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Italienische Novellen. Dritter Band
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Giovanni Francesco Loredano

1607 – 1661

Dercella

Eudosia, die Tochter des Grafen von Vancastro, war so reich an Gütern der Seele, des Leibes und des Glücks, daß sie kaum das dreizehnte Jahr ihres Alters erreicht hatte, als sie schon die Bewerbungen vieler Männer rege machte, die nach ihrem Besitze trachteten. Und wenn schon der Reichtum ihres Vaters die Habsucht von manchen bewog, sie zur Frau zu begehren, so überwältigte doch die Schönheit ihres Gesichts die Neigungen aller, da sie, von allen Grazien begünstigt, nicht für geringer als diese geachtet ward und nur in der Zahl ihnen nachstand. Das Geschick bescherte diesen Himmel der Liebe dem Evandro, dem edelsten, aber auch dem ältesten von allen Freiern; ein häufiger Unstern dieser Auroren, nur in den Besitz von Tithonen zu kommen. In den Augen der Welt erschien diese Vereinigung ganz unnatürlich, da man glaubte, Evandro stehe dem Grabe weit näher als dem Hochzeitsbette. Er stand schon im dreiundfünfzigsten Lebensjahre, und bei dem Winter, den er in den Runzeln seines Gesichts und in dem Schnee seiner Haare trug, wollte man nicht an eine Vereinigung mit diesem Frühling von Schönheit glauben, der nur erst herbe Früchte und Blüten trug. Eudosia fügte sich leicht in die kalten Umarmungen eines Greises, da ihr Alter höhere Begierden nicht gestattete und alle Vorteile der Ehe in den Reichtum der Kleider, die Mannigfaltigkeit der Kleinode, den Überfluß des Goldes, die Zahl der Dienerschaft und die beständige Aufmerksamkeit ihres Gatten setzte, welcher sehr eifersüchtig üher sie wachte und schon glaubte, er hahe sie verloren, sobald sie ihm einen Augenblick aus dem Gesichte war.

Dieses beständige Zusammensein verleitete Evandro zu Anstrengungen, welche seine Kräfte, sein Alter überstiegen, und die Hochzeit war daher kaum vorüber, als man schon die Leiche sah. Evandros Tod ward von seiner Gattin mit so lebhaftem Ausdruck verfolgt, daß Tränen, Seufzer und Wehklagen nur die geringsten Beweise für ihren Schmerz waren. Gerne wäre sie mit ihm in das Grab gestiegen, wenn nicht der Gedanke an ihre nahe Entbindung ihr mit der Hoffnung geschmeichelt hätte, ihn wieder ins Leben zu rufen, indem sie einen Knaben zur Welt bringe. Aber dieser Wunsch wurde vereitelt durch die Geburt eines Mägdleins, das noch in den Windeln diejenigen, welche es sahen, zu ausgezeichneten Urteilen über seine Schönheit bewogen.

Eudosia wollte von einer andern Verbindung nichts hören, geschweige daran denken; sie glaubte, mit Evandro seien alle gestorben, die sie glücklich machen könnten. Sie begrub sich selbst aus freiem Antrieb in ihrem Hause und beschäftigte sich mit der Erziehung ihrer Tochter, aber nach so strengen Grundsätzen, daß sie nahezu dreizehn Jahre alt war und sich nicht rühmen konnte, andere Männer als die Diener ihrer Mutter gesehen zu haben oder von andern gesehen worden zu sein. Sie kam nur zwei- oder dreimal des Jahres aus dem Hause, und zwar so bedeckt und unter so vielen Vorsichtsmaßregeln, als könnte die Luft sie entführen. Ihr Zimmer verstattete kaum der Sonne Zutritt, geschweige den Augen der Sterblichen. Sodann erlaubte ihr auch die beständige Anwesenheit ihrer Mutter keine andere Zerstreuung als die Beschäftigung mit kindischen Spielen.

Das Geschick, die gewöhnliche Vermittlerin der Liebe, fügte es, daß Eudosia und Dercella, denn so hieß die Tochter, unwillkürlich an das Fenster gezogen wurden durch ein Geschrei, das um so mehr ihre Neugierde reizte, je heftiger es war. Sie sahen das Leben Assirdos, ihres Nachbarn, von vielen Schwertern bedroht, während er sich mit einer für seine Jahre ungewöhnlichen Kühnheit verteidigte. Die Jugend und Schönheit Assirdos flößte Eudosias Gemüt ein plötzliches Mitleid ein. Daher befahl sie ihren Dienern, ihn in das Haus zu bringen, und befreite ihn dadurch aus den Händen jener Meuchelmörder, die ihn an einer Hand und besonders schwer an der Seite verwundet hatten und nahe daran waren, ihn umzubringen. Assirdo nahm nach kurzer Begrüßung die Aufforderung an, sich in ein Bett zu legen. Man rief seine Mutter herbei, welche seine Heilung mit ihrer Pflege unterstützte; die Ärzte erlaubten ihm aber nicht, dieses Haus zu verlassen, um nicht durch die Bewegung und die Luft seine Wunden gefährlicher zu machen.

Wiewohl Dercella die Liebe nicht einmal dem Namen nach kannte, ließ sie sich doch so sehr ihr Herz beim ersten Anblick von Assirdo gefangennehmen, daß sie verliebt war, ehe sie noch merkte, daß sie liebe. Und da sie sich dieses ersten Dranges nicht erwehren konnte, lauschte sie bald mit begierigem Ohr den Reden der Ärzte, bald befragte sie die Mägde, bald wußte sie sich, obgleich mehrmals von der Mutter getadelt, Eintritt in das Zimmer zu verschaffen, indem sie dem Wunsche, ihn zu sehen, die Maske ganz verschiedener Vorwände lieh. Die Nacht steigerte ihre Bewegungen noch mehr; denn da der Schlaf nicht mächtig genug war, ihre Unruhe in Schlummer zu lullen, ließ sich ihr Herz von einer wirren Masse von Gedanken beherrschen. Und wenn einmal die Augen von Müdigkeit, wo nicht vom Schlafe überwältigt nachgaben, so mußte sie sie doch gleich wieder öffnen, um den Schreckbildern zu entfliehen, die sie noch mehr im Schlaf als im Wachen peinigten.

Dercella schwebte mehrere Tage in diesem Liebeswahnsinn, bis Assirdo, dessen Heilung fortschritt, in sein eigenes Haus hinübergebracht wurde. Er hatte oftmals in den Augen des Kindes Zeugnisse mehr von Liebe als von Mitleid gelesen; aber selbst noch unerfahren, verbannte er alle diese Gedanken, die ihn überzeugen konnten, daß er geliebt sei, als sündhaft. Angelockt jedoch von den Reizen jener Schönheit, die jede Kühnheit entschuldbar machen kann, und noch immer zu Hause gehalten, um seine Gesundheit sich erst wieder befestigen zu lassen, wich er nicht von einem Fenster, das nach der Wohnung der Dercella hinüberging. Hier wurde er leicht von ihr entdeckt, welche, von tausendfacher Liebesungeduld getrieben, nichts anderes wünschte als ihn zu sehen. Sie fand ein Mittel, ein Fenster dem ihres Geliebten gegenüber zu öffnen, das von der Eifersucht der Mutter mit gutem Vorbedacht verschlossen gehalten worden war, und hatte nun Gelegenheit, ihn nach Herzenslust anzuschauen, nicht aber noch, ihn zu sprechen: denn daran verhinderte sie entweder ihre eigene Sittsamkeit oder die Furcht vor der Mutter.

Auch er war vor lauter Liebe stumm geworden und trug alle Verrichtungen der Zunge auf die Augen über. Endlich aber gewann er es über sich, einem Blatte seine Leidenschaft einzuhauchen, und schrieb also:

Mein Fräulein!

Die Liebe, welche mir gewaltsam die Zunge fesselt, bewegt mir jetzt mit derselben Tyrannei die Hand. Sie zwingt mich, mit diesen Zeilen Euch die längst eingegangene und mit den Augen beschworene Lehenspflicht meines Herzens zu beurkunden. Es brauchte wohl große Gewalt dazu, um mich zu einer Erklärung zu bewegen, die in Anbetracht der Vortrefflichkeit Eures Verdienstes nicht anders als verwegen genannt werden kann. Die Schönheit, welche ein Abglanz ist des göttlichen Lichtes, verschmäht es, mit gemeinen Worten der Menschheit verehrt und angebetet zu werden. Ich weiß das ganz gut, aber es ist nicht in meiner Gewalt, anders zu handeln. Genehmigt denn, o Schöne, diesen Ausdruck eines Herzens, das sich mehr Eurer Herrschaft rühmt als seines eigenen Wesens. Bekräftigt mit Eurer Antwort die Hoffnungen, die, wie ich weiß, imstande sind, das Leben zu erhalten Eures innigst ergebenen und verbundenen

Assirdo.

Ohne Schwierigkeit förderte er diesen Brief in die Hände Dercellas, denn er paßte die Gelegenheit ab, wo sie unter dem Fenster stand, um ihr ihn zierlich in den Busen zu schleudern. Das Mädchen, nicht weniger neugierig als verhebt, verabschiedete sich mit den Augen und lief hinweg, um ihn zu lesen. Während aber ihre ganze Seele auf jenen Schriftzügen haftete, merkte sie nicht, daß sie von ihrer Mutter beobachtet war, die in jedem Augenblick die ganze Tätigkeit ihrer Tochter ihrer Beobachtung und Genehmigung unterworfen wissen wollte.

Die erste Regung des Unwillens Eudosias ging dahin, ihr den Brief aus der Hand zu reißen, und sie fügte dazu so viele Scheltworte und Drohungen, daß die Tränen und Seufzer nur die geringsten Zeugnisse für die Marter Dercellas waren. Der Verlust dieses Blattes aber, der ihr für ihre Liebe und ihre Hoffnungen Schiffbruch prophezeite, war das größte ihrer Leiden. Eudosia verließ sie in einer Flut von Tränen und zog sich in ein anderes Zimmer zurück, um den Brief zu lesen und auf die Spur zu kommen, wie er in ihre Hände gelangt sei. Kaum bemerkte sie, daß er von Assirdo war, als in ihrem Herzen tausend Gedanken sich zu kreuzen begannen. Jugend und Schönheit bahnten dem Verlangen den Weg, um Besitz zu ergreifen. Es befiel sie Reue, so viele Jahre ihr Leben hingeschleppt zu haben, ohne es zu genießen. Nur ein eitler Schein seien alle Freuden außer denen, welche die eheliche Liebe bereite. Auf der andern Seite ward sie unschlüssig durch die freien Urteile der Welt über einen dreizehn Jahre lang verzögerten Entschluß. Sie hegte Besorgnisse wegen der Verwegenheit ihrer Tochter und des zarten Alters des Assirdo, und überlegte, wenn sie zu einer zweiten Verbindung schreite, nachdem sie so lange die erste beweint, so heiße das nichts anderes, als sich den freien Äußerungen der Öffentlichkeit bloßstellen und vorsätzlich ihre Freiheit aufgeben. Da jedoch in unsern Neigungen diejenige Seite die Oberhand gewinnt, die vorzugsweise von den Sinnen beherrscht wird, entschloß sie sich, lieber jeden andern Verlust zu wagen, als die Liebe Assirdos zu verlieren. Sie ergriff daher die Feder und schrieb im Namen ihrer Tochter also:

Assirdo!

Wer dem ersten Angriff weicht, zeigt um so deutlicher die eigene Schwäche und kann dem Verdacht der Feigheit und Nichtswürdigkeit nicht ausweichen, die viel eher Haß als Liebe verdient. Dennoch aber kann, wer wahrhaft liebt, sich nicht verstellen. Die Liebe ist ein Feuer, das, je mehr es unterdrückt wird, mit desto größerer Gewalt wirkt. Ich erkläre Euch daher durch diesen Brief, daß ich Euch von ganzem Herzen liebe, und daß, wäre mir nicht der Zweifel hemmend entgegengetreten, Eure Geringschätzung auf mich zu ziehen, Euer Schreiben mir nicht hätte zuvorkommen sollen. Wenn Ihr also beabsichtigt, unsere Liebe durch die Ehe zur rechtmäßigen zu machen, so erwarte ich Euch diese Nacht an der Gartentür, die Ihr angelehnt finden werdet. Wo nicht, so verbannt Eure Gedanken als tollkühn, und vertreibt ihnen die Hoffnung, mich je zu besitzen!

Dercella.

Dieser Brief wurde vorsichtig dem Assirdo in die Hände gespielt, erregte aber, statt ihn zu erfreuen, in seiner Seele eine Verwirrung von Gedanken, die ihm ganz alle Ruhe raubten. Sei es Unerfahrenheit in Angelegenheiten der Liebe, oder daß er sich so ohne Hindernis den Besitz dieses Schatzes von Schönheit angeboten sah, den er um so höher achtete, je größer ihm die Schwierigkeit schien, ihn zu erreichen, – kurz, er gestand sich selbst seine Reue darüber, so weit gegangen zu sein. Während er ohne festen Entschluß sich von tausend Zweifeln bekämpfen ließ, kam zu ihm auf Besuch der Graf von Bellombra, ein Jüngling von hoher Geburt, aber von geringem Vermögen. Gleich beim Eintreten bemerkte er, daß Assirdo irgend etwas Unangenehmes begegnet sei, und er erkundigte sich daher mit außerordentlicher Ängstlichkeit nach der Ursache seines Unmutes. Assirdo, der ebenso leicht zum Unwillen zu bewegen war als dazu, seinen Unwillen zu offenbaren, teilte dem Grafen alle Gründe mit, die sein Gemüt in Unruhe versetzten, und bat ihn, als Freund ihn mit seinem Rat auf den besten Entschluß zu leiten. Der Graf, der sich alsbald überzeugte, daß dies eine Gelegenheit wäre, seine Verhältnisse emporzubringen, und für sich selbst nach dem begehrte, was das Geschick andern anbot, ermahnte Assirdo, den Einladungen eines Mädchens kein Gehör zu schenken, das eher Verachtung als Liebe verdiene, da sie so bereitwillig sich dem Verlangen eines Liebhabers preisgebe.

»Wenn sie bei Nacht einen Mann einläßt«, sagte er, »von dem sie nur voraussetzt, er werde ihr Gemahl werden wollen, so zeigt dies klar, daß sie auch andern Zutritt gewährt hat.« Auch sei er noch nicht ganz von seinem Unfall wiederhergestellt und würde somit Gefahr laufen, sich zugrunde zu richten, wenn er, den sinnlichen Gelüsten folgend, die Einladung hätte annehmen wollen.

Diesen Gründen fügte er noch so viel andere bei, daß sie, vereint mit der geringen Lust Assirdos selbst, ihn zu dem Entschluß brachten, das Unternehmen ganz aufzugeben, um so mehr, da nur ungern und schwer seine Mutter ihm erlaubt hätte auszugehen. Der Graf verabschiedete sich kurz darauf unter dem Vorwand von Geschäften, und als die Nacht kam, stand er schon an der Gartentür Eudosias, die ihn mit offenen Armen empfing, in der Meinung, es sei Assirdo, während er seinerseits nicht minder in der Annahme getäuscht war, es sei Dercella. Nach einigen kurzen Begrüßungen mit gedämpfter Stimme, da beide erkannt zu werden fürchteten, zogen sie sich, ohne Licht zu sehen, in ein Gemach im Erdgeschosse zurück, wo sie auf einem kostbaren Pfühl den Sinnen freien Spielraum gewährten, die Früchte der Liebe zu genießen.

Unterdessen glaubte Dercella ihre Mutter nicht in Wollust, sondern in Schlaf versenkt; sie verließ daher ihr Bett, das ihr verhaßt geworden war, weil es ihr die Ruhe verweigerte, und trat an das Fenster in demselben Augenblicke, wo auch Assirdo, von nicht geringerer Unruhe getrieben, dahin kam. Dercella stieß hin und wieder einen Seufzer aus, teils wegen der von der Mutter erduldeten Schmähung, teils weil sie das Ende ihrer Liebe herbeiwünschte, da sie einen so unglücklichen Anfang genommen hatte. Assirdo, in der Überzeugung, diese Seufzer kommen daher, daß er ihrem Anliegen nicht entsprochen habe, tat sich Gewalt an und sagte zu ihr: »Mein Fräulein, ich weiß nicht, muß ich mich über das Geschick beklagen oder über meine Unwürdigkeit, daß ich die Gunst der Liebe nicht empfangen kann?«

Dercella glaubte, er wolle ihr darüber Vorwürfe machen, daß sie ihm nicht geantwortet habe, und versetzte: »Die Liebe ist größer als alle Dinge, und wenn sie in meinen Erwiderungen sich selbst unähnlich ist, so kann ich darüber nur das Geschick anklagen, welches will, daß ich ohne Hoffnung liebe.«

Er antwortete: »Es gibt keine Liebe ohne Hoffnung, denn an ihr allein erkennt sie den wahren Bestand ihres Wesens.«

»Und was wollt Ihr«, fuhr sie fort, »daß ich hoffe, wenn alle Unfälle sich zu meinem Schaden vereinigen, um mich in Verzweiflung zu stürzen?«

Er versetzte: »Wenn Euch volle Gegenliebe zuteil wird, reicht Euch das also nicht hin, in Euerm Herzen eine vollkommene Ruhe zu befestigen?«

»Aber wer versichert mich dessen«, fügte sie bei, »da die Versprechungen der Liebenden gemeiniglich das Spiel der Winde sind?«

»Ich«, fiel Assirdo ein, »indem ich mich ganz Euch weihe.«

»Das sind Worte«, sagte Dercella, »die in der Luft zerfließen, wie sie daraus gebildet sind.«

»Ich würde sie gern mit der Tat bekräftigen«, antwortete er, »wenn ich glaubte, nicht wegen meiner Kühnheit bestraft zu werden.«

»Und wie würdet Ihr das anstellen?« fragte sie.

»Ich möchte«, erwiderte er, »auf einem Brette in Euer Zimmer hinüberkommen, um unsere Liebe zu Ende zu führen und mein Herz zu retten von dem Schiffbruche der Hoffnung und der Furcht.« Dercella hielt ein wenig inne, als wäre sie im Zweifel, ob sie dieses Anerbieten abweisen oder annehmen solle. Sodann sagte sie zu ihm: »Auf einen so wichtigen Vorschlag habe ich nicht den Mut, so plötzlich zu antworten.«

Er, der durch die Kraft der Liebe alle Furcht in einem Augenblicke von sich geworfen und sich in einem kecken Aufraffen angekleidet hatte, das noch größer ward, da er sich so übermäßig geliebt sah, versetzte ihr: »Wer so vorsichtig sein will, liebt nicht. Liebe läßt keine langen Überlegungen zu, und in Liebesangelegenheiten geht alles verloren, was verschoben wird. Hier ist kein Mittelweg: entweder müßt Ihr meinen Vorschlägen beistimmen, oder bekennen, daß Ihr nicht liebt.«

Dercella antwortete: »Wiewohl mein Verlangen, die Eurige zu werden, bei weitem größer ist, als ich auszudrücken vermag, so werde ich doch niemals sagen, daß Ihr Euch entschließen sollt, durch dieses Fenster herüberzukommen, um nicht ebenso meinen guten Ruf wie Euer Leben in Gefahr zu setzen.«

Assirdo überlegte, daß diese Worte eine Einladung enthielten, wenngleich sie als Weigerung erschienen, legte ein Brett hinüber an Dercellas Fenster und kam in ihr Zimmer. Nach einigem verstellten Unwillen mit Abweisungen, welche in der Tat einluden, befriedigte sich Dercella und ließ ihn die Früchte pflücken, nach welchen die Liebenden sich so sehr sehnen.

Unterdessen hatte Eudosia einigermaßen dem Kitzel Genüge getan, der keinen höheren Ursprung kennt als die Sinnlichkeit. In Besorgnis, ihr Tun möchte belauscht werden, überließ sie den Grafen der Ruhe und durchspähte mit leisen Tritten das ganze Haus. Zuletzt kam sie in das Zimmer der Tochter gerade in dem Augenblicke, wo unter lautem Geräusche neckischer Küsse die Liebenden sich zu neuen Unternehmungen der Lust vorbereiteten. Es erschien ihr auffallend, daß ihre Tochter in so zartem Alter die Keckheit gehabt habe, sich den Umarmungen eines Liebhabers preiszugeben. Doch war sie der Meinung, daß Verirrungen der Liebe alles Mitleid verdienen, und da sie sich auch desselben Vergehens schuldig fühlte, beschloß sie bei sich selbst, die fremden Fehltritte zu übersehen, um ihre eigenen nicht zu entdecken. Dessenungeachtet hätte sie gern in Erfahrung gebracht, wer der Buhle der Tochter sei, um zu sehen, ob sie durch eine würdige Wahl ihren unbesonnenen Entschluß einigermaßen zu Ehren bringe. Kaum aber hatten ihre Augen den Assirdo erblickt, als sie, getäuscht von dem Wahne, es sei ihr Liebhaber, sich ganz den Furien hingab und aussah, als wäre sie von einer Legion böser Geister gepeinigt. Sie zerschlug sich das Gesicht, raufte sich das Haar aus, klopfte sich an die Brust und unterließ keine Äußerung, um ihren Unwillen kundzutun und ihren Schmerz auszudrücken. Endlich erklärte sie unter Schmähungen und Vorwürfen ihre Leidenschaft und sprach: »Treuloser, nachdem du die Mutter genossen hast, kommst du, um die Unschuld der Tochter zu beflecken? Warum hat doch Natur und Glück diesen Verruchten, diesen Betrüger so liebenswürdig gebildet? Sind das die Versprechungen, die du kurz zuvor mir gemacht hast? Sollen diese Verrätereien dein Gelübde bekräftigen? 0 Himmel, deine Bewegung ist unnütz, dein Einfluß ist blind, wenn du nicht deine Blitze schleuderst auf diesen Gottlosen, diesen Verräter, diesen Tempelschänder!«

Als Dercella diese Worte der Mutter hörte und sich von Assirdo hintergangen glaubte, erhob sie ein so lautes Geschrei, um ihren Schmerz auszudrücken, daß sie auch Geschöpfen ohne Bewußtsein hätte Mitleid einflößen sollen. Sie sagte: »Warum, du Grausamer, die Einfalt, die Unschuld eines Mädchens verraten? Warum mich mit einem Verrat betrügen, der um so fluchwürdiger ist, je mehr er die Maske der Liebe trug? Wo, wo, du Verruchter, hast du ein so unmenschliches Verfahren gelernt, ein Verfahren, das nicht einmal die Tiere befolgen, denen von dem Himmel keine Vernunft zuteil geworden ist? Mutter, verzeih dieser Leidenschaft, die nicht daran dachte, mit ihrem Sinnentaumel das Recht der Natur zu kränken, noch die Freuden derjenigen zu beeinträchtigen, die mir das Dasein gegeben hat!«

Sie hätte noch mehr gesprochen, wenn Assirdo, der bis dahin unbeweglich wie ein Stein geblieben war, sie nicht unterbrochen hätte mit den Worten: »Dercella, wer an meiner Treue zweifelt, der kann auch zweifeln, daß er lebe. Ich erkläre mich für den Eurigen und erbiete mich, das Zeugnis meiner Rede mit der Ehe zu bekräftigen, gegen welche von meiner Seite keine Verzögerung stattfinden wird als diejenige, die aus Euerm Willen entspringen kann.«

Eudosias Unwille wuchs bei diesen Worten noch mehr, Sie verdoppelte ihr Schreien und lief hinzu, um mit ihren Händen dem Verlangen ihrer eigenen Leidenschaft zu genügen. Der Tochter aber ließ die Liebe nicht so viel Geduld, daß sie Assirdo beschimpft sehen konnte, ohne ihn zu verteidigen. Sie schlug sich ins Mittel, um die Mutter zu beruhigen; da diese aber mit jedem Augenblicke sich mehr ärgerte, war sie nahe daran, einem unsinnigen Entschlüsse Raum zu geben, hätte nicht die unvermutete Ankunft des Grafen sie zurückgehalten und verstummen gemacht. Der Graf hatte einige Zeit ungeduldig auf die Rückkehr der Geliebten geharrt, da er sie aber nicht wiedererscheinen sah, das Zimmer verlassen, um sie zu suchen, nicht ohne Ahnung, diese Verzögerung möchte das Zeichen irgendwelches Unfalls sein. Kaum hatte er das Geschrei gehört, das seinen Verdacht und seine Besorgnis gar sehr bekräftigte, als er plötzlich in das Zimmer eintrat, wo Eudosia mit Kratzen und Beißen ihre Wut und ihren Unwillen kühlte. Alle waren erstaunt über diese Erscheinung; dem Grafen aber standen die Haare zu Berg bei dem Anblick Assirdos. Da gewann Eudosia Zeit, ihn zu fragen, wie er in diesem Hause Zutritt gefunden habe. Er antwortete: »Auf die Einladung Dercellas.«

»Das lügst du«, antwortete das Mädchen. »Kein Mann lebt außer Assirdo, der sich meiner Ehre oder meiner Liebe rühmen könnte.«

»Diese Lügen«, versetzte er, »sind aus dem Munde eines Mädchens keine Beleidigung, zumal da diese Schriftzüge Euch schuldig erklären.«

Bei diesen Worten zog er den Brief hervor und wollte ihn lesen, wurde aber von Assirdo unterbrochen, welcher sprach: »Treuloser Freund, mir gehört dieser Brief.«

»Allerdings«, fügte der Graf hinzu; »aber da Ihr Euch geweigert habt, hierherzukommen, habe ich Eure Stelle eingenommen und sie genossen unter dem Versprechen der Ehe.«

»Sonach«, antwortete Asirdo, »wird Dercella zwei Männer bekommen, da auch ich sie genossen habe unter demselben Vorwand.«

Eudosia merkte, daß sie getäuscht war, während sie täuschte, und da sie nicht wünschte, daß die Veröffentlichung dieser Vorfälle müßigen Kreisen zur Unterhaltung diene, sagte sie zum Grafen und zu Assirdo: »Meine Herren, wenn ihr mit ritterlichem Handeln euer gegebenes Eheversprechen aufrechterhalten wollt, so bin ich bereit zu veranstalten, daß jeder diejenige zur Frau bekomme, die er genossen hat.«

»Ich«, versetzte der Graf, »bestätige, was ich versprochen habe, und halte mich dadurch für geehrt.«

Dasselbe sagte Assirdo, wiewohl beide mit großem Ärger, da sie wußten, daß Dercella doch nur einem angehören könne. Das Wunder hörte aber auf, als Eudosia entdeckte, sie habe den Brief geschrieben und habe sich dem Grafen hingegeben unter der Voraussetzung, es sei Assirdo.

Da der Graf ja seinen Zweck reich zu werden erreichte, machte er keinen Unterschied zwischen Mutter und Tochter und bezeugte sich zufrieden, und so beschlossen sie die Hochzeiten, indem sie mit allgemeiner Heiterkeit zu erkennen gaben, daß sinnliche Liebe, wofern sie nur nicht das rechte Maß überschreitet, stets ein gutes Ziel erreichen wird.


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