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Vorwort

Ich will hier nur von wahrem Geschehen erzählen. Nichts an den Geschichten habe ich erfunden; ich übernahm den Stoff und sogar die Form, in der ich ihn erlebte, oder in der er mir von glaubwürdigen Zeugen berichtet wurde. Ich habe sie kaum gestaltet, wie man wohl heute sagt. Manchmal habe ich die Tatsachen ohne jede Änderung hingeschrieben, manchmal die Einzelheiten durch eine Umstellung behutsam verborgen. Fast nie habe ich die Namen der handelnden oder leidenden Menschen geändert. So können diese Aufzeichnungen, die der Zufall gebar, manchem Leser unserer so zivilisierten Zeit die kaum glaubliche Wahrheit vor Augen führen, können der Öffentlichkeit, die sich so gern von guten und frommen Geschichten einlullen läßt, das wahre Wesen des 20. Jahrhunderts zeigen, das ich nennen möchte: das Zeitalter des Goldes, des Schwertes und des Jazz; und vor allem: das Zeitalter des Blutvergießens!

Meine Aufzeichnungen werden vielleicht die Wut und den Haß gegen dieses Regime planmäßiger Unterdrückung, das solchen Abscheu erweckt, sowie gegen die, in deren Namen es geschieht, begreiflich machen.

Man wird einwenden, daß es sich um Sondererscheinungen handelt. Das ist eine sehr gewagte Behauptung, und ich beneide die Leute, die sie so leichtfertig aufstellen und mit einer einzigen Phrase ihr Gewissen beruhigen können. Die Behauptung ist falsch, ist ein Hohn gegen die Wahrheit. Und wäre sie richtig, müßten dann nicht eben diese Ausnahmen einer noch viel schärferen Anklage ausgesetzt sein? Denn es handelt sich nicht um schicksalhafte Verbrechen oder Unglücksfälle – mögen sie den einzelnen Menschen treffen oder die Gesamtheit –, sondern um menschliche Brutalität. Es sind Episoden des Weltkampfes zwischen den Ausgebeuteten und ihren Henkern. Sie zeigen allzu deutlich die Fehler in der Struktur des gesellschaftlichen Gebäudes, aufgebaut von Henkershand, und beweisen sichtbar, daß der Tag kommen muß, an dem die Massen genug haben werden. Unsere Aufgabe ist es, diese Gegenwart, die immer neues Unglück hervorbringt, zur Vergangenheit zu machen. Bis dahin helfen keine feigen Entschuldigungen. Ich wiederhole, was ich darüber in meinem Buche »Les Judas de Jésus« geschrieben habe: »Die Menschen sagen, ›das Leben bringt nicht nur Leid, nein, es hat auch gute Seiten, schöne Augenblicke und erhabene Dinge.‹ Dem müssen wir entgegenhalten: ›Läßt sich nicht ein guter Teil allen Leidens vermeiden? Und gestattet unsere heutige Ordnung Leid, das sich vermeiden ließe, ist sie keine Ordnung, dann ist sie Chaos.‹«

Es wird immer von Ausnahmefällen gesprochen. Das gerade Gegenteil ist richtig, ist wahr. Vervielfältigen wir jedes Beispiel, vertausendfachen wir es meinetwegen: dann erst hat es das Gewicht, das ihm in Wirklichkeit zukommt. Es geschieht tausendfach mehr Gewalt und Roheit zwischen Himmel und Erde, als die Öffentlichkeit gemeinhin annimmt. Es gibt viel mehr Mörder – nur die Allerberühmtesten und am meisten Geehrten sind bekannt. Überall wird das Volk mit barbarischen Methoden regiert und unterdrückt. Aber die Taten bleiben unbekannt oder werden vergessen, und die Erinnerung an die meisten Verbrechen ist tot. Von Zeit zu Zeit ersteht dann durch Zufall, durch besonderen Zufall, das ergreifende Bild eines »Ausnahmefalls«. Man kann doch nicht alles wissen, rufen wir verzweifelt und bleiben dumm und unwissend, weil uns soviel verborgen ist.

Die Alten weihten ihre Werke oder ihre Taten Deo ignoto – dem unbekannten Gott. Ich glaube nicht an Gott, aber ich glaube an das Unbekannte. Ich weihe dieses Buch dem unbekannten Unglücklichen, dem unbekannten Menschen der Masse, dem großen ewigen Unbekannten, allen Menschen, deren Leiden gänzlich vergessen ist, den Unterirdischen, den Zerstörten, den unzähligen Gemordeten – einer oft unsichtbaren und doch sichtbaren Schar.

Ich tue es im Zeichen der Gerechtigkeit, im Namen des von Herz und Hirn diktierten Gesetzes, dem alles auf der Erde Untertan ist. Denn einst muß ein Tag kommen, da alle Menschen wirklich gleich sein werden und der Samen Früchte trägt, den wir gesät haben.

H. B.


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