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Am Tage nach der Hochzeit stieg Libussa mit Premysl (Primislav) in ein Kellergewölbe hinab. Eine schwere Falltür sicherte den Raum, der tief in den Felsen gehauen war. Noch heute weiß man nicht, wo sich diese Falltür befindet.
An den Wänden des Gewölbes hingen kostbare Schwerter, kunstvoll mit Kupfer verzierte Schilde und Helme, Gürtel, Armbänder, Ringe und Stirnreife lagen haufenweise auf den eichenen Tischen. In großen Schalen glänzte pures Gold. Fässer mit Silber waren bis zur Decke gestapelt. An die hundert Krüge und Kästen standen da, alle bis zum Rand mit Edelsteinen gefüllt.
Premysl hielt die Hand vor seine Augen, denn all das Gold und Silber blendete ihn. »Kein anderer Fürst ist reicher als du«, sage Libussa.
»Es ist ein Reichtum, der allen gehört«, entgegnete der Fürst. Auch in den Zaubergarten führte Libussa ihren Ehegemahl und zeigte ihm den heiligen Ort, wo sich Peruns Standbild befand. Nun saßen oft beide in dem stillen Winkel und berieten, wenn etwas zu entscheiden war.
Manchmal verweilten sie auch beim Jezerkaquell. In seinem frischen Wasser hatte Libussa als Mädchen gebadet. Hier hatte sie mit anderen Mädchen gesungen, gescherzt und gespielt.
An diesen Orten wurden jetzt die ersten Gedanken zu den Gesetzen gedacht, die Premysl erließ. Viele Jahrhunderte lang wurde das Volk der Tschechen nach diesen Gesetzen regiert. Und Premysl sorgte dafür, daß sein Wort Achtung genoß.
Einmal stand Libussa mit Premysl und dem Gefolge auf einem steilen Felshang über der Moldau. Über den saftigen Wiesen im Tal lagen schon Schatten. Unter Erlen, Ahornbäumen und hohen Weiden schlängelte ein Bach dahin. Der Hain am Wolfstor war vom Abendlicht übergossen.
Sie blickte auf die wogenden Getreidefelder in der Niederung und auf die weite Höhe am rechten Ufer der Moldau.
Alle sahen die Schönheit und Fruchtbarkeit des Lands, und ein alter Mann aus dem Gefolge sprach: »Noch habe ich nicht vergessen, wie es hier einst ausgesehen hat. Da war kein Haus, kein Acker und kein Wiesenland. Nur Wald dehnte sich hier, tiefer, undurchdringlicher Wald. Es sah hier nicht viel anders aus als dort!« Und der Alte wies nach Westen, jenseits des Stroms, wo sich noch ein weites Waldgebiet ohne Dörfer befand. Aus dem Wasser der Moldau ragten mit Büschen überwucherte Inseln. Darüber kreisten Vögel. Wilder Hopfen kletterte an den mächtigen Stämmen der Uferbäume empor.
Alle blickten in die Richtung, in die der Alte wies. Die Wälder jenseits des Flusses waren in bläulichen Dunst gehüllt. Über ihren Gipfeln stieg irgendwo eine schmale Rauchsäule auf, in der die Sonne sich brach. Da hatte wohl ein Jäger ein Feuer angefacht, um sich etwas zu braten.
»Viel haben wir erreicht«, fuhr der Alte fort, »aber noch mehr Zeit wird es brauchen, ehe diese Bäume dort fallen, ehe die Wälder hinter Strachow, Schlachow und Malejov und alle Wälder weit und breit gerodet sind. Noch lange werden wir Wölfe jagen müssen, die sich in diesen Wäldern verstecken, noch lange auch das Wildschwein pirschen müssen, das unsere Äcker zerwühlt.«
Auch die junge Fürstin hörte dem Alten aufmerksam zu. Näher trat sie an den Abhang und schaute über das Land. Und wie sie so stand, veränderte sich plötzlich ihr Gesicht. In ihre Augen kam ein seltsamer Schein, und sie hob ihre Hänge und sprach mit feierlicher Stimme: »Eine große Stadt sehe ich, eine herrliche Stadt. Die Sterne werden singen von ihrer Schönheit.
Dort vor uns im Wald ist der Ort, wo sie sich erheben wird. Die Moldau wird sie umspülen. Gen Norden soll das tiefe Tal des Brusnicabachs die Grenze sein, gen Süden brande sie an den hohen Felsen bei Strachover Wald.
Geht in diesen Wald. Ich sehe einen Mann, der den Prah, die Schwelle seines Hauses zimmert. Nach dieser Schwelle soll die Burg Prag genannt werden. Und so wie die Fürsten an dieser Schwelle ihre Häupter neigen werden, so werden es alle Menschen dereinst auch von meiner Stadt tun. Und sie wird Ehre und Lob gewinnen wie keine andere Stadt und berühmt sein in der ganzen Welt.« Libussa verstummte erschöpft, trat wortlos von dem Abhang zurück und ging mit ihrem Gatten in die Burg.
Noch am selben Tage setzten mehrere Männer über den Strom und fanden dort auf einem Hügel einen alten Mann bei der Arbeit. Er schwang sein Beil und hieb eine Schwelle zu.
Und alles traf ein, wie Libussa es geweissagt hatte.
Sie erbauten jenseits des Stromes eine Burg und befestigten sie gut, am stärksten gegen den Westen hin zum Strachower Wald. Sie hoben auch einen tiefen Graben aus, schütteten Wälle auf und krönten sie mit einer starken Mauer, die durch hölzerne Bollwerke verstärkt war.
Um die Wände feuerfest zu machen, verputzten sie diese mit einer Mischung aus Stroh und Lehm. Die Feuerpfeile des Feindes richteten an solchen Häusern keinen Schaden an.
Die neue Burg wurde genauso fest wie der Vysehrad.
Eines Tages kamen viele Älteste auf den Vysehrad und sprachen: »Wir haben Fleisch, Brot, Milch und Wein. Doch eines fehlt uns, war wir teuer kaufen müssen: Erz! Du bist weise, Premysl. Sag uns wo wir welches finden können, denn zu teuer zahlen wir mit Pferden, Honig und Pelzen für jedes Metall. Die fremden Händler betrügen uns bei jedem Tausch. Sprich mit der Fürstin, sie sieht mehr als wir. Vielleicht sieht sie auch, an welchen Orten man bei uns nach Erz graben kann.«
Der Herzog dachte nach. Nachdem er sich mit der Fürstin beredet hatte, sagte er: »Ihr habt recht. Wir müssen forschen, ob nicht Silber, Gold und Eisen auch bei uns zu finden sind. Wo Berge sind, da wird auch Erz sein. Und wir haben Berge genug. Wir werden einen Ausweg finden. Jetzt aber kehrt in eure Dörfer zurück. In fünfzehn Tagen gebe ich euch in dieser Sache Bescheid.« Pünktlich zur festgesetzten Zeit fanden sich die Ältesten wieder ein. Premysl und Libussa erwarteten sie schon.
Der Herzog erhob sich.
»Hört die Worte eurer Mutter«, sagte er. »Sie wird euch sagen, wo ihr finden könnt, was ihr sucht.«
Bei diesen Worten hatte sich auch die Fürstin erhoben. An der Seite Premysls schritt sie quer über den Hof auf einen Felsen zu, wandte ihr Gesicht nach Westen, hob die Arme gen Himmel und sprach:
»Was in den Bergen verborgen,
ich sage es euch:
Einen Berg im Westen sehe ich,
auf ihm lichte Birken steh'n,
durch ihn Silberadern geh'n.
Schürft das Silber, heimst es ein,
ihr werdet reich an Schätzen sein
und essen von silbernen Tellern
und trinken aus silbernen Bechern.
Doch hütet euch vor dem bösen Nachbarn,
den es nach eurem Reichtum gelüstet,
daß er das Land nicht verwüstet.«
Dann wandte sich Libussa nach Süden und sprach:
»Ich sehe einen lehmigen Berg.
In seinen Föhren nisten Eulen,
in seinen Tiefen nistet Gold,
das bleibt, wie Glück, nicht immer hold.
Drum hütet Euch vor seiner Macht,
hängt nicht das Herz daran,
weil Habgier euch verderben kann.«
Dann wandte sich Libussa nach Osten und sprach:
»Ich sehe einen dreigezackten Gipfel,
darunter Silber ist verborgen.
Dreimal wird euch das Erz erblühen,
doch dreimal wird es welken auch
und schafft so Glück und Sorgen.
Die Fremden wird es locken,
wie ein Lindenbaum die Bienen lockt,
steht er in voller Blütenpracht.
Doch ist der Berg nur zu erobern,
wenn Bienenfleiß sich an ihn macht.«
Dann wandte sich Libussa nach Norden und sprach:
»In einem Walde seh‘ ich Felsgestein,
das matt von Blei und Zinn erglänzt.
Zinnwald wird der Ort genannt,
ist auch dem Feinde wohlbekannt.
Bewacht ihn gut,
seid auf der Hut,
und reich und rein
wird eure Ernte sein.«
Noch niemand hatte es gewußt, daß das Land auch so reich an Erzen war. Libussa hatte den Ältesten die reichen Erzlager des Landes genannt.
Nun wandte sie sich wieder den Ältesten zu und sprach:
»Der Glanz von sieben Erzen steckt in euren Bergen,
doch auch der Ähren Glanz ist Gold.
Drum wißt,
das Glück bleibt nur dem Volke hold,
wo jeder brüderlich zum Bruder ist,
wo alle fleißig streben.
Nur da wird jeder glücklich leben!«
Noch eine andere Weissagung ist von Libussa bekannt.
An heißen Sommertagen badete die Fürstin gern an einer tiefen Stelle der Moldau zu Füßen des Vysehrads. Einmal, der Tag war besonders heiß gewesen, kam sie noch spät am Nachmittag zu ihrer Badestelle, um sich zu erfrischen.
Über den tief gelegenen Wiesen braute schon Dunst. Blutrot fiel die Sonne den Wäldern zu. Die Wellen der Moldau glitzerten wie Gold. Libussa warf ihre Kleider ab und ging in das Wasser, doch nach wenigen Schritten blieb sie stehen und starrte erschrocken in die Flut.
Das Wasser strömte dahin, von einem leichten Wind gekräuselt. Die Wellen schoben sich ineinander, wurden schwarze Schatten, wurden rote Lichter, schimmerten geheimnisvoll.
Ihr war, als ob das Wasser die Geschichte ihres Volkes erzähle. Bild um Bild hielt ihr das Spiel der Wellen entgegen.
Die Fürstin schaute mit wachsender Erregung in das Wasser und sprach: »Ich sehe Feuersbrünste. Dörfer und Burgen brennen. Häuser und Hütten stürzen zusammen. Blindwütig wird zerstört, was mit so vielen Mühen das Volk sich hat erbaut. Und ich sehe Körper voller Wunden und strömendes Blut. Leid und Not, Elend und Schmach werden sein. Der Bruder wird den Bruder erschlagen. Feinde dringen über die Grenzen und töten Frauen und Kinder. Und sie setzen dem Volk den Fuß in den Nacken und unterdrücken es grausam.«
Libussa schlug die Hände vors Gesicht und brach in Tränen aus. Ihre Schultern bebten vor Schmerz.
Mit den Wellen kamen die Bilder, und mit den Wellen gingen sie auch.
Da traten zwei Mägde mit der goldenen Wiege ihres Erstgeborenen zu ihr heran, und ein Strahl des Trostes und der Hoffnung erhellte ihren Blick. Sie nahm die Wiege, küßte sie und versenkte sie in der Flut.
»Tief im Grunde liege«, sprach sie dabei mit wieder ruhiger Stimme. »Die Zeit wird kommen, daß du eines Tages ans Licht tauchen wirst. Ein Kind wird darin liegen, das mein Volk zu neuem Ruhme führen wird. Dann wird die Nacht zu Ende sein. Ein lichter Tag wird kommen und das Volk wird wieder in Frieden leben und glücklich sein.«
Die Jahre vergingen. Kazi, die kräuterkundige Fürstin, die so vielen Kranken geholfen hatte, erkrankte selbst und starb. Ihr zu Gedenken errichteten die Menschen in der Nähe ihrer Burg am Ufer der Mies ein hohes Denkmal.
Dann holt Morana, die Göttin des Todes, auch Theta in ihr Totenreich. Die Menschen trauerten um sie, denn sie war allen eine Mutter gewesen. Ihre Asche wurde auf dem Pohled bestattet. Ihr zu Ehren brannte neun Tage und neun Nächte lang ein Feuer auf dem Berg. Dann wälzten sie einen riesigen Stein auf ihr Grab. Einsamer wurde es um Libussa. Kurz vor ihrem Tode sprach sie noch einmal zu den Edlen ihres Volkes auf dem Vysehrad.
»Ich weiß«, sagte die edle Frau, »daß ich das letzte Mal vor euch spreche. Hört meine letzte Bitte und vergeßt sie nicht. Ich flehe euch an, meinem Mann Premysl und seinem Sohn die Treue zu halten. Mehr wünsche ich nicht.«
Dann wandte sich Libussa an Premysl und sprach: »Sei ihnen jederzeit ein guter und gerechter Herrscher. Vergiß nicht, daß du aus ihrer Mitte kommst.«
Alle lauschten ergriffen. Der weite Burghof war von dem Weinen der Menschen erfüllt. Selbst harte Krieger wischten sich die Tränen aus den Augen und beugten sich vor der gütigen Frau.
Kaum in die Burg zurückgekehrt, legte sich Libussa auf die Erde und starb, und das Volk trauerte um sie, wie es noch niemals um einen Menschen getrauert hatte.
Niemand weiß, wo ihr Grab ist. Die Alten meinen, es wäre auf der Burg Libusin. Aber es geht auch eine alte Sage, nach der sie auf der Burg Libice zur letzten Ruhe gebettet sein soll.
Unangetastet blieb der große Schatz im Felsversteck. Auch Premysl rührte ihn nicht an, wußte er doch, wozu er da war. Und so liegt der Schatz bis heute tief im Vysehrad verborgen. Die Felsen werde sich erst öffnen, wenn große Not im Tschechenland ist. Dann sollen alle Menschen davon haben, und es wird kein Hunger mehr sein.
Libussas goldene Wiege ruhte lange auf dem Grund des Stroms. Leid und Not kamen über das Volk, wie Libussa vorausgesehen hatte. Dörfer und Städte gingen in Flammen auf. Der Bruder erschlug den Bruder. Selbst in Libussas Geschlecht brachte einer den anderen um. Und der Fremde kam und unterjochte das Volk,
Doch nicht endlos währte die finstere Zeit.
Aus dem dunklen Wasser der Moldau stieg eines Tages die goldene Wiege empor und funkelte im Sonnenschein. Ein kleines Kind lag darin, der letzte Sproß der Premysls.
Und es geschah, daß die Wiege größer wurde und mit dem Kinde wuchs. Als das Kind ein Mann geworden war, hatte sich die Wiege in ein Bett aus reinem Gold verwandelt. Auf dem Karlsstein stand es, der unbezwingbaren Burg.
Mit seinem Tod verschwand auch die Wiege wieder in den Fluten der Moldau.