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Italienische Novellen. Dritter Band
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Giovanni Battista Giraldi

Glück im Unglück

In Venedig lebte vorzeiten ein tapferer und mutvoller Mann, namens Pisti, der durchaus nicht leiden mochte, daß man ihn oder etwa gar seine Ehre beleidigte. Derselbe hatte ein junges Weib, das Eugenia hieß, und das er ebenso über alles liebte, wie es ihm getreu und ergeben war. In diese verliebte sich ein überaus reicher Kaufmann aus Rimini, der mit großen Geschenken ihre Gunst zu gewinnen suchte. Sie benahm ihm ihrerseits zwar alle und jede Hoffnung auf einen guten Erfolg; aber er ließ sich desungeachtet nicht von seinem Unternehmen abschrecken und machte also die junge Frau sehr traurig, die nicht anders glaubte, als er müsse ihre Ehre dadurch benachteiligen. Ihr Gatte nahm wahr, daß die zuvor so Heitere und Vergnügte sich besonders in seiner Gegenwart niedergeschlagen zeigte, und verlangte den Grund ihres Trübsinns zu erfahren. Sie kannte aber die Stärke seiner Leidenschaft zu ihr gut genug, um zu wissen, er werde nicht dulden, daß einanderer einen unrechten Blick zu ihr zu erheben, geschweige denn gar sie zu lieben wage, und hatte nicht den Mut, ihm die Wahrheit einzugestehen, weil sie fürchtete, es könne daraus irgendein Unheil erwachsen, sondern gab ihm vielmehr, um ihn zu beruhigen, andere, erdichtete Gründe ihrer Verstimmung an. Mit diesen Gründen begnügte sich indessen Pisti nicht. Er sah recht wohl ein, daß es leere Ausflüchte waren, und nachdem er sie also noch einige Male liebevoll gebeten, offener gegen ihn zu sein, wandte er sich am Ende, da er fand, daß alles vergeblich blieb, mit gestrenger Miene zu ihr und sagte: »Entweder du gestehst mir nun freiwillig ein, was es mit deinem Trübsinne für eine Bewandtnis hat, oder du wirst mich zwingen, andere Mittel anzuwenden, um das Wahre an der Sache von dir zu erfahren.«

Eugenia sah den Zorn ihres Gatten vor Augen. Und da sie nicht Lust hatte, seine weiteren Maßregeln abzuwarten, so erwiderte sie: »Wenn ich dir bisher auf deine Fragen nicht geradeheraus antwortete, so hatte ich meinen guten Grund dazu. Da du denn aber einmal keine weitere Rücksicht nehmen willst, so mag ich nicht zugeben, daß eines andern Schuld mir unverdienterweise deinen Zorn zuziehe, und bitte dich nur, um deiner Liebe zu mir willen, dich genugsam zu mäßigen, uns infolge meiner jetzigen Mitteilung nicht Unglück und Verdruß zu bereiten.« Nach diesen Worten erzählte sie ihrem Gatten, wie lästig ihr der Kaufmann schon seit langer Zeit mit seinen Bewerbungen gefallen sei, und wie lästig er ihr noch falle, obwohl sie ihn entschieden abgewiesen habe, und fügte hinzu, sie sei eben deshalb zwiefach betrübt, erstens, weil sie sehe, daß er durch seine Nachstellungen wohl gar ihren guten Ruf gefährde, und zweitens, weil sie sich vor denselben allerdings nicht anders mehr zu schützen wisse, als indem sie ihm, als ihrem Gatten, sich anvertraue, von dessen Jähzorn sie doch wieder alles zu befürchten habe. Pisti hatte Eugenia ruhig angehört und sagte: »Ich bin mir deiner Liebe und Treue wohl bewußt, und du brauchst um der Torheit jenes Mannes willen nicht betrübt zu sein; laß ihn nur anfangen und sich abmühen, was und wie er will, – du bist und bleibst mir so teuer wie zuvor.«

Darauf ging er zwar ohne allen Anschein von Zorn von seiner Frau hinweg; nichtsdestoweniger aber sah sie, die die Gemütsart ihres Mannes kannte, unter Angst und Bangen kommen, was da wirklich kam.

Pisti nämlich sagte zu dem Rimineser, den er auf dem Rialto traf, er möge davon abstehen, seine Gattin zu belästigen, sonst werde er ihn lehren, daß man der ehrbaren Frau eines anderen nichts Unehrbares ungestraft zumute.

Der Riminese, der der Meinung war, um seiner großen Reichtümer willen müsse ihn jedermann fürchten und scheuen, erwiderte: es stehe ihm frei, zu tun, was er wolle; Pisti habe ihm keine Gesetze vorzuschreiben und dürfe nicht glauben, daß seine Frau etwas Besseres sei als andere; denn wenn Eugenia sonst ihm ihre Gunst zuwenden wolle, müsse er sich in Geduld darein fügen mit dem Bedenken, daß er weder der erste noch der letzte Hahnrei auf Erden sei.

Solcherlei Reden war Pisti außerstande zu ertragen, und er sagte, außer sich vor Zorn: »Ebensowenig sollst du fernerhin mein Weib beleidigen, als ich mir von dir Hörner aufsetzen zu lassen gesonnen bin!« –, indem er zu gleicher Zeit Hand an sein Messer legte und den Kaufmann mit zwei Stichen tötete. Kaum sah er denselben aber vor sich am Boden liegen, als er sich auch auf die Beine machte und Straße auf und ab so lange von Ort zu Ort rannte, bis er unerkannt an einen vom Rialto entfernten Kanal gelangte. Daselbst bestieg er eine der kleinen Barken, die Gondeln genannt werden, ließ sich nach Lizzafusina fahren und begab sich von dannen, sobald es ihm möglich wurde, über Rovigo nach Ferrara, ohne daß er weder seiner Frau noch seinen Kindern vorher hätte Lebewohl sagen können.

Als Eugenia von dem Geschehenen Kunde erhielt, fühlte sie sich das betrübteste Weib auf Erden; die Herren von Venedig aber, die nicht nur verlangen, daß in ihrer Stadt allerwärts Ordnung und Sicherheit herrsche, sondern auch deren Aufrechterhaltung vornehmlich an den öffentlichen Orten in Obacht nehmen, wo die venezianischen Edelleute ihre Geschäfte treiben, wurden durch diesen schlimmen Fall höchlich aufgebracht, zogen Hab und Gut des Mörders ein und sprachen, damit noch nicht zufrieden, zum abschreckenden Beispiele für andere, ihren Gesetzen gemäß den Bann gegen ihn aus, in dessen Folge sie denn auch einen Preis von zweitausend Dukaten für den, der ihn lebend in ihre Gewalt liefere, und einen von tausend Dukaten für den Überbringer seines Kopfes aussetzten. Dem Ehrenmanne selbst fiel diese schwere Ahndung seiner Tat höchst schmerzhaft, und zwar betrübte er sich weniger über die Einbuße seines Vermögens und über die seinem Leben so gefährliche Verbannung aus seiner Vaterstadt, als über die Trennung von seinem geliebten Weibe und von seinen Kindern, die das Licht seiner Augen waren. Er hätte zwar gern sie allesamt an seinen Aufenthaltsort kommen lassen; die Herren von Venedig vereitelten ihm aber auch diesen Trost, indem sie seinem Weib eine Grenze steckten, über die hinaus sie sich bei schwerer Strafe nicht von Venedig entfernen durfte.

Von seiner Heimat also geschieden und ohne anderweitige Mittel zu seinem Lebensunterhalte als das wenige, was er im Solde des Herzogs von Ferrara mit dem Waffenhandwerk verdiente, war er außerstande, auch nur einen Heller zur Unterstützung seiner Frau nach Hause zu senden. Diese geriet hiernach mit ihren beiden Kindern von zehn und vierzehn Jahren bald in die äußerste Not und empfand ihre Armut um so übler, als ihr Mann sie bisher ein sehr behagliches Leben hatte führen lassen. Ja, es kam auf die Länge der Zeit so weit mit ihr, daß die Kinder, der notwendigsten täglichen Bedürfnisse ermangelnd, sie mit Tränen und Klagen fast umbrachten, und daß sie, von Tag zu Tag mit drückenderer Armut kämpfend, endlich an ihren Gatten schrieb: sie wisse nun gar nicht mehr, was sie in ihrer Not vornehmen solle, wenn von ihm nicht bald Hilfe für die Kinder ankomme; denn was sie selbst betreffe, wolle sie gern jedes Ungemach ertragen; doch müsse sie ernstlich für die Keuschheit ihrer Tochter fürchten, die er in mannbarem Alter verlassen habe, weil eine Menge Edelleute sie mit Versprechungen und Anerbietungen zu verführen trachte und es in so bitterem Mangel eine äußerst schwierige Aufgabe für eine Mutter sei, ohne den Schirm des väterlichen Ansehens eine Tochter zu hüten. Diese Worte gingen dem armen Manne wie ebenso viele Stiche durch das Herz, und da er neben seinen anderen vielen Sorgen sich nun auch noch die um die Ehre seiner Tochter aufgebürdet sah, so schrieb er an seine Gattin zurück, wie schwer ihm selber seine erzwungene Trennung von ihr und seinen teuren Kindern zu ertragen falle, ermahnte und beschwor sie aber zugleich auf das eindringlichste, die Keuschheit ihrer Tochter ebenso heilig zu bewahren wie ihre eigene, damit die Ehre seines Hauses unbefleckt und rein erhalten würde, und weil sie ja wohl wisse, daß man in der Welt zu sagen pflege, ebenso, wie die Tochter werde, sei die Mutter gewesen. Zum Schlüsse dieses Briefes fügte er den Trost hinzu, sie solle nur auf Gott hoffen und vertrauen, daß er sie und ihre Kinder nicht verlassen, sondern in seiner Gnade sie noch zufrieden und glücklich machen werde. Er selbst, versicherte er ihr, wolle alles aufbieten, ihr das Leben zu erleichtern und ihr zu beweisen, daß er ihr und ihrer Kinder Wohl höher achte als sein Leben.

Währenddessen die Seinigen sich mit Mangel und Not herumschlagen mußten, ging er selbst zwar immer mit dem Gedanken um, wie er etwas für sie tun könne, wurde aber am Ende, da er gar keine Mittel und Wege dazu ausfand, desto lebenssatter und müder. Siehe, da geschah es nun dereinst, daß zwei Jünglinge, mit denen er schon lange in freundschaftlichem Verkehr gestanden, unter dem Vorgeben, daß sie eine Schwester verheirateten, auf deren Hochzeit sie auch ihn zu sehen wünschten, ihn vor die Stadt hinaus auf ein Landgut führten, das sie zu ihrem Vergnügen des öfteren zu besuchen pflegten. Kaum waren sie aber daselbst angelangt, wo die beiden Brüder noch mehrere Genossen vorfanden, als sie Pisti ergriffen und in enge Bande schlugen. Der Unglückliche erstaunte und fragte, warum sie sich an ihrer gegenseitigen Freundschaft also vergingen?

Sie erwiderten, sie seien ihrem Vater größere Liebe schuldig als ihm, und angesehen, daß derselbe nicht nur aus der Stadt Venedig, sondern aus dem ganzen Staate verwiesen sei, so gedächten sie ihn dadurch von seiner Verbannung zu befreien, daß sie ihn eben von ihm den Herren von Venedig überantworten ließen. Was hierauf der arme Pisti denken und fühlen mußte, ist leicht zu erachten. Er war überzeugt, daß er bei seiner Ankunft in Venedig unverzüglich durch Henkershand um das Leben gebracht werden würde, und wie schmerzlich ihm dieser Gedanke auch schon an sich selber war, so war es ihm doch noch weit betrübender, gerade in Venedig sterben zu sollen, weil er wohl fühlte, daß es seiner Familie so viel entsetzlicher sein mußte, seinen Tod mit Augen anzusehen, als ihn sich verkündigt zu hören.

Sobald die Jünglinge sich seiner bemächtigt hatten, ließen sie ihren Vater kommen und sagten ihm, sie hätten ein Mittel aufgefunden, ihn von seinem Bann zu erlösen und ihm überdies einen Gewinn von zweitausend Skudi zuzuwenden. Der Edelmann, der nach der Rückkehr in sein Vaterland, das ihm eine Welt im kleinen schien, sehnlichst verlangte, sprach: Um den Gewinn bekümmere er sich nicht viel; desto angenehmer werde ihm aber die Aufhebung seines Banns sein, wofern sie ihm zuteil werde.

Die Söhne forderten ihn auf mitzukommen und setzten ihm auseinander, was er zu tun habe, indem sie ihn in das Zimmer zu dem gebundenen Pisti führten. »Entweder«, sprachen sie, »Ihr tötet diesen Mann hier auf der Stelle, Vater, und tragt seinen Kopf nach Venedig hin, um dafür dort neuerdings in Freiheit leben zu dürfen, oder Ihr bringt ihn lebendig dahin und verdient Euch damit neben Eurer Freiheit noch den ausgesetzten Preis.«

Sowie Pisti des Ehrenmannes ansichtig wurde, wandte er sich ihm mit ernstem Angesichte zu und sagte: »Wäre es möglich, Herr, daß Ihr in die offenbare Gewalt willigen könntet, die Eure Söhne den heiligen Gesetzen der Freundschaft antun, indem sie Euch dazu verleiten wollen, Euch aus Eurer Verbannung, die Euch doch nichts weniger als lebensgefährlich ist, dadurch zu erlösen, daß Ihr mich auf eine für Euch so schmähliche Weise entweder selber tötet oder dem Henker übergebt? Ist das mein Lohn dafür, daß ich Euch jederzeit wie meinen Vater und Eure Söhne wie meine Brüder geliebt und Euch mein Leben und meine Freiheit so ruhig anvertraut habe?«

Als der alte Mann diese Worte Pistis hörte und sein Elend in Erwägung zog, konnte er sich der Tränen nicht enthalten und sagte: »Wolle Gott nicht, daß, wenn meine Söhne dir ein so großes Unrecht zugefügt haben, ich selbst es durch meine Billigung vollende! Du hast mich für deinen Vater angesehen und sollst mir ein nicht weniger geliebter Sohn als diese beiden sein, die dich gefesselt haben. Ich will viel lieber in ewiger Verbannung leben, als daß man mir vorwerfen soll, ich habe mich daraus durch eine entehrende Tat befreit.«

Er löste mit diesen Worten die gebundenen Hände des Unglücklichen und sagte ferner zu ihm: »Aus dem, was dir heute begegnet ist, Pisti, lerne in Zukunft vorsichtiger als bisher sein: denn du könntest leicht einmal einem in die Hände fallen, der nicht so barmherzig mit dir verführe wie gegenwärtig ich. Meinen Söhnen zu zürnen, daß sie dich in eine solche Lebensgefahr gebracht, bist du allerdings berechtigt; indessen, da du mit meiner Hilfe glücklich aus ihr hervorgegangen bist, hast du auch wieder alle Ursache, ihnen dankbar zu sein, daß sie zu deinem Heile dich gelehrt, wie man sich in der Welt betragen müsse. Vergib ihnen also, ich bitte dich, was sie doch nur aus kindlicher Liebe zu mir an dir verbrochen, die in ihnen stärker als die Freundschaft zu dir war, und was nun ja dennoch zu deinem Besten ausgeschlagen ist!«

Pisti war geneigt, ihnen zu verzeihen, und so ließ der Greis die Jünglinge herbeikommen und stellte zwischen allen dreien wieder Frieden und Eintracht her.

Nachdem nun aber Pisti dieser Gefahr entronnen war, kam er zu der Einsicht, daß es ihm auf die Länge der Zeit unmöglich fallen werde, einem verderblichen Schicksale zu entgehen. Er dachte dabei auch wieder an die gefährdete Ehre seiner Tochter und an das äußerste Elend, in das sein Tod seine Familie versetzen würde, und es stand mit einem Male vor seiner Seele der Entschluß, als ein recht getreuer Gatte und liebreicher Vater seine Not zu enden. Er begab sich demzufolge alsobald heimlich nach Venedig, trat zu seiner Frau ins Haus und entdeckte sich ihr, die zwar die herzlichsten Wünsche gehegt hatte, ihn bald wieder bei sich zu haben, dessenungeachtet aber ihn gegenwärtig nur höchst ungern so gefährdet vor sich sah. Sie sagte zu ihm: »Ganz gewiß bist du zu uns gekommen, teurer Mann, mir und deinen Kindern Hilfe in der Not zu bringen; aber konntest du sie uns denn gar nicht durch einen andern senden, ohne dich in so offenbare Gefahr zu stürzen? Würde es bekannt, daß du hier bist, so könnte dich keine menschliche Gewalt erretten. Darum besorge schnell, was du zu besorgen hast, und entferne dich dann schleunigst wieder; beträfe dich unsertwegen irgendein Unglück hier, ich würde mich zeitlebens nicht darüber zufrieden geben.«

Pisti antwortete: »Ich bin allerdings da, eure Not zu lindern und die Ehre meiner Tochter sicherzustellen; da ich mich aber zu dieser Absicht nicht wohl eines anderen bedienen konnte, so bin ich persönlich gekommen, um dir anzugeben, wie du fürder gemächlich und ehrbar mit den Kindern leben magst.«

Eugenia bat ihren Mann, sich zu beeilen, damit er wieder entfliehen könnte, ehe er etwa verraten würde, und Pisti ließ die Tochter durch die Mutter holen und sagte zu beiden, als sie vor ihm standen: »Ich habe vielfältig bedacht, meine Lieben, wie ich unserem allseitigen Elend ein endliches Ziel setzen könnte; aber es ist mir durchaus nichts als die Überzeugung in den Sinn gekommen, wie ich dies allein dadurch bewirken kann, daß ich den von den Herren von Venedig auf meine Auslieferung gesetzten Preis unserem eigenen Hause zuwende. Groß genug, was man uns geraubt hat, zu ersetzen, ist er zwar nicht; indessen reicht er hin, euch vor Nahrungssorgen und die Ehre unserer Tochter vor den drohendsten Gefahren zu schützen. Ich fordere dich daher auf, Eugenia, morgen zu unserer Obrigkeit zu gehen, von ihr den Lohn einzufordern, den sie demjenigen versprochen hat, der mich lebendig in ihre Hände liefere, und mich ihrer Willkür alsdann zu überantworten; denn ich will viel lieber hundertfältigen Tod erleiden, als die etwaige Schande meiner Tochter erleben.«

Auf diese Worte wurde die Jungfrau feuerrot im ganzen Gesichte und schämte sich so sehr, daß sie die Augen zu Boden schlug und vor bitterlichem Weinen nichts erwidern konnte. Eugenia aber, die eher alles andere geglaubt, als daß Pisti in dieser Absicht zurückgekommen, warf es sich innerlich vor, ihm jene Mitteilungen über ihre Tochter gemacht zu haben, die nunmehr einen so üblen Erfolg hatten. Ein Strom von Tränen stürzte aus ihren Augen, indem sie anhub zu sagen: »Also soll mich, Pisti, das furchtbare Schicksal treffen, daß ich meinen Gatten verkaufe, um sein Blut von der Hand des Henkers vergießen zu sehen, und daß ich von dem Ertrage dieses Handels mein Leben friste, das ich doch mit Freuden für das deinige hingeben möchte? Nimmermehr geschehe das! Ich will lieber sterben, als daß man von mir sage, ich habe mir das Leben um einen solchen Preis erkauft. Ja, da ich mit dir, mein teurer Gatte, nicht leben kann, so laß uns miteinander sterben und unsere Not also auf einmal enden!«

Nach diesen von Schluchzen und Weinen viele Male unterbrochenen Worten wollte Eugenia sich an die Brust ihres Mannes werfen; er hielt es aber nicht aus, wich ein wenig zurück und sagte: »Eugenia, du hast kein Verbrechen begangen, wodurch du verdient habest, mit mir zugleich zu sterben; dein Tod würde, im Gegensatze zu dem meinen, unserer Familie von keinem Nutzen sein: weine also nicht mehr, Eugenia, und auch du nicht, meine Tochter, und bereite dich, meinen Willen zu befolgen! Tust du das nicht, so verlaß dich darauf, daß ich selber mich den Gerichten überliefere.«

Sowie sie diese Rede vernahmen, fingen die beiden Frauen laut an zu weinen und zu schreien. Derweil sie sich aber also ihrem Schmerze überließen und Pisti sie tröstete und zu seiner Meinung zu überreden suchte, trug es sich zu, daß der die Wache habende Hauptmann von ungefähr an dem Hause vorüberging, den Jammer hörte und, weil er nicht begriff, was derselbe zu bedeuten habe, Einlaß begehrend an die Türe klopfte. Ein unerhörtes Unglück wollte, daß Pistis kleiner Sohn gerade bei der Hand war, das Türseil, ohne zu wissen, was er tat, anzog und damit die Tür so schnell öffnete, daß Pisti keine Zeit übrigbehielt, sich zu verbergen. Der Hauptmann trat mit einigen Schergen ein, sah Pisti zwischen den beiden weinenden Frauen vor sich stehen und erstaunte über dessen Verwegenheit, auf Gefahr seines Lebens hin wiedergekommen zu sein. Hocherfreut indessen über den ihm also zufallenden Preis seiner lebendigen Überlieferung, bemächtigte er sich Pistis, band ihm die Hände auf den Rücken und wollte ihn abführen.

Darüber, daß sein Tod nun, anstatt den Seinigen, dem Hauptmanne zugute kommen mußte, empfand Pisti ein so heftiges Leid, daß er nahe daran war, entseelt zu Boden zu sinken; die beiden Frauen aber hätten durch den Ausdruck ihrer Verzweiflung über dieses unerwartete neue Mißgeschick wohl Steine zu Mitleiden bewegen können. Sie erbaten sich und erlangten vom Hauptmanne die Erlaubnis, Pisti nach dem Gerichtshofe zu begleiten, um ihm dort das letzte Lebewohl zu sagen. Sie legten Trauerkleider an und erschienen, um Erbarmen flehend, mit ihm vor den Herren von Venedig, die der Hauptmann folgendermaßen anredete: »Dieser gefangene arme Sünder ist jener Pisti, dem ihr schon lange Zeit vergeblich nachstellt, um die Strafe seines Verbrechens an ihm zu vollziehen. Ich überliefere ihn hiermit lebendig der Gerechtigkeit und bitte euch, den von euch dafür ausgesetzten Lohn mir zufließen zu lassen.«

Wie nun hierauf die Herren Pisti in so übler Lage sahen, fragten sie ihn, warum er so einfältig gewesen sei, seinem schmählichen Tode gerade entgegenzulaufen? Er stand wie betäubt ihnen gegenüber und erwiderte nichts. Eugenia jedoch brach unter kläglichen Gebärden in die folgenden Worte aus: »Vernehmt, ihr Herren, das allerärgste Mißgeschick, das jemals einen sterblichen Menschen betreffen konnte: Dieser mein Ehegatte, der Vater des unglücklichen Mädchens hier, hörte in seiner Verbannung, welche Not wir beide um des Umstandes willen litten, daß uns, auf euren Befehl alle unsere Habe weggenommen worden war, und zog sich diese dermaßen zu Herzen, daß er, in der Besorgnis, der Hunger werde am Ende mich und meinen kleinen Sohn töten und vielleicht gar die Tugend unserer Tochter wankend machen, nach Venedig mit dem Vorsatze zurückkehrte, mich zu überreden, ich solle ihn euch gefänglich zuführen und mit dem Lohne dieser Tat meinen Lebensunterhalt und die Aussteuer meiner Tochter bestreiten. Ich weigerte mich, dies als etwas unerhört Schmähliches zu tun, das mich selbst den Hunden verächtlich machen müsse, weinte mit meiner Tochter über unser Leiden und versuchte noch, ihn durch Bitten und Beschwörungen, wiewohl vergebens, von seinem festen Entschlusse abzubringen, – als der Hauptmann unser Schreien und Weinen hörte, in unser Haus eindrang und ihn aus unseren Armen riß, um ihn euch in Banden hierher zu bringen, wo der Arme vor euch steht und über seine letzten fehlgeschlagenen Hoffnungen die Besinnung verloren hat. Ihr Herren Richter mögt jetzt selbst urteilen, ob wir in solcher Bedrängnis gerechte oder ungerechte Tränen weinen und Klagen erheben. Und da euch niemals ein betrübterer und eures Mitleids würdigerer Fall vorgekommen ist, so bitte ich euch, gesetzt, daß die Bitten Unglücklicher über eure großmütigen Herzen etwas vermögen, daß ihr diesmal die Strenge der Gesetze zu unseren Gunsten mildern und Gnade vor Recht wollet ergehen lassen, als worauf wir die einzigen und letzten Hoffnungen setzen, die uns für dieses Leben geblieben sind.«

Hier schwieg Eugenia still, denn sie konnte vor ihrem eigenen Weinen und Schluchzen nicht weiterreden.

Die Herren von Venedig waren von der Außerordentlichkeit dieses Falles betroffen. Es nahm sie höchlich wunder, daß der zum Tode verdammte Pisti zurückgekehrt sei, aus unendlicher Liebe zu Frau und Kindern freiwillig sein Leben hinzugeben, und da diese seltene Großherzigkeit ihre notwendige Einwirkung auf ihre Herzen nicht verfehlte, so geschah es, daß sie in ihrer desfallsigen Beratschlagung von Mitleiden mit ihm, seiner Frau und seinen Kindern bewogen wurden, ihm das Leben zu schenken. Sie ließen dazu sogar die zweitausend Skudi herbeibringen und händigten sie Eugenia mit den Worten ein: Da sie eigentlich habe diejenige sein sollen, durch die ihr Mann, der nur darum zurückgekehrt sei, sich den Gerichten habe überliefern zu wollen, so befänden sie für gut, von dem Umstande, der die Ausführung dieses Planes verhindert habe, abzusehen und ihr die zweitausend Skudi, die ihr Gatte ihr zugedacht, hiermit desungeachtet und zwar zu der Ausstattung ihrer Tochter auszuzahlen. Zu Pisti selbst aber gewendet, fuhren sie zu reden fort: »Was dich anbetrifft, so geht unsere Meinung nicht bloß dahin, dir das nackte Leben allein zu schenken. Wir wollen im Gegenteile vielmehr, daß du fernerhin des Mangels überhoben seist, in dem du bisher mit den Deinigen versunken, und damit du also mit ihnen deines zukünftigen Daseins dich ebensowohl und redlich zu erfreuen habest wie deines ehemaligen, so geben wir dir zu gleicher Zeit dein sämtliches Vermögen zurück. Nur nimm du dich deinerseits hinwieder wohl in acht, nicht zum zweiten Male auf eine ähnliche Weise der Gerechtigkeit zu verfallen! Wir würden ihr dann ungehindert ihren Lauf lassen und, nachdem du unsere gegenwärtige unverdiente Güte gemißbraucht hättest, wahrlich anderen an dir ein warnendes und abschreckendes Beispiel stiften.«

Pisti sagte den Richtern für die eine wie für die andere ihm erwiesene Gnade unendlichen Dank und schilderte ihnen, wie keineswegs eine vorbedachte Absicht ihn zu dem Morde des Riminesers angetrieben, wohl aber eine gewiß gerechte und unwillkürliche Erbitterung ihn dazu gereizt habe, in die er durch die höchst ungerechten Kränkungen versetzt worden sei, die jener auf öffentlichem Markte seiner eigenen Ehre und der Ehre seiner Gattin angetan habe. Was seine zukünftige Aufführung anlange, so verspreche er, diese so einzurichten, daß er von ihnen darum vielmehr zu beloben als zu bestrafen sei.

Seine Worte erregten das hohe Wohlgefallen seiner Richter, und sie bestärkten ihn in seinen guten Vorsätzen. Nachdem er nun aber für seine eigne Person ihre Huld und Milde erfahren hatte, wollte er doch auch versuchen, ob er von ihnen nicht für jenen Ehrenmann Gnade erwirken könne, der sein Leben so großherzig gegen seine eignen Söhne zuvor beschützt hatte. Er sprach zu ihnen: »Ihr edlen Herren! Die Erhabenheit eurer gegenwärtigen Handlungsweise gegen mich erweckt in mir den Mut, euch eine Gelegenheit zu geben, sie auch gegen einen anderen Schuldigen auszuüben, der ihrer noch würdiger sein mag als ich selbst. Ich lege nämlich hiermit eine demütige Fürbitte bei euch für einen Mann ein, dem ich die Erhaltung dieses meines Lebens verdanke, das mir eure Großmut heute wiedergeschenkt hat.«

Er erzählte ihnen hierauf, wie jener Edelmann, in dessen Macht es zwar gestanden, seine eigene Rückkehr in das Vaterland durch seine Auslieferung zu erkaufen, es doch vorgezogen hatte, in der Verbannung zu beharren, als seine Hände mit dem Blute eines Menschen, der ihn nie beleidigt, zu beflecken, und fügte schließlich nochmals die dringende Bitte hinzu, daß die Richter ihm dafür auch gnädig sein und ihm durch Aufhebung seines Bannes sein Verschulden verzeihen möchten.

Die Herren von Venedig zogen in Betracht, daß das Vergehen des Edelmanns, für den Pisti bat, kein großes war, und daß er es bereits durch die geraume Zeit, die er in der Verbannung zugebracht, gutenteils abgebüßt hatte. Und also willigten sie in den Wunsch des dankbaren Pisti um so lieber, als sie nun an diesem einen Tage Gelegenheit gefunden, ihre Milde in einem rechten Glanze und in ihrem vollen Umfange zu betätigen. Die ganze Stadt war darauf voller Freude und Fröhlichkeit, und es konnte nur etwa jener Hauptmann mit einem gewissen Rechte unzufrieden scheinen, weil er den Mörder allerdings vor Gericht geführt und dennoch Eugenia statt seiner dafür den Lohn erhalten hatte; aber es wurde ihm durch die schon angeführten Gründe dargetan, daß er sich irre, und nachdem er mit einem billigen Anteil an der Summe des Preises abgefunden worden, fand auch er sich zufriedengestellt.


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