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Nicht mancher durfte wie Holdern von den unsichern Zuständen der Zeit günstige Chancen erwarten. Fast alle Geschäftsleute hatten unruhige Tage und schlaflose Nächte.
Sogar Daniel Veitel in der Domgasse blieb nicht verschont. Weniger freilich um seiner selbst willen, als weil er sich Sorgen machte, was sein Schwiegersohn thun würde bei solchen Zeiten, die schon manchen zu Fall gebracht, und wo man nie weiß, wie's kommen kann. »Halt dir ab von die Politik und die Kriegsspeculation. Kriegsglück hat allzeit 'ne wächserne Nase. Besser kein Gewinn, als 'nen großen Verlust – nur ganz sichere Geschäftchen in die unsich're Zeit,« so hatte Daniel Veitel in seiner Herzensangst gleich zu Anfang der Katastrophe an seinen Schwiegersohn geschrieben. Herr Hirsch hatte den vorsichtigen Grundsatz des kleinen Juden aus der engen Gasse wohl so übel nicht gefunden. Er verhielt sich wenigstens sehr abweisend gegen die mancherlei verlockenden Chancen, welche auftauchten, und beschränkte sich auf die »ganz sich'ren Geschäftchen«. Höchstens wenn ein löblicher Magistrat eine recht solide Anleihe beanspruchte, blieb er als guter Bürger nicht zurück. So weit konnten die Kriegschancen so bald noch nicht reichen.
Baron Holdern's Transactionen schienen ihm im größern Maßstabe auch nicht so ganz in die Kategorie der »sich'ren Geschäftchens« zu gehören, und er zeigte sich, ungeachtet der anfangs ausgesprochenen Bereitwilligkeit, wenig zugänglich. Nichtsdestoweniger verleugnete Holdern eine von Herrn Hirsch so gerühmte aristokratische Höflichkeit nicht. Bei seinen häufigen Besuchen in der Residenz versäumte er nie, sowohl bei dem Banquier als im Salon Daniella's zu erscheinen. Auf seine Geld-Angelegenheit aber kam er erst zurück, als er dieselbe durch eine Bürgschaft des Grafen Asten unterstützen konnte, die das Geschäftchen zu einem zweifellos sichern machte. Der Baron war damit bei Herrn Hirsch sehr im Ansehen gestiegen. Er zählte ihn setzt zu den coulantesten, liebenswürdigsten Leuten, die, wenn auch ein bißchen stolz, wie es ihnen zukäme, doch stets wüßten, was sich schicke, denen man sich daher gern gefällig erweise, und es auch in aller Ruhe könne, wie Herr Hirsch bedeutungsvoll beifügte.
Weniger günstig lautete des schönen Töchterleins Urtheil. Daniella wußte für das häufige Erscheinen des Barons keinen Grund aufzufinden. Augenscheinlich kam er nicht, um an der geistigen Concurrenz theilzunehmen, der ihr Salon gewidmet war. Nach wie vor hatte er dafür nur das kalte, fast verächtliche Lächeln und blieb ein schweigsamer Gast in der belebten Gesellschaft.
»Warum kommt er denn!« fragte Daniella sich ungeduldig, wenn er sogar in jenen Morgenstunden erschien, die sie nur den Bevorzugtern ihres Cirkels widmete. Was gab ihm das Recht, sich zu diesen zu zählen, wie er zu thun schien? Daniella's Eitelkeit konnte nicht ein Mal eine Genugthuung darin finden, so wenig zuvorkommend zeigte sich der Baron. Stumm vor sich hinstarrend, selbst die lebhaften Fragen der Dame des Hauses nur einsilbig beantwortend, verharrte Holdern, bis ihre Lippen sich aufwarfen, die Augenbrauen sich zusammenzogen, und ihr kleiner Fuß ungeduldig auftrat. Dann blitzte es freilich in seinen Augen auf, als errathe er ihre Gedanken, und er schlug einen sarkastischen Ton an, als stehe er einem reizbaren Kinde gegenüber, dessen Ungeduld ihm Vergnügen bereite. Holdern's Reden irritirten dann Daniella noch mehr als sein Schweigen. Mehrmals kam sie zu dem Entschluß, den »langweiligen, unausstehlichen Menschen« nicht mehr zu empfangen, ein Vorsatz, der aber nie zur Ausführung kam. In seinem Kommen lag eine stumme Huldigung, der sie nicht zu widerstehen vermochte, und sie hatte außerdem einen Grund, den Faden nicht schnöde abzureißen.
Eine so bewegte Zeit war natürlich auch auf einen so kräftigen Geist wie der Daniella's war, nicht ohne Wirkung geblieben und hatte ihr ein neues Feld für ihre Thätigkeit eröffnet. Die großen Ereignisse forderten den Patriotismus wie die Mildthätigkeit der Bevölkerung heraus, und Daniella, ihrer großartig angelegten Natur gemäß, betheiligte sich in hervorragender Weise. Auch ihren Vater wußte sie entsprechend heranzuziehen, so daß sie sich sofort eine gewisse Geltung verschaffte. Sie kam dadurch in Verbindung mit Kreisen, die ihr bisher verschlossen geblieben, und die Aufmerksamkeit, die man ihr dort schenkte, entschädigte sie reichlich für die Ebbe, die in ihrem geistigen Verkehr eingetreten war.
Diese neue Thätigkeit ließ sie auch Rother's Abwesenheit, welche ihr zuerst eine unerträgliche Lücke gelassen, leichter verschmerzen. Sie konnte es jedoch nicht ertragen, ohne jegliche Verbindung mit ihm zu bleiben. Bald nach seiner Abreise nach Bornstadt hatte sie sich plötzlich ihres Großvaters dort erinnert und nach jahrelanger Unterbrechung den schriftlichen Verkehr mit ihm wieder aufgenommen. Es war natürlich, daß sie sich dabei nach ihrem frühern Lehrer und jetzigen Kunstgenossen erkundigte. Das Mittel hatte aber doch nicht ganz seinem Zwecke entsprochen. Der alte Veitel war zwar mächtig stolz auf die feinen Briefe seiner Enkelin und staunte ehrfurchtsvoll das elegante Papier mit der eleganten Chiffre an: »ganz fein, ganz wie 'ne richtige vornehme Dame« –; aber seine Antworten fielen darum nicht weniger kurz und geschäftsmäßig aus. Mit den Zahlen wußte Daniel Veitel vortrefflich umzugehen, aber das Briefschreiben war seine Sache nicht. So erfuhr denn Daniella nur, daß der Herr Rother bei ihm vorgesprochen habe und ihr einen Gruß sende. Was die Nachrichten aus der Gegend von Bornstadt betraf, blieb Daniella auf das angewiesen, was Holdern ihr bei seinen gelegentlichen Besuchen mittheilte, und sie sagte sich, daß ihn dies ihr stets wieder willkommen mache, daß sie ihn um deswillen dulde.
Auch heute war sie sehr gespannt, als Holdern sich melden ließ. Ein wenig machte sich aber dennoch das persönliche Gefühl geltend, denn ein prüfender Blick glitt erst zum Spiegel ehe sie seinem sarkastischen Blick sich aussetzte.
Daniella konnte beruhigt sein: untadelhaft richtig flossen die reichen Falten der feinen Wollstoffe, die sie mit Vorliebe bei ihrem Morgenempfang trug, und der goldene Reif, der die dunkeln Locken nach hinten bannte, hob die geistvollen Züge vortheilhaft hervor.
»Ganz Sappho,« meinte Holdern, als er eintrat, mit dem Gemisch von Ironie und Bewunderung, das in seiner Ausdrucksweise stets vorherrschte. »Ganz Sappho – nur Lyra und Lorbeerkranz fehlen, das Bild zu vervollständigen. Der letztere wird aber nicht lange warten lassen, wenn die neuesten Nachrichten nicht trügen, daß Sappho endlich auch ein Mal um den Kranz ringen will.«
Wenn auch der Vergleich den satirischen Beigeschmack nicht verleugnete, war doch die Schmeichelei, die er enthielt, ausnahmsweise in Daniella's Geschmack. Sie schüttelte zwar scheinbar ungeduldig die Locken, doch war der Blick, den sie ihm schenkte, gnädiger als gewöhnlich. Mit raschem Verständniß seiner letzten Anspielung fragte sie, woher er die Nachricht von dem Concert, worin sie mitzuwirken gedenke, so früh erhalten habe.
Holdern schien in zugänglicher Stimmung zu sein, indem er scherzend vorgab, er umgebe sie stets mit seiner geheimen Beobachtung, so daß sie sich derselben nie entziehen könne.
Nur ein bedeutsames Achselzucken war die Antwort, aber sichtlich war Daniella's Neugier erregt.
Das Concert, um das es sich handelte, war von einem der Haupt-Hülfscomités zu Gunsten der Familien der ausgerückten Krieger projectirt. Die Anregung war von Daniella ausgegangen, und sie hatte ihre Bereitwilligkeit ausgesprochen, selbst in dem Concerte mitzuwirken. Sie war aber noch weiter gegangen und hatte durch ihren Großvater an Rother die Anfrage stellen lassen, ob es ihm nicht möglich sein würde, ebenfalls dabei aufzutreten: der patriotische Zweck würde leicht den Urlaub vermitteln lassen. Sein Auftreten bei dieser Gelegenheit schien ihr günstig für ihn, und außerdem hatte eine ungeduldige Sehnsucht ihr den Gedanken eingegeben, ihn für kurze Frist herüberzurufen. Da der Plan indeß noch nicht über den Kreis der darüber Berathenden hinausgedrungen sein konnte, mußte Holdern die Nachricht von Rother selbst erhalten haben. Eine Frage danach wollte Daniella aber nicht stellen.
» Il trovatore ist vom rauhen Kriegsdienst zu sehr gefesselt,« fuhr Holdern fort, unaufgefordert auf ihren Gedankengang eingehend. »Er hat kaum Zeit, mitunter zu Füßen seiner stolzen Fürstin sich von den Anstrengungen zu erholen, wie viel weniger, der reizenden Muse zu dienen,« setzte er in der schwunghaften Weise hinzu, in der er begonnen. Dieselbe schien aber Daniella in diesem Augenblick durchaus nicht zuzusagen.
»Können Sie nicht anders reden als in Gleichnissen, wie ein Orientale, oder glauben Sie das meiner orientalischen Abkunft schuldig zu sein?« bemerkte sie schroff. »Würde es Ihnen unmöglich sein, mir in einfachen Worten zu sagen, ob Sie Herrn Rother sprachen und ob er glaubt, zu dem Concerte kommen zu können?«
»Eine etwas kindliche Anschauung unserer militairischen Einrichtungen!« bemerkte Holdern unbeirrt in der gleichen Weise. »In solchen Augenblicken einen Krieger zu so friedlicher Uebung zu entlassen, wäre unerhört.«
»Sie kennen den patriotischen Zweck – für die Hinterbliebenen der Krieger. Die künstlerischen Kräfte sind jetzt gerade schwach vertreten. Herr Rother ist in einer kleinen Garnison, und die Recruten wird man gar nicht nachsenden; außerdem ist nur der Aufenthalt eines Tages erforderlich.«
»Mit allem einverstanden! Aber selbst Ihrer holden Macht würde es nicht gelingen, den schönen Trovatore loszureißen, so lange er in Sr. Majestät Recrutenrock steckt, selbst wenn nicht andere Einwirkungen dabei walteten. Ich muß der schönen Comtesse Recht geben, daß sie ihrem Freunde rieth, nicht ein Mal den Versuch einer Anfrage zu wagen. Wir sind zwar selten einerlei Meinung, Comtesse Helene und ich; doch dies Mal pflichte ich ihr bei, wenngleich nicht allein die Kenntniß unseres Militairwesens aus ihr sprach.«
»Hat Herr Rother Comtesse Asten in dieser Angelegenheit zu Rathe gezogen und ihr meinen Vorschlag mitgetheilt?« fragte Daniella, anscheinend gleichgültig. Aber die Falte auf ihrer Stirne wurde schärfer, und die Art, wie sie die Kordel ihres Gewandes in unruhigem Spiel verknüpfte, verrieth ihre Erregung.
»Ich sagte Ihnen ja schon, daß er jeden Augenblick, den der Kriegsdienst ihm frei läßt, als echter Tasso der schönen Prinzessin vulgo Gräfin widmet, auf die Gefahr hin, zu vergessen:
»Daß, wer die stolze Este minnt,
Nur sein darf eines Fürsten Kind.«
Aber vielleicht denkt er auch: »Der Sänger soll mit dem König gehen,« was sich wohl auf alle Künstler wird deuten lassen. Die Astens sind die genießbarsten Menschen jener Gegend, und wer weiß, was sich da alles noch begeben kann. Herr Rother und Comtesse Helene, die in so vielen Dingen sympathisiren,« plauderte Holdern weiter, »einigen sich übrigens auch in dem frommen Bemühen, meine arme Seele zu retten und von ihren Irrpfaden abzulenken.«
»Ich würde überhaupt bezweifeln, daß Sie eine Seele besitzen,« gab Daniella scharf und rücksichtslos zurück, was aber Holdern zu gefallen schien. Eine schüchterne, weiche Mädchenseele hätte ihm wenig Interesse abgewonnen. Er liebte es, dies Wetterleuchten auf ihrem Antlitz zu sehen; er liebte es, ihre Ungeduld zu erregen, welche die Augen so sprühen ließ und den trotzigen Lippen so herbe Antworten entlockte. Den Punkt, wo er sie zu treffen vermochte, kannte er nur zu gut.
»Comtesse Helene und Herr Rother sind so lange schon befreundet, daß es durchaus natürlich ist, wenn er sie oft aufsucht,« sagte Daniella. »Ich weiß aus frühern Andeutungen von ihm, daß sein Freund Velden sich sehr für sie interessirt und der Bevorzugte …«
»Sein sollte!« ergänzte Holdern kaltblütig. »Oder glauben Sie, daß Baron Velden mit Rother in die Schranken treten könnte? Ich hoffe nicht, daß Sie der Comtesse Helene so wenig Geschmack zutrauen. Es würde zwar das Ungeheuerlichste sein, was die Welt noch erlebt hätte: eine stolze Tochter jenes Landfleckchens huldvoll zu einem Künstler herabsteigen zu sehen, Mais, enfin, kein Ding ist auf der Welt unmöglich. Was ich mehr fürchte, ist, daß beide Theile schließlich in eine fromme Entsagung sich hüllen, beide denselben Weg gehen werden, um von allem Irdischen sich abzuwenden und bloß nach dem ewigen Heil zu streben, wie es in der frommen Sprache heißt, die Ihr Freund so schön zu führen weiß.«
»Wenigstens enthält sie die schönsten und reinsten Gedanken, die jemals mir vorgekommen sind, zu deren Höhe kleine Seelen sich aber nicht aufzuschwingen vermögen,« entgegnete Daniella, die letztere Hälfte des Satzes etwas anzüglich betonend. Von den Lippen Holdern's wollte sie Rother nicht herabgesetzt hören.
Der Baron lachte leise, als vermöge sie nicht, ihn zu ärgern. »Große Seelen bezaubert das, wie ich bemerke – also trotz aller Philosophie nicht ganz esprit fort, wie ich erwartet hatte, schöne Sionstochter. Immerhin,« setzte er ernster hinzu, »weiß meine kleine Seele zur Freundschaft sich aufzuschwingen. Es würde mir leid sein, wenn man einen so begabten Mann, wie der junge Rother ist, von seinem Beruf ablenken würde. Sicherlich wird man es allmälich versuchen, und ich fürchte, selbst Ihre Macht wird kein Gegengewicht sein, wo mächtige Sympathien, gleiche Seelen-Anschauungen wirken. Sie werden bemerken, daß ich auch schon von der schönen Sprache Ihres Freundes gelernt habe.«
»Ist es überhaupt nothwendig, daß Sie Herrn Rother zum Gegenstand unseres Gespräches machen?« rief Daniella ungeduldig aus. »Ist die Welt so arm an Ereignissen, daß Sie immer auf dieselbe Person zurückkommen müssen?«
Holdern blickte fast spöttisch sie an. »Mit nichten, schöne Muse. Ich glaubte nur, mich zu erinnern, daß sie gern von Ihrem abwesenden Freunde hörten. Aber Damen haben das Recht launisch zu sein. Causons d'autre chose – Ereignisse mehr als genug in der Welt. Wollen Sie Politik? Patriotische Begeisterung? … Ich werde Ihnen den allgemeinen Siegesjubel über die letzten Depeschen nicht mitzutheilen brauchen?«
»Um Gottes willen!« rief Daniella. »Seit gestern hörte ich nichts anderes, und es wird die Frage sein, die jeder von heute ab stellt. Patriotismus wird überdies bei Ihnen wohl zu den Vorurtheilen zählen … oder haben Sie darin Fortschritte gemacht?«
»Bis jetzt habe ich noch das wonnige Gefühl, kein Vaterland mit seinen Pflichten und Rechten zu besitzen. Den Fleck, wo ich mich wohl befinde, sehe ich als solches an. In unserer Zeit, die weder Grenzen, noch Entfernungen, noch Eigenthümlichkeiten der Länder kennen will, scheint mir nichts thörichter, als ein solcher Vaterlandsschwindel. Wenn ich mich dazu entschließe, zu dem edeln Werke zu opfern, das eine schöne Muse dem siegestrunkenen Volke bereiten will, so hat mein Patriotismus wenig Antheil daran, fürchte ich.«
»Da Sie auch die künstlerische Seite der Sache nicht würdigen so sehe ich nicht ein, warum Sie sich das Opfer überhaupt auflegen wollen,« erwiderte Daniella jetzt wieder kaltblütig »Senden Sie Ihren Beitrag – Ihre Anwesenheit wird man Ihnen mit Freuden erlassen.«
»Pardon – ich will den Genuß haben, den Ruhm einer Dame mit zu genießen, die wahrlich selten genug der Welt die Gelegenheit gibt, sie zu bewundern – ich will Sappho gekrönt sehen!« sagte Holdern, plötzlich den Blick fest auf sie richtend. »Werden Sie mir einen Platz aufheben, der auch meinen Augen gestattet, Antheil zu nehmen?«
»Sie sind ja plötzlich sehr galant,« versetzte Daniella achselzuckend, wenn auch leicht erröthend vor seinem magnetischen Blick. »Uebrigens steht es noch sehr in Frage, ob ich auftrete.«
»Wenn Sie grausamer Weise Ihr Auftreten von dem Erscheinen des Trovatore abhängig machen, freilich, dann werden Sie uns um den Genuß betrügen – dann aber, bitte, erlassen Sie mir auch in Gnaden den Platz. Ohne Ihre Gegenwart würde mein Opfermuth nicht ausreichen. Gegen die Banden, die der harte Kriegscodex und frommer Frauen Einfluß schmiedet, kämpft jede Macht vergebens, schöne Sappho; das werden Sie noch lernen müssen, fürchte ich!« setzte Holdern hinzu, indem er sich zum Abschied erhob. »Oder werden Sie dennoch es wagen?« fragte er, während er fast mitleidig auf sie niederschaute. »Meinen Sie denn alles zu können, was Sie wollen?«
Lag die Antwort in dem kühnen, siegesgewissen Blick, den sie zu ihm emporsandte, wie er jetzt in seiner ganzen Höhe vor ihr stand?
Der kühne Blick stand ihr so gut, daß Holdern's Auge für einen Augenblick sich nicht davon trennen zu können schien. Es war ihm ein besonderer Genuß, eine solche Stahlnatur herauszufordern.
Holdern würde aber erstaunt gewesen sein über den Wechsel, der mit Daniella vorging, sobald er das Zimmer verlassen hatte. Wenn er sie hatte reizen wollen, war ihm das mehr gelungen, als er erwartet hatte. Sie hatte bisher die Abwesenheit Rother's störend empfunden, dieselbe jedoch nur als Zufälligkeit betrachtet. Durch den Schritt, den er auf der Künstlerlaufbahn gethan glaubte sie ihn losgelöst von seinen frühern Beziehungen. Sie hatte um deswillen sich keine Sorge gemacht, besonders da sie wähnte, ihn in diesem Winter gefesselt zu haben. Sie hätte deshalb den flüchtigen Gedanken, ihn zu dem Concert herüberzurufen, leicht aufgegeben; jetzt aber hatten Holdern's Reden eine peinigende Unruhe in ihr geweckt. Daß Rother nicht allein Helene ihren Wunsch mitgetheilt, sondern ihrem ablehnenden Rath auch sogleich gefolgt war, das traf sie tief. Alle frühern eifersüchtigen Empfindungen wurden rege. Holdern's Andeutung, daß für Rother gerade als Künstler der Weg zu Helenens Besitz eröffnet sei, und die andere Möglichkeit, die der Baron aufgestellt, erfüllten sie mit Schrecken, da beides, wie sie Rother kannte und beurteilte, gleich denkbar war. Aller Trotz war für den Augenblick aus ihrem Gesichte gewichen. Erregt schritt sie in ihrem Gemach auf und nieder; sie war grausam aus der süßen Sicherheit gerissen, in der sie sich gewiegt.
Klar und ungeschminkt hatte sie von Anfang an ihre Liebe zu Rother sich eingestanden. Daniella kannte nicht jenes schüchterne, blinde, unverstandene Gefühl, das in's Ungewisse hofft, auf günstige Möglichkeiten baut, oder bangend betrauert, was dem Glücke sich entgegenstellt. Sie wollte thatkräftig eingreifen, selbst sich das Glück erringen, und nur sich es verdanken, wie sie überhaupt alles sich selbst verdanken wollte. Sie glaubte, die Kraft zu besitzen, ihr Leben selbständig in die Hand zu nehmen. Deshalb hielt sie sich klar und schonungslos die Gefahr vor Augen, die ihrer Liebe drohte. Jetzt galt es mehr als den flüchtigen Wunsch, ihn zu sehen; jetzt galt es, die Fesseln, die sich von neuem um ihn zu legen begannen, zu zerreißen. Scharf und schnell übersah sie die Lage der Dinge. Ein neuer mächtiger Eindruck konnte den Funken wieder anfachen, der bei der Rückkehr zu den alten Beziehungen zu verglimmen drohte. Inmitten der Unruhe, die sie empfand, dachte sie doch daran, welche Genugthuung es ihr sein würde, Holdern zu beweisen, was sie könne. Sie vergab ihm nicht, daß er ihren Plan als kindisch belächelt hatte. Schon nach kurzer Frist hielt ihre Equipage vor der Thüre mancher einflußreichen Personen. Sie wußte, daß sie sich nur an die gebietenden Mächte zu halten habe. Die kleinen energischen Billets, in denen sie Meisterin war, verschonten an dem Tage niemand, von dem sie eine Einwirkung erhoffen konnte. Sie war in der Lage, etwas durchzusetzen, besonders in diesem Falle, wo die großartige Munificenz, mit der sie sich betheiligt hatte, ihren Wünschen Geltung sicherte. Ehe es Abend geworden, hatte Daniella schon die Zusage, daß ihr Wunsch erfüllt werden sollte. Rother's Kommen zu dem Concert war nicht allein möglich, sondern unfraglich gemacht, da es jetzt auch der Wunsch seiner Vorgesetzten war.
Hatte Daniella aber errungen, was sie in erster Linie gewollt, die Ruhe war nicht in ihr Gemüth zurückgekehrt. Ihre Augen trotzten in dieser Nacht dem Bedürfniß der Jugend nach Schlaf. Wer sein Glück kühn auf die eigene Kraft stellt, kann viel erringen – nur nicht Ruhe. In der unausgesetzten Energie des Handelns, dem unablässig forschenden, klaren Blick liegt allein die Aussicht auf Erfolg. Das Leben will seinen freien Lauf – oder es will ohne Aufhören gestaltet werden.
Daniella ermaß in dieser Nacht ohne Selbsttäuschung die Kluft, die sie von Rother trennte. Lag zwischen ihr und ihm das, was sie damals als Kind empfunden bei jenem Gespräch, wo er ihr die christliche Anschauung und Auffassung entwickelte, das Gefühl, das ihr die Worte entlockte: »Ich kann nicht dafür, daß ich nicht so denke wie Sie?« Zog das Band gleicher Anschauungen ihn zu Helene? Gab das ihr solche Macht über ihn? Sie entsann sich seiner Unterhaltungen mit Jetta im düstern Zimmer der Domgasse, in denen seine tiefe Ueberzeugung und die Begeisterung für seinen Glauben stets durchgeklungen. Sie gedachte jenes Tages in der Kirche, wo sie sich so weit getrennt von ihm gefühlt hatte.
Was hinderte Daniella, jetzt zu denken wie er? Hatte sie nicht früher selbst gesagt, daß seine Anschauungen die höchsten und reinsten seien, die ihr begegnet? Hatten diese Anschauungen nicht ihre tiefste Sympathie geweckt? War sie Philosophin genug, um den Schritt, der einzig diese Kluft überbrücken konnte, mit verhältnißmäßiger Ruhe zu betrachten?
Daniella war jung. Ein tiefes, heißes Gefühl wogte in ihr, das keine Kluft, keine Schranke anerkennen wollte.
Wie diese Gedanken in ihrem geschäftigen Hirn sich ausspannen, tauchte eine süße Mär wie unwillkürlich in ihrer Erinnerung auf – eine süße Mär aus dem Buch der Bücher. Es war das Buch ihres Volkes – wenn auch die »gebildete« Erziehung ihr die Anschauung gegeben hatte, daß es nichts mehr und nichts minder sei, als ein kostbarer Ueberrest aus dem poetischen Schatze ihrer Väter. Der geistige Reichthum der Voreltern war das einzige, auf das sie stolz sein mochte, wenn sie sich als Glied dieses Volkes dachte, dessen ganze Gluth, dessen ganze zähe Willenskraft in ihren Adern kreiste.
Eine Fülle von Poesie, von himmlischer Weisheit und von Kenntniß des Menschenherzens liegt in dem Buche, das, wie es auch angefaßt werden mag, immer in den Herzen einen mächtigen Widerhall erregt. »Dein Land ist mein Land, dein Volk ist mein Volk, und dein Glaube ist mein Glaube,« spricht Ruth in der uralten Erzählung, welche uns die rührendste, hingebendste Frauenliebe zeichnet. Daniella – so wenig Gewinn für das Leben sie bisher aus dem heiligen Buche geschöpft – wiederholte sich an dem Abende die Worte stets von neuem, und was sie sagten, schien ihr so unendlich leicht.