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Es gibt zwei Arten zu denken. Bei der einen begnügt sich der Geist, sich in sich selbst zu verschließen, und das Leben, das wirkliche, das seines Besitzers wie das seiner Umwelt geht ihn bei solcher Introvertiertheit nur mittelbar an. Er zieht es vor, Systeme und Gedankengerüste zu erfinden, in denen er das Weltall nach eigenem Gutdünken aufhängt. Das mag eine Weile so dauern. Jeder Hilflose ist beglückt zu sehen, wie leicht sich dabei Widersprüche, die ihn quälen, überwinden lassen, wie herrlich unter seiner Leselampe die Welt in eitel Ordnung dasteht, – bis er dann plötzlich an einen gewissen Punkt rührt (jedes System besitzt einen solchen), da droht mit einemmal das ganze Gedankengebäude zusammenzustürzen, wenn er nicht augenblicklich die Stütze eines unüberwindlichen Köhlerglaubens an die gefährdete Stelle setzt. Meistens aber, zum Glück, ist er eines solchen teilhaftig.
Bei der anderen Art zu denken, die weniger bequem ist, bei der sokratischen, wartet der Geist, was das Leben ihm zuträgt. Er betrachtet die Welt, betrachtet Erscheinungen, Dinge und Menschen und entzündet den Gedanken einzig an dieser Wirklichkeit. Denken ist hier Folge bewußtseinsmäßigen Lebens. Das Leben zuerst. Das Leben vor allem. Und die Frage nach seinem Sinn wird nun lächerlich, wie sich's gehört. Trägt es nicht seinen Sinn in sich selbst?
Der Dichter Henri de Montherlant, der 1924 in Frankreich durch seinen Roman »Les Olympiques« berühmt geworden ist (ein Buch, in dem das Treiben junger Sportsleute in Luft und Sonne mit antikischer Poesie erzählt wird), gehört zu dieser zweiten Kategorie von Denkern. Kein Denker vom »Fach«. Er denkt, weil er lebt. Er ist ein Mensch und nichts als ein solcher, das Höchste, was ein Sterblicher erreichen kann: ein Mensch, der das Leben mit nie verlöschender Inbrunst fühlt, dem keine Härte, Gefahr und Verzweiflung, keine Dummheit, kein Unsinn und Ekel erspart bleibt, und der das Leben trotz allem liebt, ein Mensch, der als Künstler, weiß Gott, alle Schmerzen kennt und leidet und dennoch sagt: »Das Glück ist ein Zustand, der um vieles edler, um vieles geläuterter ist als das Leiden ... Wenn du glücklich bist, so wisse, daß du es bist, und schäme dich nicht, einen solch aller Achtung würdigen Zustand einzugestehen.« Das Leben ist schlimm. Aber trotzdem.
Montherlants politische Haltung ist repräsentativ für einen großen Teil des jüngeren Frankreich. Sie ist national, doch nicht chauvinistisch; sie vermag europäisch zu denken, ohne internationalistisch zu sein. Man weiß, – mit viel stärkerem Schrecken als anderswo weiß man, daß auch das Geschick des einzelnen Volkes besiegelt sein wird, sobald Europa untergeht.