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In Jugend und Anmut gar lieblich erblüht,
Entbehrt sie nur eines: das deutsche Gemüt.
Hans und Max Ebner kamen in wilden Sprüngen die Treppen herabgepoltert, welche zum Türmchen auf dem Scharfenecker Schlosse führten; »Sie kommen! sie kommen!« riefen sie mit schmetternder Stimme, so daß es durch alle Räume des Hauses schallte und alles zum Empfange der Reisenden zusammenlief. Auch Frau v. Fiedler litt es nicht im Zimmer; trotz der scharfen Frostluft trat sie auf die Rampe hinaus und schaute erregt und ungeduldig den Kommenden entgegen. Gabriele schlang ihr fürsorglich einen warmen Schal um Kopf und Schultern und lehnte sich liebevoll an sie; seit der gemeinsamen Reise fühlte sie sich ihrer Mutter viel näher gerückt als früher und fing an zu verstehen, was in deren Seele vorging, während sie bisher nur die immer bereite Teilnahme für ihre eigenen Angelegenheiten bei ihr gesucht hatte. Jetzt hielt der große altmodische Schlitten vor der Tür, der Diener knüpfte den Vorhang los und half einer kleinen Gestalt aussteigen, die so sehr in Pelze und Tücher eingehüllt war, daß ihr blasses, schmales Gesichtchen mit den großen schwarzen Augen wie aus einem grotesken Rahmen hervorguckte. Gabriele eilte ihr entgegen und führte sie die Stufen hinauf. »Geliebte Mama! liebe Schwester, guten Tag!« sagte die Ankommende in fremdklingendem Deutsch. Frau v. Fiedler schloß sie in ihre Arme: »Der Herr segne deinen Eingang in deine neue Heimat, mein geliebtes Kind!« sprach sie in tiefer Bewegung und hielt die neue Tochter einen Augenblick an beiden Schultern fest, um ihr in die Augen zu sehen.
» Ah, comme il fait froid! je suis tout-à-fait gelée!« seufzte Marion, indem sie sich vor Kälte schüttelte.
»Komm herein, liebe Schwester!« sagte Gabriele schnell; sie umschlang sie und führte sie ins Haus, blieb aber auf der Schwelle stehen: »Wo ist der Kleine?« fragte sie.
»Die Amme bringt ihn,« erwiderte die junge Mutter, ohne sich umzusehen, »und Gérard wird auch wohl für ihn sorgen, er hat solche närrische Liebe für den kleinen Mann.«
Jetzt kam Gerhard die Stufen herauf, er trug mit rührender Sorgsamkeit ein kleines wohlverwahrtes Bündel und legte es mit strahlendem Blick in die Arme seiner Mutter. »Da ist dein Enkel, geliebtes Mütterchen,« sagte er mit innigem Ton, »nimm ihn an dein treues Herz und laß ihn alle die Liebe genießen, die du deinen Kindern so überreich gewährt hast.«
Sie traten zusammen in das Haus ein, dort hob die Freifrau das Tuch auf, welches das Gesicht des Kindes verhüllte, und küßte es mit Zärtlichkeit. »Gott sei mit dir, du geliebter Knabe, und mache dich zu einem festen Bande zwischen deiner Mutter und Großmutter!« flüsterte sie mit Tränen in den Augen.
»Hat er nicht ganz die Züge unserer Familie?« fragte Gerhard mit glücklichem Lächeln; »ich weiß nicht, ob er mehr ein Fiedler oder ein Maltheim zu werden verspricht. Er heißt René Maltheim v. Fiedler, und ich denke, wir nennen ihn Maltus; was meinst du dazu, Mutter?«
Sie sah ihn dankbar an. »Das hast du recht gemacht, mein lieber Sohn,« sagte sie sichtlich erfreut; »möchte unser Liebling seinen Voreltern ähnlich werden und alle Tugenden beider Geschlechter in sich vereinen! Möchte er ein echter deutscher Mann werden wie dein und mein Vater!«
Marion ließ sich von der Schwägerin auskleiden wie ein Kind, sie verlangte nur nach Ruhe und Wärme nach der langen, eisigen Fahrt. Gabriele brachte sie zu Bett und holte ihr ein warmes Getränk. »Aber nun will ich nach dem Kleinen sehen,« sagte sie, »damit du weißt, daß er wohl versorgt ist.« Marion hielt sie fest. »Ach laß nur, für Bébé ist mir gar nicht bange, der hat ja seine Amme; bleibe bei mir und laß uns noch ein wenig plaudern; ich bin so ungern allein, und hier ist es so groß und fremd.«
Gabriele blieb gehorsam an ihrem Bette sitzen, bis die andere eingeschlafen war; sie betrachtete voll Teilnahme die lieblichen Züge des jungen Wesens, das noch so wenig von der Würde einer Mutter an sich hatte, das selbst noch so ganz ein Kind zu sein und der Fürsorge anderer zu bedürfen schien. Sie kam sich selbst viel älter und erfahrener vor, aber sie gelobte sich im stillen, die neue Schwester mit aller Herzlichkeit zu lieben und ihr bei dem Einleben in die fremden Verhältnisse eine treue Stütze zu sein.
Die junge Frau ließ sich an diesem Tage nicht mehr sehen und erschien auch am nächsten Morgen nicht zur Familienandacht, welche stets alle Hausgenossen vereinigte. »Sie schläft noch,« sagte Gerhard entschuldigend, »sie hat noch viel nachzuholen von der anstrengenden Reise. Auch hat sie eine unruhige Nacht gehabt, denn unser kleiner Maltus schrie fortwährend. Ich fürchte, liebe Mutter, wir werden eine Änderung treffen müssen, Marion kann das Kind in solcher Nähe nicht ertragen.«
»Armer kleiner Schelm!« versetzte seine Mutter bedauernd; »er leidet auch wohl an den Folgen der Reise. Wie wär's, Gerhard, wenn ich den Kleinen für die erste Zeit unter meine eigene Obhut nähme? Seid ihr erst alle ganz eingelebt, so nimmt ihn deine Frau zurück.«
»Das ist ein herrlicher Gedanke, mein Mütterchen,« sagte Gerhard hoch erfreut, »ich habe der Amme nie recht getraut, und meine kleine Frau ist so unerfahren!«
So siedelte das Kind in den anderen Flügel über, und die Einrichtung erwies sich für alle Teile als so angenehm, daß niemand mehr an eine Änderung dachte. Gerhard suchte seinen Sohn mehrmals am Tage in den Räumen seiner Mutter auf; er konnte stundenlang an seiner Wiege sitzen und jeden winzigen Fortschritt mit Freuden verfolgen; Marion hingegen stattete ihm täglich nur einen kurzen Besuch ab, ließ ihn auch wohl einmal in ihr eigenes Zimmer bringen, war aber im übrigen froh, aller Sorge und Mühe überhoben zu sein. Sie war in der Tat noch ein völliges Kind; kindlich war ihre liebenswürdige Fröhlichkeit, die alles Erlebte völlig vergessen zu haben schien, das Zutrauen, das sie zu allen Menschen hegte und mit dem sie jeden Dienst, jede freundliche Erweisung als etwas Selbstverständliches hinnahm, aber kindisch war auch ihr Eigensinn, das trotzige Schmollen, wenn nicht alles nach ihrem Köpfchen ging, die Unfähigkeit, sich selbst zu beherrschen. Vor ihrer Schwiegermutter fühlte sie immer eine leise Scheu, für Gabriele zeigte sie schwesterliche Zärtlichkeit, ihr bester Freund aber war der Comte de Malthême, den sie als einen Landsmann gleich herzlich begrüßt hatte, und mit dem des Plauderns, Scherzens und Neckens kein Ende war.
Mit dem Grafen war eine merkwürdige Veränderung vorgegangen, die sich Gabriele vergebens zu enträtseln suchte. Seit Gerhard im Vaterhause erschienen war, hatte jener sich von der Familie auffallend zurückgezogen und war in den Tagen des Wartens fast nur bei den Mahlzeiten zum Vorschein gekommen. Aber auch da war er ernster und kühler als je zuvor: man konnte ihn fast übellaunig nennen, und er trug nichts mehr zur Unterhaltung bei. Auch suchte sein beredter Blick nicht mehr den seiner kleinen Freundin, und niemals fiel es ihm ein, sie um die Antwort auf seine damalige Frage zu bitten. Seit die junge Frau angekommen war, beschränkte er seine Liebenswürdigkeit fast allein auf diese, und Gabriele fühlte sich bitter gekränkt, wenn sie deutlich empfand, daß er auf ihre Unterhaltung keinen Wert mehr lege. Was war denn geschehen, um ihn so umzustimmen? Hatte sie ihn je beleidigt? Warum konnte er nicht immer ihr guter Freund bleiben wie bisher? –
Als der Frühling herankam, stellte sich Tante Arabella ein, höchst entrüstet über die unpassende Heirat eines Fiedler mit einer bürgerlichen Kaufmannstochter. Ja, wenn es die aristokratische Tochter eines alten Geschlechts gewesen wäre, aber solch eine Mesalliance ...! Als sie indessen Marion in ihrer Anmut und Zierlichkeit kennen lernte, zog sie ganz andere Saiten auf und erklärte die kleine Dame für so scharmant, wie eben nur eine geborene Französin es sein könne, deren elegante Turnüre und pikanten Esprit eine deutsche Frau nie imitieren könne. Das Stiftsfräulein, Marion und der Graf bildeten bald ein unzertrennliches Trio, dem andererseits Frau v. Fiedler mit Gerhard und Gabriele gegenüberstand; die einen stellten die französische, die anderen die deutsche Auffassung aller Dinge dar, und es fehlte nicht an Veranlassungen, welche den Gegensatz deutlich zutage treten ließen.
Im Laufe des Sommers hielt es der Franzose für schicklich, sich wieder für eine Zeitlang zu empfehlen; er gab vor, daß wichtige Geschäfte ihn abriefen, versprach aber, wiederzukommen, sobald die Umstände es erlaubten. Er verabschiedete sich von Marion und Fräulein Arabella mit Herzlichkeit, von Frau v. Fiedler und ihrer Tochter mit ausgesuchter Höflichkeit, die in gleicher Weise erwidert wurde, denn Gabriele war viel zu stolz, um ihrerseits einen freundlicheren Ton anzuschlagen als er.
Als sie am Abend dieses Tages mit Mamsell Jettchen im Milchkeller beschäftigt war, fing jene plötzlich an: »Gottlob, Fräulein, daß die Franzmänner endlich fort sind; ich denke, die sind wir für immer los.«
»War Ihnen Pierre so unangenehm?« fragte Gabriele mit einiger Überwindung. »Ich dachte, er hätte Sie oft ergötzt.«
»Ergötzt? Nun ja; vernünftige Leute lachen auch einmal über einen Hanswurst, der ihnen allerhand Schnickschnack vormacht, aber auf die Dauer werden einem die possierlichen Sprünge zum Ekel. Und als ich erst merkte, daß der lustige Musjö hinter seiner flinken Zunge ein schlechtes Herz sitzen hatte – da konnte ich ihn gar nicht mehr leiden.«
»Sie sind ungerecht, Jettchen,« versetzte das junge Mädchen unwillig, »Pierre war seinem Herrn so treu ergeben, daß er nicht schlecht sein konnte, wenn er auch ein Spaßmacher war.«
»So! Fräulein Gabrielchen wissen also alles besser als erfahrene Leute! Natürlich, das Ei ist immer klüger als die Henne! Ich weiß, was ich weiß, aber ich kann ja auch schweigen; Fräulein brauchen mich gar nicht so zu schelten.« Sie drehte sich energisch um und hantierte mit großem Geräusch unter ihren Töpfen und Schüsseln.
»Ich wollte Sie nicht schelten, Jettchen, Sie müssen nicht gleich so ärgerlich sein«, lenkte Gabriele nach einer kleinen Weile ein.
»I Gott bewahre! Wo werde ich doch auf mein Herzblatt ärgerlich sein!« erwiderte die rundliche Haushälterin, indem sie ihr gutmütiges Gesicht im vollsten Glanze ihrer jungen Herrin zuwandte; »ich weiß ja auch sehr gut, daß der feine Herr Graf den Damen sehr nach dem Munde zu reden und wunderschön zu tun wußte. Aber glauben Fräulein Gabrielchen wohl, daß der sich gefreut hat, als unser lieber, gesegneter junger Herr Baron wie aus dem tiefen Grabe zurückkam? Weit gefehlt! Gewettert und geflucht hat er vor Ärger, daß ihm die Beute entgangen war, auf die er sich schon gespitzt hatte – er hatte zu fest darauf gerechnet, sich hier festzusetzen ins warme Nest und selber hier den lieben Sohn und künftigen Herrn zu spielen! Nun war er ja auf einmal ganz verwandelt – das muß mein Liebling doch gemerkt haben, denn es konnte es ja ein Blinder sehen! Wie der Herr, so der Knecht; was der eine dachte, das schwatzte der andere aus – ich habe ihm selbst ordentlich meine Meinung darüber gesagt, und ich hoffe nur, er hat alles Wort für Wort seinem sauberen Herrn Grafen hinterbracht. Gott sei Dank, daß sie fort sind, sag' ich noch einmal.«
Schweigend ging Gabriele auf ihr Zimmer; ihr war zumute, als müßte sie ersticken. War der feine, hochgebildete Graf wirklich nur ein Glücksritter, der auf ein Vermögen spekulierte, während sie an seine aufrichtige Freundschaft glaubte? Gönnte er ihrem geliebten Bruder nicht sein Leben, weil es seine schnöden Berechnungen kreuzte? Konnten die Menschen so eigennützig, so heuchlerisch sein? Es war eine furchtbar bittere Erfahrung, aber sie verschloß sie tief in ihrer eigenen Brust; nicht einmal zu ihrer Mutter konnte sie davon sprechen.
Nach der Abreise des Grafen beklagte sich Marion rückhaltlos über Eintönigkeit und Langeweile. »Du solltest dich mehr mit deinem süßen Knaben beschäftigen, mein liebes Kind«, riet Frau v. Fiedler freundlich. »Einer Mutter kann die Zeit eigentlich nie lang werden, sie hat die beste Freude und stete Abwechselung immer an ihrer Seite.«
»Bébé ist noch so dumm,« erwiderte die junge Frau schmollend, »ich weiß mit ihm nichts anzufangen. Auch schreit er immer, wenn ich ihn auf den Arm nehme, bei euch ist er viel artiger.«
»Das liegt wohl nur daran, daß er mit uns vertrauter ist«, versetzte ihre Schwiegermutter ernst, aber Marion fühlte den Vorwurf nicht, der in den Worten lag. »Vielleicht würde es dir Vergnügen machen, dich mit der Wirtschaft zu beschäftigen,« fuhr jene fort; »ich bin gern bereit, dich in die Pflichten einer Hausfrau einzuführen und dir mit der Zeit den einen oder anderen Zweig zu überlassen.«
Marion machte eine abwehrende Bewegung. »O nein, nein, Mama, behalte alle deine Geschäfte; ich würde doch nur alles verkehrt machen, denn ich verstehe nichts davon und interessiere mich gar nicht dafür.«
»So laß uns zusammen Deutsch lernen«, sagte Gabriele.
»Ach nein, die deutsche Sprache ist mir zu schwer, und wozu sollte ich sie auch lernen? Ihr sprecht ja alle geläufig Französisch.«
»Aber du mußt es doch einmal mit deinem Kinde sprechen,« warf Frau v. Fiedler ein; »soll der Sohn die eigene Mutter nicht verstehen?«
»Mit René werde ich natürlich nur Französisch sprechen,« erklärte Marion mit großer Entschiedenheit; »es ist seine Muttersprache, die er früh lieben lernen soll – ist er doch beinahe ein geborener Franzose.«
Hier stand die Hausfrau auf und verließ das Zimmer; als sie allein war, faltete sie ihre Hände und seufzte tief: »Armer Gerhard, du hattest recht, sie ein Kind zu nennen – aber wird sie je anders werden? Sie ist Französin durch und durch – und was kann uns aus Frankreich Gutes kommen?« –
Mehrere Jahre vergingen, ohne den Scharfeneckern namhafte Veränderungen zu bringen; der Graf von Malthême erschien nicht wieder, der Familienkreis vergrößerte sich durch die Geburt eines Töchterchens, das ebenfalls den Namen Dorothea erhielt, zum Unterschiede von seiner kindlichen Tante aber Thea genannt wurde. In Europa gab es Krieg und Unruhe ohne Ende, denn die französische Republik sorgte dafür, daß die Waffen niemals rosten durften. Je mehr in dem unseligen Lande das Schreckensregiment sich selbst überlebte und allmählich geordnetere Zustände eintraten, um so stürmischer drängte der revolutionäre Geist nach außen, und wenn sich auch fast alle Staaten gegen Frankreich verbanden, wenn auch in einzelnen Fällen die französischen Heere geschlagen wurden, so hinderten doch Unschlüssigkeit, Uneinigkeit und Mißtrauen unter den Verbündeten einen entscheidenden Sieg. Im Jahre 1796 fing aus der Menge der republikanischen Heerführer einer an, um Haupteslänge über die anderen hervorzuragen, und der Name Napoleon Bonaparte wurde immer häufiger mit staunender Bewunderung genannt; bei Lodi, bei Arcole, bei Rivoli vollbrachte er mit seinen zerlumpten, wüsten Soldaten Wunder der Tapferkeit gegen die österreichische Armee und beherrschte bald ganz Italien, das er nach Belieben plünderte und nach seinem Sinn umgestaltete. Marion jubelte bei diesen Nachrichten; das war doch ein Mann, der Frankreichs Ruhm wieder aufrichten, seine blutigen Verirrungen durch glorreiche Taten ausgleichen würde! Die anderen aber sahen mit banger Sorge auf diesen jungen General, der Staaten schuf und verschwinden ließ und das alte Österreich nach seinem Willen zum Frieden zwang. Stand auch das starke Preußen Friedrichs des Großen in ruhiger Sicherheit da, so konnte man doch nicht wissen, ob nicht für das übrige Reich, das nur noch lose zusammenhing, dieser gewalttätige Mann einmal gefährlich werden könnte.
Im November 1797 starb Friedrich Wilhelm II.; sein Sohn bestieg den Thron, und Luise, die sich schon als Kronprinzessin die allgemeine Liebe und Verehrung erworben, welche ihr Schwiegervater die Fürstin der Fürstinnen genannt hatte, die von den ersten Geistern der Nation, einem Goethe und Jean Paul hoch gefeiert wurde – ward Königin. Ihr Hofstaat wurde bei dieser Gelegenheit vergrößert, und es erging an Gabriele v. Fiedler der Ruf, eine Stelle als Hofdame bei ihr anzunehmen. Die Aufforderung versetzte sie in ernste Überlegung; oft schon hatte sie sich hinausgesehnt in andere Verhältnisse, aber die Rücksicht auf ihre Mutter hatte den Wunsch immer wieder unterdrückt. Nun trat ohne ihr Zutun die Möglichkeit einer Veränderung an sie heran, und der Gedanke, in der Nähe der geliebten Freundin zu leben, hatte etwas höchst Verlockendes. Aber durfte sie ihre Mutter verlassen, die ihr das Teuerste auf Erden war, um einem selbsterwählten Berufe zu folgen? Doch Frau v. Fiedler gab selbst den Ausschlag. »Zieh hin, mein geliebtes Kind,« sagte sie voll klarer Einsicht, »ich kann es wohl begreifen, daß es dir hier oft zu enge wird, nun folge getrost der Gottesstimme, die dich auf einen anderen Platz ruft. Um mich mache dir keine Sorgen; noch fühle ich, gottlob! die Kraft in mir, zu wirken und zu schaffen, noch habe ich einen reichen Kreis um mich, der meiner bedarf. Im Geist und in der Liebe bleiben wir fest verbunden; wenn du des Hoflebens einmal müde wirst, steht dir die Heimat immer offen, und du findest jederzeit deinen alten Platz am Herzen deiner Mutter wieder.«
So entschloß sich Gabriele, dem Rufe der königlichen Freundin zu folgen, und schied gegen Ende dieses Jahres aus dem heimischen Kreise, um nach Berlin zu übersiedeln.