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Die letzte Mahnung

Fünf Jahre lang hatte Romain Rolland im Kampf gegen den Wahnwitz der Zeit gestanden. Endlich bricht die feurige Kette um den gefolterten Leib Europas. Der Krieg ist zu Ende, der Waffenstillstand geschlossen. Die Menschen morden einander nicht mehr, aber ihre tragische Leidenschaft, der Haß, wütet weiter. Romain Rollands prophetische Erkenntnis feiert einen düstern Triumph: sein Mißtrauen gegen die Sieger, in Dichtung und Warnung immer wieder bekundet, wird noch übertroffen von einer rachsüchtigen Wirklichkeit: »Nichts widersteht dem Waffensieg schwerer als ein selbstloses Menschheitsideal, nichts ist schwieriger als im Triumph vornehm zu bleiben« – furchtbar bewährt sich dies sein Wort an der Zeit. Vergessen sind die schönen Worte vom »Sieg der Freiheit und des Rechts«, die Konferenz zu Versailles bereitet neue Vergewaltigung und neue Erniedrigung. Wo der einfältige Idealismus das Ende aller Kriege gesehen, erkennt der wahre Idealismus, der über die Menschen zu den Ideen blickt, neue Saat neuen Hasses und neuer Gewalttat.

Noch einmal in letzter Stunde erhebt Rolland die Stimme zu dem Menschen, der damals den Hoffenden als letzter Vertreter des Idealismus, als Anwalt einer absoluten Gerechtigkeit galt, zu Woodrow Wilson, der, umjauchzt von der Erwartung von Millionen, in Europa gelandet ist. Der Historiker weiß, »daß die Weltgeschichte eigentlich nichts ist als eine Kette von Beweisen, daß der Sieger jeweils übermütig wurde und damit den Keim zu neuen Kriegen legte«. Nie war, so fühlt er, moralische statt militärischer, aufbauende statt zerstörender Politik mehr vonnöten als nach dieser Weltkatastrophe, und der Weltbürger, der den Krieg schon zu erretten suchte von dem Stigma des Hasses, ringt jetzt um das Ethos des Friedens. Zu dem Amerikaner spricht der Europäer hinüber in beschwingtem Anruf: »Sie allein, Herr Präsident, von allen, denen die zweifelhafte Ehre zufiel, die Geschicke der Völker zu leiten, besitzen universelle moralische Macht. Alles bringt Ihnen Vertrauen entgegen; so erfüllen Sie diese pathetische Hoffnung! Fassen Sie die entgegengebreiteten Hände und vereinigen Sie sie ... Fehlt dieser Vermittler, so werden die menschlichen Massen uneinig, ohne Gegengewicht unvermeidlich dem Exzeß anheimfallen, das Volk der blutigen Anarchie, die Parteien der Ordnung blutiger Reaktion ... Erbe Washingtons und Abraham Lincolns, führen Sie in Ihrer Hand nicht die Sache eines Volkes, sondern aller Völker. Berufen Sie die Vertreter aller Völker zu einem Kongreß der Menschheit und leiten Sie ihn mit der ganzen Autorität, die Ihnen die hohe moralische Verantwortung und die mächtige Zukunft des gewaltigen Amerika verbürgt. Sprechen Sie, sprechen Sie zu allen! Die Welt dürstet nach einer Stimme, die die Grenzen der Nationen und Klassen überschwingt ... Möge Sie die Zukunft mit dem Namen des Versöhners grüßen können.«

Prophetischer Anruf, aber wiederum verklungen in den Schreien der Rache. Der »Bismarckismus« triumphiert, Wort um Wort erfüllt sich die tragische Voraussage: unmenschlich wird der Friede, wie der Krieg unmenschlich gewesen. Die Humanität kann keine Heimstatt unter den Menschen finden. Wo geistige Erneuerung Europas hätte anheben können, wütet der alte verhängnisvolle Geist und: »es gibt keine Sieger, es gibt nur Besiegte«.


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