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Als Kaiser Maximilian der Große, dieser seltene Spiegel der Ritterlichkeit, Großmut und hoher Gerechtigkeit, das römische Reich mit so vielem Glücke beherrschte, schickte er seine Diener aus, um die Provinzen zu verwalten, die unter seinem Szepter blühten. So trug er unter andern die Statthalterschaft über Innsbruck dem Juriste auf, einem Manne, der sein Vertrauen und seine Liebe besaß. Ehe dieser dahin abging, sprach der Kaiser zu ihm: »Juriste, ich habe, seit du in meinen Diensten stehst, eine so günstige Meinung von dir gefaßt, daß ich beschlossen habe, dir die Verwaltung einer so edeln Stadt wie Innsbruck zu übertragen. Über ihre Verwesung hätte ich dir vielerlei Dinge anzuempfehlen; ich fasse aber alles in die eine Anweisung zusammen, daß du die Gerechtigkeit unverletzlich handhaben mögest, solltest du auch gegen mich selber, der ich dein Herr bin, zu entscheiden haben. Wisse nämlich, daß ich dir alle andern Fehltritte, die du aus Unkenntnis oder auch aus Nachlässigkeit begehen könntest (obgleich es mein Wille ist, daß du auch diese nach allen Kräften vermeidest), vergeben könnte; aber für ein Vergehen wider die Gerechtigkeit würdest du niemals bei mir Vergebung finden. Fühlst du nun vielleicht, daß du nicht also bist, wie ich dich wünsche – denn ein Mensch ist nicht zu allem gut –, so enthalte dich, diese Würde anzunehmen, und bleibe lieber hier am Hofe in deinen gewohnten Beschäftigungen, in denen du mir wert bist; denn indem ich dich zum Statthalter dieser Stadt mache, habe ich dir eine Gnade erwiesen, die ich nur mit großem Widerwillen und aus Rechtsgefühl dann zurücknehmen müßte, wenn du die Gerechtigkeit verletztest.«
Hier schwieg der Kaiser still, und Juriste, der sich viel weniger selbst kannte, als über das ihm zuerteilte Amt erfreut war, dankte seinem Gebieter für sein huldreiches Andenken und sagte zu ihm, er fühle sich zwar schon durch sich selbst zur Ausübung der Gerechtigkeit angetrieben; er werde sie aber nun um so strenger beobachten, da seine Worte ihm als Fackel dienen müssen, die ihm auf dem Wege der Erfüllung seiner Pflichten vorleuchte. Er wolle sich Mühe geben, sein Amt so zu verwalten, daß Seine Majestät nur Veranlassung haben werde, ihn zu loben.
Der Kaiser nahm Juristes Worte wohlgefällig auf und sagte: »Gewiß werde ich nur Ursache haben, dich zu loben, wenn deine Handlungen so gut ausfallen wie deine Worte.«
Er ließ ihm darauf den schon ausgefertigten Bestallungsbrief einhändigen und entließ ihn nach seinem Bestimmungsort.
Juriste begann die Stadt mit Umsicht und Eifer zu beherrschen, ließ es sich sehr wichtig und angelegen sein, überall die Waage gerade zu halten, ebensowohl in den Gerichten als bei Verteilung von Ämtern, in Belohnung der Tugend und Bestrafung des Lasters. Und lange Zeit gewann er durch solche Mäßigung die größte Gunst seines Herrn und erwarb sich die Liebe des ganzen Volkes, so daß er in der Tat glücklich zu preisen gewesen wäre, wenn er seine Amtsführung auf diese Weise fortgesetzt hätte. Da geschah es jedoch, daß ein Jüngling namens Vico einer jungen Bürgerin aus Innsbruck Gewalt antat und deshalb bei Juriste angeklagt wurde. Dieser ließ ihn alsbald festnehmen, brachte ihn zum Geständnis, daß er die Jungfrau genotzüchtigt habe, und verurteilte ihn nach dem Gesetz jener Stadt, welches dahin lautet, daß einem Schuldigen dieser Art der Kopf abzuschlagen sei, selbst wenn er geneigt wäre, die Entehrte zu heiraten.
Der Jüngling hatte eine Schwester, eine Jungfrau von nicht über achtzehn Jahren, die mit einer ungemeinen Schönheit ausgestattet war und in ihrer Rede wie in ihrem ganzen Auftreten einen süßen Liebreiz kundgab, den ihre jungfräuliche Reinheit noch erhöhte. Epitia, so war ihr Name, wurde von dem bittersten Schmerze durchdrungen, als sie das Todesurteil ihres Bruders vernahm, und beschloß, sie wolle sehen, ob sie, wo nicht den Bruder befreien, so doch seine Strafe mildern könne. Sie hatte zugleich mit ihrem Bruder den Unterricht eines alten Mannes genossen, den ihr Vater ins Haus genommen hatte, um sie beide in der Philosophie zu unterweisen, von der freilich ihr Bruder keinen guten Gebrauch gemacht hatte. Sie ging also zu Juriste und bat ihn, Erbarmen mit ihrem Bruder zu haben, wegen seines zarten Alters (denn er war noch nicht über sechzehn Jahre alt), das ihn entschuldbar mache, wegen seiner geringen Erfahrung und wegen des heftigen Triebes, womit die Liebe ihn aufgestachelt. Sie setzte ihm auseinander, wie es die Ansicht der größten Weisen sei, daß der Ehebruch, der aus Drang der Leidenschaft begangen werde und nicht darum, um den Gatten der Frau zu beschimpfen, geringere Strafe verdiene, als wenn man ihn aus beleidigender Absicht verübe; dasselbe gelte von dem Falle ihres Bruders, der nicht um zu beschimpfen, sondern von glühender Liebe gedrängt das getan habe, um deswillen er verurteilt worden sei; überdies wolle er ja sein Vergehen im wesentlichen dadurch wiedergutmachen, daß er das Mädchen zu heiraten geneigt sei; wenn auch das Gesetz vorschreibe, daß dies Jungfernschändern nichts helfen solle, so könne ja er als ein kluger Mann diese Strenge mildern, die eher ein Unrecht als Gerechtigkeit in sich schließe; denn er sei ja vermöge der vom Kaiser ihm übertragenen Gewalt das lebendige Gesetz, und sie sei der Ansicht, daß Seine Majestät ihm solche Gewalt dazu verliehen habe, daß er sich bei aller Unparteilichkeit lieber gnädig als hart erweise; und wenn je in einem Falle Milde anwendbar sei, so sei dies bei Vergehen der Liebe, vorzüglich dann, wenn die Ehre der Geschwächten gerettet werde, wie dies hier bei ihrem Bruder der Fall sei, der vollkommen bereit sei, sie zur Frau zu nehmen; sie glaube, jenes Gesetz sei mehr der Abschreckung wegen gegeben, als um es in Vollzug zu setzen: denn es dünke sie grausam, ein Vergehen mit dem Tode zu strafen, das zur Genugtuung des gekränkten Teils auf ehrenvolle und gottgefällige Weise wiedergutgemacht werden könne.
Mit diesen und vielen andern Gründen suchte sie den Juriste zu überreden, daß er dem Verbrecher verzeihe. Juriste, dessen Ohr die süße Stimme und Rede der Epitia ebensosehr ergötzte, als ihre seltene Schönheit seinen Augen wohlgefiel, konnte sich nicht satt an ihr hören und sehen und veranlaßte sie, ihm ihre Gegenvorstellungen noch einmal zu wiederholen. Die Jungfrau, die dies als ein gutes Zeichen ansah, sagte dasselbe noch einmal und noch viel eindringlicher als zuvor. Die Anmut, womit Epitia sprach, und der Zauber ihrer Schönheit entwaffnete ihn völlig. Von heftigem Sinnenreiz ergriffen kam er auf den Gedanken, sich desselben Verbrechens an ihr schuldig zu machen, um dessenwillen er Vico zum Tode verurteilt hatte.
»Epitia«, sprach er zu ihr, »deine Bitten haben es deinem Bruder ausgewirkt, daß die Vollziehung des Urteils, nach dem er schon morgen den Kopf verlieren sollte, so lange verschoben bleiben soll, bis ich die Gründe erwogen habe, die du mir vorgetragen hast. Wenn ich sie so beschaffen finde, daß ich dir deinen Bruder freigeben kann, so gebe ich dir ihn um so lieber zurück, als es mich schmerzen würde, ihn zum Tode führen zu sehen um der Strenge des Gesetzes willen, das eine solche Härte bestimmt.«
Diese Worte gaben Epitia frohe Hoffnung; sie dankte ihm vielmals, daß er sich ihr so gnädig erwiesen habe, und beteuerte, ihm ewig dafür verpflichtet bleiben zu wollen; denn sie erwartete, er werde sich in Befreiung ihres Bruders ebenso gefällig finden lassen, als er sich in Vertagung des Endziels seines Lebens gefällig erwiesen hatte. Sie fügte hinzu, sie hege das festeste Vertrauen, das, was sie gesprochen, werde ihn bei näherer Erwägung bestimmen, ihren Wunsch durch Freilassung ihres Bruders ganz zu erfüllen; worauf er erwiderte, er werde ihre Gründe erwägen, und wenn er es ohne Beleidigung der Gerechtigkeit tun könne, nicht ermangeln, ihrem Wunsch zu willfahren. Mit der schönsten Hoffnung verließ ihn Epitia, begab sich zu ihrem Bruder und erzählte ihm ausführlich, welchen Schritt sie bei Juriste getan und welche Hoffnungen sie aus seinen Äußerungen entnehmen zu dürfen glaube. In so bedrängter Lage vernahm Vico dies mit Freuden, bat sie, nicht abzulassen, seine Befreiung nachzusuchen, und die Schwester gelobte ihm ihre nachdrücklichste Verwendung.
Juriste, dem sich die Gestalt des Mädchens in die Seele geprägt hatte, dachte in seiner Lüsternheit nur daran, Epitia zu genießen, und erwartete daher mit Ungeduld ihre Wiederkunft. Epitia ließ drei Tage vergehen und erschien darauf wieder bei Juriste mit der bescheidenen Frage, was er beschlossen habe. Sobald Juriste sie erblickte, fühlte er sich ganz Feuer und Flammen und sprach: »Sei mir willkommen, schönes Mädchen! Ich habe nicht ermangelt, die Gründe, womit du deinen Bruder gegen mich verteidigtest, indes nochmals zu erwägen, ja, ich habe sogar deren neue aufgesucht, um dich zufriedenzustellen. Aber leider habe ich mich überzeugen müssen, daß ihm alles nur den Tod zuspricht, da nach dem allgemeinen Gesetze kein Mensch, der nicht ohne Vorwissen, sondern nur aus Unwissenheit sündigt, Entschuldigung finden kann; denn er hätte wissen sollen, was alle Menschen ohne Unterschied wissen müssen, um rechtlich zu leben, und wer aus einer solchen Unwissenheit fehlt, verdient weder Entschuldigung noch Mitleid. Dein Bruder ist in diesem Falle: er mußte wissen, daß das Gesetz einem Jungfrauenschänder den Tod zuerkennt; er muß also sterben, und ich kann ihm von Rechts wegen keine Gnade angedeihen lassen. Allerdings wünschte ich dir zu Gefallen alles mögliche zu tun, und wenn du daher, da du deinen Bruder so sehr liebst, dich dazu verstehen wolltest, dich mir zu ergeben, so wäre ich gern bereit, ihm das Leben zu schenken und sein Todesurteil in eine mildere Strafe zu verwandeln.«
Epitia stieg auf diese Worte das Blut ins Gesicht, und sie sagte zu ihm: »Das Leben meines Bruders ist mir allerdings viel wert, aber weit teurer ist mir doch meine Ehre, und ich wollte meinen Bruder lieber mit dem Verluste meines Lebens als mit dem meiner Ehre erretten. Darum steht ab von diesem Eurem unehrbaren Gedanken! Kann ich aber auf andere Weise als dadurch, daß ich mich Euch hingebe, meinem Bruder das Leben retten, so werde ich das gerne tun.«
»Einen andern Weg«, sagte Juriste, »gibt es nicht, als den ich dir bezeichnet habe. Auch solltest du dich nicht so spröde gegen mich beweisen, da es sich leicht fügen könnte, daß ich dich infolge unserer ersten Zusammenkünfte zu meiner Frau erköre.«
»Ich will meine Ehre nicht in Gefahr bringen«, erwiderte Epitia.
»Wieso in Gefahr?« fragte Juriste. »Vielleicht bist du so beschaffen, daß du dir nicht vorstellst, es werde gut gehen? Denke hübsch darüber nach! Ich erwarte deine Antwort morgen.«
»Die Antwort gebe ich Euch auf der Stelle«, erwiderte sie; »denn wenn Ihr mich nicht zur Frau nehmt, da Ihr doch wollt, daß die Befreiung meines Bruders hiervon abhängen soll, so ist alles in den Wind gesprochen.«
Juriste versetzte nochmals, sie solle die Sache erwägen und ihm morgen ihren Entschluß zu wissen tun, wobei sie auch reiflich überlegen möge, wer er sei, welche Macht er hierzulande besitze, und wie nützlich er nicht nur ihr werden könne, sondern jedem, dem er wohlwolle, denn er habe hier Recht und Gewalt in Händen. Epitia ging höchst bestürzt von ihm zu ihrem Bruder, dem sie hinterbrachte, was zwischen ihr und Juriste vorgefallen, und schloß damit, sie wolle ihre Ehre nicht verlieren, um ihm das Leben zu retten. Sie bat ihn unter Tränen, sich vorzubereiten, das Los geduldig hinzunehmen, das ihm das Verhängnis oder sein ungünstiger Zufall bereite. Da begann Vico plötzlich heftig zu weinen und seine Schwester zu bitten, sie möge ihn nicht sterben lassen, da sie doch auf die von Juriste vorgeschlagene Weise ihn befreien könne.
»Willst du denn, Epitia«, sprach er, »mir das Henkerbeil am Halse und den Kopf von diesem Körper abschlagen sehen, den derselbe Leib wie dich getragen, derselbe Vater erzeugt hat? Willst du mich, der bisher mit dir aufgewachsen ist und denselben Unterricht mit dir genossen hat, vom Henker zu Boden geworfen sehen? O meine Schwester, laß die Stimme der Natur, des Blutes und der Liebe, die stets zwischen uns waltete, dich bewegen, mich, da es ja in deinen Kräften steht, von einem so jämmerlichen und schändlichen Ende zu befreien! Ich habe gefehlt, ich gestehe es; du, Schwester, die meine Fehler wiedergutmachen kann, sei nicht karg mit deiner Hilfe! Hat dir Juriste gesagt, daß er dich zur Frau nehmen könne, warum willst du es nicht für möglich halten, daß es geschehe? Du bist sehr schön, mit allen Reizen begabt, womit die Natur eine Edelfrau schmücken kann; du bist von guter Familie und anmutig, besitzest eine wunderliebliche Art dich auszudrücken, lauter Vorzüge, die dich samt und sonders dem Kaiser der ganzen Welt, geschweige dem Juriste, wünschenswert machen müssen. Du hast also nicht Grund, zu fürchten, daß Juriste zögern werde, dich zum Weibe zu nehmen, und so ist deine Ehre gesichert und zugleich deines Bruders Leben gerettet.«
Vico weinte bei diesen Worten, und mit ihm weinte Epitia, die Vico umarmt hielt und nicht eher wieder losließ, bis sie, von den Tränen des Bruders gerührt, ihm versprach, sich seinem Rate gemäß dem Juriste hinzugeben, wenn dieser ihm das Leben schenke und sie in der Hoffnung befestige, daß er sie zum Weib nehme. Als dies unter ihnen beschlossen war, begab sich die Jungfrau am folgenden Tage zu Juriste und sagte ihm, die Aussicht, die er ihr eröffnet habe, nach den ersten Zusammenkünften sein Weib zu werden, und der Wunsch, den Bruder nicht nur vom Tode, sondern von aller Strafe, die er durch sein Vergehen verwirkt haben könne, zu befreien, hätten sie zu dem Entschluß gebracht, sich ganz seiner Willkür zu überlassen; aus beiden Rücksichten sei sie also bereit, sich ihm hinzugeben; vor allem aber bestehe sie darauf, daß er ihr das Leben und die Freiheit ihres Bruders verspreche. Juriste hielt sich für den glücklichsten der Menschen, daß er ein so schönes und reizendes Mädchen genießen solle, und sagte ihr, er mache ihr jetzt dieselben Hoffnungen, die er ihr neulich gemacht habe, und der Bruder solle ihr den Morgen, nachdem sie mit ihm zusammengewesen wäre, freigegeben werden. Nachdem sie zusammen zu Nacht gespeist, begaben sich Juriste und Epitia zu Bett, wo der Niederträchtige sich vollkommen an dem Mädchen ersättigte. Ehe er sich aber mit der Jungfrau zur Ruhe begeben, hatte er, statt Vico freizulassen, Befehl gegeben, ihn sogleich zu enthaupten.
Das Mädchen konnte vor Begierde, ihren Bruder frei zu sehen, das Erscheinen des Tages kaum erwarten, und nie hatte ihr die Sonne so säumig geschienen, den Tag heraufzuführen, als in dieser Nacht. Als es hell wurde, entwand sich Epitia den Armen des Juriste und bat ihn mit den zärtlichsten Worten, daß er die Hoffnung, die er ihr gegeben, sie zum Weibe zu nehmen, erfüllen und vor allem ihr den Bruder frei zuschicken möge. Er antwortete ihr, er habe in ihrer Umarmung volle Freude genossen und sehe also gern, wenn sie die Hoffnung nähre, die er ihr gegeben habe; den Bruder werde er ihr ins Haus schicken. Nach diesen Worten ließ er den Gefangenwärter kommen und sprach: »Geh in den Kerker und hole den Bruder dieser Frau und bring ihn in ihre Wohnung!«
Als Epitia dies hörte, begab sie sich voller Freuden nach Hause und erwartete ihren Bruder. Der Kerkermeister ließ den Leichnam des Vico auf eine Bahre heben, legte ihm das Haupt unter die Füße, spreitete ein schwarzes Tuch darüber und ließ ihn nach Epitias Hause tragen; er selbst schritt dem Zuge vorauf. Da sie ins Haus traten, ließ er das Mädchen rufen und sprach: »Dies ist Euer Bruder, den Euch der Herr Statthalter aus dem Gefängnis freigibt.«
Mit diesen Worten ließ er das Tuch wegziehen und zeigte ihr den Bruder in dem Zustande, wie ihr vernommen habt. Kaum möchte eine Zunge imstande sein, es auszusprechen, oder ein menschliches Gemüt, es zu fassen, welcher Schmerz und welcher Schrecken über Epitia kam, indem sie jetzt ihren Bruder auf diese Weise getötet erblickte, den sie erwartet hatte, mit frohlockendem Herzen sobald als lebend und frei von jeder Pein begrüßen zu können, und gewiß nehmt auch ihr, meine Damen, an, daß der Schmerz der Unglücklichen so groß war, daß er jede Art von Entsetzen übertraf. Dennoch verschloß sie alles in ihrem Herzen, und wo jedes andere Weib geweint und geschrieen haben würde, blieb sie, die von der Philosophie gelernt hatte, wie der menschliche Geist in jeder Lage beschaffen sein müsse, scheinbar ruhig und zufrieden. Sie sagte zu dem Kerkermeister: »Hinterbringe deinem und meinem Herrn wieder, daß ich meinen Bruder annehme so, wie es ihm gefallen hat, ihn mir zu senden, und daß es mir, da er meinen Willen nicht habe tun wollen, recht sei, den seinigen erfüllt zu haben, den ich zu dem meinen mache, insofern ich glauben will, er habe an dem, was er getan, eben recht gehabt. Empfiehl mich ihm mit der Versicherung, daß ich zu jeder Zeit bereit sei, ihm du dienen!«
Der Kerkermeister meldete Juriste Wort für Wort, was Epitia ihm für ihn aufgetragen, und berichtete ihm, daß sie bei dem entsetzlichen Anblicke auch nicht das mindeste Zeichen von Unmut habe blicken lassen. Juriste freute sich, als er das hörte, in seinem Innern sehr und ward der Meinung, das Mädchen möchte ihm wohl nach wie vor ihren Besitz gestatten, als wenn sie seine Frau wäre und er ihr Vico lebendig zurückgegeben hätte.
Sowie der Kerkermeister fort war, hub Epitia an, über ihren toten Bruder bitterlich zu weinen und lange und schmerzliche Klage zu erheben. Sie verwünschte Juristes Grausamkeit und ihre eigene Einfalt, daß sie sich ihm vor der Befreiung ihres Bruders ergeben. Nachdem sie lange geweint, ließ sie den Leichnam zur Erde bestatten und zog sich darauf selbst in ihre einsame Kammer zurück, wo sie, von gerechtem Unwillen erregt, zu sich sagte: »Also willst du es ruhig dulden, Epitia, daß dieser Schurke dir deine Ehre geraubt und er dir dafür den Bruder lebend freizugeben versprochen, danach aber ihn dir tot in so jämmerlicher Verunstaltung dargebracht hat? Willst du es ruhig dulden, daß er sich doppelten Betrugs, den er an deiner Einfalt begangen, rühmen könne, ohne daß er dafür von dir die gebührende Züchtigung erhält?«
Mit solchen Worten feuerte sie sich zur Rache an und sagte weiter: »Meine Einfalt hat diesem Bösewichte den Weg gebahnt, das Ziel seiner schändlichen Wünsche zu erreichen. Seine Lüsternheit soll mir nun das Mittel zu meiner Rache an die Hand geben; und wenn auch die Rache mir nicht das Leben meines Bruders zurückgibt, so soll sie mir doch das Gemüt erleichtern helfen.«
Bei solcher Aufregung bestärkte sie sich in diesem Gedanken immer mehr und wartete nur darauf, daß Juriste sie von neuem zu sich bescheiden lassen werde, um bei ihr zu schlafen. Für diesen Fall hatte sie beschlossen, heimlich ein Messer mit sich zu nehmen und ihn wachend oder schlafend, sobald sich die Gelegenheit dazu darböte, zu ermorden; ja, wenn es irgend möglich wäre, wollte sie ihm den Kopf abschneiden, diesen auf das Grab ihres Bruders tragen und seinem Schatten weihen. Nachher dachte sie der Sache freilich auch wieder reiflicher nach und sah ein, daß, wenn es ihr selbst gelänge, den Schuldigen zu töten, doch mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen sei, daß man sie ein ehrloses Weib nennen und glauben werde, sie habe diese Tat viel mehr aus Bosheit und Eifersucht vollbracht, als weil er so treulos an ihr gehandelt. Da ihr nun die große Gerechtigkeitsliebe des Kaisers wohlbekannt war, der sich damals zu Villach aufhielt, so beschloß sie, zu ihm zu gehen und sich bei Seiner Majestät über die Undankbarkeit und Ungerechtigkeit Juristes gegen sie zu beklagen, in der festen Überzeugung, der so gnädige und gerechte Kaiser werde dem Bösewicht den verdienten Lohn für seine Ungerechtigkeit und Undankbarkeit erteilen.
In Trauerkleider gehüllt, trat sie heimlich und ohne Begleitung den Weg zu Maximilian an, bat um ein Gehör, und als es ihr gewährt wurde, warf sie sich ihm zu Füßen und sprach mit klagender Stimme und der ganzen Haltung einer Tiefgebeugten: »Erhabenster Kaiser, es führt mich vor Eure Majestät der arge Verrat und die unglaubliche Ungerechtigkeit, die Juriste, Eurer kaiserlichen Majestät Statthalter zu Innsbruck, an mir verübt hat; ich habe die Hoffnung, Ihr werdet die Gerechtigkeit, die nie einem Unglücklichen versagt blieb, auch hier auf eine Weise üben, daß dieser Juriste, über den ich mich des beispiellosen Unrechts wegen, das er mir getan hat, unermeßlich zu beklagen habe, nicht triumphieren dürfe, mich so jämmerlich erwürgt zu haben: Entschuldige Eure Majestät dieses Wort, das, so stark es auch scheint, doch der grausamen und unerhörten Schande nicht gleichkommt, die mir dieser Bösewicht zugefügt, der sich zugleich höchst ungerecht und höchst treulos an mir erwiesen hat.«
Hierauf erzählte sie dem Kaiser unter vielen Tränen und Seufzern, wie Juriste unter der Vorspiegelung, sie ehelichen und ihr ihren Bruder freigeben zu wollen, ihr Magdtum geraubt und dann ihr den Bruder tot auf einer Bahre, das Haupt zu den Füßen, ins Haus gesandt habe. Alsdann stieß sie einen so heftigen Schrei aus, und ihre Augen flossen so reichlich von Tränen über, daß der Kaiser und alle Herren in der Umgebung Seiner Majestät vor Rührung und Mitleid wie versteinert dastanden. Aber obgleich Maximilian sie sehr bedauerte und das eine Ohr den Klagen Epitias öffnete, die er, nachdem sie ihre Anrede geendigt hatte, sich erheben ließ, so hielt er doch das andere für Juriste frei und schickte die Dame zur Ruhe. Hierauf ließ er sogleich Juriste rufen und befahl dem Boten und allen Anwesenden bei Verlust seiner Gnade, dem Juriste kein Wort von dem, was vorgefallen war, zu entdecken.
Juriste, der sich eher alles andere gedacht hätte, als daß Epitia sich an den Kaiser gewandt habe, stellte sich ganz unbefangen ein, und da ihn Seine Majestät vorließ, verneigte er sich und fragte, was er befehle.
»Gleich«, sagte Maximilian, »gleich wirst du es erfahren.«
Er ließ alsbald Epitia rufen. Als Juriste sah, daß sie hier sei, die er sich bewußt war tief gekränkt zu haben, erschrak er, vom Gewissen gefoltert, so heftig, daß er, von allen Lebensgeistern verlassen, am ganzen Leibe zu zittern begann. Als Maximilian dies sah, erkannte er, daß die Anklägerin nichts als die reine Wahrheit gesagt habe. Er wandte sich zu ihm und sprach mit der Strenge, die seine Grausamkeit verdient hatte: »Vernimm, was dieses Mädchen dir schuld gibt!«
Dann befahl er Epitia, ihre Klage vorzubringen. Diese erzählte von neuem den ganzen Hergang und wandte sich zum Schlusse nochmals mit der Bitte um Genugtuung an den Kaiser. Als Juriste die Anklage vernommen, wollte er sie durch Schmeicheleien versöhnen und sprach: »Ich hätte nie geglaubt, daß Ihr, die ich so herzlich liebe, vor Seiner Majestät meine Anklägerin werden könntet.«
Aber Maximilian duldete nicht, daß Juriste dem Mädchen schöntue, und sprach: »Es ist hier nicht der Ort, den Verliebten zu spielen; beantworte nur die Klage, die sie vorbringt!«
Juriste mußte also diese List fahrenlassen, die ihm hätte gefährlich werden können. »Es ist wahr«, sprach er, »daß ich ihren Bruder habe enthaupten lassen, weil er eine Jungfrau entführt und geschwächt hatte; aber das habe ich getan, um die Heiligkeit der Gesetze aufrechtzuerhalten und jene Gerechtigkeit zu üben, die Eure Majestät mir so sehr eingeschärft hatte; denn ohne diese zu verletzen, konnte ich ihn nicht am Leben lassen.«
Hier fiel ihm Epitia ins Wort: »Wenn du nun aber die Gerechtigkeit dabei vor Augen hattest, wie kam es, daß du mir doch sein Leben unter jener Bedingung zusichertest und mir mit der Vorspiegelung, mich zur Frau zu nehmen, mein Magdtum raubtest? Verdiente mein Bruder wegen seiner einen Versündigung, die Strenge der Gerechtigkeit zu schmecken, so verdienst du dies zwiefach mehr.«
Da stand ihr Juriste verstummt gegenüber, und der Kaiser nahm zunächst das Wort:
»Meinst du, Juriste«, sagte er, »es heiße Gerechtigkeit bewahren, wenn du ihr einen so gefährlichen Stoß beibringst, daß nicht viel zu ihrer völligen Ermordung fehlt, wenn du den größten Verrat übst gegen dieses Mädchen, wie nur je der gemeinste Verbrecher getan? Aber es soll dir nicht so leer ausgehen, das glaube mir!«
Juriste fing nun an, um Gnade zu bitten, und Epitia ihrerseits, um Gerechtigkeit zu flehen. Maximilian erwog die Einfalt der jungen Frau und Juristes Bösartigkeit und überlegte, wie er der Ehre der Frau und der Gerechtigkeit zugleich Genüge tun könne. Er besann sich, was zu tun sei, und beschloß, Juriste solle Epitia heiraten. Sie wollte darein nicht willigen, indem sie behauptete, sie könne nicht erwarten, in der Ehe mit ihm etwas anderes als Mißhandlungen und Verrat zu erleben; aber Maximilian verlangte, daß sie sich bei seinem Beschluß beruhige.
Epitia wurde mit Juriste vermählt, und dieser meinte nun, alle Not überstanden zu haben; aber es geschah ganz anders: denn Maximilian entließ die Frau mit der Weisung, in ihre Herberge zurückzugehen, und wandte sich dann zu dem zurückgebliebenen Juriste mit folgenden Worten: »Was du verbrochen hast, ist zweierlei, eines nicht minder schwer als das andere: erstens hast du diese Jungfrau geschändet, und zwar auf so betrügliche Weise, daß man mit Recht sagen kann, du habest ihr Gewalt angetan; sodann hast du wider dein ihr gegebenes Wort ihren Bruder ums Leben gebracht, der zwar allerdings den Tod verdient hat, dem du aber nichtsdestoweniger, einmal auf dem Wege der Rechtsverletzung begriffen, schuldig warst, das seiner Schwester gegebene Versprechen zu halten, nachdem sie dich bei deiner zügellosen Lüsternheit zu der Zusage auf Ehrenwort gebracht hatte, und nicht statt dessen, wie du befohlen hast, nachdem du ihre Ehre geraubt, ihn ihr tot zuzusenden, wie du getan hast. Da du nun das erste Vergehen wiedergutgemacht hast, indem ich dich veranlaßt habe, die Geschwächte zu heiraten, befehle ich zur Sühnung des zweiten, daß dir ebenfalls der Kopf abgeschlagen werde, wie du ihn ihrem Bruder abschlagen ließest.«
Wie groß Juristes Betrübnis war, als er den Spruch des Kaisers vernommen, ist leichter sich zu denken, als ausführlich zu erzählen. Juriste wurde daher den Schergen übergeben, um am nächstfolgenden Morgen dem Urteil gemäß hingerichtet zu werden. Juriste war also ganz auf den Tod gefaßt und erwartete nichts anderes, als sich in kurzem unter den Händen des Henkers zu befinden. Unterdessen vernahm Epitia den Urteilsspruch des Kaisers, und so erbittert sie vorher auch gegen Juriste gewesen war, so trug doch ihre natürliche Herzensgüte den Sieg davon. Sie meinte, es wäre ihrer unwürdig, wenn sie zugäbe, daß Juriste, den sie einmal vom Kaiser als ihren Gatten angenommen, um ihretwillen den Tod erlitte. Sie fürchtete, man werde ihr dies eher als Rachedurst auslegen denn als Verlangen nach Gerechtigkeit. Sie wandte daher all ihr Sinnen und Trachten auf die Rettung des armen Verbrechers, begab sich zu dem Kaiser und sagte zu ihm, nachdem es ihr gestattet war zu reden, also: »Erhabenster Kaiser, die Ungerechtigkeit und der Verrat Juristes an mir trieben mich an, gegen ihn bei Eurer Majestät Recht zu suchen. Eurer großen Gerechtigkeit gemäß habt Ihr ihn wegen zweier Verbrechen auf das allergerechteste bestraft: für den betrügerischen Raub meiner Jungfräulichkeit durch den Befehl, mich zu ehelichen, für die Hinrichtung meines Bruders gegen das mir gegebene Wort durch seine Verurteilung zum Tode. Wie ich aber, bevor ich sein Weib geworden, darauf bestehen mußte, daß Eure Majestät ihn mit der Todesstrafe belege, die dieselbe gerechterweise über ihn verhängt hat, so müßte ich mich jetzt, nachdem es Euch gefallen hat, mich mit dem heiligen Bande der Ehe an Juriste zu knüpfen, für eine Pflichtvergessene, Unmenschliche, der ewigen Schande Preisgegebene halten, wenn ich in seinen Tod willigte. Unmöglich kann dies die Absicht Eurer Majestät sein, welche bei seiner Verurteilung nur meine Ehre bezweckte. Damit also, erhabenster Kaiser, die gute Absicht Eurer Majestät ihr Ziel erreiche und meine Ehre unbefleckt bleibe, bitte ich Euch demütigst und in tiefster Ehrfurcht, nicht zuzugeben, daß das Schwert der Gerechtigkeit zufolge des Urteils Eurer Majestät das Band so jämmerlich wieder auflöse, durch das dieselbe mich mit Juriste zu vereinigen geruhte; und wie das Urteil Eurer Majestät ihn zum unzweideutigen Beweis ihrer Gerechtigkeit mit dem Tode bestrafte, so möge es derselben jetzt gefallen, wie ich von neuem inbrünstiglich flehe, Eure kaiserliche Gnade an seiner Freigebung zu offenbaren; denn die Übung der Gnade, erhabenster Kaiser, ist für den, in dessen Händen die Herrschaft der Welt ruht, wie sie jetzt in den Euren würdiglich beschlossen ist, kein geringerer Ruhm als die Handhabung der Gerechtigkeit; denn wenn diese beweist, daß er die Laster haßt und mit der verdienten Strafe verfolgt, so macht ihn jene den unsterblichen Göttern ähnlich; und erlange ich diese einzige Bitte von Eurer Milde, so werde ich für die an mir demütigster Magd Eurer Majestät gewirkte Handlung der Güte ewig mit Andacht zu Gott flehen, daß er Eure Majestät auf lange glückliche Jahre erhalten möge, damit Ihr zur Wohltat der Sterblichen und zu Eurer eigenen Ehre und unsterblichem Ruhm bis in späte Zeiten Gerechtigkeit und Gnade üben möget.«
Hiermit beschloß Epitia ihre Anrede. Maximilian war erstaunt, daß sie die von Juriste empfangene schwere Unbill schon vergessen habe und mit so vieler Wärme von ihm spreche. Solche Güte, wie er an dieser Dame erblickte, schien es ihm wohl zu verdienen, daß er ihr den aus Gnade freigebe, den er um des Rechtes willen zum Tode verurteilt hatte. Er ließ also den Juriste in eben der Stunde, in der er erwartete, zum Tode geführt zu werden, vor sich bringen und sprach zu ihm: »Verräter, die Güte Epitias hat so viel über mich vermocht, daß ich dir, dessen Verruchtheit den Tod doppelt verdient hätte, um ihretwillen das Leben schenke, und du sollst wissen, daß du nur ihr dessen Erhaltung zu danken hast; und da sie es zufrieden ist, mit dir zu leben, nachdem sie das Band an dich geknüpft hat, das dich auf meinen Befehl mit ihr verbindet, so bin ich es auch zufrieden, daß du mit ihr lebst. Aber kommt es mir je zu Ohren, daß du sie anders denn als eine liebevolle und großmütige Gattin behandelst, so sollst du erfahren, in welchen Unwillen ich darüber gerate.«
Nach diesen Worten faßte der Kaiser Epitias Hand und übergab sie dem Juriste, worauf sie und Juriste mit ihr Seiner Majestät für die ihnen erwiesene Huld und Gnade ihren Dank aussprachen. Juriste aber erwog, welche Großmut Epitia an ihm geübt habe, und hielt sie immer teuer und wert, und so konnte sie den Rest ihrer Tage glücklich mit ihm verleben.