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Ein Jahrzehnt Stille

Einen Augenblick lang war der Name Romain Rollands dem Pariser Publikum als der eines gelehrten Musikers, eines hoffnungsvollen Dramatikers vertraut gewesen. Dann ist er durch Jahre wieder verschollen, denn keine Stadt besitzt die Fähigkeit des Vergessens so gründlich und meistert sie so schonungslos wie Frankreichs Hauptstadt. Nie mehr wird der Name des Abseitigen genannt, nie selbst in den Kreisen der Dichter und Literaten, die doch die Wissenden um ihre eigenen Werte sein sollten. Man blättere zur Probe nach in allen den Revuen und Anthologien, in den Geschichten der Literatur: nirgends wird man Rolland auch nur verzeichnet finden, der damals schon ein Dutzend Dramen, die wundervollen Biographien und sechs Bände des »Johann Christof« veröffentlicht hatte. Die »Cahiers de la quinzaine« sind Geburtsstätte und gleichzeitig Grab seiner Werke, er selbst ist ein Fremder in der Stadt zur selben Zeit, da er ihre geistige Existenz so bildnerisch und umfassend wie kein zweiter gestaltet. Längst ist das vierzigste Lebensjahr überschritten, noch kennt er kein Honorar, keinen Ruhm, noch bedeutet er keine Macht, keine Lebendigkeit. Wie Charles Louis Philippe, wie Verhaeren, Claudel, Suarès, die Stärksten um die Wende des neunzehnten Jahrhunderts, ist er unwirksam, unbekannt auf der Höhe seines Schaffens. Sein Leben ist lange das Schicksal, das er selbst so hinreißend erzählt: die Tragödie des französischen Idealismus.

Aber eben diese Stille ist notwendig zur Vorbereitung von Werken solcher Konzentration. Das Gewaltige braucht immer erst Einsamkeit, ehe es die Welt gewinnt. Nur jenseits des Publikums, nur in heroischer Gleichgültigkeit gegen den Erfolg wagt sich ein Mensch an ein so aussichtsloses Beginnen wie einen Giganten-Roman in zehn Bänden, der sich überdies in einer Zeit auflodernden Nationalismus gerade einen Deutschen zum Helden nimmt. Nur in solcher Abseitigkeit kann sich eine ähnliche Universalität des Wissens zum Werk entwickeln, nur die ungestörte, vom Atem der Menschen unberührte Stille es ohne Hast in vorgedachter Fülle entfalten.

Ein Jahrzehnt ist Rolland der große Verschollene der französischen Literatur. Ein Geheimnis umgibt ihn: es heißt Arbeit. Ein dunkler Puppenzustand von Unbekanntheit umschließt jahrelang, jahrzehntelang seine einsame Mühe, der sich dann beflügelt das kraftbeschwingte Werk entringt. Viel Leiden ist in diesen Jahren, viel Schweigen und viel Wissen um die Welt, das Wissen eines Menschen, um den niemand weiß.


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