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27

Während so die Ereignisse unmittelbar in das Geschick des einzelnen eingriffen, entwickelten sie sich immer rascher und in immer ungeahnterer Weise. Die blutigen Tage von Metz hatten die zweite von Frankreichs Armeen in Bann gehalten, und schon hatten die deutschen Corps unaufhaltsam ihren Weg fortgesetzt. Ehe die Welt noch von dem Staunen über die großartigen Waffenthaten sich erholt hatte, war die letzte Scene dieses ersten großen Actes schon vollendet, der eine ganze Armee und das Haupt Frankreichs selbst den Siegern überlieferte.

Dem französischen Volke wurde durch diesen letzten Schlag erst die Augen geöffnet. Man hatte in seltsamer Eitelkeit bisher noch gesucht, die Thatsachen zu verbergen und das Geschehene wegzuleugnen; und nirgends war die Täuschung leichter hingenommen worden als in der Stadt, die sich für die Sonne Europas, für den Mittelpunkt der Cultur hielt.

Die Septembertage zeigten übrigens, daß die Regierung doch Ursache gehabt hatte, ihre Mißerfolge möglichst zu verbergen. Der gesunde Stamm braucht den Sturm nicht zu fürchten, der über ihn hinbraust; aber hier war der Boden unterwühlt, die Wurzel krank, so daß der Stoß den Baum haltlos fand. Als nach dem Zusammenbruche des Verheimlichungs-Systems, das übrigens zum großen Theil aus Selbstverblendung beruhte, endlich die nackte Wahrheit vor aller Augen trat, da machte der Haß sich Luft gegen diejenigen, die das Volk getäuscht; denn das Volk wollte sich nicht eingestehen, wie willig es sich hatte täuschen lassen. Man machte die Regierung allein dafür verantwortlich, man warf sie mit eben so thörichter Hast über Bord, als man vorher beeifert gewesen war, sie zu unterstützen. Mehr als das! Fast kindisch hielt man mit diesem einen Acte schon alles Unglück für beseitigt und gab sich neuen Hoffnungen hin; ja man ging zu einem Jubel über, der selbst bei diesem leicht beweglichen Volke unbegreiflich war. Der Grund lag aber tiefer. Bei der Aufregung der Gemüther und der gelockerten Ordnung erkannten die bis dahin im Dunkel arbeitenden Parteien, daß die Zeit gekommen, sich unter dem Deckmantel des Patriotismus und seiner Begeisterung hervorzuwagen, und sie waren es hauptsächlich, welche jenen Jubel künstlich erzeugten. Es galt dem Gedanken, daß ihr Reich begonnen.

Daniella hatte beim Ausbruche des Krieges Paris nicht verlassen. Ihre Ansichten waren stets mehr internationaler als specifisch patriotischer Natur gewesen, und die Anschauungen, welchen sie in den letzten Jahren gelebt, die keine Völkerscheide, keine Grenzen, sondern nur Gleichheit in den Ideen und Gleichheit in der Verbrüderung gelten ließen, hatten sie darin bestärkt. Mit raschem Entschlusse, wie ihr dies eigen war, hatte sie nach dem Tode ihres Vaters ihr ganzes Vermögen nach Frankreich übertragen. Sie war Bürgerin der Weltstadt geworden und wurde als solche von dem Ausweisungs-Decret nicht betroffen. Bei dem Ausbruche der Feindseligkeiten hatte Fritz Holdern zwar gewünscht, daß sie sich einen ruhigern Aufenthaltsort auf neutralem Boden suchen möge. Aber sie hatte seinen Vorschlag zurückgewiesen; sie war in der Stimmung, eher Aufregung zu suchen als zu meiden.

Die Erregung, welche Rother's Wiedererscheinen in ihr wachgerufen, zitterte noch lange nach, und auch in Bezug auf Holdern war sie seit jenem Tage in einen innern Widerspruch gerathen. Daniella war nicht das Weib, einen Argwohn, der einmal erwacht war, wieder einschlummern zu lassen. Sie hatte sich damals vorgenommen, Dr. Josephson's Anspielungen nicht unbeachtet zu lassen, und fand Mittel und Wege, ihre Nachforschungen anzustellen. Vieles entdeckte sie in jener Zeit, was ihr Holdern in neuem Lichte zeigte und selbst seine Einwirkung auf sie anläßlich Rother's Besuch anders erklärte, als ihre Selbstliebe ihr einst zugeraunt.

Für den Augenblick änderte sie zwar trotzdem nichts an ihrem Verhältniß zu Holdern; nur ihre alte Gereiztheit ihm gegenüber war neu erwacht. Je fügsamer er sich bewies, um so schnöder und launenhafter zeigte sie sich ihm. Vielleicht wollte sie prüfen, wie viel er ertragen würde. Holdern ertrug aber eben jetzt viel. Er hatte längst eingesehen, wie gefährlich dieser unerwartete Krieg ihm werden mußte. Ein großer Theil seiner Unternehmungen lag in den Händen französischer Gesellschaften. Eine Stockung konnte nicht ausbleiben und sogar zu völligem Stillstand führen. Er hatte überdies dem Grundsatze, in dem Luxus den größten Factor des Credits zu suchen, sehr stark gehuldigt. Durch eine Verbindung mit Daniella konnte alles ausgeglichen werden, und diese Hoffnung hatte ihn veranlaßt, Paris nicht zu verlassen. Während dieser Zeit des Abwartens zwangen ihn indeß seine Geschäfte, öfter nach England zu gehen, wo sich ihm einige Aussicht eröffnet hatte, günstigere Chancen für einen Theil seiner Unternehmungen zu gewinnen. Von diesen Reisen kam er stets mit verminderter Hoffnung zurück, da er im Auslande die beste Gelegenheit fand, über die wirkliche Lage der Dinge sich zu unterrichten.

An einem September-Morgen trat Holdern, von einer solchen Excursion zurückgekehrt, plötzlich bei Daniella ein. Nicht sehr freundlich war das Willkommen, das sie ihm bot, obschon er mehrere Tage abwesend geblieben war. Sie hatte in der letzten Zeit es öfter für gut befunden, ihn ungnädig zu empfangen, wenn er sie unerwartet störte. Zum ersten Male aber nahm er das nicht mit seiner gewohnten studirten Gleichgültigkeit hin. Sein Antlitz zeigte einen Ausdruck der Bewegung, der Daniella doch auffiel und sie veranlaßte, ihm Gehör zu geben, statt seine Mittheilungen abzuweisen, was sie mit Vorbedacht schon mehrfach gethan. Holdern hatte in England die Nachricht von der Gefangennahme des Kaisers und der Vernichtung der Armee erhalten, und sah allzu gut ein, was das für Folgen nach sich ziehen würde. Er war daher sogleich zurückgeeilt, seine Maßnahmen zu treffen. In eindringlichen, fast heftigen Worten beschrieb er die Lage, welche in den nächsten Stunden auch den Parisern nicht mehr verborgen bleiben konnte. Er nahm es als selbstverständlich an, daß Daniella jetzt Paris verlassen werde, und erneute seinen Vorschlag, einen andern Aufenthaltsort zu wählen: England, die Schweiz – wie sie wünsche; er mahnte nur, den letzten günstigen Moment nicht verstreichen zu lassen. Seine Gelassenheit schien ganz von ihm gewichen; er sprach wie ein Liebender, der ein ihm theueres Wesen vor ernsten Gefahren schützen will, mit dem Rechte eines Freundes, der rathen darf, und mit der Eindringlichkeit eines Mannes, der unnütze Umschweife scheut.

Aber Daniella war anscheinend noch weniger in der Laune, ihm nachzugeben, als an jenem Nachmittage, wo er von Rother's Abreise geredet. Wieder saß sie vor ihm mit verschränkten Armen, den trotzigen Ausdruck in ihrem Antlitz. Sie war zwar etwas bleich geworden bei seinen Nachrichten vom Kriegsschauplatze und hatte athemlos gelauscht; aber dann lehnte sie den Kopf gleichgültig zurück und schien nicht geneigt, weitere Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. Als Holdern die drohenden Gefahren hervorhob, zuckte sie leicht die Achseln. Was war ihr der Kaiser? Hatte er leichtsinnig den Krieg begonnen, so mußte er dafür büßen; war seine Regierung nicht stark genug, sich zu behaupten, so mochte sie fallen. Was hatte Paris zu befürchten? Ist es wahr, was ein Franzose gesagt hat, daß die Pariser eine Nationalität für sich bilden, ganz eingetaucht in den Glauben an die eigene Erhabenheit und Unantastbarkeit? Daniella schien in dieser Beziehung vollständig Pariserin geworden und fand ihre Freude darin, seinem Eifer diese Gleichgültigkeit entgegen zu setzen.

Holdern war aber zu innig überzeugt von der bedenklichen Lage der Dinge, und sein eigenes Geschick stand augenblicklich allzu sehr aus der Spitze, als daß Daniella's Benehmen ihn hätte reizen können, oder daß er ihr hätte nachgeben dürfen. Er versuchte eine andere Sprache, und sagte, daß, wenn sie der Gefahr durchaus nicht ausweichen wolle, sie ihm mindestens das Recht geben möge, sie zu beschützen. Er bat sie, seine Hand anzunehmen, seine Gattin zu werden jetzt gleich und unverzüglich. Ihren wie seinen vorurtheilsfreien Sinn, plaidirte er, würde es nicht anfechten, jener kleinen Ceremonie sich zu unterwerfen, welche die Möglichkeit ihrer Vereinigung bedinge; der Liebe würde dieses nur ein geringes Opfer sein. Jahrelang, fuhr er fast ungeduldig fort, als sie noch immer schweigend verharrte, ohne die Augen nur zu senken oder irgend eine Bewegung zu verrathen, Jahre hindurch habe er sich mit ihrer Freundschaft genügen lassen, um ihre Freiheit nicht zu beeinträchtigen, da er gefürchtet, daß ihr starker Geist kaum das Joch der Liebe ertrage. Aber jetzt, in der Stunde der Gefahr, in der Stunde, wo alles zu wanken scheine, möge sie sich ihm anvertrauen und ihm dahin folgen, wo er ihr einen sichern Hafen zu bieten vermöge.

Hatte Holdern wirklich erwartet, dieser scharfe Blick würde sich niederschlagen und der jähe Wechsel von der äußersten Kälte zur äußersten Gluth, die in ihr Antlitz steigen konnte, würde jetzt plötzlich eintreten, daß er wagte, näher zu treten und sich über sie niederzubeugen, als dürften seine Lippen noch einmal dieses dunkele Haupt berühren? »Si je vous disais, que je vous aime,« flüsterte er ihr zu.

Aber Daniella schien nicht in der Stimmung für Romanzen. Kalt ihm wehrend, erhob sie sich langsam, und als habe sie kaum gehört, was er gesagt, schritt sie ruhig, anscheinend seine Worte erwägend, einige Augenblicke auf und nieder. An ihrem Schreibtisch blieb sie stehen und griff wie spielend nach einigen der dort liegenden Papiere. Ihr Blick blieb auch darauf haften, während sie antwortete. Sie fürchte die Gefahren nicht, wie sie schon gesagt; ihre Aufgabe werde sie am wenigsten jetzt im Stiche lassen, wo vielleicht große Ziele sich zeigten. Sie gedenke den Zwecken zu leben, von denen er ihr einst gesagt, daß sie einzig ihren Geist ausfüllen würden. Weniger wie je dürfe sie jetzt ihre Freiheit beeinträchtigen; aber sie huldige nicht so sentimentalen Anschauungen, ihn dadurch auch an Paris zu fesseln.

Holdern hatte das nicht erwartet. »Daniella, das kann nicht Ihr letztes Wort sein!« rief er leidenschaftlich. »Sie dürfen jetzt einer momentanen Laune nicht nachgeben. Die Zeit ist zu ernst, als daß wir sie im nichtigen Wortstreit verlieren. Ich glaube kaum, daß mein Bleiben hier möglich sein wird – aber auch darin werde ich das Mögliche versuchen. Warum wollen Sie ein Ihnen ergebenes Herz länger peinigen.«

»Herz,« gab Daniella schneidend zurück. »Aber, Sie haben recht, Baron Holdern: Sie haben wirklich keine Möglichkeit, länger hier zu bleiben, und ich verlange kein Opfer; es ist nothwendig, daß Sie jetzt so eifrig werben. Doch kenne ich vielleicht den Grund Ihres plötzlich so heißen Liebesschmerzes.« Sie reichte ihm einige Briefe und Blätter hin, die ihr Aufschlüsse über Holdern's Lage gegeben, und welche genugsam bestätigten, wie gewagt sein Handeln schon seit Jahren gewesen. Daniella hatte gute Quellen ausfindig gemacht. Einer der Briefe gab Nachricht vom Falliment einer Gesellschaft, welcher Holdern angehörte.

Holdern starrte einen Moment darauf hin. »Sie verleugnen wenigstens nicht den Stempel Ihrer Nationalität,« entgegnete er, Hohn mit Hohn vergeltend. »Sie haben vorsichtig erst Erkundigungen eingezogen, ehe Sie Ihre Gefühle sprechen ließen.«

»Gefühle!« wiederholte Daniella finster. »Sie haben seiner Zeit dazu beigetragen, solche glücklich zu beseitigen. Auf etwas mehr oder weniger Wahrheit mag es Ihnen dabei auch nicht angekommen sein. Aber ich will wahr sein!« fuhr sie plötzlich auf, und ihr Auge flammte. »Ich hasse Sie, Baron Holdern! Ich hasse Sie, der Sie jetzt kommen und die Millionen des Banquiers Hirsch für gut genug halten, Sie zu stützen, nun alles für Sie zusammenbricht. Ich hasse Sie, weil keines Ihrer Principien auf Wahrheit beruht, weil Sie jede Fahne verlassen, jeder Farbe untreu werden. Ich hasse Sie, weil Sie glauben, trotz allem würde das kleine Judenmädchen voll Eifer nach Ihrer siebenzackigen Krone greifen. Von den Principien, die Sie mir einst empfohlen, habe ich genug eingesogen, um über solche Vorurtheile erhaben zu sein. Sie selbst haben mir ja einst gezeigt, in welchem Lichte ich Ihre Standesgenossen zu sehen habe. Kehren Sie zu ihnen zurück – man wird Ihnen nicht ansehen, daß Sie mit den »esprits forts« bei dem Liebesmahle Brüderschaft tranken, so wenig man damals ahnte, daß Sie es waren, der Fräulein Hirsch hier einführte, der ihr hier eine Aufgabe zuwies! Aristokraten bekümmern sich ja ohne Absicht um unsereins nicht – wie Sie sagen, und ich prüfte deshalb gründlich, was denn Ihre Absicht sei – ich hatte dieselbe längst verstanden. Meiner Mission werde ich treu bleiben! Gehen Sie, Baron Holdern; ich danke für Ihren Schutz, für Ihr Anerbieten. Sie sehen, ich vermag fremden Einfluß zurückzuweisen, von woher er auch kommen mag!«

Daniella hatte in der leidenschaftlichsten Erregung gesprochen. Der Wunsch nach Rache hatte lange unklar in ihrem Herzen geglüht – sie glaubte ihn jetzt in seinem Stolze und seiner Leidenschaft auf das tiefste verwundet zu haben und hoffte, ihn vernichtet vor sich zu sehen. Aber wie er sich in ihr verrechnet, hatte sie es nicht minder in ihm gethan. Wohl war es ein schwerer Schlag für ihn, die Hoffnungen, die er auf Danielles Besitz gebaut, vernichtet zu sehen; wohl kränkte es ihn, jede Macht über sie verloren zu haben. Aber er war Mann von Welt genug, ihr den Triumph der Rache nicht zu gönnen. Er sah überdies in dem Augenblick nicht mehr das piquante Mädchen in ihr, dessen Reize ihn angezogen; sie war ihm nur noch ein fanatisches Weib, das auf seiner tollen Bahn sich nicht mehr aufhalten ließ.

Stolzer noch wie sie erhob er sich zu seiner vollen Höhe. »Wozu das Wortgefecht?« sagte er kühl. »Wenn Fräulein Daniella ihren Entschluß gefaßt hat, mag sie ihn ausführen. Vielleicht könnte ich die Antwort geben, daß die Frau, die jahrelang meinem Einflusse aus freiem Antriebe folgte, mir nicht Ursache gegeben hat, an ihren Haß zu glauben, obschon sie ihn plötzlich so leidenschaftlich betheuert. Ich habe gethan, was ich als Gentleman zu thun hatte. Einer schutzlosen Frau, die mich anscheinend mit ihrer Freundschaft und Liebe beehrte, habe ich das angeboten, was der Mann zu bieten vermag, um das Recht des Beschützers zu gewinnen. Ich hatte sie des Spiels kleinlicher Eitelkeit nicht für fähig gehalten; aber ich hätte vielleicht auf eine Wendung vorbereitet sein können, da ich schon einige jener plötzlichen Wendungen bei ihr beobachtet,« setzte er hinzu, mit kaum weniger Ironie, als mit der sie geredet. »Mögen Sie nie bereuen, meine Warnung abgewiesen zu haben … Des so feuerigen Hasses ungeachtet – um alter Freundschaft willen,« – fuhr er fort, sich über ihre Hand beugend, ehe sie zurückzutreten vermochte. »Fräulein Hirsch kann ruhig über ihre Millionen sein; Baron Holdern wird sie nicht mehr belästigen,« schloß er, das Zimmer mit vollkommener Ruhe verlassend, so daß Daniella sich allein sah, bevor sie es gedacht.

Sie fühlte sich nicht als Siegerin trotz ihrer Beweise, trotz der Abfertigung, die sie ihm hatte zu Theil werden lassen. Holdern war ihr gewachsen gewesen; er hatte sich nicht besiegen lassen, und der Pfeil war auf sie selbst zurückgeprallt. Seine Worte enthielten eine Wahrheit, deren Stachel empfindlich schmerzte. Anstatt des Gefühls der Freiheit empfand sie ein Gefühl der Schwäche. War es doch das zweite Mal, daß ihr, dem stolzen, schönen Weibe, die Macht versagte! Eine seltsame Empfindung von Leere und Oede ergriff sie. Dem Hasse, den sie geäußert, stand die Macht der Gewohnheit gegenüber, dem auch der stärkste Geist sich nicht ganz zu entziehen vermag. Holdern hatte seit Jahren zu ihrem Gedankeninhalt gehört, und jetzt war er auf immer geschieden, auf immer – das wußte sie, – wie Rother geschieden war und Helene und all' die Gestalten, die in ihrem Lebenskreis gestanden. War es ein Verhängniß, daß ihre Hand sie alle zurückstieß? Sie war Weib genug, zu schaudern über das Gefühl der Kälte, das sie beschlich und das für einen Augenblick sie alles vergessen ließ, was Holdern ihr mitgetheilt.

Aber nur zu bald sollte sie daran erinnert werden.

Kurze Frist später stürmte auch Dr. Josephson unangemeldet zu ihr herauf. Jene Nachrichten, welche Holdern gebracht, hatten sich endlich auch in Paris verbreitet. Was die Welt seit sechsunddreißig Stunden wußte, wurde Frankreich jetzt erst kund: daß der Kaiser als Gefangener auf dem Wege nach Deutschland war und achtzigtausend Mann in den Händen der Sieger sich befanden.

Aber Dr. Josephson, der athemlos bei Daniella eingetreten war, fand kaum Zeit, das Unglück zu beklagen. Was diese Katastrophe ihrer Partei bringen müsse, das war für ihn die brennende Frage. Die Stunde war gekommen – Frankreich mußte sich erheben gegen diejenigen, welche solches Unglück über das Land gebracht, Frankreich mußte das Joch abschütteln, das die Tyrannei ihm auferlegt, durch welches seine Kräfte gelähmt worden. Dr. Josephson sah schon die Morgenröthe einer neuen Aera herausdämmern, deren glorreiches Licht sich von Paris aus über die ganze Welt verbreiten würde. Er hätte, ein zweiter Simson, gleich die Säulen zusammenreißen mögen, auf die Gefahr hin, sich selbst unter den Trümmern zu begraben, wenn er nur seine Zwecke erreichte.

War solche Erregung das, was Daniella jetzt Noth that? Die Oede, welche sie eben noch empfunden, ging unter in der Gedankenfluth, die auf sie einstürmte. Ihr Geist wuchs wie selten ein Frauengeist in solchen Momenten. Die Ruhe, die sie zeigte, sobald ihre Verstandesthätigkeit allein in Anspruch genommen war, sicherte ihr besonders Dr. Josephson gegenüber ein großes Uebergewicht. Als sie jetzt mit lebensprühendem Blicke dem Begeisterten gegenüber saß und ihre Auffassung ihm darlegte, eben so bereit zur entschlossensten That wie zu vorsichtigem Erwägen, vom Augenblicke nicht mehr fordernd, als er gewähren konnte, da stieg seine Bewunderung bis zur Anbetung. Jetzt war sie in Wahrheit das Weib, das verdiente, den Herrscherstab zu schwingen. Hingerissen sank er vor ihr nieder, ihre Hände und den Saum ihres Kleides mit glühenden Küssen bedeckend, ihr huldigend, nicht allein wie damals, wie einer Königin, wie einer Prophetin, der das Reich der Zukunft angehörte, nein, auch als seiner Königin, seiner Gebieterin, deren Sklave er zu sein schwor auf immer.

Daniella fühlte sich eigenthümlich durchzuckt angesichts dieser wilden Leidenschaft, dieses Rausches, in welchem Liebe und Fanatismus zusammenflossen. Es war wie eine Art Genugthuung nach dem Erlebten. Hatte er Recht? War das ihr Reich, war das die Macht, die ihr zufiel? Ihr Stolz loderte hoch auf; es schien, als ob neue Lebenskraft sie durchdringe.

Wenige Stunden später stand Daniella schon mitten in dem Getriebe, welches an jenem Tage seinen Anfang nahm. Ihr Ehrgeiz schonte weder ihr Geld noch ihre Kräfte. Die Tage genügten nicht zu der Arbeit, die sie sich auferlegte; nur einen kleinen Theil der Nacht widmete sie der Ruhe, um der Vielseitigkeit der Anforderungen entsprechen zu können.


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