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Anekdoten unbekannter Autoren
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Ein Studentenstücklein

In der Stadt Halle gibt's unter anderem viel Studenten. Die kennt man aus der Menge gleich heraus. Sie tragen auf dem Kopf eine bunte Mütze und auf der Brust ein buntes Band. Sie sind ein lustiges Völklein und aller tollen Streiche voll. Aber sie können auch ganz artige Stücklein, man sollte es gar nicht denken. Und ein von dieser letzteren Sorte will ich jetzt erzählen.

In früherer Zeit gab es die löbliche Einrichtung der Akzise, das heißt, an jedem Tor der Stadt stand ein Zollhaus und in dem Zollhaus saß ein Zöllner, der passte auf, wenn etwas Gemahlenes oder Geschlachtetes zur Stadt herein wollte. Wie ein Stoßvogel fuhr er dann zu, tat den Gegenstand auf die Waage und strich darauf die Steuer ein.

In der Zollbude am Kirchtor saß ein Zöllner, der sich vor seinen Kollegen auszeichnete durch seine Hässlichkeit. Er sah aus wie eine Schleiereule, man konnte sich vor ihm fürchten. Und bösartig war er auch. Man konnte ihn mit einem Blick beleidigen – und dann wurde er immer sackgrob, dass einem Hören und Sehen verging. Zum Dank dafür hatte man ihm den Spitznamen »Zachäus« gegeben.

An einem schönen Sommerabend in den Fünfziger Jahren stand ein kleines Mägdlein unweit es Kirchtors an einer Gartenmauer. Unter dem Arm hielt es ein Säcklein mit Mehl und aus den Augen liefen ihm die Tränen über die Wangen. Da kam eine Rotte Studenten daher, ein lustiges Lied singend. Als sie des Mägdeleins ansichtig wurden, blieben sie stehen und fragten: »Warum weinest du?«

Die Kleine sah scheu zu den jungen Herren empor, indem sie dachte, die wollten sich nach ihrem Brauch einen Spaß mit ihr machen. Da aber die Frage ganz ernsthaft wiederholt ward, fasste sie langsam ein Zutrauen und erzählte, sie habe ihr Zweigroschenstück verloren und käme nun mit ihrem Mehl nicht zum Tor hinein. Daheim aber werde sie im ihres Leichtsinns und um ihres langen Ausbleibens willen bei der Stiefmutter einen bösen Empfang haben.

Die Studenten besprachen sich leise miteinander, dann legte der eine dem Mädchen tröstend die Hand auf die Schulter und sprach: »Gib dein Mehl her, wir bringen's schon hinein! Geh du nur voraus und warte an der Ecke der großen Wallstraße, bis wir kommen.«

Noch einmal stieg in der Kleinen der Verdacht auf, die Herren könnten sie foppen wollen, aber die Not war größer als ihr Misstrauen; so überantwortete sie den Musensöhnen ihre Last und ging voraus durch das Tor, von Zeit zu Zeit hinter sich blickend wie Lots Weib.

Alsbald befestigten die jungen Leute den Sack an einem Ziegenhainer, den nahmen zwei von ihnen auf die Schulter und zogen fürbass wie einst Josua und Kaleb mit der großen Weintraube, die sie an einer Stange aus dem gelobten Lande mit in die Wüste brachten.

Am Zollhaus angelangt, fingen sie aus Leibeskräften an zu schreien: »Mehlsäcke! Mehlsäcke!« Augenblicklich erschien in der Tür des alten Zachäus Schreckgestalt. Wie er nun die Bescherung sah, entbrannte er in Zorn und rief mit seiner blechernen Stimme: »Ihr nichtsnutzigen Sappermenter, wollt ihr einen alten Mann schon wieder einmal zum Narren haben?«

»Mehlsäcke! Mehlsäcke!«, schrie es wieder, dass die Luft erzitterte. Da griff der Zöllner in höchsten Ingrimm nach einem Stecken und wollte auf die Übeltäter los, doch Josua und Kaleb hatten Schutz und Bedeckung: die drei anderen machten ein sehr ernstes Gesicht und schwangen bedenklich ihre Ziegenhainer, da musste der Zachäus der Übermacht weichen und kroch in seine Höhle zurück wie eine Maus in Ihr Loch.

Lachend marschierten nun die lustigen Brüder weiter bis zur Wallstraßen-Ecke, wo das Mädchen wartend stand, überreichten ihm den Sack und ließen es ziehen.

Was aber nun? Sie hatten zwar ein gutes Werk getan, aber nach der Weise des Heiligen Crispin: auf eines anderen Kosten, nämlich des Königs, den sie um zwei Groschen betrogen hatten. Doch das war ihre Absicht gar nicht, sie hatten sich bei ihrer Guttat zugleich einen Spaß machen und den alten Grobian ein bisschen ärgern wollen.

Nach etlichem Überlegen zogen sie zum Zollhaus zurück und traten gelassen ein, dass der Zöllner ganz verdutzt war und gar nicht wusste, was er zunächst denken sollte.

»Was kostet wohl der Mehlsack, den wir vorhin durchgepatscht haben?«, fragte lächelnd der Wortführer. Der Zachäus meinte, die losen Vögel hätten an dem ersten Schabernack wohl noch nicht genug – und die Stirnader lief ihm blaurot auf. »Ihr Schelme«, wetterte er, »was untersteht ihr euch gegen ein graues Haupt! Ich will euch Beine machen! Ich kenne euch schon, wenigstens den da!« Damit zeigte er auf einen, der eine breite Schmarre über das Gesicht trug, gleich dem Querbalken in dem sächsischen Wappen.

Die Studenten belustigten sich über den alten Kampfhahn und lachten ihm hell ins Gesicht. Da geriet der Zöllner ganz außer sich und drohte zähneknirschend mit Anzeige bei dem Herrn Prorektor.

Jetzt wollten ihm die jungen Leute begreiflich machen, es sei wirklich Mehl gewesen in dem Säcklein, aber mit dem Alten war nichts anzufangen, und so blieb ihnen nichts übrig, als den Rückzug anzutreten.

Was nun aber mit dem unrechten Gute beginnen, das doch bekanntlich nicht gedeiht? Sie besannen sich kurz, legten zusammen, bis ein halber Gulden voll war, und warfen den dem alten Krüppel am Botanischen Garten in die Mütze. Danach zogen sie ihre Straße und sangen sich eins.

Ganz in der Ordnung und der strengen Moral entsprechend war die Geschichte gerade nicht, denn wenn auch das arme Mädchen um eine Tracht Prügel herum und der arme Krüppel zu einem kleinen Vermögen gekommen war, der König von Preußen war doch auf diese Art um zwei gute Groschen ärmer geworden. Aber Witz lag jedenfalls darin – und den Musensöhnen muss man manches zu Gute halten, weil es junges Volk ist.

Was konnten sie auch dafür, dass der Diener Seiner Majestät solch ein Grobian erster Klasse war und keinen Spaß verstand? Überdem hat ja auch der Staat Preußen jenen Verlust, Gott sei Dank, glücklich überstanden.

 


 


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