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Unser Engel hebt die Schwingen, die ihn auf zum Himmel tragen,
Und wir schaun ihm nach voll Schmerzen, und es strömen unsere Klagen.
Schutzgeist deines Volks! vereine dich bei Gott mit unserm Flehen,
Laß die Ketten uns zerbrechen, neu das Vaterland erstehen!
I.
Königsberg, 1. Dezember 1809.
Meine teuerste Mutter!
Die Tauffeierlichkeiten des kleinen Prinzen Albrecht sind vorüber, und wir rüsten uns zur Rückkehr nach Berlin. Endlich, endlich haben die Jahre der Verbannung ihr Ende erreicht, und wir dürfen in die geliebte Heimat ziehen, wohin unsere Sehnsucht und unsere Seufzer schon so lange gerichtet waren. Als die getreuen Königsberger im letzten März den Geburtstag der Königin mit einem großen Fest feierten, faßte Luise abends meine Hand mit heißem Druck und sprach mit tränenden Augen: »O, wie mich das traurig gemacht hat! Ich habe gelächelt, ich habe den Festgebern Angenehmes gesagt, ich bin freundlich gewesen gegen alle Welt – und ich wußte vor Unglück nicht, wohin! Wem wird Preußen übers Jahr gehören? Wohin werden wir alle zerstreut sein? Hilf mir bitten, Gabriele, daß Gott sich unser erbarme!«
So weit, meine Mutter, hat Gott sich über uns erbarmt, daß Er uns aus diesem fernen Winkel in den Mittelpunkt des Landes zurückführt – aber welche Fülle von Schmerz und Jammer schließen diese drei Jahre ein! wie haben die spitzen und scharfen Dornen sich dem Haupt und dem Herzen unserer Königin eingepreßt und ihr blutige Tränen entlockt! wieviel Schweres bleibt noch zu tragen übrig!
O, wenn ihr Gott nur die eine Gnade gewährte, nach dieser langen Passionszeit auch den Tag der Auferstehung zu erleben, da unser niedergeworfenes, eingesargtes Volk sich zu neuer Kraft und Größe erhebt und seine Feinde zu Boden wirft! Aber mir ist oft unsäglich bange um meine hohe Freundin; ich fürchte, ihre Gesundheit ist sehr erschüttert, und ihre Seele wird von schwarzen Ahnungen geängstigt. »Mir wird ganz beklommen vor Freude,« sagte sie neulich, »und ich vergieße viele Tränen, wenn ich daran denke, daß ich alles auf dem nämlichen Platze finden werde, und doch alles so ganz anders ist. Ich möchte immer allein hinter meinem Schirmleuchter sitzen und mich meinen Gedanken überlassen – aber ich hoffe, es soll noch anders werden.«
Verzeihen Sie mir, meine teuerste Mutter, daß meine Seele ganz von meiner Königin ausgefüllt erscheint, und seien Sie überzeugt, daß daneben doch die Gefühle innigster Verehrung für Sie und die der treuen Anhänglichkeit an die geliebte Heimat Platz haben. Von Berlin aus schreibe ich Ihnen wieder, um wieviel näher werde ich Ihnen dann gerückt sein! Gott behüte Sie und uns alle, Er schütze das zertretene Vaterland!
In kindlicher Liebe verbleibe ich
Ihre
gehorsame Tochter Gabriele.
II.
Berlin, 8. Januar 1810.
Ein neues Jahr hat begonnen, möchte es für Sie, meine geliebte Mutter, wie für alle, die Sie lieben, ein Jahr des Segens sein! möchte es dem Vaterlande die heiß ersehnte Wiedergeburt, meiner Königin neue Kraft und Zuversicht bringen! Seit vierzehn Tagen sind wir wieder daheim – und wie froh und dankbar! Aber es ist eine Freude, die von Tränen verschleiert ist, eine Dankbarkeit, welche unzählige Seufzer und Stoßgebete nicht ausschließt!
Am 23. Dezember, an demselben Tage, an welchem vor sechzehn Jahren Luise als strahlende Braut in Berlin eingezogen war, kehrte das Königspaar nach dreijähriger Abwesenheit in seine Hauptstadt zurück, und wenn damals schon das Gefühl der Freude und des Jubels vorherrschte, so schien jetzt in jeder einzigen der hunderttausend Seelen nur eine Empfindung zu leben, die der hingebendsten Liebe! Man hatte uns in Memel und Königsberg manches erzählt, was nicht für die Treue der Berliner Bevölkerung sprach, wie kriechend freundlich sie sich gegen die siegreichen Feinde benommen, wie schonungslos sie über das Unglück der Armee, die Fehler der Regierung geurteilt hätte. Aber vielleicht waren es nur wenige Erbärmliche gewesen, die sich damals in den Vordergrund drängten, oder die Jahre des Unglücks haben die Menge geläutert und zur Einkehr bewogen – jetzt wenigstens tritt nichts hervor als die rührendste Königstreue, und wo das Herrscherpaar sich dem Volke zeigt, da offenbart sich eine Begeisterung, die bis ins innerste Herz dringt. »Wenn das so fortgeht,« sagte die Königin unterwegs, »so ersticke ich, die Freude versetzt mir den Atem.«
Schon in Weißensee, dem letzten Dorfe vor dem Bernauer Tor, wurden die Majestäten von den Abgeordneten der Stadt feierlich empfangen; sie brachten dem Könige ein edles Reitpferd, der Königin einen schönen Wagen dar, der mit veilchenfarbenem Samt, ihrer Lieblingsfarbe, ausgeschlagen und mit Silber reich verziert war. Beide nahmen diese Ehrengaben sogleich in Gebrauch und hielten dann ihren Einzug in die Stadt. Alle Gewerke und Truppen bildeten ein unabsehbares Spalier; dazwischen bewegte sich die zahllose Menschenmenge in tadelloser Ordnung; die Kanonen donnerten, alle Glocken läuteten; uns empfing ein Jauchzen und Freudenrufen, das so herzlich und begeistert war, wie es wohl nirgend sonst auf der Welt gehört werden kann, und unter tausend Hochrufen des guten, treuen Volkes gelangte das geliebte Königspaar endlich bis zum Schlosse, wo alle Prinzen und Prinzessinnen zum Empfange versammelt waren. Der Herzog von Mecklenburg-Strelitz, Luisens Vater, trat ihr an der Schwelle ihres Hauses entgegen und schloß, weinend vor Freude und Wehmut, sie und ihre Kinder in seine Arme.
Am folgenden Tage gingen wir alle zum feierlichen Dankgottesdienst in den Dom, und am nächsten Abend erschienen König und Königin im Opernhause. Das ganze Publikum erhob sich zur Begrüßung von seinen Sitzen, die Herren schwenkten die Hüte, die Damen die Tücher, und tausend Stimmen fielen in das Festlied ein, das Zacharias Werner für diesen Tag gedichtet hat:
Du, der auf Blitzen fährt,
Zu uns im Säuseln kehrt,
Vater vom Licht!
Ende des Königs Schmerz,
Heile sein wundes Herz,
Rein ist es und gerecht,
Verlaß ihn nicht!
Du, der du Tau der Au,
Dem Menschen Tränentau
Segnend verliehn,
Tröste die Königin!
Rein ist und schön ihr Sinn,
Laß ihr aus Tränensaat
Frieden erblühn!
Ja, Tränen hat meine Königin in ungezählten Strömen vergossen, Tränen des Schmerzes, der Verzweiflung, der frommen Ergebung und jetzt der dankbaren Freude! Man sieht ihren rotgeweinten Augen den Gram auch in der Wonne an. »Jene engelklaren Augen«, sagte Herr v. Fouqué zu mir, »hat dieser Bonaparte durch Tränen getrübt – geweint haben sie auch um unsere Liebe, unseren Dank. Wir müssen kämpfen und sie noch freudig leuchten sehen um unsere Siege!« O, wollte Gott das Wort wahr machen!
Der König hat den Entschluß gefaßt, hier in Berlin eine Universität zu gründen, damit Preußen das an geistiger Kraft und Bedeutung ersetzt werde, was es an äußerer verloren hat. Es ist eine große, herrliche Idee in so schwerer, trüber Zeit, und sie wird köstliche Frucht tragen. Mir ist, als wehte ein neuer, gewaltiger Geist durch die Welt; wenn man hier Männer wie Fichte und Schleiermacher reden und predigen hört, da wird einem die Seele groß und weit, und man fühlt wieder Mut und Hoffnung. Endlich muß doch die Heimsuchung vorübergehen, wenn sie ihre strenge Botschaft ausgerichtet, wenn sie das ganze Volk zur Einkehr und Umkehr gebracht hat. Dann werden wir die Fesseln zersprengen, dann in Freiheit und Gottesfurcht ein neues Leben beginnen! O meine Mutter, bitten Sie mit uns den allmächtigen Gott, daß die Zeit nicht mehr ferne sei!
Von Herzen hoffe ich, Sie, meine geliebte Mutter, in kurzem wiederzusehen; sobald es sich tun läßt, werde ich mir einen Urlaub erbitten, den meine Königin mir nicht abschlagen wird. Auf Wiedersehen denn, so Gott will, in der teuern Heimat, nach der mein Herz sehnsüchtig verlangt! Bis dahin und für alle Zeit bleibe ich
Ihre treue Tochter.
III.
Charlottenburg, den 20. Juni 1810.
Monate sind vergangen, seit wir nach Berlin zurückkehrten, meine liebe Mutter, und noch immer habe ich keine Möglichkeit gefunden, mir den langersehnten Urlaub auszubitten. Meine hohe Freundin ist lange leidend gewesen; eine ernste Krankheit der kleinen Prinzessin Luise hatte ihre Kräfte sehr mitgenommen, denn trotz aller Abmahnungen wollte sie Tag und Nacht nicht von dem Bettchen der kleinen Patientin weichen. Gott hat das Leben des lieben Kindes verschont, aber die Gesundheit der Mutter schien viele Wochen hindurch ernstlich bedroht. Endlich hat die Frühlingsluft ihr Erleichterung von ihrem quälenden Husten gebracht, ein Aufenthalt in Sanssouci hat ihren verblichenen Wangen etwas Farbe, ihren müden Augen Glanz und ihrer bekümmerten Seele frischen Mut zurückgegeben.
In einigen Tagen gedenkt die Königin eine Reise nach Mecklenburg anzutreten, was schon lange ihr Wunsch war, da sie das Land, das ihr Vater beherrscht, noch wenig kennt. Die Gräfin Voß und ich sollen sie begleiten, doch hoffe ich, daß ich von Strelitz aus endlich zu Ihnen, meine geliebte Mutter, kommen kann. Mein Herz ist voll Sehnsucht und Heimweh, aber ich halte es für meine erste Pflicht, an meine geliebte Königin zu denken, und ich bin immer glücklich und dankbar, wenn ich fühle, daß sie mich gern um sich hat und ungern entbehrt.
IV.
Hohen-Zieritz, den 8. Juli 1810.
Immer noch kann ich Ihnen keine Anmeldung schicken, meine geliebte Mutter. Unsere Königin ist krank! Kaum bei ihrem Vater angelangt, hat sie sich zu Bett legen müssen, Fieber, Husten und große Schwäche quälen sie Tag und Nacht. Der König liegt in Charlottenburg ebenfalls krank danieder und kann nicht herkommen. O meine Mutter, in welcher Todesangst befinden wir uns! Gott, Gott! der Gedanke, daß diese Engelsseele uns entfliehen könnte, ist zu furchtbar, um ihn auszudenken. – Ich darf viel um sie sein, aber ihre Leiden zerreißen mir das Herz!
Den 20. Juli 1810.
Welch ein Tag des Jammers! o meine Mutter, wie soll ich das Entsetzliche aussprechen – unsere angebetete Königin – meine heißgeliebte Luise – sie ist von uns genommen! – Ich kann kaum die Feder halten, so zittert alles an mir vor namenlosem Schmerz. Furchtbar schwere Tage hat unser Engel durchleben müssen, ehe das Ende kam – aber wie sanft und wie ergeben, wie himmlisch verklärt ertrug sie ihre qualvollen Leiden! – Gestern früh kam endlich der König mit den beiden ältesten Söhnen an – ach, ihr war bereits der Tod auf die Stirn geschrieben – und doch empfing sie den Gemahl mit so inniger Freude, küßte ihn mit so zärtlicher Liebe – und er weinte bitterlich! Die Prinzen knieten an ihrem Bett nieder, sie versuchte mit ihnen zu sprechen, sie wollte noch so viel zu ihren Geliebtesten sagen – und konnte es doch nicht mehr! Heute morgen saß der König auf dem Rande des Bettes, ich kniete davor; abwechselnd rieben wir ihre erkaltenden Hände. Es war gegen neun Uhr, die Königin hatte den Kopf sanft aus die Seite geneigt, ihre lieben, schönen Augen waren weit geöffnet und gen Himmel gerichtet. »Ich sterbe – o Jesu, mach' es leicht!« hauchte sie – dann noch ein lauter Atemzug – und der verklärte Geist schwang sich himmelan, in eine vollkommenere Heimat, als die irdische es je sein konnte. Es war ein furchtbarer Augenblick – nie vergesse ich das herzzerreißende Weinen und Schluchzen des unglücklichen Königs! Ja, Gottes Wege sind wohl eitel Liebe und Weisheit, aber für das arme gemarterte Menschenherz, das sie gehen soll, sind sie furchtbar, unfaßbar schwer!
Die Ärzte sagen, sie hätte einen Polypen am Herzen gehabt – ach, ich glaube, das Unglück ihres Vaterlandes hat ihr edles, großes Herz gebrochen! sie hat zu schwer daran getragen, zuviel darum geweint.
Meine Aufgabe ist hier zu Ende; ich werde meine königliche Freundin noch bis an ihre letzte Ruhestätte begleiten und dann dem Hofe Lebewohl sagen. Mir ist zumute, als hätte ich alles, alles verloren, was mir das Leben wert machte. Haben Sie Mitleid und Nachsicht mit Ihrem Kinde, meine Mutter; tun Sie Ihre gütigen Arme weit auf, und lassen Sie mich an Ihrem treuen Herzen Trost und Frieden suchen. In wenigen Tagen erwarten Sie
Ihre
tiefgebeugte Tochter Gabriele.
Nicht nur Preußen, nein, ganz Deutschland trauerte um die schöne, hehre Königin Luise; auch die Provinzen, welche Napoleon dem Zepter Friedrich Wilhelms entrissen hatte, fühlten sich in tiefem Leide eins mit dem alten Vaterlande. Auf allen Gesichtern malte sich derselbe Schmerz, die tiefste Trauer herrschte in allen Häusern, und das eine Gefühl schien alle zu durchdringen, daß der Feind den Schutzengel des Volkes getötet habe, daß die letzte, schwache Hoffnung mit dem Leben dieser allverehrten Frau entwichen sei. Selbst die Franzosen schienen die Gefühle zu ehren, aber sie ahnten nicht, welche Gedanken der Rache bei diesem Todesfall in den Gemütern erwachten und allmählich an die Stelle des betäubenden Schmerzes traten. Ein wenn auch unausgesprochener Schwur, das Andenken an die verklärte Königin durch unerschütterliche Anhänglichkeit zu ehren, stärkte die vaterlandstreue Gesinnung, die jede Gelegenheit ergreifen wollte, um das verhaßte Joch der Fremdherrschaft abzuwerfen.
Die deutschen Dichter stimmten ihre Harfen auf denselben Ton und gaben der allgemeinen Empfindung einen beredten und ergreifenden Ausdruck. So sang Theodor Körner an der Leiche der Königin:
Du schläfst so sanft! die stillen Züge hauchen
Noch deines Lebens schöne Träume wieder;
Der Schlummer senkt nur seine Flügel nieder,
Und heil'ger Friede schließt die klaren Augen.
So schlummre fort, bis deines Volkes Brüder,
Wenn Flammenzeichen von den Bergen rauchen,
Mit Gott versöhnt die rost'gen Schwerter brauchen,
Das Leben opfernd für die höchsten Güter.
Tief führt der Herr durch Nacht uns und Verderben,
So sollen wir im Kampf uns Heil erwerben,
Daß unsre Enkel freie Männer sterben.
Kommt dann der Tag der Freiheit und der Rache,
Dann ruft dein Volk, dann, deutsche Frau, erwache,
Ein guter Engel für die gute Sache!