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In der Stadt Ferrara, die zwar vielen andern Städten Italiens an Alter, keiner einzigen aber an innerem Werte und Berühmtheit nachsteht, teils wegen der Milde und Gerechtigkeit ihrer Beherrscher, teils wegen der Schönheit ihrer Lage, der Pracht ihrer Paläste, der Fruchtbarkeit des Landes, der Tugenden und Fähigkeiten der ausgezeichneten Geister, die in ihr blühten, lebte ein Jüngling namens Delio, von edler Familie und von guter Erziehung, der, als er kaum sieben Jahre alt war, anfing, in dem Hause eines Messer Gianni Mazzo, das der Wohnung seines Vaters schräg gegenüber lag, vertraut aus- und einzugehen. Es hatte dieser Edelmann eine reizende, anmutige Tochter von vierzehn Jahren, die, ich weiß nicht, ob wegen ihres eigentlichen Namens oder wegen der besonderen Reize, die man an ihr wahrnahm, von ihren Hausgenossen und der ganzen Nachbarschaft Dafne genannt wurde. Sooft nun Delio mit dieser Jungfrau sprach, scherzte sie mit ihm, angesehen daß er ein sehr artiger Knabe war, liebkoste ihn nach Mädchenweise und fragte ihn um dies und das. Delio stand zwar noch in zu frühem Alter, um das Feuer der Liebe in seiner Brust aufzunehmen, blieb aber doch immer gern bei ihr, scherzte gerne mit ihr, und wenn es einmal vorkam, daß die Jungfrau ihn in die Arme nahm, so meinte er eines Vorschmacks der Himmelsfreuden teilhaftig zu sein.
Während solchergestalt dieser Liebeshandel seinen Fortgang hatte, wuchs Delio zu dem Alter von vierzehn Jahren heran, und es ward aus dem kindlichen Wohlgefallen, das er an Dafne und ihrer Gegenwart empfand, in seinem Herzen allmählich eine so starke Leidenschaft, daß es vor krankhafter Sehnsucht nirgends mehr Ruhe fand als bei ihr. Er liebte und besuchte sie häufiger und heftiger als zuvor, und Dafne ging es ebenso, denn sie war für ihn entbrannt so gut als er für sie. Die beiden jungen Leute hielten nun zwar das Feuer in ihrer Brust verschlossen, aber doch merkten es die beiderseitigen Eltern. Deshalb wurde das Mädchen von den Ihrigen sorgfältiger als bisher gehütet, Delio aber fortan verboten, sie zu besuchen; und dies geschah nicht allein von Seiten des Mädchens, sondern auch von Seiten Delios. Denn sowie Delios Eltern fürchteten, die Liebe zu Dafne, die sie an ihm verspürten, möchte ihn von den philosophischen Studien abziehen, die sie ihn bereits hatten beginnen lassen, so begaben sie sich mit ihm auf einen zwölf Meilen von der Stadt entfernten Landbesitz und nahmen einen sehr geschickten Lehrer mit sich, damit er ihn auf dem bereits eingeschlagenen Pfade der Wissenschaft zu einem löblichen Ziele führe. Sie hielten dafür, durch Delios Entfernung von der Ursache seiner Liebe die ihn verzehrende Flamme erlöschen zu sehen.
Wie sich nun aber die Liebenden nicht nur der süßen Gewohnheit der Zwiesprache, sondern auch der Möglichkeit, sich zu sehen, beraubt fanden, gerieten sie beide wie außer sich selbst und kannten keinen Augenblick der Ruhe mehr, als den ihnen die Kunde gab, die eins vom andern vernahm. Ja, Delio, der jüngere, und der vielleicht minder fähig war, der geheimen Macht der Liebe Widerstand zu leisten, erkrankte so gefährlich, daß er nach Ferrara gebracht und ärztlichen Händen übergeben werden mußte, die sich mit größtem Eifer um seine Wiederherstellung bemühten. Aber weil das Heilmittel für seine Krankheit nicht im Bereiche der ärztlichen Kunst lag, schlugen auch die Arzneien nicht an.
Zu dieser Zeit sah Dafne, die um der Krankheit des Jünglings willen vielleicht ebenso großen Schmerz empfand wie der Leidende selbst, eines Tages von ungefähr einen zehnjährigen Bruder Delios, von dem sie hörte, daß weder sein Vater noch seine Mutter eben zu Hause sei, und dem sie deshalb ein Sträußchen Damaszenerrosen gab mit der Bitte, es seinem kranken Bruder von ihr zu bringen und ihm ihre herzlichen Grüße zu sagen. So einfältig der Knabe die Blumen von der Jungfrau nahm, so dienstfertig und liebreich trug er sie seinem Bruder hin. Als Delio das Geschenk sah, das ihm von derjenigen kam, von der sein Leben abhing, als er den Gruß hörte, den sie ihm sandte, fühlte er so innige Freude, daß der Geruch der Blumen und die Vorstellung dieser Liebesbezeugung seines Mädchens sein Befinden merklich besserten. Er ließ sich von seinem kleinen Bruder Schreibzeug reichen und dankte, so gut er konnte, in einem zärtlichen Briefe, den er mit zitternder Hand schrieb, dem Mädchen aufrichtig dafür, daß sie durch ihren Gruß und das Geschenk dieser schönen Blumen ihn wieder zum Leben geweckt habe; und in Ermangelung eines zuverlässigeren Boten gab er den Brief eben wieder dem Kinde zur Bestellung an das Mädchen. Er hatte dem Kleinen allerdings eingeschärft, den Brief niemandem zu übergeben als ihr. Das Schicksal wollte aber Delio auch in diesen geringen Trost sein Gift mischen: denn das unbefangene Kind trat zu dem Mädchen in das Zimmer, worin sie mit ihrer Mutter saß, hielt ihr den kleinen Zettel hin und sagte: »Nehmt, das sendet Euch mein Bruder.«
Die Jungfrau ward an der Seite ihrer Mutter feuerrot im Gesicht und wollte den Brief nicht nehmen. Als die Mutter dies sah, nahm sie ihn, las ihn, und da sie sah, woher er kam und was sein Inhalt war, erhob sie einen großen Lärm gegen ihre Tochter, zerriß ihn in deren Gegenwart, schalt den Knaben, der ihn ihr gebracht hatte, heftig aus und hätte ihn beinahe mit Schlägen fortgejagt. Der kleine Knabe lief zu seinem Bruder zurück, sagte ihm indessen kein Wort von dem erlittenen Ungemach, weil ihn seine erste Unachtsamkeit behutsam gemacht hatte, keine zweite zu begehen, und hinterbrachte ihm im Gegenteile, Dafne habe den Brief mit Freuden empfangen und empfehle sich seinem Andenken. Über diese Nachricht war Delio so sehr erfreut, daß er in kurzem seine Gesundheit wiedergewann. Und von dem Verlangen getrieben, die Jungfrau, in der seine Seele lebte, wiederzusehen, ließ er sich seine völlige Herstellung selbst so angelegen sein, daß er in wenigen Tagen imstande war, auszugehen und zu spähen, ob er seine Geliebte erblicke. Indem er nun nach diesem Tröste strebte, siehe, da kam, von Dafne abgesandt, ihre Amme auf ihn zu und erzählte ihm, was durch die Unbedachtsamkeit des Knaben vorgefallen sei, und wie Dafne aus diesem Grunde in so strengem Gewahrsam gehalten werde, daß sie noch nicht einmal so viele Freiheit gehabt habe, die Feder zu ergreifen, um ihm ihre Betrübnis schriftlich zu schildern. Es läßt sich nicht sagen, wie empfindlich den Jüngling diese Botschaft traf. Da ihm jeder persönliche Umgang mit seiner Geliebten benommen blieb, so verabredete er mit der Amme, ihr zu schreiben und sich brieflich das mitzuteilen, was sie bei der Hut, unter welcher die Jungfrau stand, einander nicht erzählen konnten. Indem sie nun so in geheimem brieflichen Verkehr ihre Liebesgluten hegten, ging eine geraume Zeit hin; und bei so großem Mißgeschick schien es ihnen eine große Erquickung in ihrer Qual, wenn sie Briefe von einander lesen durften.
Unterdessen hatte Messer Gianni die vollständige Gewißheit erlangt, Delios Vater hege durchaus nicht die Absicht, Dafne mit seinem Sohne zu verheiraten. Da diese nun bereits einundzwanzig Jahre alt geworden war, beschloß er, sie sogleich einem andern zur Frau zu geben. Er sprach daher hierüber mit seiner Tochter und setzte ihr mit vielen Gründen auseinander, sie könne unmöglich länger so bleiben, wie sie sei; er habe ihr schon einen ihrer würdigen Gatten ausersehen. Vater und Tochter hatten über diesen Gegenstand ein langes Zwiegespräch, bei dessen Ende das Mädchen dem Vater die Bitte vortrug, er möge ihr gestatten, noch eine Zeitlang bei ihm zu bleiben. Er erwiderte ihr aber, sie sei nicht dazu geboren, ihr ganzes Leben im elterlichen Hause zuzubringen, und bei reiflichem Nachdenken werde sie gewiß einsehen, daß er bloß auf ihr eigenes Beste Bedacht nehme. So verließ ihn Dafne, das Herz mit bitterem Leidwesen erfüllt, und suchte ihre Amme auf, bei der sie sich heftig über die Äußerungen ihres Vaters beklagte. Die Amme tröstete sie, so gut sie vermochte, indem sie ihr den Rat gab, in einem warmen und liebevollen Briefe Delio alles mitzuteilen, was ihr Vater gesagt hatte. Und so schrieb sie ihm denn und bat ihn inständig, da sie all ihr Glück auf ihn setze, möge er nicht zugeben, daß sie, um auf immer alle Freude zu verlieren, in die Hände eines andern komme, was, wenn er sie liebe, wie er ihr immer versichert habe, ihm nur zum größten Leidwesen gereichen müßte. Die Amme überbrachte dem Jüngling den Brief und fügte zu Dafnes feurigen Worten noch selbst alles dasjenige hinzu, was ihr geeignet schien, das Gemüt des Jünglings zu bewegen, auf die ehrbaren Wünsche Dafnes, die sie gesäugt und auferzogen hatte, einzugehen. Doch bedurfte es dazu nicht vieler Worte, denn Delio war nur allzusehr ebendazu geneigt. Er las den Brief der Geliebten, hörte die Worte der Amme an und erwiderte, Dafne sei seine Seele, ohne sie gebe es für ihn kein Gut auf Erden, und er hätte wohl gewünscht, daß es dem Himmel gefallen haben möge, daß auch sein Vater so gesinnt sei, denn er würde dann nicht gewartet haben, bis ihm von ihr Briefe und Botschaften zugekommen wären, die ihn dazu ermunterten, wonach über alles in der Welt seine Sehnsucht stehe. Da die Dinge nun aber gegenwärtig so weit gekommen seien, wie er sie erblicke, so werde er nicht unterlassen, alles mögliche zur Erfüllung ihrer beiderseitigen Wünsche zu tun.
Die Amme hatte ihn auch kaum verlassen, als der tief niedergeschlagene Delio einen seiner Verwandten, der bei seinem Vater in großem Ansehen stand, in sein Vertrauen zog und ihn bat, allen seinen Einfluß bei seinem Vater aufzubieten, daß dieser, nachdem er sich Dafne zur Ruhe seines Lebens erwählt, ihn nicht ihrer beraube, denn er würde sein Leben lang dadurch unglücklich werden. Der wackere Mann empfand Mitleid mit dem Jüngling und ging zu dem Vater, dem er mit aller möglichen Eindringlichkeit auseinandersetzte, was ihm Delio selbst vorgestellt hatte, und alle Gründe zu bedenken gab, die er für dienlich erachtete, um die Wünsche des Sohnes durchzusetzen.
Messer Christofano – so hieß Delios Vater – war ein gemäßigter, weiser und verständiger Mann, wie kein anderer in seiner Stadt. So liebreich er auch gegen seinen Sohn gesinnt war, meinte er doch nichtsdestoweniger, in dem, was sein wahres Wohl betreffe, weiter als er selbst zu sehen, und hatte fest beschlossen, das Mädchen nimmermehr als seine Schwiegertochter aufzunehmen. Er äußerte sich also, er liebe Delio über alles Maß, und wenn er mit ihm sprechen wolle, so werde er ihm in keinem Punkte entgegenstehen, wo er einsehe, daß es sich um seinen Nutzen oder um seine Ehre handle. Der ehrliche Fürsprecher berichtete dem Jüngling von dieser Unterredung Wort für Wort. Wiewohl er diese Äußerungen des Vaters als sehr liebevoll erkannte, so hoffte er dennoch nicht mehr als zuvor. Die Überzeugung jedoch, daß es mit ihm nicht schlimmer werden konnte, als es war, bestimmte Delio, die Unterredung zu versuchen. Er suchte sich daher die rechte Zeit und Gelegenheit aus, eröffnete mit der schuldigen Ehrerbietung dem Vater seine Absicht und verband damit die eindringlichsten Bitten, die er wußte, um seine Wünsche durchzusetzen. Der Vater hörte ihm ganz freundlich zu, und nachdem jener fertig war, begann er mit halb finsterem, halb heiterem Gesichte also: »Lieber Sohn, ich habe sehr wohl deine Wünsche verstanden; sie würden dir aber nicht so verständig vorkommen, wie du jetzt meinst, wäre dir erst eine weitere Einsicht in die Folgen gegönnt, welche diese deine jugendliche Lüsternheit zuletzt nach sich ziehen muß, und die gerade das Gegenteil dessen sind, was dir als dein höchstes Wohl erscheinen mag. Denn abgesehen davon, daß dein gegenwärtiges Alter vielmehr ein kindliches als ein zur Ehe taugliches zu nennen ist, und daß deine bereits aufs beste eingeleiteten Studien, zu einem glücklichen Ausgange gefördert, dir einen guten Ruf verschaffen und eine Frau von ganz anderem Stande verdienen können, als du jetzt verlangst, – gehe ich zu deiner Äußerung über, diese Jungfrau sei deine Ruhe und Zufriedenheit, so muß ich dir sagen, wofern dem also wäre, solltest du gewiß und wahrhaftig nicht nötig haben, mich mit Bitten zu bestürmen, daß ich sie dir zur Frau gebe. Aber eben weil ich klar sehe, was deine törichte Begierde dich nicht sehen läßt, weil sie dir das Auge des Geistes geblendet hat, erkläre ich dir, erkörest du Dafne zu deinem Weibe, so wäre es eben nichts anderes, als trautest du dir eine ewige Plage an. Denn betrachten wir zuvörderst die Beschaffenheit dieser Jungfrau, so ist es ein höchst unnatürlicher und ungewöhnlicher Fall, daß du dich in Liebe zu ihr entzünden mochtest, während du kaum dein fünfzehntes Jahr erreicht hast, sie aber eins weniger als zweiundzwanzig alt ist; so daß bei dem ersten Sohne, den sie dir gebären würde, ganz unzweifelhaft der Umstand einträte, daß sie viel mehr deiner Mutter als deiner Gattin ähnlich sehe; und wenn sie gar erst mehr als ein Kind von dir hätte, würde sie so welk werden, daß sie dir selbst unkenntlich würde und mit der nächsten Zeit nach der Sättigung deiner jugendlichen Lüste dir fürwahr so lästig fiele, daß du sie ungern dir entgegenkommen sähest. Ich selbst, mein lieber Sohn, nahm in meinem fünfundvierzigsten Jahre deine Mutter zur Frau, die damals noch nicht in ihrem achtzehnten Jahre stand, und mir will es scheinen, ich habe dies zur rechten Zeit getan, und als wäre sie eben alt genug für mich. Nun bedenke du wohl, was aus dir werden würde, wenn du in diesem deinem zarten Alter dieses Mädchen nähmest. Nächstdem nimmt man eine Frau zur Ruhe und Bequemlichkeit des Hauswesens; du weißt nun, wie wenig Dafne deiner Mutter behagt und wohlgefällt, und begreifst leicht, daß von zwei unvermeidlichen Dingen notwendig eines geschehen müßte, wenn sie deine Frau wäre: entweder gäbe es zwischen Schwiegertochter und Schwiegermutter stets Mißhelligkeiten und Zwist, eine Sache, die in dem zwischen deiner Mutter und mir obwaltenden Frieden eine Störung machen könnte, oder du trenntest dich mit deiner Frau von uns. Die Liebe aber, mit der ich dich erzogen und vor allen meinen andern Kindern bevorzugt habe, verdient meines Bedünkens nicht, daß du jetzt in diesem meinem Alter mich verläßt, da du ganz besonders derjenige bist, auf den ich als auf meine festeste Stütze meine Ruhe gebaut habe, – daß du mich verläßt, sage ich, um eines solchen Frauenbildes willen, das weder für das schönste noch für das edelste dieser Stadt gelten kann.«
Mit Tränen in den Augen endete hier der Greis seine Rede. Von der Ehrfurcht überwunden, die Delio gegen seinen Vater hegte, und gerührt von seinen letzten Worten, konnte er nicht anders als sagen, daß er zwar mit der geliebten Jungfrau sein höchstes Gut in diesem Leben verlieren werde, daß er sich aber den väterlichen Geboten eher als gehorsamer Sohn fügen werde, als Gründe anführen, die den von ihm gegebenen entgegenstehen könnten. Hier brachen sie die Unterredung ab. Indessen hatten Vater und Sohn noch viele ähnliche Gespräche über denselben Gegenstand; doch Delio versuchte sein Glück jedesmal ohne bessern Erfolg. Messere Gianni versprach seine Tochter einem andern Jüngling, und so wurde beiden Liebenden jede Hoffnung benommen, sich durch das Band der Ehe vereinigen zu können, was ihnen den bittersten Schmerz verursachte.
Als nun Dafne bereits verheiratet war, trug es sich zu, daß sie mit Delio auf einer Hochzeit zusammenkam, wo ihnen die Gelegenheit ward, lange miteinander zu sprechen. Daselbst sagte Delio: »Ich danke dem Glücke, Dafne, das mir heute nach so viel Widerwärtigkeiten, die es mir hat zustoßen lassen, die Gunst gestattet, Euch zu sehen und zu hören und mit Euch sprechen zu dürfen. Wenn auch mein Unglück und die Härte anderer bewirken konnten, daß ich Euch jetzt an eines andern Mannes Hand sehen muß, so wird es ihnen doch nimmermehr gelingen, weder mein Herz von Euch abzuwenden, noch Euer Bildnis, das in meine Brust eingegraben ist, zu verlöschen, noch mein eifrigstes Verlangen zu erkälten, Euch immer wohlgefällig zu sein; und es gereicht mir zum höchsten Tröste, einzusehen, daß mein Andenken bei Euch ebenso lebt, wie das Eurige in mir lebt und immer dauern wird, solange ich selbst lebe.«
Mit einem schweren Seufzer antwortete ihm Dafne: »Delio, du kannst aus freiem Willen erkennen, wie sehr es mich schmerzen muß, daß es zwischen uns zu einem solchen Gespräche kommen mußte. Da mich aber unser hartes und ungerechtes Geschick weder die Deinige sein noch dich besitzen läßt, so werde ich zwar zeitlebens elend bleiben; da aber die Pflicht der Keuschheit mich nötigt, dem anzugehören, der mir aufgezwungen worden, beschwöre ich dich bei aller Liebe, die ich immer für dich hegen werde, und bei dem Eifer für meine Ehre, den ich bei all deiner Liebe zu mir immer in dir wahrgenommen habe, daß es dir gefallen möge, weder meinem Gatten noch einem andern Menschen Veranlassung zum Argwohn zu geben: denn du würdest nur meinen Ruf beflecken und Zeit und Mühe vergeuden. Ich werde dich immerdar heben, aber fernerhin dir mit anderem Verlangen und für ein anderes Ziel als zuvor zugetan sein; denn damals liebte ich dich, weil ich dich zum Manne bekommen konnte; von nun an will ich dich lieben, als wärest du mein Bruder. Laß uns der Notwendigkeit uns fügen, Delio, und nichts anderes wollen und wünschen, als was mit meiner Ehre sich verträgt!«
Delio lobte Dafnes ehrbare Vorsätze, dankte ihr für ihre Zuneigung, und so endete ihre Unterredung. Die junge Frau lebte noch einige Monate mit ihrem Gatten, der sie viel schlechter behandelte, als er bei ihrer Güte und Sanftmut hätte verantworten können, ließ aber dessenungeachtet keinen Gedanken in sich aufkommen, der der Sittsamkeit zuwider gewesen wäre.
Um diese Zeit suchte eine schwere, grausame Pest nicht nur die Stadt Ferrara, sondern ganz Italien heim, und es erfolgte aus ihr an allen Orten unter den Menschen eine so große Sterblichkeit, daß es ein Graus und Entsetzen war, in den von Kranken und unseligen Leichen ganz überfüllten Städten zu sein. Auch Messer Christofanos Haus blieb damals von der verderblichen Seuche nicht unverschont, und obgleich er sich auf das Land begab und alle Vorkehrungen und Arzneien anwandte zur Heilung der Kranken und Bewahrung der Gesunden, vermochte er doch weder sich noch seine Frau noch alle seine Kinder vom Tode zu erretten. Auch Delio wurde von der Krankheit ergriffen, aber kam durch Gottes Gnade glücklich davon. Wie er nun eben nach Ferrara zurückkehrte und an das Tor der Stadt gekommen war, erblickte er Dafnes Amme, die er sogleich befragte, wie es um ihre Herrin stehe.
»O weh, Delio«, rief sie, »es geht so gar schlimm mit ihr, daß es mir das Herz zerbricht. Die Pest ist in ihrem Hause ausgebrochen; ihr Mann ist entflohen und hat sie ganz allein und hilflos zurückgelassen.«
Auf diese Worte warf der von Mitleid mit der Frau tief ergriffene Jüngling alle Rücksicht auf Todesgefahr beiseite, die er selbst mit seiner Familie jüngst erst überstanden hatte, und ebenso den Schauder vor den Todesfällen der Seinigen, die er mit angesehen: Dafnes Errettung ging ihm seiner eigenen und allem andern vor, und er eilte an ihr Haus. Nachdem er an die Türe geklopft, erschien Dafne, die allein im Hause war, am Fenster und meinte, wie sie Delio wahrnahm, einen Engel des Himmels zu sehen, der gesandt sei, ihr in ihrem Elende hilfreich beizustehen. Vom Fenster aus sprach sie weinend zu ihm: »Es ist so gekommen, Delio, wie ich immer meinte, daß es kommen müsse, wenn ich nicht dich zum Mann erhielte, daß ich nämlich die elendeste, unglücklichste Frau geworden bin, die auf Erden lebt. Denn ich Arme erfahre jetzt zu meinem unsäglichen Schmerz, daß es noch anderer Dinge bedarf als Ringe und goldener Ketten, um die Gattin dem Gatten in Liebe zu verbinden. Sobald mein Mann die Gewißheit ersehen hatte, daß sein Haus von der Krankheit angesteckt war, floh er von dannen und ließ mich hier ohne Hoffnung auf Unterstützung unter Tod und Graus allein.«
Hierauf erwiderte Delio, von unsäglichem Mitleid ergriffen: »Solange ich lebe, Dafne, soll man nicht sagen, daß Ihr verlassen gewesen seid; denn das Schicksal hat mich mehr, als mir lieb ist, gelehrt, Mitleid mit den Bedrängten zu haben, und so sollt Ihr denn auch von mir alles erhalten, was Ihr braucht.«
Dafne dankte ihm und legte ihm vor allem ihre Ehre ans Herz. Er gab ihr darauf sein Wort, das er noch mit einem Eide bekräftigte, und bat sie, ihm ihre Tür zu öffnen, damit er zu ihr hinaufkommen könne.
»Ich will nicht«, sagte Dafne, »daß du heraufkommst, ich komme vielmehr zu dir hinab.«
Bei diesen Worten zog sie das Seil und machte die Tür auf; Delio trat in den Hausflur, und die Unglückliche fing an die Treppen herunterzusteigen. Doch welch ein Unfall, der auch das härteste Herz rühren könnte, begab sich da! Die unglückliche Dafne hatte fast schon die unterste Treppenstufe erreicht, als eine Ohnmacht sie anwandelte. Ob ihr die plötzliche Freude über den Anblick Delios, der in ihrer größten Not zu ihrer Hilfe herbeieilte, die Adern erweitert und alles Blut nach ihrem Herzen gedrängt, oder ob ein Funke der Pest ihre edleren Lebensteile in der Aufregung ihres Blutes mit größerer Gewalt ergriffen haben mochte, bleibt ungewiß: wie tot sank sie hin und konnte sich nicht bewegen. Als Delio dies bemerkte, ging er ihr mit offenen Armen entgegen und sagte zu ihr: »O weh, meine teuerste Seele, was ist mit Euch?« Dafne, deren Geist fast schon ihren Körper verlassen hatte, antwortete nichts; aber sie wendete ihre vom Tode gebrochenen Augen nach ihm, als flehte sie mit jammervollem Blicke um Hilfe. Delio legte sie auf ein Bett nieder, das in einer Stube im Erdgeschosse stand, löste ihr vorn das Kleid auf, jammerte und weinte bitterlich und versuchte die schon entflohenen Lebensgeister zu ihrem Dienste zurückzurufen. Als er sich aber am Ende überzeugen mußte, daß sie tot sei, sprengten Wehklagen gewaltsam seine Zunge, und er rief aus, indem er ihren Körper fest mit seinen Armen umschloß: »Welch übergrausames Geschick, Dafne, zwingt mich jetzt, da ich dem Tode dich zu entreißen hoffte, dich tot in meine Arme fallen zu sehen? Warum hat mich der Himmel für solche Unglückseligkeit erhalten? Warum hat er mich nicht lieber mit den Meinigen zugleich sterben lassen? Warum läßt er mich dich also vor mir sehen, wie ich dich jetzt sehe?«
Er umarmte sie und drückte sie an sich und konnte nicht aufhören zu weinen und zu klagen. Zuletzt jedoch ermannte er sich aus seinem Schmerz und sprach: »Da ich nun, mein süßes Herz, nichts mehr für dich zu tun fähig bin, so liegt mir in diesem Äußersten nur noch die letzte Pflicht gegen dich nach Kräften zu erfüllen ob: ich will sorgen, daß diese Glieder, einst die würdige Herberge deiner edeln Seele, eine so würdige Bestattung finden, als die gegenwärtigen Zeitumstände irgend gestatten; eine angemessene Ehrenbezeugung aber behalte ich mir für bessere Verhältnisse vor.«
Nach diesen Worten kleidete er die Geliebte in ein schneeweißes Gewand, und da er in einem Fenster einen Topf mit blühenden roten Nelken hatte stehen sehen, brach er zwei der schönsten ab und steckte sie der Gestorbenen an den Busen mit den Worten: »Nimm diese Blumen, meine Freundin, an deine einst so schöne wie getreue Brust, zum Zeugnis des herben Andenkens, das mir, solange ich lebe, von dir bleiben soll!«
Hiernach ließ er sie vorläufig in einem ganz ausgepichten Sarge beerdigen, bis die Verhältnisse ihm gestatten würden, sie wieder ausgraben zu lassen. Nach Verlauf eines Jahres aber ließ er sie dem Kasten entnehmen und in der Gruft seiner Ahnen beisetzen, wo auch er dereinst seinen Leib bestattet haben wollte, damit bis zum Jüngsten Tage seine Gebeine mit den ihrigen vereinigt blieben und auf den Posaunenruf des Engels neues Fleisch annähmen und in unaufhörlicher Gemeinschaft der Seligkeit des Himmels sich erfreuten. Wunderbar genug waren die beiden Nelken, die Delio an den Busen Dafnes gesteckt hatte, unter dem Staube und unter dem Gebeine, das er aus dem Sarge hob, so frisch und blühend geblieben wie damals, als er sie dahin brachte. Als Delio dies bemerkte, nahm er sie hinweg und erhielt ihnen ihr Ansehen, solange es möglich war; danach legte er sie zu seinen teuersten Sachen, und darunter verwahrt er sie noch jetzt, so wie das unverlöschliche Bild seiner inniggeliebten Dafne ewig frisch in seinem Herzen lebt.