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(Blätter aus Gabrielens Tagebuch.)
Sei uns gegrüßt, du hohe Königin.
Du edle Frau von echtem, deutschem Sinn,
Ein lichter Glanz umschwebt dein liebes Bild,
Der tief aus einem frommen Herzen quillt.
Berlin, Mai 1798.
Seit fünf Monaten bin ich nun schon hier, und die fremde Welt fängt an, mir ganz heimisch und vertraut zu werden. Das brennende Heimweh, das mich anfangs oft überfiel wie ein körperlicher Schmerz und mich unsäglich elend machte, löst sich allmählich in ein wehmütig süßes Gedenken auf. Ich will die stillen Tränen nicht verzeichnen, die mir beim Beginn meiner neuen Laufbahn die Notwendigkeit gekostet hat, in meiner Luise nur die hohe Herrin und Gebieterin zu sehen und es mir nie vor fremden Augen merken zu lassen, daß ich ein besonderes Anrecht an sie besitze. Jetzt habe ich es endlich gelernt, mir an den seltenen Augenblicken genügen zu lassen, in denen sie nicht nur die huldvolle, gütige Königin gegen mich wie gegen die anderen Damen ihrer Umgebung ist, sondern wo ihr tiefstes Herz mir entgegenleuchtet und mich deutlich erkennen läßt, daß ich ihr mehr bin als andere. Ach, ich liebe sie ja jetzt noch tausendmal heißer und zärtlicher als früher, denn alles, was ich ehemals in ihr nur ahnte, das sehe ich jetzt in herrlicher Erfüllung vor meinen Augen. Gab es je ein schöneres, edleres, hochherzigeres Wesen als unsere Engelskönigin? Ich glaube nicht, daß ich mich jemals verheiraten werde, aber wenn es geschehen sollte, so müßte meine Liebe zu meinem Gatten und meinen Kindern der Luisens gleichen. Mit welcher Verehrung blickt sie zu ihrem Gemahl auf, wie liebevoll weiß sie auf alles einzugehen, was ihn beschäftigt, wie zart ihn zu erheitern und zu zerstreuen, wenn er einmal trübe und düster blickt, wie anmutig jeden Scherz zu erwidern! Nichts kann reizender sein, als wenn sie morgens mit dem König in das Zimmer der Kinder tritt und ihm eins nach dem anderen zum Kusse hinreicht; dann verschwinden die Wolken des Ernstes von seiner Stirn, sein Angesicht erheitert sich, und er spielt und tändelt mit seinen Kleinen wie ein zärtlicher, bürgerlicher Vater, ja nicht selten muß ihn die Königin daran erinnern, daß die Zeit abgelaufen und der Adjutant mit den wichtigsten Meldungen schon erschienen sei. Jeden Abend treten beide noch einmal an die Bettchen der schlafenden Kinder und küssen sie leise auf die Stirn. Nach Eylert. – Während man über die früheren Zustände hier am Hofe Andeutungen hört, die einem das Blut in die Wangen treiben, ist jetzt unser Königshaus ein Vorbild für das ganze Land; die Vornehmen wie die Geringen können nur wünschen: wären wir so gut, so rein, so glücklich wie unser hohes Königspaar! Das ist ein köstliches Gefühl, und ich bin stolz darauf, zu einem solchen Hofstaat und damit gewissermaßen zum engsten Familienkreise zu gehören.
Dieser Winter ist, wie man mir sagt, sehr still vergangen, weil wir noch um den hochseligen König in Trauer sind; aber was ist die Stille eines Hofes gegen die tiefe, friedliche Ruhe des Winters in meiner ländlichen Heimat! Mir schien es anfangs ein rauschender Wirbel zu sein, in dem ich meine Gedanken kaum sammeln konnte. Jetzt rüsten wir uns zu einer großen Reise, auf der die Majestäten die Huldigungen ihrer Provinzen annehmen werden. Wir gehen über Danzig nach Königsberg, dann nach Warschau und Breslau und werden wohl zwei Monate fortbleiben.
Charlottenburg, 1. Juli 1798.
Unsere Reise war ein Triumphzug, überall gab sich die Liebe des Volkes für seinen edlen König, seine herrliche Königin in rührender Weise kund. Im kleinsten Städtchen gab es Ehrenpforten mit weißgekleideten Mädchen, Vivats und Tücherschwenken ohne Ende. Als wir in die schöne alte Stadt Danzig einfuhren, die mit ihren zahlreichen Türmen, ihren mächtigen Kirchen und hohen Toren wahrhaft den Eindruck einer Patrizierstadt macht, donnerten die Kanonen von den Wällen, die Schiffe auf der Weichsel und im Hafen hatten geflaggt, und eine dichtgedrängte Menschenmenge empfing und begleitete uns mit begeisterten Hochrufen. Köstlich war eine Fahrt auf die sonnenbeglänzte Ostsee hinaus, die, schon vom Karlsberg in Oliva gesehen, meine Blicke unwiderstehlich gefesselt hatte. Eine Menge von Booten umschwärmte unsere Schaluppe, dazu die leuchtenden Wellen mit den weißen Schaumköpfen, der Hafen mit dem weithin sichtbaren Leuchtturm und die flatternden Wimpel auf den Schiffskolossen – es war ein Anblick, den ich nie vergessen werde. – In Königsberg, der Geburtsstätte des preußischen Königreiches, fand die eigentliche Huldigung der Stände im Hofe des alten Schlosses statt; auch hier gab es glänzende Feste und große militärische Schauspiele, ebenso in Warschau, das erst seit kurzem zu Preußen gehört, und wo doch auch Tausende zusammengeströmt waren, um die schöne Königin zu sehen und zu bewundern. Herzzerreißend aber war der Anblick der Vorstadt Praga, die noch in Trümmern liegt; vor vier Jahren hatte sie der damalige Kronprinz hart beschossen und erstürmt, jetzt zog er als König ein und ließ sich huldigen – welch ein Gegensatz! Dabei hatte er jedes militärische Geleit abgelehnt. »Ich bin es gewohnt,« sagte er, »mich bei Bereisung meiner alten Provinzen nur von der Liebe meiner Untertanen schützen zu lassen, und erwarte in den neuen keine anderen Gefühle zu finden.« –
Besonders schön war es in Breslau, wo die Königin am Tor von den Söhnen und Töchtern der Krautgärtner empfangen wurde; in ihrer reichen Tracht streuten sie Blumen auf ihren Weg und überreichten ein Gedicht in ihrer Mundart.
Gott gab dir Freede, Glück und Ruh
Und deinen Kindern do,
Du gude Landesmutter du,
Du brave Künigsfro!
so lautete der Schluß, der unserer Teuern tief zu Herzen ging. Überhaupt hatte die Verehrung der biederen Schlesier etwas ungemein Gemütliches und Wohltuendes, man fühlte sich in der Liebe des warmherzigen, leichtlebigen Völkchens so sicher geborgen. Überall wurden der Königin unzählige Menschen vorgestellt, für jeden hatte sie ein gütiges Wort, immer zeigte sie die liebenswürdigste Teilnahme, die aber nicht aus äußerlicher Höflichkeit, sondern aus einem warmen Herzen floß: daher die Begeisterung und Liebe, die sie überall erweckte. Ich fühlte mich oft ganz beschämt, wenn ich ihre immer gleiche Freundlichkeit ansah, denn mich machte der Wirbel von Festlichkeiten, verbunden mit den großen Anstrengungen der Reise, manchmal ganz müde und matt. Die Straßen waren oft sehr schlecht, mehr als einmal waren wir in Gefahr, mit unseren Reisewagen umzustürzen, ja in Polen warf der Kutscher die Königin wirklich in den Graben. Gott sei Dank! sie blieb unversehrt und litt es in ihrer himmlischen Güte nicht einmal, daß der Mann bestraft wurde.
Jetzt sind wir glücklich daheim angelangt und alle froh, etwas Ruhe zu genießen, ehe die Huldigung in Berlin stattfindet, für welche großartige Vorbereitungen getroffen werden.
Ich hatte heute eine Unterredung mit dem königlichen Kammerdiener Rauch, der schon lange mein lebhaftes Interesse erregt und auch ein gewisses Vertrauen zu mir gefaßt hat. Er ist ein schöner, junger Mann von etwa zwanzig Jahren, der gar nicht aussieht, als ob er für eine dienende Stellung geschaffen wäre. Mehrmals hatte ich ihn im Vorzimmer der Königin mit einem ernsten Buch oder zeichnend gefunden; aus seinen großen, schwermütigen Augen spricht ein Geist, der für Besseres bestimmt scheint, als seine Genossen es erstreben. Heute traf ich ihn in der Stellung eines Verzweifelnden; auf meine teilnehmende Frage erzählte er mir, daß er dieses Leben nicht länger ertragen könne, er sei zum Bildhauer bestimmt und habe schon vier Jahre bei verschiedenen Meistern gearbeitet; nach dem Tode seines Vaters, welcher fürstlich waldeckscher Kammerdiener gewesen, hätten ihm alle Mittel gefehlt, um sich durchzubringen und seine Mutter zu unterstützen, deshalb habe er das Anerbieten des verstorbenen Königs, als Kammerdiener in seinen persönlichen Dienst zu treten, annehmen müssen. Nach dessen Tode habe die Königin Luise ihn für sich beansprucht; sie sei die Güte und Leutseligkeit selbst gegen ihn gewesen, habe ihm auch manche freie Stunde gestattet, um seinem innersten Beruf zu folgen, aber es wäre doch zu wenig, denn die Kunst erfordere volle, ungeteilte Hingabe. Jeder Versuch, sich aus dieser Stellung zu befreien, sei ihm mißglückt, er müsse die Fesseln weiterschleppen und auf jede Hoffnung verzichten, einmal etwas Großes zu leisten. – Der tiefe Seelenschmerz des jungen Menschen ging mir zu Herzen, und ich sprach nachher mit dem Kammerherrn v. Schilden darüber; dieser interessiert sich auch sehr für Rauch und hofft noch immer, der König werde sich bewegen lassen, etwas für den jungen Künstler zu tun, der ohne Unterstützung seinem Talente freilich nicht folgen könne.
Den 6. Juli.
Heute fuhr die Königin in einem achtspännigen Galawagen, in Begleitung der Oberhofmeisterin, zur Stadt und in den Dom, wo der König und alle Prinzen sie erwarteten. Herrlich sah meine Luise im königlichen Schmuck aus, im weißen, goldgestickten Kleide, mit dem langen Mantel von Purpursammet und Hermelin darüber und dem strahlenden Diadem im Haar. Nach dem feierlichen Gottesdienst wurde sie auf den Balkon im Weißen Saal geführt, um von dort aus dem Huldigungsakte beizuwohnen. Draußen auf dem weiten Platze des Lustgartens stand die dichtgedrängte Menge, Kopf an Kopf, und nahm an dem Treuschwur warmen Anteil. Die Kanonen donnerten, alle Glocken läuteten, die Jubelrufe des Volkes erfüllten die Lüfte – es war ein über alle Beschreibung rührendes und ergreifendes Schauspiel. O meine erhabene Königin, du teuerste Freundin meiner Seele, möchte der allmächtige Gott alle diese Segenswünsche erfüllen! Möchte Er dich vor jedem Leid schützen und die Dornenkrone für immer von deinem geliebten Haupte fernhalten!
Potsdam, Herbst 1799.
Wir haben einen großen Teil des Sommers in Sanssouci zugebracht, wo ich mich viel wohler und heimischer fühle als in Berlin. Die liebliche Natur, die durch die höchste Kunst in ihren Wirkungen gesteigert ist, die harmlosere Lebensweise erinnern mich mehr an die Gewohnheiten der Heimat. Zuweilen fuhren wir nach Paretz hinüber, wo das kronprinzliche Paar manchen glücklichen Sommer verlebt hat. Wie einfach und anspruchslos ist dort alles! Der Garten ist hübsch herangewachsen, grüne Wiesen schließen sich unmittelbar daran und senken sich bis zur Havel hinab, die Kuhglocken tönen bis ins Herrenhaus hinein. Recht ländlich bescheiden steht es da, mehr als wäre es für den »Schulzen von Paretz«, wie sich der Kronprinz zu nennen liebte, als für einen künftigen Herrscher erbaut. Aber wenn die Königin von den Zeiten spricht, die sie hier verlebt hat, dann liegt immer ein Glanz heiterster Befriedigung auf ihrem lieben, schönen Antlitz; dann wird sie nicht müde, uns von den stillen Freuden dieses Aufenthaltes zu erzählen, von den Wasserfahrten mit ihrem Mann und ihren Freunden, von den heiteren und ernsten Unterhaltungen abends im Garten in einem auserwählten Kreise, von den fröhlichen Erntefesten, wobei die hohen Herrschaften mit den Schnittern und Harkerinnen tanzten und sich harmlos unter die jubelnde Menge mischten, von den Spazierfahrten im grünumkränzten Leiterwagen, welche unserer lieben Oberhofmeisterin solch einen unüberwindlichen Abscheu einflößten, daß sie noch jetzt nur schaudernd daran denken kann!
Heute wurde mir ein Besuch gemeldet, es war Max Ebner. Schon ehe er den Mund öffnete, hatte ich an dem Trauerflor an seinem Arm und dem ernsten Ausdruck seines Gesichtes erkannt, daß er seinen Vater verloren habe. Guter, braver Amtmann! So bald ist er seiner wackeren Frau gefolgt! Wie unzertrennlich sind alle Erinnerungen meiner Kindheit mit diesem prächtigen Paar verbunden; wie heimisch waren wir, Gerhard und ich, im Amtmannshause, wie viele Liebe und Güte haben wir dort empfangen! – Walter ist nun ganz in die Stelle seines Vaters gerückt, dessen treuer Gehilfe er schon seit Jahren war; Max, der auf der Forstakademie seine Studien beendet hat, geht als herzoglicher Oberförster ins Weimarsche; Hans, der immer die besten Gaben hatte, studiert in Halle Theologie und hofft wohl später auf die Pfarrstelle in Tannenrode.
Potsdam, Herbst 1800.
Vor kurzem sind wir von einer Reise nach Schlesien zurückgekehrt, welche mir eine Reihe köstlicher Eindrücke hinterlassen hat. Meine Königin liebt das schöne Land mit seinen romantischen Bergen und fruchtbaren Ebenen besonders und weilt gern unter seinen frohen, biederen Bewohnern. Im Verkehr mit der Natur und einfachen Menschen scheint sie immer noch schöner und lieblicher zu erblühen, und ihr tat eine Erholung not, denn der Tod der kleinen Prinzessin Friederike in diesem Frühjahr hatte sie tief bekümmert. Aber hier fand sie ihre volle Fröhlichkeit wieder und verstand es in köstlicher Weise, alle aufrichtigen Huldigungen, gleichviel ob es die glänzenden Feste der Vornehmen oder die Feldblumenkränze armer Dorfkinder waren, mit der herzgewinnenden Freundlichkeit entgegenzunehmen, welche die Geber so hoch beglückt. Manchmal, wenn der Volksjubel gar zu laut wurde, drückte sich der König schweigsam in seine Wagenecke und überließ es der Gemahlin allein, alle die tausend Grüße zu erwidern. »Wie hältst du es nur so lange aus, liebe Luise?« fragte er einmal ganz ermüdet. »Ach, sieh doch nur die guten, frohen Menschen mit ihren treuen Augen!« erwiderte sie fröhlich. »Genießt man da nicht das beste Glück dieser Erde, Liebe und Gegenliebe?« Die Schilderung der schlesischen Reise ist dem Buche von Eylert entnommen.
Einen entzückenden Ausflug machten wir nach der Schneekoppe. Bei der Schlingelbaude, wo der Weg steiler wird, legte die Königin ihren Reitanzug an und stieg zu Pferde, eine herrliche Amazonengestalt, die ihr Roß mit vollkommener Sicherheit zu lenken wußte. Wie sie neben dem Gemahl hinritt, mußte sich jeder sagen, daß dies nicht nur das erste, sondern auch das schönste und stattlichste Ehepaar im Lande sei. Der letzte Gipfel mußte zu Fuß erstiegen werden, eine unzählbare Menschenmenge begleitete uns, aller Augen waren auf das Königspaar gerichtet, jeder wartete mit Spannung, welchen Eindruck die unermeßliche Fernsicht auf es machen würde. Mit einer feierlichen Gebärde entblößte der König das Haupt, Luise lehnte sich an ihn mit feuchten Augen und gefalteten Händen, und die Tausende ringsum wurden von dem gleichen Gefühl ergriffen: eine andächtige Stille senkte sich auf alle herab, und wohl jeder brachte auf dieser erhabenen Höhe dem Weltenschöpfer das Morgenopfer eines innigen Gebetes dar.
Tags darauf hatte man den hohen Gästen im Städtchen Waldenburg ein eigentümliches Fest bereitet. An dem unterirdischen Teich der dort gelegenen schiffbaren Stollen waren fünfhundert Bergleute aufgestellt, welche das königliche Paar mit einem fröhlichen »Glückauf!« begrüßten; hier begab man sich auf bereitstehende geschmückte Nachen. Die lange Wasserstraße tief unter der Erde, eingehüllt in dunkle, stille Nacht, vom matten Schimmer der Grubenlichte zauberisch beleuchtet, machte einen seltsam geheimnisvollen Eindruck. »Welch ein Gegensatz!« sagte die Königin. »Gestern auf der Sonnenhöhe der Schneekoppe, hoch über der Erde, heute tief in ihrem dunkeln Schoße; gestern auf dem Olymp, heute im Tartarus, schwimmend auf dem Styx in Charons Nachen!« Plötzlich ertönten in weiter Ferne sanfte Klänge, allmählich unterschied man deutlich die Melodie: Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren, welche vierstimmig gesungen und von Blasinstrumenten begleitet wurde. Feierlich schallte es durch die umschließende Nacht, als schwebte der Geist Gottes über den Wassern; keiner sprach ein Wort – da wendete sich auf einmal die Wasserstraße, die Nachen lenkten in eine strahlend hell erleuchtete Grotte ein, aus welcher uns ein froher Bergmannsgesang entgegentönte, und wo ein reiches Frühstück unser wartete. Die Überraschung war überwältigend, die Königin rief einmal über das andere: »Ja, auch unter der Erde ist es schön und herrlich! Dank, tausend Dank! Ich werde diesen Tag nie vergessen!«
Ein märchenhaftes Zauberfest gab der Graf von Hochberg unserem Königspaar. Wundervoll ist der ihm gehörige Fürstenstein gelegen; auf der einen Seite schweift der Blick über die weite Hochebene bis nach Breslau hinüber, auf der anderen tut sich eine Hochwaldsnatur auf mit zerrissenen Felsen, tiefen Schluchten, brausenden Wasserfällen und lieblichen Tälern; am Horizont steht die glänzende Schneekoppe wie ein Fürst, den seine getreuen Paladine Sturmhaube, Heuscheuer, Reifträger und andere Größen des Riesengebirges umgeben. Durch das enge Tal der Salzbach kamen wir ahnungslos heraufgezogen, als sich plötzlich auf einer Anhöhe eine mittelalterliche Ritterfeste unseren Augen zeigte. Auf der Zinne wehte das Hochbergsche Banner, am Tor hielten geharnischte Reisige die Wacht. Horngeschmetter schallte uns von der Warte entgegen, die Zugbrücke senkte sich, unter Pauken- und Trompetenklang hielt das Herrscherpaar samt seinem glänzenden Gefolge seinen Einzug. Jetzt sprengte der Bannerherr heran und bat in altertümlicher Rede um die Erlaubnis, zu Ehren der hohen Gäste ein Ringelstechen abzuhalten. Unter kriegerischer Musik ritten die Teilnehmer, phantastisch geschmückt, in die Schranken ein; beim Eintritt mußte jeder den Namen seiner Dame verkünden, und alle sprachen im Tone huldigender Ehrfurcht denselben aus: »Luise, Preußens Königin.«
Unsere teure Herrin verneigte sich mit bezaubernder Anmut, das Ringelstechen begann, und die Sieger empfingen mit gebogenem Knie aus ihrer Hand die Preise, während die Wirbel der Pauken, das lustige Schmettern der Trompeten von den nahen und fernen Bergen widerhallten. Bei der Tafel blieben die Herren in ihrer ritterlichen Tracht; alte Becher und Humpen kreisten in den Reihen der Schmausenden; zwischen den Minneliedern und Romanzen, die ein geübter Sängerchor vortrug, ertönten immer wieder die jubelnden Hochrufe auf König und Königin, welche sich mit Geschick und Laune in dieses Stück Mittelalter zu finden und ganz den Ton anzustimmen wußten, der damit im Einklang stand.
Als der schöne, heitere Tag zu Ende ging und die Abendschatten sich auf Berg und Tal senkten, erglänzte plötzlich die ganze stolze Burg in strahlender Beleuchtung weit in die Nacht hinaus, und man sah in diesem Lichte alle Höhen von wimmelnden Menschen besetzt, welche auch an diesen Herrlichkeiten einen Anteil haben wollten. Es war ein selten schönes, sinniges Fest, aber was ihm erst den vollen Zauber verlieh, das war die holdselige Frauengestalt, die im Mittelpunkte stand und durch ihre seelenvolle Teilnahme allem das rechte Leben gab.
Charlottenburg, Herbst 1803.
Ein einzig schöner Sommer liegt hinter mir: ich hatte einen langen Urlaub erhalten und habe drei Monate in der Heimat verlebt. O Heimat! o Mutterherz! Was kann uns diese Erde Köstlicheres bieten als euch? Was vermag jeden Wunsch, jedes Drängen und Begehren in so süße Ruhe zu wiegen wie ihr? Ich glaubte, auf dem Boden, auf den mich Gott seit fast sechs Jahren gestellt hat, recht festgewurzelt zu sein, und nun kam es mir doch vor, als käme ich aus der Fremde, als gäbe es Behagen und vollste Befriedigung nur daheim!
Und doch haben wir zum Teil recht bewegte Tage verlebt, denn es galt ja, die Hochzeit unserer Dora zu feiern! Wie eigen war es mir, das Kind an der Seite ihres Verlobten, ihres Gatten zu sehen! Als ich die Heimat verließ, war sie ein kleines Ding von elf Jahren, jetzt hatte sie ihr siebzehntes zurückgelegt und war zu einer schönen, stolzen Jungfrau erblüht. Ihr Fortgehen macht wieder eine große Lücke im lieben Vaterhause, aber Mutterliebe kennt keine Selbstsucht, und unser teures Mütterchen lebte nur in dem Glück ihrer Tochter. Auch ist ja, Gott sei Dank! immer noch Ersatz da; Amtmanns Lotte ist ihr so lieb wie ein eigenes Kind und seit dem Tode ihrer Großeltern ein völlig untrennbares Glied unserer Familie geworden. Mit ihren fünfzehn Jahren ist sie ganz erwachsen, ein blühendes, echt deutsches Mädchen von kräftigen Formen, deren schöne graue Augen und üppige, blonde Zöpfe an das Bild jener Nürnberger Patriziertochter erinnern, welche einen Ritter von Maltheim heiratete. Sie ist die zärtlichste Beschützerin unserer kleinen Thea, die sich wie ein unendlich zartes Blümchen langsam entfaltet, die teilnehmendste Freundin unseres Maltus, der sich prächtig entwickelt, und den man, trotz seiner Fehler, lieben muß; er hat äußerlich viel Ähnlichkeit mit seiner Mutter, aber innerlich gottlob noch mehr mit seinem Vater, doch hegt er eine leidenschaftliche Zärtlichkeit für jene. Trotzdem gibt es oft sehr heftige Auftritte zwischen beiden, in welchen er ihr mit sprühenden Augen sehr ungebührliche Dinge sagt, um gleich darauf unter strömenden Tränen ihre Verzeihung zu erflehen und seine süße, kleine Maman mit Küssen und Liebkosungen zu überschütten. Seiner Großmutter dagegen begegnet er stets mit ritterlicher Ehrerbietung und kindlichem Gehorsam.
Mein lieber Bruder hat leider kein vollkommenes Glück gefunden; zwischen den beiden Frauen, die ihm so nahe stehen, und die so ganz verschieden sind, schwankt seine Seele hin und her. Sein braves, deutsches Herz zieht ihn eigentlich ganz auf die Seite unserer Mutter, deren Tun und Denken ihm vollkommen sympathisch ist, aber er möchte auch den Neigungen seiner Gattin gerecht werden und gestattet ihr Freiheiten, die mit unseren Scharfenecker Gewohnheiten gar nicht zusammenpassen. Schon vor mehreren Jahren ist Gerhard in das Regiment des Herzogs von Weimar eingetreten und hat dort eine Offiziersstelle erworben; das nötigt ihn, einen Teil jedes Jahres in Weimar zuzubringen, wo Marion mehr Vergnügen und Abwechselung findet als daheim. Aber die schwärmerische Verehrung, die sie für den Konsul Bonaparte hegt, die laute Bewunderung, die hohen Erwartungen, mit denen sie auf den Hersteller der französischen gloire, den Sieger über Österreichs Heere blickt, passen schlecht für die Gattin eines deutschen Offiziers, der wohl einmal in die Lage kommen könnte, diesem korsischen Helden als Feind gegenüberzustehen. Ich kann die Erfolge dieses Bonaparte nie ohne ein herzbeklemmendes Gefühl betrachten; zwar hat er mit eiserner Land den Drachen der Revolution bezwungen und Frankreich zu Ruhe und Ordnung zurückgeführt, aber dennoch fühle ich ein geheimes Grauen vor seiner Macht, die mir nicht von oben zu stammen scheint. –
Berlin, Weihnachten 1804.
Welche gewaltigen Dinge geschehen beständig vor unseren Augen, und was wird die Zukunft uns noch bringen? In Paris hat der Erste Konsul Bonaparte sich zum Herrscher Frankreichs gemacht; zu Pfingsten hat ihn die Stimme des Volkes, das ja nur ein willenloses Werkzeug in seiner Hand ist, zum Kaiser erwählt! Aber noch nicht genug damit: er will es der Welt beweisen, daß er der rechtmäßige Nachfolger Karls des Großen sei, daher hat er den Papst bewogen, zu ihm nach Paris zu kommen und ihn in der Kirche Notre Dame zum Kaiser zu salben. Wann hat je der Nachfolger Petri sein uraltes Rom verlassen, um einem weltlichen Herrscher gehorsam zu Diensten zu stehen? Man hat das Gefühl, als müßte man fortwährend auf neue Umwälzungen gefaßt sein.
Wir haben den Herbst sehr still in Sanssouci verlebt, da unsere teure Königin oft leidend war und der Ruhe und Schonung bedurfte. Solche Zeiten sind mir die liebsten; da leben wir wie eine große Familie zusammen, und es wird viel gelesen und musiziert. Alle Meisterdramen Schillers und Goethes, manche von den tiefsinnigen Schriften Herders haben wir miteinander genossen und uns an dem eigenartigen Jean Paul erfreut, dessen phantasie- und gemütvoller Humor dem Leser so oft ein Lächeln unter Tränen entlockt. Auch den großen Briten Shakespeare und einige Trauerspieldichter des Altertums haben wir in Übersetzungen kennen gelernt und uns durch ihre gewaltigen Werke durchschauern und erheben lassen. Es ist ein hoher Genuß, dies alles im Verein mit der Königin zu treiben; ihr für alles Wahre und Schöne glühendes Gemüt erfaßt die Dinge so lebhaft und macht sie auch mir lebendiger und eindrucksvoller. Wie danke ich Gott täglich, daß er mich in ihre Nähe geführt hat!
Der Kammerdiener Rauch ist seines Dienstes entlassen; der König gab endlich seinen Bitten, wiewohl etwas ungnädig, Gehör und erteilte ihm einen sechsjährigen Urlaub nebst einer bescheidenen Unterstützung. Am ersten August ist er als Begleiter eines reichen Grafen nach dem Lande seiner Sehnsucht, Italien, abgereist, vorher hat er aber eine Büste der Königin modelliert, die sehr wohl getroffen ist und von seiner Begabung ein schönes Zeugnis ablegt. Als Rauch sich von mir verabschiedete, war er ein ganz veränderter Mensch, alles an ihm strahlte vor Freude und Begeisterung; ich denke, wir können von diesem jungen Manne noch Großes erwarten.
Paretz, Mai 1805.
Eben kommt eine Trauerkunde, die uns tief erschüttert: Friedrich v. Schiller ist gestorben! Welch ein Verlust für die Nation! Wir weinen ihm Tränen des Kummers und der dankbaren Liebe nach; sein Name ist für alle Zeit unvergeßlich in jedes deutsche Herz eingegraben! Die Königin ist sehr traurig; sie hatte die Hoffnung, den großen Dichter den unseren zu nennen, noch nicht aufgegeben.
Auch daheim hat der Tod eine liebe Gestalt abgerufen: unsere treue Maria ist heimgegangen. Sie war schon lange recht schwach und hinfällig geworden; aber je schwächer der äußere Mensch wurde, desto schöner entfaltete sich der innere, und mit den Augen der Seele schaute sie schon in ein besseres Jenseits hinüber. Sie wird meiner lieben Mutter sehr fehlen.
Pyrmont, Juli 1806.
Seit vier Wochen verweilen wir hier im Bade, das für meine teure Königin ein dringendes Bedürfnis war. Seit dem Tode des kleinen Prinzen Ferdinand, der ein ungewöhnlich reizendes Kind und der Liebling seiner Mutter war, erschien diese wie eine welke Blume; trotz aller frommen Ergebung in Gottes Willen konnte sie den schweren Verlust nicht überwinden, er zehrte an ihrem Leben. Dr. Hufeland riet zu einer Reise nach Pyrmont, das schon mehrfach preußischen Herrschern, z. B. dem Großen Kurfürsten und Friedrich dem Großen, Erquickung und neue Kraft gebracht hätte. Mit rührender Gewissenhaftigkeit gebraucht die Königin die ihr verordnete Kur, damit die schmerzliche Trennung von ihrem Gemahl und ihren Kindern gute Früchte trage. Wir leben sehr einfach und ungezwungen; die ganze hiesige Gesellschaft betet unsere schöne Herrin an, ihre sanfte Würde, die immer gleiche freundliche, selbst heitere Stimmung, die ihrer Umgebung das Dasein so leicht und beglückend macht, wirkt auch auf Fremde wie ein unwiderstehlicher Zauber. Wenn ein Brief des Königs eintrifft, erscheint ihr ganzes Wesen wie von einem leuchtenden Glanze angehaucht; man muß sich mit ihr freuen, als hätte man selbst etwas Gutes erlebt. Gottlob! das Bad stärkt ihre Kräfte sichtbar, sie blüht täglich schöner auf.
Pyrmont, 25. Juli.
Eine böse, erschütternde Kunde drängt sich plötzlich in unser reizendes Stilleben: die Staaten des Rheinlandes haben sich zu einem Bunde vereinigt und Napoleon zu ihrem Protektor erwählt! Großer Gott, ist es möglich, daß deutsche Fürsten deutscher Ehre so ganz vergessen können, um mit diesem falschen Emporkömmling, diesem tückischen Korsen gemeinsame Sache zu machen? Gibt es denn noch ein Deutsches Reich? Oder hat dieser furchtbare Mann recht, wenn er höhnisch sagt: Ich kenne keine deutsche Nation mehr?
Die Königin ist außer sich; so wenig sie sich sonst um Politik bekümmert – sie sagt, sie habe als Gattin und Mutter nähere und heiligere Pflichten zu erfüllen –, so leidet doch ihr deutsches Herz bitter unter dieser Schmach. Ach, es ist ja nicht die erste, die dieser Napoleon uns bereitet hat! Ist es doch, als hätte die Hölle ihn mit unbezwinglicher Macht, seine Waffen mit Unbesiegbarkeit ausgestattet! Bei Austerlitz hat er im vorigen Winter die vereinigten Heere Österreichs und Rußlands aufs Haupt geschlagen; seine Anmaßung wächst ins Grenzenlose, er glaubt die ganze Welt nach seinem Sinne gestalten zu können. O mein Gott, schütze uns vor diesem Manne, daß er nicht auch uns Verderben bringe!
Charlottenburg, den 6. August 1806.
Wir sind glücklich daheim angelangt; der König kam uns bis hinter Potsdam entgegen, und in neuer Kraft und Gesundheit, in alter Liebe und Zärtlichkeit flog seine Gattin in seine Arme. Es war ein schöner, ergreifender Augenblick! Aber welche schmerzlichen Überraschungen folgten auf die erste Freude des Wiedersehens! Der Krieg mit Frankreich ist beschlossen; allein, ohne starke Bundesgenossen, zieht Preußen in den Kampf mit diesem Gewaltigen! Österreich liegt blutend am Boden, Rußland, dessen Kaiser treu an der Bundesbrüderschaft festhält, die er im vorigen Jahre am Sarge des großen Friedrich mit Kuß und Handschlag beschworen hat, ist gleichfalls schwer getroffen, und seine Leere stehen in zu weiter Ferne, um gleich mit einzugreifen. Nur Kursachsen und Weimar stehen zu uns; unser Herzog übernimmt wieder die Führung einer preußischen Heeresabteilung. Auch für Gerhard wird das Soldatenspiel jetzt bitterer Ernst, auch er wird wohl als weimarischer Offizier ins Feld rücken müssen.
Es ist eine ernste Zeit – aber nur unverzagt, Gott wird uns nicht verlassen, das Heer des großen Friedrich wird seinem alten Ruhm Ehre machen, wir werden diesen blutigen Ruhestörer züchtigen und zu demütigerem Auftreten zwingen. O Gott im Himmel, schütze das geliebte Vaterland und unser treues Königspaar, behüte mir den einzigen Bruder und die geliebte Heimat!
Die Königin hat sich entschlossen, dem Beispiel so mancher edlen Frau des Hohenzollernhauses zu folgen und den König zur Armee zu begleiten. Ein kleines Gefolge geht mit – Gott sei Dank, daß ich dazu gehöre; ich wäre trostlos, dürfte ich in dieser schweren Zeit nicht an der Seite meiner Luise stehen!