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Es lebte einmal zu Pomegliano ein gewisser Cola Jacovo, der Mann der Masella Cernecchia von Resina, ein von Krankheit geplagter, aber steinreicher Mann, der selbst nicht wußte, was er besaß, so daß er die Schweine frei herumlaufen ließ und es ihm niemals an Stroh mangelte. Obwohl er nun aber weder Kind noch Kegel hatte und das Geld mit Scheffeln maß, war er doch so knickerig, daß, man mochte ihn drehen, wie man wollte, man ihm dennoch nie auch nur einen roten Heller aus der Tasche lockte; dabei führte er nicht minder für seine eigene Person ein so kärgliches Leben, daß er aussah wie ein abgemagerter Hund, und alles dies, um nur ja recht viel beiseite zu legen und zu sparen. Es kam jedoch jedesmal, wenn er sich zu Tisch setzte, zu seinem großen Ärger und Verdruß, ein vertrackter Gevatter zu ihm ins Haus, der ihm keinen Schritt vom Leibe ging und der, als wenn er die Glocke im Leibe und die Uhr in den Zähnen hätte, sich immer gerade zur Eßzeit einstellte, zu schwatzen begann und mit grenzenloser Unverschämtheit sich wie eine Klette an ihn hing, dergestalt, daß er ihn auf keine Weise loswerden konnte; und so lange zählte er ihnen die Bissen in den Mund, tischte so lange Spaße und Schnurren auf, bis man zu ihm sagte: »Wenn's gefällig ist«; worauf er, ohne sich lange nötigen zu lassen, sich zwischen Cola Jacovo und seine Frau drängte und dann, als wenn er vor Hunger und Gier dem Tode nah, seine Eßlust wie ein Rasiermesser scharf geschliffen und er angehetzt wie ein Jagdhund wäre, ja, als hätte er einen Wolf im Leibe, und mit der geflügelten Schnelligkeit eines vom Gehöft fortgejagten Fuchses sogleich begann, die Hände zu rühren wie ein Pfeifer, die Augen umherzuwerfen wie eine wilde Katze und die Zähne in Tätigkeit zu setzen wie einen Mühlstein, wobei er Kaltes und Warmes hinunterschlang und ein Bissen nicht den andern erwartete. Wenn er sich nun die Backen gehörig gefüllt, den Wanst angestopft, seinen Bauch einer Trommel ähnlich gemacht, die Schüsseln bis auf den Boden geleert und alles reingefegt hatte, ergriff er einen Krug, saugte, trank, leerte, zechte und soff ihn in einem Zug bis auf den Grund aus und ging dann, ohne auch nur »Adje« zu sagen, seiner Wege, indem er Cola Jacovo und Masella mit einem langen Gesichte sitzen ließ. Da diese nun die Unverschämtheit des Gevatters sahen, der, wie wenn es in einen aufgetrennten Sack ginge, aß und fraß, schluckte und schlang, ausleerte, abräumte, einhieb, einlud, einwamste, einpackte, fortbrachte, verschwinden machte, vernichtete, zerstörte und verheerte dermaßen, daß nichts auf dem Tische blieb, so wußten sie nicht, wie sie sich diesen Blutigel, dieses Zugpflaster, dieses Hosenverunreinigungsmittel, diese Purganz, diese unverschämte Fliege, diese Filzlaus, diesen Folterstrick, dieses Überbein, diesen schweren Mietzins, diese immerwährende Abgabe, diesen Polyp, diesen Igel, diese Bürde, diesen Kopfschmerz vom Halse schaffen sollten, und nimmer wurde es ihnen so gut, daß sie einmal unbelästigt und ohne diese beschwerliche Zugabe, ohne diese endlose Beschwerde essen konnten, bis eines Tages Cola Jacovo erfuhr, daß der Gevatter sich an einen Beamten, der die Stadt verließ, gehängt hatte, und daher ausrief: »Gelobt sei der Himmel, daß wir endlich einmal nach hundert Jahren das Glück haben, ohne diesen Henkerknecht die Zähne rühren, die Backen in Trab bringen und einen Bissen unter die Nase stecken zu können; darum will ich mich einmal lustig machen und etwas draufgehen lassen, da man in dieser elenden Welt ja doch nur das genießt, was man durch die Gurgel jagt. Drum zünde rasch ein Feuer an, liebe Frau; denn da wir jetzt gerade freies Spiel haben und nach Herzenslust essen können, so will ich mir irgend etwas Leckeres, irgendeinen delikaten Bissen zugut tun.« Indem er dies sagte, lief er fort, um einen schönen Aal, ein Maß feines Weizenmehl und eine Flasche vom besten Wein einzukaufen, worauf er, nach Hause zurückgekehrt, während seine Frau voll geschäftiger Eile einen schönen Kuchen backte, den Aal selbst briet und sich dann, als alles fertig war, mit Masella zu Tisch setzte. Kaum aber hatten sie sich niedergelassen, so klopfte jemand an die Tür, und als Masella ans Fenster trat und den verwünschten Gevatter, den Störenfried ihrer behaglichen Ruhe, erblickte, sagte sie zu ihrem Manne: »Niemals, mein lieber Jacovo, kauft man doch ein Pfund Fleisch in der Fleischbank der menschlichen Freuden ohne die Knochenbeilage des Verdrusses; man schläft nie auf dem reinen Laken der Zufriedenheit ohne irgendeine Wanze des Ärgers; man trocknet niemals die Wäsche des Genusses ohne den Regen der Unannehmlichkeiten; so ist auch jetzt dieser bittere Bissen uns in die Schüssel gefallen, dieses Dreckessen uns in der Kehle steckengeblieben«; worauf Cola Jacovo alsbald erwiderte: »Verstecke rasch die Sachen, die auf dem Tisch stehen, hebe sie auf, nimm sie fort, schaffe sie weg, damit er sie nicht sieht, und dann öffne die Tür: denn wenn er das Nest leer findet, so wird er vielleicht klug genug sein, bald wieder fortzugehen und uns die paar Bissen Elend aufessen zu lassen.« Während nun der Gevatter die Sturmglocke läutete und Alarm schlug, schob sie den Aal in einen Schrank, die Flasche unter das Bett und den Kuchen zwischen die Kissen; Cola Jacovo aber kroch unter den Tisch und guckte durch ein Loch der Decke, welche bis auf die Erde hinabhing, unter demselben hervor. Der Gevatter hatte jedoch durch das Schlüsselloch alles, was in der Stube vorging, gesehen; er trat daher, sobald geöffnet wurde, mit angenommener Furcht und Bestürzung hinein und sprach, als Masella ihn fragte, was ihm wäre, folgendermaßen: »Während du mich durch dein langes Zaudern und Trödeln fast um alle Geduld brachtest und ich wie auf glühenden Kohlen stand, indem ich dich erwartete wie eine warme Semmel, damit du mir aufmachen solltest, kroch mir zwischen die Füße eine Schlange, die so furchtbar groß und häßlich war, daß mir noch die Haut schaudert; stelle dir vor, sie war so groß wie der Aal, den du in den Schrank gesetzt hast. Da ich mich nun so in einer so bösen und gefährlichen Lage sah und vor Furcht zitterte, vor Angst bebte und vor Schreck klapperte, hob ich einen Stein auf, der ungefähr so groß war wie die Flasche unter dem Bette, warf ihn der Schlange an den Kopf und machte so einen Kuchen wie der dort zwischen den Kissen; wobei das Untier im Sterben mich anstierte wie der Gevatter da unter dem Tische, so daß mir vor Schreck und Entsetzen alles Blut erstarrt ist.«
Bei diesen Worten konnte Cola Jacovo sich nicht länger halten, denn diese Dosis dünkte ihm doch zu stark; er steckte daher den Kopf unter der Decke hervor, wie ein Hanswurst, der sich auf der Bühne zeigt, und sprach also zu dem Gevatter: »Wenn die Sachen so stehen, dann hört alles auf! Jetzt habe ich es dick, jetzt komm mir nicht wieder so, jetzt bleibe mir ja vom Leibe! Wenn du etwas zu fordern hast, so verklage mich; wenn ich dir ein Unrecht getan habe, so mache einen Prozeß anhängig; wenn du dich beleidigt glaubst, so vergelte mir Gleiches mit Gleichem; wenn ich dir zu nahe getreten bin, so mache es ebenso, und wenn du dich revanchieren willst, so blase mir den Hobel aus oder tue sonst noch was! – Was für ein Benehmen, welch eine Art und Weise ist denn das von dir? Es scheint wahrhaftig, du hast alle Scham vergessen und willst dir das Unsrige mit Gewalt aneignen; du hättest mit dem Finger zufrieden sein und nicht die ganze Hand nehmen sollen; denn jetzt sieht es wirklich schon aus, als ob du uns durch dein unausstehliches Betragen aus dem Hause jagen wolltest! Freilich sagt man: ›Schamlos tut, was er will,‹ aber auch: ›Wer selbst nicht klug ist, wird klug gemacht, und wenn es dir anMitteln dazu fehlt, so haben wir Knittel und Knüppel genug; kurzum, du weißt ja, daß man sagt: ›Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil‹, und ›Jeder Hahn bleibe auf seinem Mist‹; darum lasse uns ungeschoren! Denn wenn du etwa glaubst, von heute ab das alte Lied fortsetzen zu können, so läufst du dir deine Füße vergeblich ab; du bringst nichts zuwege, verlierst nur Hopfen und Malz und bist am Ende, wo du am Anfang gewesen bist; wenn du dir einbildest, immer so bei mir im Warmen zu sitzen wie bisher, so irrst du dich gar sehr: du hast deinen Teil dahin, mit dir ist es vorbei, und du mußt dir diese Gedanken schon vergehen lassen; wenn du denkst, mein Haus ist ein offenes Wirtshaus für deinen unersättlichen Hals, damit er so viel zechen und schlucken kann, als er will, so entschlage dich dieser Hoffnung, laß fahren diesen Irrtum: deine ganze Mühe ist verloren, es ist alles anders und keine Hoffnung mehr vorhanden; doch ist es deine eigene Schuld; du hattest einen Tölpel gefunden, den du wie eine Taube rupftest, hattest einen Esel angetroffen, dem du die Augen auswischtest, und lebtest mit einem Wort wie im Schlaraffenlande; jetzt aber geh deiner Wege: wir sind geschiedene Leute, dieses Haus ist für dich nicht mehr vorhanden, wir haben nichts mehr miteinander zu schaffen; denn du bist ein Schmarotzer, ein Brotvernichter, ein Tafeldieb, ein Küchenleerer, ein Topfausräumer, ein Tellerlecker, ein Nimmersatt, ein Kloak, der du eine wahre Freßsucht, einen wahren Heißhunger, einen Wolf und einen bodenlosen Abgrund im Leibe hast, der du einen Esel verschlucken, ein Schiff verschlingen und einen Bären verputzen könntest, den heiligen Gral nicht verschonen würdest, dem weder Tiber noch Po genügen und der sich selbst auffressen möchte; gehe nur dem nach, was dir zukommt, gehe Kloaken ausräumen, Lumpen auf den Kehrichthaufen aufklauben, Nägel in den Rinnsteinen suchen, Wachs bei Begräbnissen aufsammeln und Abtritte ausfegen; meinem Hause aber komme ja nicht wieder nahe: denn jeder hat seine eigenen Leiden, jeder hat mit sich selbst zu schaffen, und jeder weiß am besten, wo ihn sein Schuh drückt. Auch brauchen wir deine lahmen Witze, deine hinkenden Geschichtchen, deine abgedroschenen Späße gar nicht länger und wollen durchaus nichts mehr von dir wissen; darum mußt du nun schon einmal diesen Bissen fahren lassen. Du lockerer Vogel, du Tagedieb, du Bärenhäuter, du Faulpelz, arbeite lieber, lerne ein Handwerk und suche dir einen Meister!«
Als der arme Gevatter diesen unaufhaltsamen Wortstrom, dieses Aufplatzen des Geschwüres, diese Krämpelei ohne Krämpel empfand, so zitterte und bebte er wie ein auf der Tat ertappter Dieb, wie ein verirrter Wanderer, wie ein verunglückter Schiffer, wie eine Hure, die ihren Kunden verloren, und wie ein Kind, das sich verunreinigt hat, und ohne daß er wagte, den Mund aufzutun, schlich er sich davon mit gesenktem Kopf, mit dem Kinn auf der Brust, mit Tränen in den Augen, mit tropfender Nase, mit klappernden Zähnen, mit leeren Händen, mit beklommenem Herzen, wie ein abgebrühter Pudel still und stumm, ohne auch nur zu mucksen oder sich umzudrehen, indem ihm das bewährte Sprichwort einfiel: »Ungeladene Gäste setzt man unter den Tisch.«