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Zwölftes Kapitel.
Kriegsbereitschaft

Der faule Friede hat ein Ende,
Mit Frankreich endlich gibt es Krieg.
Frischauf die Herzen und die Hände:
An Preußens Fahnen hängt der Sieg!

In seinem Arbeitszimmer zu Scharfeneck saß der Freiherr Gerhard v. Fiedler am Schreibtisch; zuweilen flog seine Feder über das Papier, dann wieder stützte er den Kopf in die Hand, um tief nachzudenken, und mancher leise Seufzer entfloh dabei seinen Lippen. Im Zimmer sah es bunt aus, Kleider, Wäschestücke und Stiefel lagen auf Tischen und Stühlen umher, und ein großer, leerer Mantelsack, der aus der Erde ausgebreitet war, zeigte deutlich, daß es die Zurüstungen zu einer längeren Reise gälte. Leise öffnete sich die Tür, und die alte Frau v. Fiedler trat ein – alt nannte man sie nur zum Unterschiede von ihrer Schwiegertochter, sonst hätte sie, obgleich sie die Grenze des sechsten Jahrzehnts überschritten hatte, die Bezeichnung kaum gerechtfertigt, denn ihre Haltung war so fest und aufrecht und der klare Blick ihrer großen Augen noch ebenso hell und durchdringend wie vor Jahren. Sie trat auf ihren Sohn zu und legte ihre Hand sanft auf seine Schulter. »Gibt es kein Mittel, mein Gerhard, um dich von der Teilnahme an diesem Feldzuge zu befreien?« fragte sie mit leise bebender Stimme.

»Keins, Mutter, was sich mit der Ehre eines deutschen Edelmannes vertrüge«, erwiderte er fest und bestimmt.

Sie drückte seinen Kopf einen Augenblick an ihre Brust und richtete sich dann entschlossen auf. »Dann zieh hin, mein geliebter Sohn, und Gott behüte dich! Das Vaterland hat den ersten Anspruch an die Tatkraft seiner Söhne! Zeige dich deines Vaters und Großvaters würdig! Wie trägt es deine Frau?«

»Sie war sehr erregt«, versetzte Gerhard mit einem halb unterdrückten Seufzer, »und wollte es durchaus nicht einsehen, daß ich dem Rufe meines Kriegsherrn folgen müsse. Habt Geduld mit ihr, Mütterchen; es trifft sie doppelt schwer, da sie mit ihrem ganzen Herzen auf der anderen Seite steht.«

»Auf der Seite unserer Feinde!« sagte die Freifrau bitter.

»Auf der ihrer Landsleute, Mutter! Arme kleine Marion! Sie wird es nie vergessen, daß sie eine Französin ist – und wer wollte sie deshalb tadeln?«

Unterdessen lag in einem anderen Zimmer des »jungen« Flügels Marion v. Fiedler auf einem Ruhebett. Sie hatte, obgleich sie jetzt dreißig Jahre zählte, immer noch etwas sehr Jugendliches in ihrer Erscheinung; die zarte Gestalt, das zierliche Köpfchen mit den dunkeln Locken, die blendend weißen Zähne, die zwischen den roten Lippen hervorleuchteten – das alles ließ sie viel jünger erscheinen, als sie war; auch zeigte das reizende Gesicht keinen Zug, der eine innere Reife verraten hätte. Sie war nach der neuesten Mode gekleidet, welche seit einem Jahrzehnt, an Stelle der früheren Steifheit und Fülle, die äußerste Knappheit und Ungezwungenheit anstrebte. Zum Glück hatte das deutsche Klima die Auswüchse der Pariser Sitte, die schnell zur Unsitte ausgeartet war, immer schon in Schranken gehalten; seit mehreren Jahren hatte man aber auch in Frankreich wieder den Anstand in der weiblichen Kleidung gewahrt, der bei der lächerlichen Nachahmung antiker Trachten ziemlich verloren gegangen war. Dennoch war der Gegensatz, den eine Dame in der Tracht Ludwigs XV. gegen eine in der des neuen Kaiserreichs darbot, ein wunderbar großer.

Marion trug ein lichtblaues Gewand, das ihren schlanken Körper eng umschloß, sehr hoch gegürtet war und Hals und Arme völlig frei ließ; zum Schutz vor Erkältung hatte sie einen bunten Schal um die Schultern geschlungen. Ihre kleinen Füßchen waren mit durchbrochenen Strümpfen und sehr niedrigen Schuhen bekleidet; denn seit die schöne Josephine von Beauharnais die französische Kaiserkrone trug, hatte sie die Mode der nackten Füße, die nur auf antiken Sandalen ruhten und deren Zehen mit goldenen Ringen geschmückt waren, abgeschafft, und die ganze gebildete Welt hatte es ihr nachgetan.

Marion befand sich in augenscheinlicher Aufregung; ihre schwarzen Augen funkelten, auf ihren sonst farblosen Wangen brannten zwei rote Flecke, ihre Hände zerknitterten das feine Taschentuch, bis es mit einem leisen Krach zerriß. Ihr Sohn Maltus, ein schöner hochaufgeschossener Knabe, stand in einiger Entfernung und beobachtete sie aufmerksam; endlich trat er nahe an sie heran. »Was hast du, kleine Maman?« fragte er liebkosend. »Hat dir jemand ein Leid getan?«

»Ja, René, bitteres, grausames Leid: dein Vater will uns verlassen und in den Krieg gegen unseren Heldenkaiser, gegen die tapferen Soldaten unseres schönen Frankreich ziehen! Komm her, mein kluger Knabe, lege deine Wange an die meinige und sage mir: wäre es dir nicht auch tausendmal lieber, wenn er sich auf die andere Seite schlüge und Ruhm und Ehre gewänne, während diese armseligen Deutschen doch immer nur geschlagen werden?«

Maltus sah eine Weile ernsthaft vor sich hin. »Nein, Maman,« sagte er dann mit großer Bestimmtheit, »das wäre nimmermehr edel und recht. Wir tragen einen deutschen Namen und leben unter einem deutschen Fürsten; da müssen wir doch auch zu ihm stehen, wenn er angegriffen wird, und alle unsere Kraft daransetzen, um ihm zum Siege zu verhelfen.«

Marion stieß ihn rauh von sich. »Törichter Knabe,« sagte sie empört, »das sprichst du wieder einmal deiner Großmutter nach! Ich weiß es wohl, sie möchte dich mir ganz entfremden; nur auf sie hörst du, und das Wort deiner Mutter gilt dir nichts mehr! Geh mir aus den Augen, ich mag dein Geschwätz nicht hören!«

Maltus ballte seine Hände, und seine Augen blitzten. »Du bist ungerecht gegen mich und die Großmutter,« stieß er zornig hervor, »ungerecht wie immer! Ich wollte, ich wäre ein Mann und könnte mit meinem Vater hinausziehen und ihm streiten helfen gegen deinen anmaßenden Napoleon, der sich eine Krone gestohlen hat!« Er stürzte aus dem Zimmer, dröhnend fiel die Tür hinter ihm ins Schloß.

Marion schien sich um diesen Ausbruch wenig zu kümmern; eine Weile blieb sie in der vorigen Stellung liegen, dann richtete sie sich langsam auf. »Ich will es noch einmal versuchen,« sagte sie zu sich selbst, »ich will alle meine Kunst aufwenden, um ihm das Herz zu rühren. Er kann es mir nicht abschlagen, wenn er mich noch liebhat.«

Sie stand auf und trat vor den hohen Spiegel; dort glättete sie ihr verwirrtes Haar, ordnete ihr Gewand, drückte ihr Taschentuch an die Augen und fächelte sich Luft damit zu, bis ihre Wangen die Röte verloren hatten und ihr Gesicht ein bleiches, trauriges Aussehen gewann; sorgfältig versuchte sie allerlei Mienen und Stellungen, als ob sie eine Rolle einstudiere. Nachdem sie an der Tür ihres Gatten eine Weile gelauscht und sich überzeugt hatte, daß er allein sei, schritt sie unhörbar auf ihn zu und schlang ihre Arme um seinen Hals. »Gérard,« sagte sie sehr sanft und wehmütig, »ich bin sehr unglücklich, hast du ein paar Augenblicke Zeit, um deine kleine Frau zu trösten?«

Er schaute flüchtig auf und streichelte ihre Wange. »Gleich, mein Kind, gleich; wenn ich diesen Brief vollendet habe, stehe ich dir ganz zu Diensten«, erwiderte er etwas zerstreut.

Über ihr Gesicht flog ein Ausdruck von Unwillen, aber sie verscheuchte ihn. »Ich will mich hierhersetzen und ganz geduldig warten, bis die Reihe an mich kommt«, sagte sie mit erkünstelter Demut, ließ sich in einen Sessel sinken und heftete einen melancholischen und vorwurfsvollen Blick auf ihren Gatten. Jener warf sehr bald die Feder hin und setzte sich neben sie. »Verzeih, liebes Kind, ich habe vor meiner Abreise noch viel zu ordnen und muß jede Stunde benutzen. Aber laß hören, was du mir zu sagen hast, ich bin ganz Ohr.«

Sie faltete die kleinen, weißen Hände über seinem Arm und sah schmeichelnd zu ihm empor. »Erinnerst du dich noch des Tages, Gérard, wo ich dich vor der Verfolgung der Jakobiner rettete, die dich verhaften und morden wollten? Weißt du noch, wie wir in Jeannettens dunkler Kammer saßen und du mir immer wieder sagtest, ich hätte dir einen unermeßlichen Dienst geleistet, und du würdest für immer mein Schuldner bleiben?«

Gerhard nickte ernsthaft und nachdenklich; auf seinem Gesicht stand geschrieben, daß er einen hohen Preis für sein Leben gezahlt habe – aber diese Schrift verstand seine Frau nicht zu lesen.

»Du bist immer gut und freundlich gegen mich gewesen,« fuhr Marion fort, »und wenn ich auf vieles verzichten mußte und mein Leben sich ganz anders gestaltete, als ich mir wünschte, so lag die Schuld zumeist an den Verhältnissen, die du nicht besiegen konntest. Aber heute komme ich mit einer Bitte, von der mein ganzes Wohl und Wehe abhängt, und deren Erfüllung bei dir allein steht; o Gérard, wirst du mich vergebens flehen lassen?«

»Sprich sie aus, Marion; ich kann nichts versprechen, ohne deine Wünsche zu kennen.«

»Mein Gatte,« sagte sie mit inniger Bitte in Blick und Ton, »ziehe nicht in diesen Krieg hinaus! Laß deine kleine Frau und deine Kinder nicht schutzlos zurück in der Unruhe, der Gefahr des Kriegsgetümmels! Was soll aus uns werden, wenn du fern bist? Was sollte ich anfangen, wenn dir ein Leid geschähe? O Gérard, bleibe bei mir! Ich ertrage es nicht, dich von mir zu lassen!«

Er faßte ihre beiden Hände und sah ihr ernst und liebevoll in die Augen. »Mein liebes Kind,« sprach er mit Würde, »was würdest du von einem französischen Offizier denken, der bei ausbrechendem Kriege seinen Degen in die Scheide steckte und daheim bei Weib und Kind bliebe? Nicht wahr, du würdest ihn für einen jämmerlichen Feigling halten? Glaubst du, daß ein deutscher Soldat einen Funken Ehre weniger im Leibe hat? – Du darfst dich auch nicht fürchten, schutzlos hier zurückzubleiben: meine Mutter bleibt ja hier, Ebner ist trefflich und umsichtig, die Dienerschaft treu und zuverlässig, die Bewohner anhänglich, sie alle werden ihrer Herrschaft treu zur Seite stehen. Vertraue auf Gott, Marion, sei mein kluges, tapferes Weib, die Stütze meiner Mutter, ein Vorbild für unsere Kinder und Leute! Will's Gott, so bin ich bald wieder bei euch!«

Er hatte immer wärmer und herzlicher gesprochen, aber ihre Augen waren niedergeschlagen, und ihre weißen Zähne nagten so heftig an ihrer Unterlippe, als sollte das Blut herausspritzen. Jetzt blickte sie erregt zu ihm auf. »Es ist nicht die Angst um meine Sicherheit allein, die mich zu meiner heißen Bitte treibt, es ist ein deutliches, unwiderlegliches Vorgefühl, daß dieser Kampf gegen den gewaltigen Helden, meinen großen Kaiser, ein vergeblicher ist. Gérard,« rief sie, indem sie ihm zu Füßen sank und ihre Hände flehend emporhob, »du dienst einer verlornen Sache! Laß ab, laß ab, du kannst nur Schmach und Verlust dabei finden! Napoleon ist vom Schicksal zum Herrscher der Welt bestimmt – lehne dich nicht gegen ihn auf, damit er dich nicht zermalme!«

Gerhard blickte finster zu ihr hinab und zog sie unsanft in die Höhe. »Erspare dir und mir den Schmerz einer Ablehnung, Marion; alle deine Worte sind umsonst gesprochen. Und wenn unsere Sache wirklich so verzweifelt stände, wie du glaubst, so wäre meine Pflicht, bis zum letzten Blutstropfen für meinen Fürsten und mein Vaterland zu kämpfen, nur um so dringender. Sei vernünftig, Kind, und versuche es nicht, mich zum meineidigen Flüchtling zu machen!«

Sie riß sich von ihm los und trat ein paar Schritte zurück, ihre schwarzen Augen funkelten wild, ihr ganzes Antlitz verzerrte sich in Zorn und Trotz. »Du hast meine Bitte verschmäht, so höre denn meine Drohung!« zischte sie. »Wenn du gegen meinen Kaiser fichtst, der mir das Urbild erhabenster Größe und heldenhaftester Männlichkeit ist, so sage ich mich los von dir, so zerreiße ich die Bande, die mich an dieses Haus gefesselt haben, und kehre zurück zu meiner großen, herrlichen Nation! Du aber magst dann im Staube liegen, geschlagen und besiegt von meinen Landsleuten, verlassen und verachtet von deinem Weibe! Du hast die Wahl!«

Sie verließ mit stürmischem Schritt das Zimmer. Gerhard sah ihr düster nach, aber versuchte nicht, sie zurückzuhalten. Dann warf er sich in einen Lehnstuhl, begrub sein Gesicht in den Händen und stöhnte tief auf. –

Nur kurze Zeit war dem Freiherrn vergönnt, seine Vorbereitungen zu treffen, denn sein Regiment hatte Befehl, im September bei Naumburg zum Hauptheer zu stoßen, wo um diese Zeit der König von Preußen erwartet wurde – und dann konnte jeden Tag der große Kampf beginnen. Es war vorher vieles zu ordnen, und Gerhard hatte manches ernste Gespräch mit seiner Mutter, in welchem alle Möglichkeiten erwogen wurden, doch sagte er ihr nichts von der letzten Unterredung mit seiner Frau; er schämte sich ihres Unverstandes und ihrer Heftigkeit und rechnete bestimmt darauf, daß sie zur Vernunft kommen würde. Übrigens ließ sich Marion in diesen Tagen nicht blicken; auf alle Anfragen erklärte ihre Kammerjungfer, daß die gnädige Frau heftige Migräne habe und niemand sprechen könne, sie ließe um völlige Schonung bitten. Das kam freilich so oft vor, daß sich niemand im Hause darüber wunderte oder beunruhigte.

Der Tag der Abreise war gekommen, nicht die Hände der Gattin, sondern die der treuen Mutter hatten Gerhards Mantelsack gepackt; jetzt standen die gesattelten Pferde vor der Tür, der Freiherr hatte seine Uniform angelegt und ging nach dem Zimmer seiner Frau. Auch jetzt wollte ihm die Zofe den Eintritt verwehren, aber er schob sie zurück und trat ein. Marion lag in leichtem Morgenanzug auf ihrem Ruhebett; bei seinem nahenden Schritt fuhr sie auf und sah ihm gespannt entgegen, ließ sich aber gleich wieder zurücksinken und kehrte das Gesicht nach der Wand.

»Ich komme, um dir Lebewohl zu sagen, Marion.«

Keine Antwort.

»Marion,« sagte er dringender, »es gilt einen ernsten Abschied, vielleicht auf Nimmerwiedersehen – hat meine Frau kein Wort, keinen Blick, keinen Wunsch für mich?«

»Du hattest kein Ohr für meine Wünsche, als ich sie aussprach,« entgegnete sie herbe, »wozu sollte ich deren noch mehr verschwenden?«

»O mein Gott!« seufzte er. »Gib du mir Kraft, diesen Eigensinn zu überwinden und zu ihrem Herzen zu sprechen! Es schmerzt mich tief,« fuhr er mit mühsam erzwungener Ruhe fort, »daß mir keine Zeit bleibt, dich von der Unmöglichkeit deiner Forderung zu überzeugen; ich kann nur hoffen, daß du in der Stille der kommenden Zeit dir selbst sagen wirst, wie bitteres Unrecht du mir getan hast. Vielleicht wirst du dann bereuen, mir so lieblos begegnet zu sein, vielleicht wirst du wünschen, dein Versehen gutzumachen – dann denke daran, daß ich dir nicht zürnte, daß ich innige Teilnahme für den schweren Zwiespalt zwischen der Liebe zu deinem Gatten und deinem Heimatlande empfand. Und nun komm, Marion, laß deinen kindischen Trotz fahren und gib mir den letzten Abschiedskuß.«

Sie wendete sich zu ihm, und indem sie sich halb erhob, bot sie ihm ihre Lippen dar, die er herzlich küßte. »Den letzten Kuß!« sagte sie mit einem seltsam starren Ausdruck. »Lebe wohl!«

Er empfand nur die Herzenserleichterung über die scheinbare Versöhnung. »Gott behüte dich, meine liebe kleine Frau!« sagte er warm. »Mache, daß du schnell gesund wirst und sei mutig und tapfer. Will's Gott, so haben wir bald Frieden, und dann werden all die trüben Wolken von selbst verschwinden, die sich jetzt zwischen uns drängen. Auf Wiedersehen, Marion, Gott befohlen!« Er drückte ihr noch einmal die Hand und verließ sporenklirrend das Gemach. –

Draußen waren sie alle vollzählig versammelt, seine Mutter, die ihn immer wieder an ihr Herz drückte und heiße Segenswünsche flüsterte, seine kleine Thea, die ihm weinend am Halse hing, Lotte, die ihn liebte, als ob er ihr eigner Onkel gewesen wäre, der alte Magister, dem die Tränen die Stimme erstickten, Mamsell Jettchen und die ganze Dienerschaft, die seine Hände küßten, alle Knechte und Mägde des Hofes, die ihm gute Wünsche zuriefen; nur eine fehlte: seine Frau. Vergebens heftete er seine Blicke auf ihre Fenster – der dichte Vorhang bewegte sich nicht, kein tränenbenetztes Gesicht erschien, keine Hand winkte ihm einen Abschiedsgruß; seufzend gab er endlich seinem Pferde die Sporen und sprengte davon.

Maltus durfte dem Vater eine Strecke weit das Geleit geben, und ernste Worte fielen in sein junges, empfängliches Herz. »Wenn ich aus diesem Kriege nicht heimkehren sollte, mein Sohn, so bist du der letzte Erbe und Träger unseres Namens, die beste Hoffnung deiner Großmutter, die einzige Stütze deiner Mutter. Beweise beiden die größte Liebe und Ehrfurcht; sollten sie aber einmal uneins sein in ihren Meinungen und Forderungen, so folge derjenigen, welche dich die Ehre unseres Hauses am Höchsten halten lehrt. Handle immer wie ein Mann und Christ, der Gott fürchtet, seinen Fürsten ehrt, sein Vaterland und seine Brüder liebt. Gib mir die Hand, Maltus, und versprich mir, diese Worte eines scheidenden Vaters lebenslang nicht zu vergessen.«

»Ich verspreche es dir, mein Vater,« erwiderte der Knabe mit feierlichem Ernst; »ich will ein echter Fiedler werden wie du und mein Großvater und meinen edlen Ahnen Ehre machen. Sie sollen sich ihres Enkels nie zu schämen haben, so wahr mir Gott helfe!«

Noch einmal schloß der Vater seinen Sohn in die Arme und trug ihm tausend Grüße an die Lieben daheim auf; dann mußte Maltus mit seinem Begleiter umkehren, während der Rittmeister v. Fiedler in schärferem Trabe seinem Bestimmungsorte entgegenritt.

Einige Tage später hielt ein staubbedeckter Reiter vor dem Schlosse; es war ein königlicher Feldjäger, welcher Frau v. Fiedler einen Brief von ihrer Tochter Gabriele brachte. »Der König will sein Hauptquartier verlegen,« schrieb diese, »und wir werden ihn begleiten, obgleich sich manche Stimmen gegen ein längeres Verweilen der Königin beim Heer erheben. Dieser entsetzliche Napoleon wagt es sogar, in den Tagesbefehlen an seine Armee unsere Königin mit Schmähungen zu überhäufen; sie soll es sein, die diesen Krieg entzündet hat, und der Hassenswerte vergleicht sie mit der Zauberin Armide, welche im Wahnsinn das Feuer in das eigene Haus wirft. In der Tat aber zeigt diese erhabene Frau eine bewundernswürdige Zurückhaltung; wenn sie sich freilich blicken läßt, so wirkt ihr Erscheinen begeisternd auf die Tausende von Soldaten und Offizieren, von denen wir hier umgeben sind. Sie ist der gute Engel ihres Gemahls und hält seinen Mut und seine Zuversicht aufrecht; sie würde sich ebenso ungern von ihm trennen, wie er sie ziehen lassen möchte. Je näher wir der geliebten Heimat kommen, desto lebhafter wird in mir der Wunsch, Sie, meine teuerste Mutter, zu sehen; wäre es möglich, daß Sie nach Erfurt herüberkämen? Wir können uns nicht verhehlen, daß wir vor einer ernsten Entscheidung stehen, und wenn wir auch fest auf Gott und unser treffliches Heer vertrauen, so beklemmt der Gedanke doch unser Herz. Lassen Sie mich daher Ihr liebes Antlitz sehen, den Ton Ihrer Stimme hören, meine Mutter! Gott allein weiß, wie und wo wir uns später treffen können! – Unseren lieben Gerhard habe ich hier flüchtig begrüßt, er ist mit seinem Regiment zur Vorhut des Prinzen Ferdinand nach Rudolstadt abgegangen. Gott schütze ihn und uns alle!«

Frau v. Fiedler ließ sogleich den Amtmann rufen und beriet mit ihm die Möglichkeit einer Fahrt nach Erfurt; er zog die nötigen Erkundigungen ein und berichtete am folgenden Tage, daß Napoleon mit seiner Armee bei Schweinfurt im Bayrischen stände, und daß ein Zusammenstoß in der allernächsten Zeit noch nicht zu erwarten sei. Daraufhin entschloß sich die Freifrau, die Fahrt zu unternehmen, die nur wenige Tage dauern sollte. Sie wollte in grauer Morgenfrühe aufbrechen und ging am Abend vorher zu ihrer Schwiegertochter hinüber, welche sie seit der Abreise ihres Sohnes noch kaum gesehen hatte. Das kam, wie gesagt, nicht selten vor; Marion zog sich oft tagelang völlig zurück, lag in ihrem verdunkelten Zimmer auf dem Diwan, klagte über Kopfschmerz und Langeweile und ließ sich von ihrer französischen Zofe vorlesen und vorplaudern, bis sie in Schlaf sank. Sie war in all den Jahren ihrer Ehe eine Fremde auf Scharfeneck geblieben; keine Anhänglichkeit fesselte sie an den Ort, keine wirkliche Zuneigung an die Bewohner; sie sprach noch jetzt nicht fertig Deutsch und ließ sich das unzählige Gute, das sie mit ihren Kindern von seiten ihrer Schwiegermutter genoß, gleichmütig gefallen, ohne es ihr je durch kindliche Liebe oder Rücksichtnahme zu vergelten. Vergnügen und Bewunderung waren die einzigen Dinge, nach denen sie verlangte, und die sie fortwährend schmerzlich entbehrte.

Frau v. Fiedler fand die junge Frau in demselben Zustande starrer Gleichgültigkeit, in dem sie sich von ihrem Gatten verabschiedet hatte, doch belebte sie sich zusehends, als sie von der Fahrt nach Erfurt hörte. Sie erkundigte sich mit wirklicher Teilnahme nach allen Umständen, ließ sich genau beschreiben, wo ihr Gatte stände und wie weit die französische Armee schon vorgerückt sei, versprach, sich um die Kinder zu kümmern und Lottchen Gesellschaft zu leisten, und zeigte sich so verständig und freundlich, daß die ältere Dame mit erleichtertem Herzen von ihr schied und einer leisen Hoffnung Raum gab, die ernste Zeit möchte Marion zu einem Bewußtsein ihrer Pflichten und einem tätigeren Leben erwecken.

Die Freifrau war schon seit einigen Stunden fort, als Marion den Amtmann zu sich bescheiden ließ. »Ich habe soeben einen Brief von meinem Gatten erhalten,« sagte sie, indem sie auf ein Blatt in ihrer Hand zeigte; »er fordert mich auf, mich sofort zu ihm zu begeben. Er erwartet, längere Zeit müßig in Rudolstadt zu bleiben, und wünscht mich in seiner Nähe zu haben. In allen Stücken verweist er mich an Sie: Sie sollen mir Wagen und Pferde sowie reichliche Geldmittel zur Verfügung stellen und mir raten, welchen Weg ich einzuschlagen hätte.«

Ebner sah im höchsten Erstaunen auf die Frau, die ihm sonst so hilflos wie ein verwöhntes Kind erschienen war, und die sich jetzt allein auf eine gefahrvolle Reise begeben wollte; die ganze Idee kam ihm abenteuerlich und unüberlegt vor. »Ich bedaure sehr,« sagte er bedenklich, »daß wir die besten Pferde, den zuverlässigsten Kutscher und den treuesten Diener nicht zur Stelle haben; Frau Baronin wissen wohl, daß sie mit unserer alten gnädigen Frau nach Erfurt gegangen sind. Ich bin wirklich in Verlegenheit, wem ich Euer Gnaden anvertrauen soll – ich selbst darf meinen Posten nicht verlassen –, würden Frau Baronin nicht die Rückkehr Ihrer Frau Schwiegermutter abwarten mögen?«

»Die Verantwortung trage ich ganz allein,« versetzte Marion sehr entschieden, »von Abwarten kann gar keine Rede sein, damit ginge zu viel kostbare Zeit verloren. Einer Begleitung bedarf es nicht; ich nehme meine Kammerjungfer und René mit, mein Gemahl schickt mir einige Husaren zur Bedeckung entgegen.«

Ebner wagte nicht, dieser ernsten Willensäußerung gegenüber weitere Einwände zu erheben, obgleich ihm die ganze Sache nicht recht geheuer erschien. Um Mittag stand der verlangte Wagen vor der Tür, der mit einer Menge von Gepäckstücken beladen wurde; Marion küßte die kleine Thea mit ungewöhnlicher Wärme und verabschiedete sich flüchtig von Lotte, der sie ein Briefchen für ihre Schwiegermutter einhändigte, bestieg mit Maltus und ihrer Zofe den Wagen und war bald den Blicken der Nachschauenden entschwunden. »Versteh's ein anderer!« murmelte Ebner kopfschüttelnd, während er in sein Haus zurückkehrte, »die junge Gnädige war ja plötzlich ganz verwandelt, so fest und bestimmt und so gehorsam gegen den Herrn Gemahl! Gott gebe, daß diese Reise glücklich abliefe und mir nicht noch Ärger und Verdruß auf den Hals zöge!«


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