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13

Als Rother am folgenden Tage bei Daniella eintrat, fand er sie eigentümlich erregt. Holdern's Worte hatten nachgewirkt gleich jenen subtilen Substanzen, die langsam unser Blut in Wallung setzen und unserer Phantasie bunte Bilder vorgaukeln. Ihr Gemüth war schon ermüdet von dem Hinblick aus den steilen Weg, den Rother ihr zeigte; jetzt eröffnete sich ihr eine andere Bahn, deren Glanz ihre kühnsten Erwartungen übertraf. Ungeduldig unterbrach sie daher Rother, als er das gewohnte Thema anschlagen wollte: »Reden Sie mir nicht mehr von all' diesen dogmatischen Einzelheiten. Sie wissen, daß ich den Grundriß jetzt genügend kenne. Sagen Sie mir einfach, was mir ferner noth thun würde, was der Schlüssel sein müßte, um einzutreten, wenn ich den Entschluß faßte. Mit Disputiren kommen wir nicht weiter.«

»Habe ich Ihnen das nicht von Anfang an gesagt, Daniella?« gab Rother zurück, und ein Schatten überflog sein bis dahin so heiteres Gesicht. »Sie kennen übrigens den Grundriß noch lange nicht genügend. Ein Gebäude, das uns Schutz und Hort werden soll, das man sein Eigen nennen will, muß man genau kennen. Mein Rath war ja von vornherein, Sie möchten sich einen bessern Beistand wählen.«

»Nein,« entgegnete Daniella trotzig, »nur von Ihnen wollte ich die Belehrung annehmen; Sie allein vermögen mir dies Thor zu erschließen.«

»Das wolle Gott,« sagte Rother innig. Ihm war es eine hohe Aufgabe, sie zu dem wahren Lichte zu führen, so oft ihn auch bei ihrer wechselnden Laune, die sie ein Mal willig und hingebend und das nächste Mal schroff und abweisend machte, das Gefühl beschlich, seine Bemühungen würden zu nichts führen. Die Hoffnung gab er nicht auf; aber er konnte sich der Erkenntniß nicht verschließen, daß bis jetzt ihr stolzer Geist sich noch nicht gebeugt hatte, weder in gläubiger Ueberzeugung noch in demüthiger Unterwerfung.

»Darin haben Sie recht: das Disputiren führt zu nichts,« fuhr er mit Ernst fort: »Ich glaube, Sie sind auch auf dem bessern Wege; ich sah Sie in unserer Kirche. Ob dort oder hier – bitten Sie um Erkenntniß. Sagen Sie, wie Ihr Psalmen-Dichter vor Tausenden von Jahren so schön gesagt hat: »Sende Du Dein Licht und Deine Wahrheit; diese werden mich leiten und führen auf Deinen heiligen Berg und in Deine Wohnungen.« Die Worte des Psalms, der alltäglich zu Beginn der h. Messe gebetet wird, fielen mir sofort ein, als ich Sie da knieen sah. Besser vielleicht tote alle Belehrung wird es sein, daß wir unsere Gebete vereinigen.«

»Beten Sie wirklich für mich, wenn Sie Ihrer Messe beiwohnen?« fragte Daniella weicher. Die Innigkeit seiner Sprache rührte sie, und sie gedachte mit Wohlgefallen des Ausdrucks inniger Andacht, den sein Antlitz gezeigt.

»Ja,« sagte Rother einfach. »Eine Seele den steilen Weg hinan zu führen, ist keine Kleinigkeit. Ich fühle, was Ihnen gerade am schwersten dabei wird; da reicht meine Belehrungskraft wohl nicht aus, und Sie werden es kaum aus eigener Macht überwinden.«

»Ich kann alles, was ich will,« erwiderte Daniella, stolz den schönen Kopf erhebend. »Nennen Sie mir das, was Sie für meinen Geist so viel zu hoch oder zu tief finden.«

»Sowohl zu hoch als zu tief!« wiederholte Rother bewegt und sie fast traurig anschauend, denn eben jetzt trugen ihre Züge den vollen Ausdruck dieses Stolzes, der den Kern ihres Wesens ausmachte. »Als Kind haben Sie sich schon dagegen gesträubt – gegen die Erkenntniß der eigenen Unzulänglichkeit und Schwäche. Dieser Begriff der Demuth und Selbsterniedrigung ist der erste Schritt aller christlichen Auffassung – das sagte ich Ihnen damals schon. Er ist und bleibt die Grundlage des Christenthums. Mit aller Selbsterniedrigung begann sein göttlicher Stifter das Leben unter uns, und mit einer tiefern Selbsterniedrigung endete es – um jene erste Schuld zu sühnen, welche in der Hoffart lag, mit welcher der Mensch seinem Schöpfer gleich werden wollte. Ja, ich gäbe eine Welt darum, diesen Begriff Ihrem Geiste vermitteln zu können!« rief er, hingerissen von seinem Eifer. Als wolle er seinen Gedanken noch bessern Ausdruck geben, vielleicht auch um seine Bewegung zu beschwichtigen, trat er an das Clavier und schlug leise Accorde an, um sie dann volltönend anzuschwellen zu jenem Gesange, der einst Daniella als Kind so erregt hatte.

Daniella hatte während des Gespräches ihren gewohnten Platz auf dem alten Sopha inne gehabt. Ein Sturm durchtobte ihre Seele während Rother sprach, bewegt und begeistert wie nie. Fast nur das eine Wort verstand sie: »Eine Welt möchte ich darum geben, Ihnen den Begriff zu vermitteln,« – aber dies eine Wort ließ ihre Seele in Flammen auflodern, ließ sie alles vergessen in dem Gedanken, sich hinüber zu schwingen über die Kluft, von der sie wähnte, daß sie allein von Rother sie trenne. Was aber war eine solche Kluft ihrer Liebe? »Dein Volk ist mein Volk, dein Glaube ist mein Glaube,« klang es wie ein Zauberwort in ihrem Herzen.

Rother empfand eine Berührung, die ihn zusammenschrecken ließ. Sie war herangetreten, ihre Hand berührte seine Schulter, ihre dunkeln Locken zitterten dicht an den seinen; ihr Antlitz war sehr bleich, nur ihre Augen schienen in wunderbarer Begeisterung zu glühen. Ehe er es zu hindern vermochte, glitt sie leicht wie ein Hauch neben ihm nieder.

»Rother, mein Freund, … mein Lehrer … mein alles!« sagte sie leise, und ihre Augen sprachen mehr noch als ihr Mund. »Eine Welt wolltest du darum geben, daß ich deinen Glauben theilte? Eine Welt! – so viel braucht die Liebe nicht – die Liebe, die das Herz wandelt … das stolzeste und trotzigste Herz. Ein Wort, Rother, ein einziges Wort von dir, und es gibt keine Schranke mehr, die uns trennt! Hast du das nicht verstanden diese lange Zeit hindurch? Anstatt mit kalten Beweisgründen zu streiten, hätte ein einziges Wort von dir genügt. Willst du hören, wie demüthig ich dann sagen kann: dein Glaube ist mein Glaube!« setzte sie hinzu. Wunderbar weich klang es von ihren Lippen, wunderbar lieblich sah ihr Antlitz zu ihm auf, als müsse es magnetisch das seine zu sich niederziehen.

Er sah wie erstarrt auf sie herab, als verstände er kaum den Sinn dieser Worte. Aber er war jung – wie ein süßer Rausch umfing es ihn, als er die schöne Gestalt zu seinen Füßen sah und die Sprache so demüthig, so hingebend klang.

»Daniella, nicht so, nicht so!« stammelte er, fast erschrocken sich niederbeugend, sie zu erheben.

War es ihr Arm, der ihn umschlang, – war es sein Arm, der sie emporzog aus ihrer knieenden Stellung, – daß sie einen Moment in seiner Umarmung ruhte? Ihr Kopf lehnte an seiner Schulter, ihr Auge flammte, ein Lächeln des Glückes, vielleicht des Triumphes flog über ihr Antlitz … Doch im selben Augenblick schien ihm plötzlich das Verständniß seiner Lage zu kommen.

Er wußte kaum, warum solch' jähe Entrüstung ihn durchzuckte, daß er fast rauh sich von ihr losmachte und einen Schritt zurücktrat. Glühende Röthe und Todesblässe wechselten auf seinem Antlitz. War es das, was sie von ihm gewollt? War dies das Ziel, zu dessen Erreichung sie das Heilige hatte benutzen wollen? Hatte sie das Höchste herabgewürdigt, um ihre wahre Meinung zu verdecken? Gekränkt in seinen tiefsten Gefühlen, ließ er Zorn und Empörung die Oberhand gewinnen. Er stand da, hoch aufgerichtet und klar. Die Sprache versagte ihm; doch auf seinem Antlitz waren seine Gefühle deutlich zu lesen.

Daniella verstand augenblicklich, was in ihm vorging; das Bewußtsein dessen, was sie gethan, kehrte zurück. »Rother, Rother!« Flehend klang der Ausruf, und ihre Hände bedeckten das erröthende Antlitz.

»Sie haben ein furchtbares Spiel gespielt, Daniella,« sagte Rother leise; die Bewegung schien seiner Stimme allen Klang zu nehmen. »Sie haben das Höchste mißbraucht zu eitelm Spiel! Ich Thor, der ich wähnte, Sie suchten das unendliche Ziel des Lebens in voller Aufrichtigkeit! Warum haben Sie das hohe Bild, das von Ihnen in meinem Herzen lebte, so jäh umgestürzt!«

»Machen Sie mir keine Vorwürfe!« rief Daniella, die auf das Sopha hingesunken war und in wildem Schmerz das Haupt in die Kissen drückte. »Ich habe nichts thun wollen, als Ihnen folgen, als die Kluft überbrücken, die uns trennt! Meinen Stolz, meine Geistesfreiheit wollte ich hingeben für Sie – – und Sie stoßen mich zurück! Für Sie wollte ich mich demüthigen und erniedrigen – – und nun …!« Sie brach in leidenschaftliches Schluchzen aus.

Rother's Anschauungen von echter Frauenwürde waren von Jugend auf zu tief gegründet, als daß ihn die Scene nicht unangenehm berührt hätte. Aber die Frau, die da weinte, weinte um ihn. Um seinetwillen hatte sie ein in ihrem Sinne großes Opfer bringen wollen, und ihre letzten Worte zeigten, wie sie ihn mißverstanden.

»Wenn ich Veranlassung gab zu solchem Mißverständniß, so verzeihen Sie, Daniella,« sagte er mild und fast traurig. »Doch wenn ein einziges Wort von mir Sie jetzt herüberrufen könnte, so dürfte ich es nicht sprechen; wenn meine Hand Sie über die Kluft heben könnte, ich dürfte sie nicht ausstrecken! Nicht aus irdischen Beweggründen darf geschehen, was das Ewige zum Ziele hat. Wer die Wahrheit suchen will, darf nichts anderes erstreben. Es würde auch nichts nützen. Denn wenn die Seele nicht von der Wahrheit durchdrungen, nicht überzeugt ist, dann wird sie selbst in kürzester Frist gegen die schwer drückende Fessel sich sträuben. Sie würden mich verachten, daß ich das Opfer angenommen. Ich habe Ihre Seele gewinnen wollen, – Gott verzeiht mir, wenn ich irrte und Sie irre leitete! Möge Seine Gnade Sie einst zu besserer Erkenntniß führen!«

»Reden Sie nicht so!« sagte Daniella heftig. Sie richtete sich auf; ihre Wangen brannten heiß wie im Fieber. »Sie verdecken jetzt auch Ihre Gedanken mit schönen Worten! Das ist es nicht, warum Sie sich abwenden, – Sie lieben eine andere!«

Rother blickte sie betroffen an: er hatte keine Ahnung, worauf sie deuten wollte. Jenes Gespräches mit Holdern, der ihm Andeutungen über Helene gemacht, entsann er sich kaum mehr. Am wenigsten aber hätte er erwartet, daß Daniella auf diese Idee verfallen wäre. Helene war in seinen Gedanken so vollständig mit seinem Freunde Velden identificirt, daß es ihm unfaßbar war, wie man ihm so etwas zutrauen könne.

Daniella sah das Befremden in seinem Antlitze. »Sie lieben eine andere!« wiederholte sie mit einer Art von Trotz, obgleich sie fühlte, daß sie ihm unrecht that. Aber war das nicht gleichgültig? Wenn er Helene noch nicht liebte, so liebte diese ihn, und das war die Fessel, die ihn umschlang.

»Es ist besser, daß wir scheiden,« sagte Rother, plötzlich sehr ruhig geworden. »Besser, daß wir uns trennen, da nur mehr Mißverständnisse zu entstehen scheinen … Wenn Sie aber Comtesse Asten meinen,« setzte er hinzu, und flammende Röthe bedeckte sein Gesicht, »so wissen Sie, daß ich es als Beleidigung auffassen muß, wenn man denken wollte, meine Wünsche könnten sich jemals dahin verirren. Ich sagte Ihnen schon, daß mein Freund Velden die Comtesse liebt … Leben Sie wohl, Daniella! Gott helfe Ihnen …. Wollte Gott, ich hätte es besser zu thun vermocht … Es ist schwer zu verzeihen, daß Sie auch jetzt wieder mich mißverstehen wollen.«

»Rother, Rother!« ging es noch einmal über ihre Lippen, obwohl er das Zimmer schon verlassen hatte. Sie fühlte, daß sie ihn durch ihren Argwohn ganz von sich gestoßen habe. Wie damals als Kind, mit dem ganzen Ungestüm einer Leidenschaft, die sie nicht beherrschen wollte, eines Stolzes, der sein Ziel verfehlt, warf sie sich auf das Antlitz nieder. Ihre Finger wühlten in dem schwarzen Haar, und ihr Körper schüttelte sich wie im Krampf.

Sie wußte kaum, war es Liebe, war es Haß, was jetzt in ihrem Herzen loderte – Haß gegen den, vor dem sie sich umsonst gedemüthigt, der so beleidigend kalt sich von ihr abgewandt hatte. Der schärfste Dorn, der sie traf, war sein Vorwurf, sie habe ein hohles Spiel gespielt. In Wahrheit mußte sie sich sagen, daß sein Urtheil gerechtfertigt war, und doch wollte sie diese Schuld nicht bekennen. Nur das eine stand vor ihr: sie hatte um seine Liebe gerungen, und er hatte sie zurückgestoßen, – er hatte das gethan, weil eine andere ihn fester gefesselt, weil er von kleinlichen Satzungen sich gebunden wähnte! Mit einer Art von wilder Freude behauptete sie das immer wieder. Hatte er doch nicht nein gesagt, hatte er doch nicht geleugnet, daß er Helene Asten liebe! Er hatte nur gesagt, daß seines Freundes Liebe ihm eine Schranke sei.

Wie konnte Daniella die Schmach ertragen, sich so zurückgewiesen zu sehen? Anderer Himmel, um wieder zu athmen, andere Luft, um darin aufzuleben! Dreifach willkommen war ihr jetzt Baron Holdern's Vorschlag, damit ein anderes Leben, ein anderer mächtiger Wogenschlag dies brennende Gefühl übertäube. Nichts hielt sie jetzt mehr zurück, diesem kühnen Traume zu folgen. Hatte sie über die Liebe keine Macht gehabt, so war sie wenigstens frei; sie hatte um der Liebe willen sich Fesseln anlegen, sich in Schranken bannen wollen; die Liebe war gescheitert, wohlan, sie gehörte sich nur selbst noch an – wie sie diese Schranken schon haßte, um derenwillen sie so viel ertragen!

Wie wild aber auch ihre Empfindungen gährten – niemand durfte ihre Niederlage ahnen. Wie sie als Kind schon solche heftige Erregungen plötzlich zu beherrschen verstand, so raffte sie auch jetzt nach kurzer Frist ihre Kraft zusammen und wußte ruhig zu erscheinen.

Die alte Jetta schüttelte zwar den Kopf, als Daniella an diesem Abende in ungewohnter Lebhaftigkeit noch lange am Clavier saß, als könne sie nur durch die rauschendsten Töne sich beschwichtigen. Die Alte witterte Unheil; sie meinte, von all' den langen Unterhaltungen zwischen dem Mädchen und dem Rother hätte sie nie Gutes erwartet. Doch hatte sie dabei mehr für ihn, als für sie gefürchtet. Draußen hatte sie gehört, wie die beiden so heftig gesprochen, hatte Rother ungewöhnlich früh fortgehen sehen, ohne daß er von ihr wie üblich Abschied nahm, und dann hatte sie Daniella so erregt gefunden. Jetta glaubte auf der richtigen Spur zu sein.

Du lieber Gott, meinte sie, konnte der Rother sich soweit vergessen, wirklich an das Judenkind zu denken! Sie war schön, und er war jung – und ein Mannsbild ist ja von der Schönheit so leicht gefangen! Aber sie hatte ihn doch nur angezogen, um ihn zurückzustoßen! Jetta wußte kaum, ob es ihr lieb oder leid sei, daß der Rother diese Erfahrung gemacht. Sie meinte, es geschehe ihm schon recht, wenn er um ihretwillen alles so hätte im Stiche lassen wollen. Trotzdem kam ihr altes Lieblingswort über Daniella von dem »hoffärtigen Ding« doch wieder auf ihre Lippen. »Jes', Maria, der dünkt ja nichts gut genug; die würde sich nicht beugen und noch weniger bekehren lassen um einen Mann, wie der Rother einer ist, wenn sie ihn auch noch so liebte.«

Dennoch irrte Jetta, wie der Mensch meist irrt, wenn er wähnt, in seines Nebenmenschen Herz zu schauen. Sie irrte noch mehr darin, daß sie alles erklärt wähnte, als Baron Holdern zwei Tage später eintrat und sehr eifrig und lange mit Daniella sprach. Jetta hatte vorausgesagt, daß es mindestens »einer von die Grafen oder Barone« sein müßte, der Daniella hoch genug scheine; aber für den Rother war es besser so, zehntausend Mal besser. Dieser Ansicht zum Trotz konnte sie aber doch die vermeintliche Niederlage ihres Lieblings nicht verschmerzen; sie trug es dem Mädchen nach, wie damals, als sie den Rother von der richtigen Bahn abgelenkt hatte. Jetta meinte das noch heute, und das war der Grund, warum sie es leicht nahm, als bald nach Holdern's Besuch Daniella ihren Entschluß ankündigte, zu ihrem Vater zurückzukehren.

Daß Daniella jetzt an ihre Rückreise dachte, mußte jedermann natürlich erscheinen; ihre Ausgabe zu Bornstadt konnte sie als gelöst betrachten. Sie habe für Winter und Frühjahr größere Reisepläne, sagte sie zur weitern Erklärung. Noch einige Tage zögerte sie, ehe sie Bornstadt verließ, als könne sie sich von dem Fleck nicht trennen. Hoffte sie, daß Rother zurückkehren werde? Erwartete sie irgend eine Nachricht oder ein Zeichen von ihm?

Nur Holdern war am Tage ihrer Abreise auf dem Bahnhofe. Er behauptete, gekommen zu sein, ihr noch einiges über seine Projecte mitzutheilen.

»Suchen Sie Ihren schönen Trovatore?« fragte er, plötzlich sich unterbrechend, mit dem bekannten spöttischen Anklang in der Stimme, als er bemerkte, wie Daniella's Blicke zerstreut über den Perron schweiften. »Ich begegnete ihm vorhin; doch sah er mich nicht. Er war wohl mit einer Botschaft an das Kloster betraut, in welchem Comtesse Asten sich aufhält; dorthin sah ich ihn einlenken. Der treulose Ritter hätte unbedingt sich hier einfinden müssen, seiner schönen Muse die letzte Huldigung darzubringen. Weiß er, daß Sie heute Bornstadt verlassen?«

»Wir nahmen schon Abschied, Herr Rother und ich,« antwortete Daniella etwas gezwungen. »Fahren Sie nur fort in Ihrer Rede.«

»Oder wollen Sie Ihren jungen Freund auch nach Paris hinzaubern?« fuhr Holdern unbeirrt in neckendem Tone fort. »Freilich, ihm würde es sehr dienlich sein, ein Stück von der großen Welt kennen zu lernen. Sie haben mir ja den Beweis geliefert, daß Sie alles möglich machen können, da schon ein Mal ein Wort von Ihnen ihn zu Ihren Füßen rief.«

»Sie sind unerträglich,« sagte Daniella ungeduldig. »Wie können Sie die wenigen Augenblicke, die wir hier noch haben, mit solchen Scherzen vergeuden? Sie behaupteten doch, mir noch wichtige Aufschlüsse geben zu müssen. Die Familie Asten wird Herrn Rother seine Wege jetzt schon anweisen,« schloß sie mit unverhüllter Bitterkeit.

» Ah, tant mieux! Wir gehören also fortan nur einer Sache an,« erwiderte Holdern, seinen forschenden Blick auf Daniella heftend. »Am glücklichsten vielleicht für mich,« setzte er, das letzte Wort betonend, hinzu. »Auf Wiedersehen auf einem größern Welttheater, wo Ihre Rolle eine mächtigere sein wird, eine, die besser für Ihren Geist paßt, schöne Muse!«

Das waren seine letzten Worte – und doch dachte Daniella nicht seiner, als der Zug sie jetzt brausend forttrug; sie gedachte nicht der Weltpläne und der Aufgabe, die ihr darin zu theil werden sollte. Ihre Gedanken weilten bei dem, der nicht gekommen und von dem sie bis zuletzt noch irgend ein Zeichen erwartet. Sie gedachte des Traumes, der sie nach Bornstadt geführt, der nun für immer entschwunden war, und auch jetzt wußte sie kaum, war es Liebe oder Haß, was so wild ihr Herz schlagen ließ.

Es würde sie vielleicht milder gestimmt haben, wenn sie gewußt, daß auch er die Nachwehen jenes Sturmes empfand. Nicht umsonst hatte er der Leidenschaft in's Auge geblickt, nicht umsonst war ihm der süße Rausch nahe getreten und hatte ihm einen Kreis ganz neuer Empfindungen gezeigt. Das Gesicht, das so leidenschaftlich zu ihm aufgeschaut, hätte wahrhaftig nicht um Liebe zu betteln brauchen: das schöne Weib, mit den brennenden Augen, mit der magischen Berührung, die ihrer Hand eigen! Er vermochte das Bild nicht zu verscheuchen, selbst als er allein auf seinem Kämmerlein sich zu sammeln suchte. Die Empörung, die er zuerst empfunden, hatte sich gemildert; war ihr impulsiver Charakter nicht Entschuldigung genug dafür? Er aber, war er nicht hart, nicht ungerecht gewesen, sie zurückzustoßen? Hätte nicht die spätere Einsicht das vollenden können, was das weiche, hingebende Gefühl des Weibes begonnen, wenn er ihr entgegengekommen wäre? In einem Augenblicke erfaßte ihn dieser Gedanke so übermächtig, daß er wähnte, zu ihr zurückkehren, ihr Abbitte thun zu müssen. Und doch – zauberisch, wie die Phantasie die Erinnerung ausmalte, lieblich wie das Glück ihm winkte, leicht, wie es ihm zuzufallen schien, so daß er nur die Hand auszustrecken brauchte, es sich zu eigen zu machen, – das war es nicht, was ihn lockte! Das allbezwingende Gefühl blieb ihm fremd; keine eigentliche Regung des Herzens sprach für sie. Hatte sie dennoch recht gehabt, daß sein Herz einer andern gehöre? Aber ernst, wie er sich prüfte, überzeugte er sich doch, daß auch Helene Asten's liebliches Bild keine Macht über ihn gewonnen, so hohe Achtung er ihr zollte. Frauenliebe erschien ihm so nichtig gegen das Höhere, wonach er strebte.

Aber die innere Ruhe war trotzdem nicht hergestellt. Wie Welle gegen Welle drängt, wenn der Sturm sie einmal aufgewühlt, so drängten sich hier die widerstrebenden Empfindungen und nahmen ihm die innere Klarheit. Seine Kunst? Wohl liebte er sie mit warmer Liebe, wohl hatte sie ihn einst mächtig angezogen. Aber die Welt schien in diesem Augenblick zu ernst für die Kunst; sie stellte jetzt andere Anforderungen an den Mann. Er kam sich so dürftig, so unreif vor. Wie wenig hatte er noch geleistet, wie wenig noch errungen! Ein drückendes Gefühl der Unzulänglichkeit ergab sich aus dem Vergleich zwischen dem, was er war, und was er hatte sein wollen. Ein peinigender Durst nach Wissen, nach Prüfen, nach Kennen und Sehen durchwogte ihn. An den Quellen der Wissenschaft zu trinken, die Welt zu durchstreifen, die so ungekannt noch vor ihm lag – war es das, was seine Brust mit unbestimmter Sehnsucht erfüllte? Die neue Empfindung beherrschte ihn so ganz, daß Daniella's Bild davor schwand. Nur reich begabte Menschen kennen wohl diesen Zustand plötzlicher Unklarheit und gänzlichen Verzagens.

Rother hätte seiner Natur entgegen sich diesmal doch fast von seinen Gedanken ankranken lassen, wäre nicht ein Brief von Frau v. Velden gekommen, der ihn daraus erweckte. Die Nachricht, welche seine Pflegemutter ihm sandte, überraschte ihn. Es waren nur wenige Worte, aber voll mütterlicher Freude. Hermann würde in den nächsten Tagen kommen, schrieb sie, und sie erwarte den Pflegesohn, um den heimkehrenden Krieger empfangen zu helfen. Die warmen, herzlichen Worte thaten Rother ungemein wohl. Hermann wohlbehalten aus Krieg und Gefahr heimkehren zu sehen – vor dieser freudigen Erwartung verflüchtigte sich der unklare Schwall der Gefühle. Es galt daher auch gleich zu handeln; er mußte sofort den Urlaub verlangen, da nur noch wenige Tage bis zu Hermann's Ankunft fehlten.

Frau von Velden's Brief war ein kleiner Zettel an Helene Asten beigefügt, mit der Bitte, Rother möge ihn abgeben.

Auf der Rückkehr vom Kloster fühlte er plötzlich Holdern's Hand sich auf seine Schulter legen. »Nun, Sie ungetreuer Minstrel lassen Ihre holde Freundin ziehen, ohne einen Abschiedsgruß ihr zu widmen?« redete er ihn an. »Oder wissen Sie nicht einmal, daß die schöne Sionstochter der edeln alten Stadt den Rücken gekehrt?« setzte er hinzu, als Rother's befremdete Miene ihm auffiel. »Ist sie Ihnen absichtlich entflohen? Sie sagte mir zwar, Sie habe Abschied von Ihnen genommen; aber Ihr grenzenlos aufrichtiges Antlitz verräth das Gegentheil. Eh bien, schöner Minstrel, Damen haben ihre Launen. Sie schaute dennoch sich die Augen nach Ihnen aus.«

»Ich wußte nicht, daß Fräulein Daniella heute schon reisen würde,« sagte Rother. Daniella's Abreise erregte bei ihm ein eigenthümliches Gefühl, wenn auch die Frage, über die er vergeblich sich klar zu werden gesucht, ob er nicht noch ein Mal sie aufsuchen solle, dadurch gelöst wurde. Der Gedanke, daß der stürmische Augenblick auch die alte Freundschaft vernichtet haben sollte, war ihm hart; eine tiefe Wehmuth, daß alles so geendet, überkam ihn.

»Schon vorhin begegnete ich Ihnen,« plauderte Holdern weiter; »doch schienen Sie so in Gedanken vertieft, daß Sie meinen Gruß gar nicht wahrnahmen. Die Richtung, die Sie einschlugen, entschuldigte allerdings Ihr Sinnen, ich sah, daß Sie zu jenem geweihten Orte pilgerten, wo die holde Priesterin der Barmherzigkeit waltet. Ich mußte grausam genug sein, diesen Grund Ihres Nichterscheinens Fräulein Daniella mitzutheilen.

»Das war eine sehr unmotivirte Annahme,« unterbrach ihn Rother unwillig, da es ihm in diesem Falle doppelt unangenehm war, Daniella in ihrer vorgefaßten Meinung bestärkt zu sehen. »Ich wußte nichts von Fräulein Daniella's Abreise; sonst,« fuhr er etwas stockend fort, würde ich wohl dort gewesen sein. Ich hatte nur am Schalter des Klosters einen Brief von Frau von Velden abzugeben. Ich weiß übrigens nicht, was Sie veranlaßt, stets …«

»Nehmen Sie doch nicht alles übel auf – Weiber und Künstler sind entsetzlich in ihrer Empfindlichkeit. Warum sollte ich die schöne Daniella nicht etwas eifersüchtig machen? Sie wird das nächste Mal um so süßer Sie zu fesseln suchen. Aber Sie sehen melancholisch aus. Drückt der Recrutenrock Sie allzu sehr, oder ist es, weil Sie der schönen Sionstochter das Seelenheil in Ihrem Sinne nicht haben vermitteln können? Wie man mir sagte, haben Sie es ernstlich versucht. Halten Sie sich mehr an die Herzen der Frauen wie an ihre Seele, dann machen Sie mehr Glück. Aber wissen Sie was, kommen Sie auf einige Tage mit mir; mein altes Nest ist langweilig, und Ihr Gesicht könnte es mir um vieles sympathischer machen. Nicht einmal meine Schwester ist dort. Sie meldete mir gestern, daß sie nach Asten wolle, um das glückliche Brautpaar chaperonniren zu helfen. Fräulein Christiane ist krank. Trotz des altersgrauen Bräutigams scheint man dort die Liebesgeschichte nach aller Form durchzuführen.«

Holdern hatte eine Art, in kurzen Sätzen weiter zu plaudern, welche den Gegenpart der Antworten überhob. Selbst wenn man über das, was er sagte, sich ärgerte, fesselte er doch durch die pikante Art, in der er seine Einfälle vortrug.

Rother erwiderte, daß er eben die Nachricht von der bevorstehenden Rückkunft Velden's erhalten habe und daher, wenn er Urlaub erhielte, nach Burghof zu gehen beabsichtige.

Holdern schnitt bei der Nennung Velden's eine komische Grimasse. »Ihren Freund in allen Ehren – aber er ist der Philister, wie er im Buche steht. Sie müssen es selbst bekennen, wenn Sie auch ein Don Quixote der Freundschaft sind. Lassen Sie sich nicht von ihm anstecken. Was gut für den Landjunker, taugt nicht für den Künstler. Wissen Sie, was Ihnen noth thäte? Eine Reise in die Welt oder um die Welt – nach England, America, dorthin, wo es wahre Goldernten für den Künstler gibt. Europa ist nach all' dem Kanonendonner und dem politischen Gezänke harthörig geworden gegen zarte Geigentöne. Was sagen Sie zu einem solchen tour d'artiste, ehe Sie sich zum deutschen Capellmeister consolidiren? Meine Bekanntschaften in England und America sind zu Ihren Diensten. Wollen Sie Vorschüsse? Auf Ihren Erfolg kann man Ihnen Capitalien leihen. Kommen Sie mit und lassen Sie uns bei einem Glase Wein schöne Pläne schmieden.«

Holdern sprach so lebhaft, daß Rother unwillkürlich ihn ansah, ob etwa ein anregendes Glas bei ihm schon gewirkt habe. Aber des Barons Züge waren ruhig wie immer; er war nur heiterer Laune und hatte seine besondern Gründe dafür. Das Glück war ihm in letzter Zeit am Spieltisch wieder hold gewesen. Durch die Gewinnung Daniella's für die angedeuteten Zwecke hatte er aber seinen »mächtigen Freunden«, wie er sie gern nannte, einen Dienst geleistet, der ihm viele neue Verbindungen und Aussichten eröffnete.

Die Aussicht, die schöne Daniella allenfalls selbst zu gewinnen, mochte ihm mit dabei vorschweben, und die Vorschläge, die er Rother gemacht hatte, standen vielleicht mit dem Gedanken in Verbindung. Er unterschätzte den Einfluß des schönen Jünglings aus Daniella durchaus nicht, und wenn sie für jetzt auch von ihm getrennt war, so kannte er doch nur zu gut den festen Willen der launenhaften Dame, die alles möglich machen konnte.

Bei aller Reiselust, die in Rother lebte, führten Holdern's Vorschläge ihn aber nicht in Versuchung. Das Geld lockte ihn so wenig wie die Liebe.


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