Ludwig Aurbacher
Ein Volksbüchlein
Ludwig Aurbacher

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Neuntes Kapitel.

Aber der feuerspeiende Berg behielt ihn nicht, sondern warf ihn wieder aus mit seinen Flammenwirbeln. Und Ahasverus lag am Fuße des Berges, besinnungslos, am ganzen Körper voller Brandmale und röchelnd und stöhnend, wie einer, in dessen Eingeweiden der Tod wüthet. So traf ihn ein frommer Einsiedler, der am Fuße des Aetna seine Klause hatte; der trug ihn in seine Wohnung, und pflegte ihn und heilte seine Wunden, bis dem Unglücklichen mit der Genesung die Besinnung wieder kam. »O!« – rief Ahasverus, als er aus seinem langen Schlafe wieder erwachte –»warum rufest du mich wieder ins Leben zurück, in dieses mir so verhaßte Leben? Wenn mich der Berg wieder ausgeworfen hat aus seinen brennenden Eingeweiden, warum hast du meinen Körper nicht der Fäulniß überlassen, und dem Fraße wilder Thiere? So haben sich denn nicht nur alle Elemente gegen mich verschworen, sondern auch die Menschen, um mich zur Qual des Lebens aufzusparen für immer. Ach, leben! – leben müssen! – zur Strafe leben müssen! – O ihr Glücklichen, die ihr euch Sterbliche nennt, sterblich seid! Ihr wißt nicht, was das heißt: leben müssen im Bewußtsein seiner Schuld! Was euch Segen zu sein scheint, das ist mir Fluch!« – So klagte der Unglückliche. Der fromme Einsiedler sprach ihm Trost zu und redete mit ihm, als mit einem, dessen Person und Schicksale ihm genau bekannt waren. »Ahasvere,« sagte er, »war des Herrn Strafe schwer, so war deine Schuld noch schwerer; und ist aber auch deine Schuld groß, so ist des Herrn Gnade noch größer! Darum habe Geduld, und trage mit Ergebung die Bürde des Lebens, bis der Herr kommen und sie dir abnehmen wird.« Dann redete er zu ihm weiter von der Huld und Gnade des Herrn, und daß er, der Welt Heiland, vom Himmel hernieder gestiegen sei, um alle Menschen selig zu machen, deren Sünde er auf sich genommen, und für sie gestorben am Stamme des heiligen Kreuzes.« Ahasverus hörte dem frommen Einsiedler mit Aufmerksamkeit zu; und wie jener ihm die schönen Gleichnisse von dem verlornen Schafe und von dem verlornen Sohne erzählte, und das liebevolle Wort des Erlösers hinzusetzte, daß mehr Freude sei im Himmel über einen bußfertigen Sünder, als über neun und neunzig Gerechte, da weinte Ahasverus die erste Thräne der Reue, der Freude und des Dankes; denn seine Augen waren vertrocknet seit jenem unseligen Tage seiner Schuld und seiner Strafe. – Nachdem er wieder gesund geworden, verließ er den frommen Einsiedler, und begab sich auf dessen Rath in die Wüste von Thebais in Ober-Aegypten.


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