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Anekdoten unbekannter Autoren
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Friedrich der Große und Seydlitz

Friedrich der Große sandte eines Tages der Königin aus Potsdam durch seinen Pagen, den jungen Herrn von Seydlitz, einige Kirschen zu, die in den Treibhäusern seines Schlosses Sanssouci frühzeitig gereift waren. Er schickte auch noch ein launiges Briefchen dazu, worin er die Königin bat, sich die erste Frucht seines Gartens prächtig munden zu lassen und dabei seiner kräftig zu gedenken.

Der Gärtner hatte die Kirschen in eine große Tüte gepackt und sie mit nassem Moos umwickelt, damit sie sich den weiten Weg nach Berlin frisch hielten – und dem jungen Herrn von Seydlitz ward außerdem noch befohlen, die Tüte ja nicht zu drücken, damit keine Kirsche verletzt würde.

Seydlitz setzte sich aufs Pferd und galoppierte davon. Es war ein recht heißer Tag und viel hätte Seydlitz darum gegeben, wenn er sich an einem Trunk klaren Wassers hätte erlaben können. Aber ihm war Eile befohlen – und pünktlich war nun einmal. »Doch eine saftige Kirsche löscht ja auch den Durst, und eine Kirsche weniger, das macht ja nichts aus.« So dachte er und schielte lüstern nach der Tüte, aus de ganz zufällig ein Kirschenstiel hervorlugte.

Die Sache war wirklich zu verführerisch und Seydlitz erlag der Versuchung. Er zupfte an dem hervorstehenden Stiele und – aß die Kirsche auf. Ei, wie die ihm mundete! Im Hervorziehen der ersten Kirsche war der Stiel der zweiten zum Vorschein gekommen und der Page nahm auch diese. Ja, der zweiten war auch die dritte gefolgt. »Bei solch großmächtiger Tüte«, so tröstete sich der naschhafte Page, »wird man's nicht gleich merken, wenn auch drei Kirschen fehlen.«

Jetzt zeigte sich kein Kirschenstiel mehr – und zur Rettung seiner Pagenehre muss gesagt werden: Herr von Seydlitz unterließ jetzt seine Nachforschungen, machte die Tüte wieder sorgfältig zu und brachte sie ohne weitere Entleerung der Königin. Diese war nicht wenig erstaunt und überrascht, als sie die Tüte öffnete, denn sie fand nur zartes Moos darin. Der König hatte überhaupt nur drei Kirschen hinein getan, denn weitere waren bis dahin nicht reif geworden. Und diese drei hatte eben der Page verzehrt.

Als die hohe Frau dazu den launigen Brief des Königs las, de sie bat, sich die junge Frucht des Gartens gut schmecken zu lassen, dachte sie nichts anderes, als der König habe wieder einmal einen seiner Scherze gemacht. Sie setzte sich daher an den Schreibtisch und schrieb: »Lieber Friedrich! Ich danke dir herzlich für deine liebenswürdige Aufmerksamkeit, die du mir durch Übersendung der jungen Gartenfrucht bereiten wolltest. Aber leider ist es mir nicht möglich, sie zu genießen. Sie mag wohl für Gänse schmackhaft sein, aber nicht für die Gemahlin des großen Königs.«

Als Seydlitz das Schreiben in einem verschlossenen Umschlage überbrachte, war der König anfänglich erstaunt. Doch als er auf seine weitere Frage, ob Seydlitz auch die Tüte der Königin selber übergeben hätte, hörte, dass dies wirklich der Fall gewesen, hatte er die Sachlage bald begriffen. Rasch, ohne ein Wort zu verlieren, schrieb er einen Zettel, verschloss ihn mit Mundlack und befahl dem jungen Seydlitz, ihn nach der Hauptwache zu bringen. »Aber sofort!«, bemerkte der König noch spöttisch. Doch auch der Page hatte seinerseits schnell begriffen, dass in dem Zettel nichts Gutes für ihn stehen könne. Und als er ins Vorzimmer trat, sann er nach, wie er sich aus der Schlinge ziehen könne.

In diesem Augenblick kam der Hofbankier Ephraim Lippold ihm entgegen und verlangte den König in dringender Angelegenheit sofort zu sprechen. Seydlitz bedeutete ihm, dass er ihn nicht melden könne, da er sofort den Zettel nach der Hauptwache zu bringen habe. Lippold wurde dringlicher; es seien Sachen von der höchsten Wichtigkeit, die er dem König vorzutragen habe.

Der Page blieb kalt, die höchste Wichtigkeit für ihn sei die sofortige Ausführung des königlichen Befehls. »Dann will ich selber den betreffenden Zettel auf die Wache bringen«, erbat sich Lippold. »Nur versprechen Sie mir, dass vor Ihrer Zurückkunft niemand anders beim Könige vorgelassen wird.« – »Das geht nicht an«, versetzte der Page. »Der König hat mich mit der Besorgung des Zettels beauftragt und folglich muss ich auch selbst den Befehl ausführen, sonst wird mir der König ungnädig werden.«

O, bei Majestät wolle er, meinte Lippold, den Pagen schon mit der Dringlichkeit seiner Geschäfte rechtfertigen und alle Folgen nehme er auf sich. Seydlitz solle ihm nur den Zettel geben und ihn dann bei dem Könige melden.

Der Page ließ sich endlich erweichen – und Lippold eilte mit dem Zettel auf die nahe gelegene Hauptwache. Dieser Zettel aber enthielt die kurze Weisung: »Überbringer dieses erhält sofort fünfundzwanzig mit dem Riemen, aber gründlich! Friedrich Rex.« Jetzt half kein Deuteln und kein Lamentieren, Lippold wurde ohne weiteres auf die Pritsche gelegt und bekam von derben Grenadieren fünfundzwanzig Hiebe aufgezählt, vollwichtiger als alle Dukaten, die durch seine Hände gegangen waren.

Der Page Seydlitz hatte unterdes im Vorzimmer auf seinen königlichen Herrn gewartet. Als derselbe nach einiger Zeit zurückkam, meldete er ihm, dass Lippold Seine Majestät in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen verlangt habe. »Hat Er den Zettel nach der Hauptwache besorgt?«, fragte ihn da der König und schaute ihn mit seinem durchdringenden Blick an. »Zu Befehl, nein, Majestät!«, antwortete der Page.

»Bankier Lippold wollte den Zettel durchaus selbst nach der Hauptwache bringen, damit ich ihn rechtzeitig Eurer Majestät melden könnte, die Folgen wolle er auf sich nehmen, hat er gesagt.«

Da sah der König ernsten Blickes in das blühende, jugendfrische und schelmisch widerstrahlende Gesicht des kühnen Knaben. Dann stahl sich ein leises Lächeln über seine Züge – und endlich sagte er mit freundlicher Stimme: »Geh' er nach Haus, Monsieur, und zieh' Er die Uniform an. Zum Pagen wird Er mir zu gerieben. Adieu, Leutnant von Seydlitz!«

 


 


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