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Die blutige Quelle

Bill Pew ist ein Wüstling.

Der Mann ekelt mich an, einmal als Person und dann, weil er zu einer sehr verbreiteten Gattung von Menschen gehört, die ebenso alltäglich wie gemein sind und nicht nur durch die Literatur, sondern auch durch das wirkliche Leben geistern.

Diese Gattung vermehrt sich auf beiden Seiten der Erde wie eine große Epidemie. Vor allem ist sie in den Vereinigten Staaten anzutreffen, wo es für diese Sorte Menschen einen reichen Nährboden gibt.

Pew ist ein Mann mit dem Gehaben eines Reichen (sein Besitz zählt heute nach Millionen), befähigt, alles zu tun. Er hat auch alles getan: er war Spion, Scharfrichter, Raufbold, Vermittler und Gehilfe der großen Geschäftemacher. Eine wahnsinnige Gewinngier gibt seinem ganzen Handeln den Impuls. Zudem ist er ebenso fleißig wie skrupellos.

Er war Reitknecht, Cowboy, Vagabund, Schankwirt und Manager großer Geschäfte. Er wurde ebensooft reich, wie er Pleite machte. Immer wieder wurde er reich. Er ist wirklich ein Mann mit zwei Gesichtern und man weiß niemals, wenn man ihm begegnet, ob er gerade Millionär oder Bettler ist.

Ich entdecke ihn in der grellgrün angestrichenen Bar, die am Hafen liegt, wo sich die beiden Straßen kreuzen. Hier in diesem malerischen Winkel des alten England verbringt er viele Stunden. Bill Pew ist Gewohnheitssäufer.

Ihr werdet mich fragen, ob ich in die Bar gehe, um ihm Gesellschaft zu leisten. Ich will aber weder mit ihm trinken, noch ihn ansehen; er ist häßlich, und mir bekommt der Alkohol nicht. Aber der sonst so schweigsame Mann beginnt zu reden, wenn er getrunken hat. Die Erzählungen solcher Leute vermitteln einen guten Einblick in das große Geschehen unserer Tage, das sonst profanen Blicken verborgen bleibt, als ob es in einem Geldschrank läge.

Ich bin Sammler derartiger Zeitdokumente.

Nun, an jenem Tage hatte er schon eine ganze Serie verschiedener Cocktails getrunken. Die Gläser hatten in allen Farben des Regenbogens geschimmert. Er saß auf einem hohen Stuhl und stützte seine Ellenbogen auf den Bartisch; bei meinem Eintritt sah er sich nach mir um. Seine Augen glänzten feucht aus dem roten, pyramidenförmigen Schädel. Sein Hals war rot wie ein Stück frisches Roastbeef und viel breiter als der Kopf, auf dem eine ganz kleine Mütze saß. Seine Boxerfäuste – er war erst unlängst im Ring aufgetreten – stützten die Backenknochen, die scharf und eckig aus dem Gesicht hervortraten wie bei einem kubistischen Gemälde. Ich zeigte ihm in einer Zeitung, die ich gerade las, die amerikanische Nachricht von einer indianischen Mordaffäre, die vor dem Gericht in Tulsa (Staat Oklahoma) verhandelt werden sollte. Ich hatte gute Gründe für die Annahme, daß Pew dabei eine Rolle gespielt hatte.

Bill war durch die Zauberkraft des Alkohols mitteilsam geworden. In diesem Zustande legen Individuen dieser Art immer Geständnisse ab.

Als ich ihm die Zeitung zeigte und ihn geradeheraus fragte, hellte sich sein Gesicht auf. Sein Mund verzog sich fast bis an die Ohren und legte die Zähne bloß. Ein Mosaik gelber Stümpfe und goldener Würfel.

»Das war ein sauberes Geschäft!« sagte er.

»Für wen?«

»Für wen? Für die Großen, die alle solche Geschäfte machen.«

Seine Faust zeigte nach der Decke, um die Oberen zu bezeichnen, die mysteriösen Mächtigen.

»Dann werden sie in dem Prozeß auf der Anklagebank sitzen?« fragte ich.

»Das hat keine Gefahr. Keiner von den Großen wird belästigt werden.«

Er zog ein Gesicht, das Respekt vor ihnen und Verachtung für mich ausdrückte.

»Auch für mich besteht keine Gefahr,« fügte er hinzu.

Er begann die Geschichte in der englischen Kneipe zu erzählen, ohne sich wegen der Chinesen, der Neger und der beiden Matrosen, die betrunken herumsaßen, irgendwelche Sorge zu machen.

»Die Geschichte handelt von Petroleum und Indianern.«

»Von Petroleum?«

»Ja. Oklahoma ist ein schöner viereckiger Staat inmitten der Union, dessen Boden, besonders in der Gegend von Tulsa, viel Petroleum enthält,« erzählte Bill Pew und legte seine schwere Hand auf die Zeitung, die ich mitgebracht hatte.

»Und die Rothäute?«

»Natürlich gibt es dort noch solche Häute, die sich Rothäute nennen, aber in Wirklichkeit schokoladenfarben sind. Sie sind nach und nach von den besten Plätzen verjagt worden. Sie wurden in luftige Waldgebiete verwiesen, die ›Reservate‹ heißen.

Sie waren im Aussterben, weil sie die amerikanische Zivilisation einengte; man sagt ja auch, daß die Walfische und die Elefanten aussterben. Eines Tages machte man die Feststellung, daß es bald keine Indianer mehr geben werde. Man hatte zu gründlich aufgeräumt. Die Rasse dieser zweibeinigen Tiere verminderte sich derart, daß die Forderung laut wurde, man müßte ihren nationalen Geist, ihre bedeutende Kunstfertigkeit und ihren Stolz erhalten. (Aber sie selbst tun alles, um sich rasch zu zivilisieren: sie sprechen englisch, tragen Hüte, gehen in die Kirche und verdienen Geld.) Von diesem Augenblick an hörte die Verminderung der Rasse auf; die Rothäute wurden seßhaft. Freilich erlangten sie die Bedeutung nicht wieder, die sie in ihrer Heldenzeit besessen hatten, als die Algonquins, die Irokesen und die Sioux die Prärie beherrschten und jeden Abenteurer skalpierten, der aus der Union herüberkam.

In Oklahoma bestand ein Reservat halbgesitteter und halbzivilisierter Indianer. Es ging ihnen gut hinter den Zäunen ihrer Jagdgebiete: sie spielen nach Herzenslust, können sich, wie es ihre großen Ahnen taten, soviel Federn an die Köpfe stecken, wie sie wollen, und um ihre Zelte, ihre Hütten, ihre Zauberer und um ihre dicken fetten Frauen tanzen, die ihre Kinder wie Pakete tragen. Manche von ihnen genossen großes Ansehen und wurden um ihren Wohlstand von vielen Blaßgesichtern beneidet. Blaßgesicht? So werden die Yankees und die Europäer überhaupt genannt, obwohl es unter ihnen Leute gibt, wie ich zum Beispiel, die eigentlich Rotgesichter genannt werden müßten.«

Diese Bemerkung machte Bill im selben Augenblick, als mir beim Betrachten seines Schlächtergesichts der gleiche Gedanke kam.

Er fuhr fort: »Das ging so, bis jemand diese Idylle zerstörte. Das war ich. Ich hatte eben eine längere Zeit der Ruhe durchgemacht. Die Richter von Ohio hatten sie nach einer längeren Diskussion verordnet. Die Zeitungen jener Tage haben darüber berichtet. Da ich wieder ein freier Bürger war, mußte ich mich nach einem neuen Beruf umsehen. Ich wählte den eines Petroleumschürfers. Dafür besaß ich wirkliche Befähigung, denn Willi Sharp hatte mich angelernt, ehe er starb. Böse Zungen behaupteten, ich hätte ihn umgebracht, aber es konnte mir nie nachgewiesen werden.

Mein Schürferinstinkt führte mich an den Canadian River, in die Gegend von Tulsa, wo wir auch Petroleumspuren fanden. Ich sagte ›wir‹, denn wir waren unglücklicherweise mehrere und jeder von uns war bis an die Zähne bewaffnet und sehr mißtrauisch gegen seine Kollegen. Wir hatten, wie man so sagt, immer die Augen vorn und hinten.

Die Petroleumquelle lag im Reservat der Indianer. Da gab's kein Drehen und Deuteln: sie gehörte nach amerikanischem Gesetz den Indianern. Es ist ein Unglück, das so ein Gesetz erlassen wird.

Das war 1907. Ich fuhr mit den Plänen in der Tasche ab und kehrte bald mit meinem Bruder Tom Pew zurück, mit dem ich mich zu diesem Zweck liiert hatte. (Es wurde später behauptet, ich hätte ihn bestohlen; aber ich verachte eine solche Anklage; die Geschichte ist längst verjährt.) Auch einige Größen folgten mir.

Solche Leute machen hier unten jedes Geschäft mit Hilfe zweier Talismane, die sie in der Tasche tragen: mit dem Füllfederhalter und mit dem Scheckbuch. Sie waren die Gründer der Unternehmungen. Und, bei meinem Leben, ich beging an der Seite dieser Männer keine der Gemeinheiten, die ich sonst Polizeikommissaren, Untersuchungsrichtern und dem Volk gegenüber zu begehen pflege. Sie kamen, überzeugten sich und, nachdem sie sich untereinander verständigt hatten, nahmen sie ihr Scheckbuch zur Hand: eine Einigung mit den Indianern als den beglaubigten und unanfechtbaren Eigentümern der Quelle mußte erzielt werden.

Aber die Roten waren im modernen Geschäftsverkehr genau so gerissen und begriffen sehr gut, daß sie das schöne Geschäft nicht gegen eine einmalige Zahlung aus der Hand geben durften. Denn die Summe hätte natürlich weit unter dem Wert der abgetretenen Ware gelegen, die zwar unter der Erde lag und noch nicht sichtbar, sondern höchstens zu ahnen war; sie kannten den Grundsatz der zivilisierten Leute: ›Das beste Geschäft ist die Beteiligung am Gewinn.‹ Wenn die armen Kerle aber wirklich Bescheid gewußt hätten, wäre ihnen klar geworden, wie unsicher ihre Spekulation war. Aber, halt! Ich beginne ja mit dem Ende!

Die Rothäute sind eigensinnig und halten an ihrer Meinung fest. Sie sind wie die dicken Baumstämme, aus denen sie Figuren aushauen, die sie als Schmuck an die Türen ihrer Wigwams stellen.

Sie verlangten in aller Ruhe: ›Den Gewinn teilen, den Gewinn teilen!‹ und machten keine Miene, die langen Reden über sich ergehen zu lassen, mit denen ich und die anderen sie überreden wollten, sich von den Herren Yankees ausplündern zu lassen. Wir mußten also auf ihre Bedingung eingehen; der Vertrag über die Ausbeutung des Petroleums wurde aufgesetzt – wir fluchten dabei und sie freuten sich – und beiderseits unterzeichnet. Er setzte die Teilung des Gewinns zwischen der Gesellschaft und den Eigentümern des Bodens fest.

Alle sechsundzwanzig Eigentümer hatten den Vertrag namentlich unterzeichnet und es sah spaßig aus, neben den gewichtigen Unterschriften von Leuten der Hochfinanz und der Schwerindustrie solche Namen zu finden wie Georg ›Großes Herz‹ oder Willi ›Scharfes Auge‹.

Mit den Vorarbeiten wurde ohne Verzug begonnen. Das Reservat der Indianer wimmelte bald von einem Heer frischer lustiger Kerle: es kamen Ingenieure, Geschäftsleute, Agenten, Wächter, eine Unmenge von Facharbeitern, dann die Maurer, die Tischler und die anderen Bauhandwerker, und schließlich, als notwendige Ergänzung die Leute, die den Stoßtrupp zu ernähren und seinen Durst zu löschen hatten. Eine Stadt – die Häuser schossen wie Pilze aus dem Boden – entstand in der Ebene, auf der sich gestern noch Büffel und Wapitis getummelt hatten. Bureaus, Agenturen und Baracken mit Kabinen erster, zweiter und dritter Klasse, wie auf einem Dampfer, erstanden über Nacht. In der Wechselstube saßen ebenso lustige Brüder wie in den Schenken (ja, so was gab's damals noch in den Vereinigten Staaten; man konnte auch alles dort kaufen!) und auf der Polizeiwache.

Es entstanden Zänkereien, ein junges Indianerweib wurde entführt. Ein paar Krawalle wurden von den Polizisten rasch geschlichtet, ein Neger wurde gelyncht: es ging zu, wie in den großen weißen Staaten des Ostens. Bald nahmen die Indianer einige Gewohnheiten der Weißen an, besonders die der Trauung und einige Weiße glaubten, sich wild benehmen zu müssen, weil sie wohl die Indianer für Wilde hielten. So etwas nennt man friedliche Durchdringung. Aber nun Schluß mit der hohen Philosophie!

Die Ausbeutung des Petroleums machte gute Fortschritte. Die Quelle erwies sich als außerordentlich reich und schien unerschöpflich zu sein. Die Bohrtürme ragten aus der Ebene wie die Baugerüste einer ganzen Stadt. Nicht einmal der Druck der Petroleumfontänen schien nachzulassen.

Dementsprechend flossen immer neue Dollars in die Hände der sechsundzwanzig Rothäute; so währte es Jahre hindurch und sie blieben sechsundzwanzig. Aber eines Tages erklärte ein Herr, der weit weg von den Petroleumquellen in einem New-Yorker Bureau hinter einem Schreibtisch saß, auf dem nichts als ein Telephon stand: ›In fünfzehn Jahren haben wir 161 Millionen Tonnen Rohpetroleum gewonnen. 13 Millionen haben 26 Lumpenkerle erhalten, denen der Boden gehörte. Von den Leuten sind zuviel da.‹

Sein Sekretär, der in strammer Haltung vor ihm saß, unbeweglich wie das Telephon, stimmte ihm bei:

›Natürlich, Herr.‹

Denn der Mann am Schreibtisch hatte einen Befehl erteilt. Er war einer der Herrscher der Neuen Welt, wenn man ihn auch nach alter demokratischer Gewohnheit nur mit ›Herr‹ anredete.

Nach einiger Zeit, noch im selben Jahre 1923, erwarteten die Häuptlinge des Stammes in schönen Kostümen ihren Freund ›Großes Herz‹ zu einem Jagdausflug. ›Großes Herz‹ verspätete sich. Das entsprach gar nicht der Pünktlichkeit, die jedem Indianer eigen ist. Als er immer noch nicht erschien, gingen sie in altindianischer Ordnung zu seiner Wohnung und fanden ihn sterbend, mit schrecklich verkrampften Zügen. Seine Frauen waren um ihn und stießen gelle Schreie aus. Die ratlosen Medizinmänner umstanden das Lager. Bald verließ das Leben den mächtigen Leib, der riesenhaft wirkte.

Niemand zweifelte an einer Vergiftung; aber welche Hand hatte ihm das Gift eingegeben und welcher Arm diese Hand geführt? Die es wußten, verrieten es natürlich nicht.

›Großes Herz‹ besaß Land, das Petroleum enthielt. Jetzt lebten nur noch 25 Eigentümer.

Bald lebten nur noch 24, denn ein Jagdunfall holte den fünfundzwanzigsten weg.

Mehrere Männer – Rothäute und Blaßgesichter – hatten gemeinsam ein Tier verfolgt. Einer der weißen Jäger, der ein wenig zurückgeblieben war, legte an und seine Kugel traf den Indianer, der vor ihm lief, statt des … kurz, ein dummer Unglücksfall.

Wo ist die gute alte Zeit, als es für die Herren noch so einfach war, sich lästiger Leute zu entledigen. Heute geht es nicht mehr, höchstens noch in Kriegszeiten. Aber zum Unglück war damals Friede.

Ein Kamerad, der immer prächtige Einfälle hatte, meinte: ›Wie wär's mit einem Komplott? Man könnte sie doch in ein Komplott gegen den Staat und die Zivilisation verwickeln?‹ Sie wissen, daß die Vorspiegelung eines Komplotts ein sicheres, radikales und oft angewandtes Mittel in allen Ländern der Erde ist. Man entdeckt ein Komplott mit den schrecklichsten Einzelheiten und befördert die Mißliebigen unter die Erde. Dann sagt das brave Volk noch obendrein: ›So geschieht es ihnen recht!‹ und ›Was haben wir für eine gute Regierung!‹

Zu einem Komplott sind nur ein paar tüchtige Leute nötig: ein paar Schreibsachverständige, wenn ich so sagen darf, zur Herstellung des belastenden Materials und einige gute Redner, um eine Bewegung nationaler Unabhängigkeit anzufachen oder eine anarchistische Strömung in Fluß zu bringen. Wir hatten solche Leute zur Verfügung und bald wurde der Petroleumstamm von beredten Agenten bearbeitet, die den Indianern immer wieder einzureden suchten, daß es ihnen viel besser gehen würde, wenn sie das amerikanische Joch abschüttelten. Sie sollten zum Beispiel eine Bombe in ein Staatsgebäude der Umgegend werfen. Die Agenten erklärten ihnen gleich, wie eine solche Bombe herzustellen wäre.

Aber die Bemühungen scheiterten an der Gleichgültigkeit der Rothäute.

Die feigen Kerle! Sie hätten den Anschlag ja gar nicht auszuführen brauchen. Sie sollten sich nur ein wenig dafür interessieren. Nichts geschah. Sie wollten nicht verstehen. Vielleicht waren sie auch auf der Hut.

Unser bester Provokateur mußte solange revolutionäre Theorien verkünden, bis er darüber verrückt wurde: ich meine, er wurde wirklich ein Revolutionär und trat für alles Mögliche ein. Ihn hatten die Reichen immer anständig behandelt; aber nun muß er in einem Zuchthauskittel herumlaufen, da er gar zu umstürzlerische Ansichten verbreitet hat.

Es blieben 24 Grundeigentümer, die nach Dividenden lechzten, aber selbst nicht das Geringste riskieren wollten.

Sie haben sicher vom Ku-Klux-Klan gehört? Das sind wohlhabende Leute – Söhne aus gutem Hause und junge Reiche, die sportliche Aufregungen suchen. Sie schlossen sich ursprünglich zusammen, um im Süden die Katholiken zu verprügeln und die Neger zu lynchen. Schließlich erweiterten sie ihren Wirkungskreis und gingen auch gegen den Pöbel vor, der mit dem Kapital auf gleich und gleich behandelt werden will. Diese patriotischen Protestanten haben wie die Faschisten, deren Yankee-Abart sie sind, eine gewisse Anzahl zweifelhafter Taten auf dem Gewissen, die man sehr gut als Verbrechen bezeichnen kann. Wie ihre italienischen Gesinnungsgenossen veranstalten sie ebenso malerische Umzüge, bei denen sie schwarze Kutten tragen.

Man organisierte einen solchen Umzug durch die schon recht ansehnliche Stadt, die sich um die Bohrtürme gruppierte. Die Indianer sahen zu: der Zug erinnerte sie in seiner düsteren Mächtigkeit an die Zeremonien ihrer Ahnen. Plötzlich entstand am Schluß des Zuges aus Gründen, die nie mehr festzustellen waren, eine Verwirrung. Kugeln zischten um die Kutten und die Helme der Polizisten. Als die Ruhe wieder hergestellt war, lagen drei Leichen auf dem Platz.

Es waren drei Indianer – drei Eigentümer des Petroleumbodens. Nun lebten nur noch 21 dieser Leute.

Die Geschichte machte böses Blut und führte sogar zu Unruhen. Um ihrer Herr zu werden und die Gemüter zu beruhigen, beschloß die Gesellschaft, die stets um das Vergnügen und das Wohlergehen ihrer Helfer besorgt war (sie sah darin ein vollkommen gesetzmäßiges Mittel, sich eine gute Stimmung im Volke zu schaffen), in der Umgegend einen Film drehen zu lassen. In dem Film wirkten die Indianer, die Arbeiter, die Beamten und alle Einwohner als Statisterie mit. Zwei Filmstars, ein stolzer Held und eine herrliche Diva, standen im Mittelpunkt.

Und damit« – Bill Pew überschlug sich fast vor Stolz – »begann meine Aufgabe.

Die gesamte Arbeit wurde mir übertragen. Damals, es ist jetzt drei Jahre her, wurde ich Filmmanager. Ich besorgte mir ein gutes Drehbuch. Da sich die Gesellschaft nicht knickrig zeigte, wandte ich mich an einen der berühmtesten Filmdichter. Er heißt … ja, wie heißt er doch gleich? … Sein Name ist mir im Augenblick entfallen, aber Sie kennen ihn sicher. Der Mann machte mir ein prächtiges Ding zurecht. Schon der Titel allein bedeutete eine außergewöhnliche Sensation: ›Die Jungfrau von Tulsa.‹ Sie wissen, daß die Amerikaner viel Filmtalent haben. Sie haben die besten und originellsten Ideen gefunden. Der berühmte Mann, an den ich mich gewandt hatte, hatte sich selbst übertroffen. Ich bekam ein Drehbuch, dem kein zweites an Kraft und Originalität gleichkam. Urteilen Sie selbst: Eine schöne Weiße wird von Indianern entführt, weil der Vater des hübschen Fräuleins, ein Milliardär (und zugleich ein warmer Menschenfreund), die Rothäute ausbeutete. Zu Pferd werden die ebenfalls berittenen Entführer verfolgt. Es handelt sich darum, sie einzuholen, ehe sie den blonden Skalp ihrer Beute abgezogen haben. Die besondere Originalität dieses erstklassigen Films lag in der Verfolgung über alle Hindernisse: die Jagd ging quer durch überschwemmtes Gebiet, durch einen Brand hindurch, über weite Prärien und hohe Berge, ja selbst über einen fahrenden Zug. Im letzten Moment erst werden die Indianer eingeholt. Gerade als der Zauberer sein Skalpiermesser dem engelgleichen Opfer ansetzt, werden die Räuber mit ein paar guten Schüssen niedergestreckt. Das Mädchen wird von ihrem Vater und ihrem Verlobten gerettet.

Die Rollen wurden verteilt und die Aufnahmen begannen. Den Rothäuten machte es viel Spaß. Die Schlußszene mußte mehrmals wiederholt werden. Erst als sie gut ging, wurde gedreht. Der Kameramann, der dicke Ralph mit der Brille, quälte sich ab, um alles in seinen Kasten zu kriegen: den Helden und die Heldin, beide zu Roß natürlich, die galoppierenden Trupps, die aneinandergerieten; er brüllte, er fluchte, gab Anweisungen und schwitzte wie ein heulendes Kind.

Gegen Ende der Aufnahme schrie der Operateur:

›Ich habe umsonst gedreht. Die Rothäute bleiben ja gar nicht im Blickfeld. Solche Esel! Nicht mal hinfallen können sie. So fällt kein Mensch. Sie fallen wie die Viecher. Ich brauche Schauspieler für dieses Bild!‹

Tatsächlich machten die Rothäute, die die Zauberer darstellten, linkische unnatürliche Bewegungen, als sie unter den Kolbenschlägen der tapferen Begleiter des Milliardärs und des Bräutigams zusammenbrechen sollten. Schließlich wurde die Szene recht und schlecht beendet.

Aber siehe da: die ›erschossenen‹ Indianer blieben wirklich liegen und rührten sich nicht. Und um sie bildeten sich kleine Blutlachen.

Sie waren schlecht gefallen und waren gut gestorben. Es waren ihrer zwölf. Jetzt erst sah man die furchtbare Wahrheit, erkannte den unglücklichen Zufall: ohne es zu ahnen, hatten die Darsteller, die in ihrer Rolle als Verfolger nicht ins Blaue gezielt hatten, geladene Gewehre gehabt!

Sie können sich die Verzweiflung vorstellen, die ich auf dem Schlachtfeld zur Schau trug. Ich raufte mir die Haare, schlug mir an die Brust, beschuldigte mich, die Patronen nicht kontrolliert zu haben – aber wer kommt auch auf den Gedanken, daß Platzpatronen Kugeln enthalten können? – und stöhnte, meine Ehre sei hin. Dann ging ich taumelnd davon und erklärte, ich ginge, um mich dem Gericht zu stellen.

Ein Freund besuchte mich in meinem Häuschen, in dem ich närrisch herumlief wie ein Löwe im Käfig. Ich redete davon, mir das Leben zu nehmen. Als andere Leute dazukamen, wiederholte ich es noch eindringlicher. Aber sie redeten mir gut zu, und ich beruhigte mich ein wenig.

Eine Untersuchung wurde vorgenommen. Die Ähnlichkeit der geladenen und ungeladenen Patronen und die Umstände, welche die Verwechslung verschuldet hatten, waren derart, daß mir der gute Glaube, den ich hartnäckig beteuerte, vom Sheriff zugebilligt und das Verfahren eingestellt wurde. Aber ich verließ die Gegend und wurde mit sehr schönem Gehalt Prozeßbevollmächtigter eines großen New-Yorker Hauses.

Später hörte ich, daß in dem Stamm eine unheilvolle Stimmung herrschte und daß die überlebenden neun Eigentümer des Petroleumbodens sehr erregt waren. An dieser Erregung trug einer von ihnen, Henry Roan, durch seine Agitation die Schuld. Er bezichtigt die Gesellschaft sogar öffentlich des Mordes an den Indianern.

Plötzlich verschwand er. Elf Tage später wurde er in einem einsamen Auto mit durchschossener Brust aufgefunden.

Es blieben noch acht? Nein. Da denken Sie falsch. Nicht einer blieb übrig. Als Roan ermordet aufgefunden wurde, ergriff den ganzen Stamm eine Panik und sie flohen mit ihren Zelten, ihren Pferden, ihrem ganzen Hab und Gut und ihren Frauen in die Berge.

Sie räumten das Feld und überließen den Weißen allein die Ausbeutung.

Jetzt habe ich mich in England niedergelassen und den Staaten endgültig den Rücken gekehrt: denn sie verletzten die erste aller Freiheiten, die Freiheit, nach seinem Durst trinken zu dürfen. Nun bin ich dabei, wieder religiös zu werden. Ich erfülle auch meine religiösen Pflichten pünktlich; da muß ich nun aus der Zeitung erfahren, daß die Geschichte nach drei Jahren vor das Gericht in Tulsa kommt. Gott segne die Richter und die Zeugen? Aber was soll ich mich noch weiter dafür interessieren?«

Bill schien noch in derselben Tonart fortfahren zu wollen. Mit einem gewissen Stolz erklärte er:

»Wenn jemals die Mörder der Indianer entdeckt werden sollten, nun … Ach was, die werden nie entdeckt werden!«

Und statt eines Schlusses oder eines Grußes setzte Bill hinzu: »Sie können mir glauben, niemand in der Welt hat eine so reiche Phantasie, um eine Intrige zu Ende zu spinnen wie ein Literat.«


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