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Griechische Münzen

Wenn der durch Winckelmann eingeleitete Klassizismus die Antike ausschließlich als formale Erscheinung erfaßte, überdies in einer späten, längst flach und hohl gewordenen Ausprägung; wenn die Romantiker und schließlich Nietzsche sich um ihre Gehalte bemühten, um deren Sinn und Interpretation, so will es uns scheinen, als bahne sich zwischen Antike und Gegenwart allmählich ein Verhältnis an, dessen Interesse sich weniger auf historische Objekte und Tatsachen richtet, als vielmehr auf die Beobachtung der Methode, mit der der antike Mensch gelebt, gedacht und gestaltet hat, Methode, die, unabhängig von einer einmaligen historischen Erscheinungsweise, kurzweg als die abendländische zu erkennen ist und seit der Antike unaufhörlich wirksam war, wenn auch, abgesehen vom Barock, kaum mehr auf eine solch durchgängige und eindringliche Weise. Wir verzichten allmählich darauf, historische Formen gegeneinander auszuspielen, wir suchen das ihnen allen Gemeinsame und beurteilen z. B. bildkünstlerische Äußerungen der Vergangenheit nur noch danach, wie weit sie in dieser »Methode« gestaltet sind. Es zeigt sich, und ein gesundes und unverdorbenes Auge wird es auch ohne kunsthistorische Schulung unwillkürlich erkennen, daß der Ludovisische Thron und der Braunschweiger Löwe, der Bamberger Adam und die Bilder des Piero della Francesca; Greco und Chardin, Velazquez und Altdorfer, Baldung Grien und Cézanne (nur um Namen zu nennen, die scheinbar divergieren) durch einen allen gemeinsamen Zug wesenhaft miteinander verwandt sind. Nur ihr Gegenständliches ist verschieden, das Was; aber nicht die Methode, nicht das Wie: allen ist es geglückt, Idee und Erscheinung zur Übereinstimmung kommen zu lassen (absolutes Kriterium für die Werke der bildenden Kunst).

Gegensätze zu einen, auf welchem Gebiet auch immer es sei, war die große Begabung des Griechischen, und am Überlieferten zu beobachten, wie es geschah, ist das Hauptziel, zu dem unsere Beschäftigung mit ihm führt, demzufolge wir auch, ungleich der klassizistischen und romantischen Neigung, die wahre Verwirklichung der Antike in der (nach bereits festgesetzten Begriffen) archaisch benannten Zeit erkennen. Während uns bereits aus der klassischen Epoche nur noch das einzelne bedeutsam wird, der Parthenonfries als ein Werk des Phidias, oder, später, die Aeneïs als ein Werk des Vergil, ist es in jenem vorperikleischen Zeitalter ein Überpersönliches, das uns ergreift, Geist und Genius einer Welt, die uns aus dem Kleinsten ebenso aufsteigt wie aus dem Größten, aus einem beliebigen Schmuckstück ebenso wie aus dem Poseidon-Tempel in Paestum.

Dies wird einem wieder anschaulich gemacht, wenn man die Entwicklung der griechischen Münzkunst betrachtet, wie sie von Graf Lanckoronski in einer Reihe ausgezeichneter Reproduktionen dargestellt wird. Bis ungefähr 450 v. Chr. ist jede Münze etwas von Anfang an in sich Vollendetes, ein Ding von fast naturhafter Sicherheit der Erscheinung, ein Kunstwerk, müssen wir sagen, um es von anderen Stücken seiner Art, die mittlerweile entstanden und die es nicht sind, geziemend zu unterscheiden. Dann folgt, nach 450, die Krisis, da es nur noch dem Genie des Einzelnen gelingt, die auseinanderstrebenden Kategorien von Kunst und ihrer Anwendung mit vollem Bewußtsein nochmals zu binden, eine Leistung, die nun, charakteristisch genug für die eingetretene Wandlung, mit dem Namen des Künstlers signiert wird. Die letzte Tafel des Buches bringt ein athenisches Goldstück, um 336 v. Chr. unter Alexander geprägt, bei dem man, trotz aller Verfeinerung, bereits von angewandter Kunst sprechen muß. Die spätere Entwicklung der antiken Münze als eine Angelegenheit für Numismatiker, Archäologen und Geschichtswissenschaftler hat Lanckoronski in diesem Buche, das nur der Vermittlung absoluter Werte dienen will, berechtigterweise weggelassen.

Über alles rühmlich an dieser Veröffentlichung Leo Graf Lanckoronski, Schönes Geld der alten Welt, Ernst Heimeran, München, die auch sonst in jeder Hinsicht (Wahl der Bilder, Text und Ausstattung) bei billigem Preis als hervorragend gelten darf, ist der Einfall, die Abbildungen der Münzen in vielfacher Vergrößerung wiederzugeben, wodurch eine Fülle von beinahe unzugänglicher Schönheit plötzlich imstande ist, ins allgemeine zu wirken. Liegen doch diese Münzen bestenfalls in den schlecht beleuchteten Glasschränken von Museen, chronologisch aneinandergereiht, verborgen unter zahllosen abgegriffenen Stücken, die zu betrachten sich der Mühe nicht lohnt; in den Schubladen von Sammlern, mit denen man schwerlich bekannt wird, und nicht jedem von den benachteiligten Sterblichen, die sich nicht wissenschaftlich ausweisen können, wird es vergönnt sein, daß man ihnen gleichwohl in dem entzückenden Stadtmuseum von Agrigent die Glasdeckel von den Schaukästen hebt und ihnen erlaubt, griechische Münzen wie übliches Geld in die Hand zu nehmen, das Metall zwischen den Fingern zu spüren und mit einer Lupe ins Licht der Fenster zu treten, um das Münzbild nach Herzenslust zu betrachten; um schließlich gar einige Münzen in die Backentasche zu stecken, die den Alten als Geldbörse diente, um so genau zu erfahren, wie sich das ausnahm.

Dort in dem alten, an der Afrika zugewandten Seite Siziliens gelegenen Akragas, das zu den reichsten griechischen Pflanzstädten gehörte, trugen die frühen Münzen auf der Rückseite die Darstellung eines Taschenkrebses, wie sie in dem Buche Lanckoronskis auf der Reproduktion einer Silberdrachme mit wunderbarer, die Wirklichkeit fast übertreffender Anschaulichkeit hervortritt. Jede von den Möglichkeiten, die aus dem Gegenstand der Münze sich wesenhaft ergeben, ist hier erfüllt, verfolgt bis ins Letzte, ohne daß das Gesamtverhältnis gestört würde, indem etwa die eine, in ihrem Ausdruck übertrieben, eine andere in ihrer Berechtigung verkürzte. Es bleibt die dem Ganzen vorangestellte Idee, daß ein rundes, mit einem kennzeichnenden Bilde versehenes Metallstück zunächst eine Münze ist. Danach richtet sich die ornamentale Anordnung des Bildes im Münzrund, die flächige Behandlung des Reliefs, die einer frühzeitigen Abnutzung vorbeugt, Schärfe der Prägung und die Handlichkeit der Gestalt. Doch innerhalb dieser durch den Gegenstand bedingten Beschränkung entwickelt sich nun ein Absolutes an Kunst, das der Nike des Paionios oder irgendeinem anderen namhaften Kunstwerk aus der gleichen Epoche in keinem Punkte nachsteht. Es ist, als seien die außerkünstlerischen Vorbedingungen eher ein Ansporn gewesen als ein tatsächliches Hemmnis, und ihre Überwindung durch die Kunst, wodurch die Zweckbestimmtheit weder verletzt, noch außer acht gelassen wird, weshalb man auch besser von einer Durchdringung als einer Überwindung spräche, ist der Grund, warum in jener besten griechischen Zeit zwischen Kunst und Kunstgewerbe keine eigentliche Unterscheidung gemacht werden darf. Das Bild dieses Krebses (der Höhendurchmesser der Münze beträgt 2,2 Zentimeter, nicht mehr als bei einem Markstück) ist in einem Maße deutlich und klar, daß das Tier von einem Unterrichteten sich mühelos als telphusa fluviatilis identifizieren läßt. Dabei erscheint es dem Griechischen gegenüber fast unnötig, noch besonders zu betonen, daß es hier keineswegs darum ging, ein einzelnes Objekt nur seiner Erscheinung nach naturalistisch stumpfsinnig wiederzugeben, sondern daß das Bildnis dieses Tieres erfüllt ist von Magie, von einer beschwörenden und erleuchtenden Kraft, unter deren Wirkung dem Betrachter ein Gleichnishaftes, ein Ideenbezogenes sich offenbart.

Dasselbe gilt von der Darstellung einer Ähre auf einem Silberstater von Metapont, von der einer Eule, die einer athenischen Drachme aufgeprägt ist, und von zahlreichen anderen Bildern aus dem Tierreich. Als Sinnbildern, die ihre Eigenbedeutung überragen, wohnt ihnen häufig die Macht religiöser Vorstellung inne. Dennoch laufen sie nirgends Gefahr, idolhaft zu werden oder nur symbolisch zu sein im ausschließlichen Sinn eines Zeichens, wie die ägyptische Hieroglyphe es ist oder der altchristliche Fisch, denn selbst das Bildnis der Götter, das in griechischer Natürlichkeit nicht ansteht, auch auf dem Träger der sinnfälligsten irdischen Macht, auf dem Geld, zu erscheinen, wurde hier aus der Lebensfülle des Menschen gestaltet. So lächelt Aphrodite auf der Silberdrachme von Knidos mit dem Liebreiz von nur irgend einem halbwüchsigen Mädchen, das entzückt und bezaubert und dabei gar nicht im herkömmlichen Sinne als schön gelten kann, und um 460 v. Chr. ist das Profil der Athene auf den attischen Münzen noch weit entfernt von der späteren minervischen Pose. Eine Tetradrachme aus dem sizilischen Naxos trägt den Kopf des Weingottes Dionys: ein irdisches, sinnliches Antlitz, begabt mit einer zeitlos und ewig verführenden Männlichkeit, gefühlsstark und zugleich durch leisen Spott überlegen. Auf einer leontinischen Münze erscheint der strahlende Jünglingskopf Apollons, und in einer Reihe von Arethusa-Köpfen auf den Drachmen von Syrakus zeigt sich die Erscheinungsfülle des Weiblichen von einem helläugigen, herben Typ mit kurzgeschnittenem Haar über ein lockenumflattertes, beinahe weichliches Mädchengesicht (überraschend bei einem Münzbild: en face) bis zum ausgereiften Profil fraulicher Größe. Aber wiederum: indem der Mensch dem göttlichen Bilde seine Züge leiht, gewinnt er durch das Göttliche selbst, das jene Zeit noch fraglos erfühlte, eine ungeahnte Erhöhung: dies zum erstenmal, seit das Abendland sich entsinnt; und daß diese vollendete Kommunizierung bestand, daß sie, zwischen einem unendlich langgezogenen Vorbereitungsprozeß und einem plötzlich einsetzenden Abfall, war, als Sinn einer Welt, wenn auch in Wirklichkeit nur einen Moment lang, ist der eigentliche Anlaß, alles, was von ihr Kunde gibt, als Vorbild und Bild der Sehnsucht in uns fortleben zu lassen.


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