fabelteppich;
Leicht das Volk hinreißend, erhöht des Dramas
Schöpfer den Schauplatz:
Aber Pindars Flug und die Kunst des Flaccus,
Aber dein schwerwiegendes Wort, Petrarca,
Prägt sich uns langsamer ins Herz, der Menge
Bleibts ein Geheimnis.
Jenen ward bloß geistiger Reiz, des Liedchens
Leichter Takt nicht, der den umschwärmten Putztisch
Ziert. Es dringt kein flüchtiger Blick in ihre
Mächtige Seele.
Ewig bleibt ihr Name genannt und tönt im
Ohr der Menschheit; doch es gesellt sich ihnen
Selten freundschaftsvoll ein Gemüt und huldigt
Körnigem Tiefsinn.