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17

Die Aussicht Rother's, dem großen Schauspiel der Welt-Ausstellung beizuwohnen, sollte sich indeß nicht so verwirklichen, wie er Daniella mitgetheilt hatte. Die Reise des Grafen Asten schob sich noch Monate hinaus, auch nachdem Henny's Hochzeit vorüber war. Herbert und Rother schweiften indeß an den Gestaden Griechenlands und suchten, ihrem ersten Plane gemäß, das Reich des Vaters Nil auf, um erst dann in Paris einzutreffen, wenn ein Wiedersehen damit vereint werden könne.

Die stolze Metropole entbehrte indeß der Gäste nicht und durfte sich rühmen, durch das Schauspiel, das sich bot, alle Völker in Bewegung gesetzt zu haben. Das bunte Gewühl war dort zu einem Höhepunkt gestiegen, wie kaum jemals zuvor. Fast alle gekrönten Häupter Europas suchten in jenem Sommer die Weltstadt auf, und der schaulustige Pariser hatte Gelegenheit, seine Neugier zu befriedigen und sich an dem Gepränge zu weiden, das den hohen Gästen zu Ehren entfaltet wurde. Die große Ausstellung des Jahres 1867 war ein letzter Versuch, das Volk zu fesseln; es war der letzte Triumph, den das Kaiserreich feierte.

Baron Hohenwaldau war lange genug Bürger der Weltstadt gewesen, um in etwa deren Charakter anzunehmen. Sein Hotel war in diesem Sommer zum Karawanserei geworden, gastlich geöffnet den vielen Fremden, welche die Herrlichkeit zu sehen kamen. Die Gäste, die er vorzugsweise eingeladen und sicher erwartet hatte, kamen jedoch damals noch nicht. Nur Henny sprach mit ihrem Gatten auf ihrer Hochzeitstour bei dem Onkel vor, sich die Aeuglein zu blenden an dem Zauberpalast, und der Triumphe sich zu freuen, die ihr als jeune mariée in dem belebten Salon des Onkels reichlich wurden.

Als das Spätjahr aber zur Neige ging, der Glanz der Ausstellung vorüber war, der Strom der Gäste sich verlaufen hatte, und Baron Hohenwaldau an nichts weniger mehr als an den Besuch seiner Verwandten für dies Jahr dachte, erhielt er einen Brief seines Schwagers, der sehr zu seiner Ueberraschung den ausgegebenen Plan wieder aufgriff.

»Geht's mir doch fast wie dir, alter Kamerad, der du stets solchen respectvollen Schauder vor unserer ländlichen Winter-Einsamkeit hattest,« schrieb Graf Asten. »Will mir doch zum ersten Mal mein altes Nest öde dünken! Meine Jungen sind mir zu früh flügge geworden. Der Herbert mit dem Rother in der Ferne – mein lustig Mädel von Werthern mir entführt und er damit auch unbrauchbar geworden! Denn er fühlt sich seitdem so behaglich in seinen Mauern, daß er sie kaum verläßt. Unsere Nachbarschaft vereinsamt. Velden ist fern in die östlichen Provinzen verschlagen, wo er bei einer Regierung arbeitet.

»Meine Helene wird mir zu ernst zwischen uns Alten; ich möchte ihr gern einige Zerstreuung verschaffen. Unsere Geselligkeit hier zu Lande ist jedoch augenblicklich nicht sehr erquicklich, da all' zu viele Meinungen sich kreuzen. Ist also auch der Weltschwindel bei euch vorüber, so sind wir doch nicht abgeneigt, deine freundliche Einladung noch nachträglich zu benutzen, falls deine Gastlichkeit in diesem Sommer sich nicht erschöpft hat. Sage uns also aufrichtig, ob wir dir noch willkommen sind. Tante Christiane behauptet, des Reisens genug zu haben, und will des Hauses Hüterin bleiben. Doch hege ich die leise Hoffnung, daß Herbert vielleicht bald so weit im Stande sein wird, daß er sich ein Rendezvous mit uns in deinem Hause geben darf, wenn das dir nicht zu viel der Familien-Invasion ist.«

Baron Hohenwaldau's Gastlichkeit wäre schwer zu erschöpfen gewesen, und eine Familien-Réunion war ganz nach seinem Sinne. Er war überdies sehr stolz auf seine Nichte Helene und freute sich darauf, in seinem Pariser Cirkel mit ihr zu glänzen. Unter der Bedingung, daß man nicht nach Touristen-Weise bloß flüchtig in Paris vorspreche, sondern wirklich zu einem behaglichen Aufenthalt daselbst sich rüste, stellte er seine Häuslichkeit ganz zur Disposition der Verwandten.

Helene begrüßte die Aussicht aus den Winter-Aufenthalt bei dem Onkel mit wirklicher Freude. Die Abreise der Schwester hatte bei ihr eine große Lücke gelassen, und mehr wie sie eingestehen mochte, empfand sie auch die gänzliche Trennung von Hermann. Eine Zuneigung, die von Jugend an Wurzel gefaßt, wird nicht so leicht ausgetilgt. In tausend Kleinigkeiten des Lebens, in ihrem Thun, Treiben und Denken war Helene stets gewohnt gewesen, aus Hermann's Theilnahme zu zählen, auf seinen Rath und Beistand zurückzugreifen. Selbst während des zweijährigen Aufenthaltes im Süden war dieser Faden nicht abgerissen, da Velden sehr fleißig mit Tante Christiane wie mit dem Vater correspondirt hatte. Jetzt, wo der Jugendfreund ihr ganz entrückt war, fehlte er ihr. Nur noch ein Mal seit jener entscheidenden Begegnung hatte sie ihn gesehen: vor dem Eintritt in seinen neuen Beruf, als er gekommen war, um Abschied zu nehmen. Seine Haltung war so gemessen gewesen, daß sie gefühlt hatte, welche Gewalt er sich anthat, seinen Schmerz zu bemeistern. Tief schmerzte es sie, daß sie dem Freunde das Weh hatte bereiten müssen, doch sagte sie sich, daß sie recht gehandelt, eher die alte Freundschaft zum Opfer zu bringen, als ihn in falsche Sicherheit zu wiegen.

Der Umgang mit Holdern vermochte aber die Lücke nicht auszufüllen. Wohl überwog die Liebe, wenn er kam; doch lag eine beängstigende Ungewißheit in dem Verkehr mit ihm: das mit ruhiger Sicherheit zu dem Geliebten emporschauende Vertrauen, das der Liebe etwas so Erquickliches gibt, fehlte dabei. Stets mußte sie Holdern's Worte, seinen Ausdruck studiren und abwägen. So gern wollte sie alles Gute und Edele hineinlegen; aber sie befürchtete immer, ihn von anderer Seite anders beurtheilt zu sehen. Wie sehr ihr Vater den Baron als Gesellschafter schätzte, waren die Ansichten der beiden Herren doch gar zu verschieden. Die Aufgabe des guten Engels suchte Helene in Wahrheit und mit allem Ernste zu lösen. Wenn sie aber das Innerste ihres Herzens durchforschte, hätte sie sich vielleicht sagen können, daß sie allzu sehr die Erfüllung ihres Herzenswunsches suche, und daß ihr Gebet nicht ganz so sei, wie der Herr es verlangt.

Holdern war indessen von andern Gedanken vollständig in Anspruch genommen. Das Speculations-Fieber, das in jenem Jahre so sehr um sich griff, hatte auch ihn erfaßt. In den Kreisen, in denen er verkehrte, baute sich mit eigenthümlicher Schnelle ein Project auf das andere, unterstützt durch die kühnsten und anscheinend unfehlbarsten Berechnungen. Es war eine neue Art Hazardspiel, und für Holdern lag eben darin die Anziehung. Bei den industriellen Unternehmungen, die in den verschiedensten Gestaltungen in's Leben traten, war er sehr gesucht. Mit Vorliebe stellte man die Namen hoher und vornehmer Persönlichkeiten an die Spitze der Gesellschaften. Holdern gab sich gern dazu her, und man hoffte, durch seinen Einfluß manches zu erreichen. Eine Gesellschaft hatte die Gegend in's Auge gefaßt, wo Holdernheim und Burghof lagen; es war ein Theil des Landes, das sich bisher gegen die Industrie noch ziemlich abwehrend verhalten hatte. Auf die Gewinnung der Velden'schen Besitzung mit ihren prächtigen Forsten und ausgiebigen Wassergefällen legte man namentlich Werth. Für Holdern lag neben den großen Vortheilen, die ihm direct geboten waren, noch ein besonderer Reiz darin, gerade Velden, dessen entgegenstehende Ansichten er kannte, in diese Strömung zu verwickeln. Er ahnte nicht, daß er in Veldens verbitterter Stimmung für den Augenblick einen Bundesgenossen habe; denn Velden betrachtete, seit er die Hoffnung auf Helenens Liebe aufgegeben, seinen Besitz als eine Last, weil er ihn an diese Gegend band.

Für Holdern's Verbindungen im Auslande war die französische Hauptstadt eine Art Centralstelle. Seine Geschäfte führten ihn vielfach dorthin, und Daniella's Anwesenheit war ein Grund mehr für wiederholte Reisen.

Graf Asten und seine Tochter fanden sich wohl aufgehoben in der reizenden Häuslichkeit des Barons Hohenwaldau, dessen geheimer Stolz es war, die Hausfrau nicht vermissen zu lassen. Französische Eleganz und deutsche Bequemlichkeit hatte er gut zu vereinigen gewußt. Sein schönes Hotel lag in dem streng aristokratischen Viertel, dessen Kreise er hauptsächlich frequentirte. Baron Hohenwaldau war auch etwas Maecen; und da seinen Salons keine Hausfrau präsidirte, brauchte er sich weniger an die Regeln der exclusiven Cirkel zu binden. Er liebte es, alles um sich zu versammeln, was von berühmten und interessanten Persönlichkeiten in seinen Bereich kam; sein Stolz war es, aus neutralem Boden die verschiedensten Elemente zu vereinen. Neu ausgehenden Sternen zu ihrem Eintritt in die Welt behülflich zu sein, war ihm eine Freude.

Zu Ehren Helenens hatte er seine Salons jetzt von neuem eröffnet. Er beeiferte sich, seine Nichte mit der Elite der Gesellschaft bekannt zu machen, und ihr zugleich alle geistige Anregung zu verschaffen, die sich erreichen ließ. Ein wenig enttäuscht war freilich Baron Hohenwaldau, daß im Gegensatz zu den Triumphen, welche die kleine Henny gefeiert, Helene nicht solche Bewunderung erregte, wie er erwartet hatte. Man pries zwar ihre klassische Schönheit, ihre feine Bildung und Liebenswürdigkeit, aber ihre deutsche Zurückhaltung und Tiefe gingen wohl dem französischen Geschmack zu weit; sie sei »trop allemande«, sagte man. Wenn aber Helene nicht den allgemeinen Sturm von Entzücken hervorrief, auf den ihr Onkel gerechnet hatte, so wurde sie darum von einzelnen um so mehr beachtet. Sie gehörte zu jenen Mädchen, welche auf ernstere Naturen einen tiefen Eindruck machen. Verschiedene Cavaliere versuchten, der schönen stolzen Deutschen sich zu nähern; aber es lag etwas gar zu entschieden Abweisendes in ihrem Wesen. Diese Zurückhaltung war nicht nach des Onkels Sinn. Er glaubte den Grund dafür in ihrer Neigung zu Velden zu finden. Für diesen schlichten Landjunker aber hielt er sie viel zu gut; die Partie überhaupt war ihm zu unbedeutend für die Ansprüche einer Comtesse Asten. Er hatte einige Wünsche für den einen und den andern seiner jungen Freunde, die er nach Rang und Stellung als weit angemessenere Kandidaten betrachtete. Der kleine Fest-Cyclus, den er eröffnete, die ungezwungene Unterhaltung, welche die tägliche Empfangsstunde bot, zielten darauf hin, den Verkehr in seinem Hause den jungen Leuten möglichst zu erleichtern. Die Besuchstage waren seit Helenens Anwesenheit sehr in Anspruch genommen; Tages-Neuigkeiten, wie auch ernstere Dinge boten reichlichen Stoff zur Unterhaltung.

»Wissen Sie schon, daß eine specielle Landsmännin von Ihnen jetzt hier großen succès hat?« warf einer der jungen Herren, die sich im Hohenwaldau'schen Salon eingefunden hatten, in die lebhafte Unterhaltung hinein. Augenscheinlich war seine Absicht, die Aufmerksamkeit Helenens, die auch hier ihren Platz am Maltisch eingenommen hatte, von den schönen Orchideen abzulenken, mit denen ihr Pinsel eben beschäftigt war. »Eine Dame,« fuhr er fort, als Helene erstaunt aufschaute, »die seit einiger Zeit als Künstlerin, als Millionairin und als seltene beauté großes Aussehen erregt. Ganz gewiß, sie ist aus Ihrer speciellen Heimath,« setzte er hinzu, als Helene ungläubig den Kopf schüttelte.

»Gaston, Gaston, Ihre französische Geographie scheint Ihnen wieder einen Streich zu spielen! Wer weiß, welches Land Sie uns als specielle Heimath anweisen in dem weiten Begriff Deutschland? Ist es an der blauen Donau, an der Weser oder am Rhein?« lachte Baron Hohenwaldau.

» Mais non, mais non!« wehrte der junge Mann. »Eine Landsmännin ist sie in des Wortes engster Bedeutung. Madame d'Anvers, in deren Salon sie noch neulich bei einem Dilettanten-Concert mitwirkte, sagte mir ganz ausdrücklich, sie sei aus Bornstadt. Gewiß, ich habe mich in dem Namen nicht geirrt; ich vergaß ihn nicht, weil Comtesse Helene mir diese Stadt als die nächste bei ihrem Gut bezeichnet hat,« versetzte der junge Mann, einen vielsagenden Blick aus Helene richtend. Die junge Dame schien aber mit aller Andacht in ihre Malerei vertieft.

»Eine Künstlerin aus Bornstadt?« fragte Graf Asten, näher tretend. »Da müßte man in ihrer Heimath doch auch von ihr gehört haben. Und gar, wenn sie als Millionairin auftritt! Vor Jahren allerdings haben zwei junge Damen von dort viel Glück als Sängerinnen gemacht. Die eine hat sich hier in Paris sehr reich verheirathet; ich vermuthe, daß diese …«

»Nein, die Dame ist nicht verheirathet,« sagte einer der andern Herren. »Sie ist noch sehr jung; doch tritt sie vollständig selbständig auf. Sie verkehrt viel in den Kreisen der Geld-Aristokratie wie auch in litterarischen und künstlerischen Cirkeln. Man sagt, sie sei sehr geistreich, un peu esprit fort, eine deutsche Philosophin.«

» Un bas-bleu!« sagte Baron Hohenwaldau. »Helene, euere Gegend zeichnet sich aus – das ist ja ein wahres Curiosum: eine junge Dame, die nach allen Palmen ringt.«

»Daß die Gegend von Bornstadt ein Lieblings-Aufenthalt der Musen und Grazien sein muß, davon haben wir schon den Beweis,« sagte Gaston de Bussy galant und mit fast zu inniger Betonung.

»Gaston, Gaston!« lachte der Baron wieder, »der Musensitz in unsern Bergen würde Ihnen doch verzweifelt rauh vorkommen. Was meinst du, Helene, – sollen wir ihm erlauben, im nächsten Frühjahr sich die Sache einmal anzuschauen? Wenn so ein richtiger Nordost durch's Land bläst und der Schnee noch liegt, während hier schon alles blüht!«

Helene schien gerade nicht geneigt, den jungen Herrn zum Studium des Klima's ihrer Heimath aufzufordern; sie beschäftigte sich so angelegentlich mit der Mischung ihrer Farben, daß sie dem Onkel die Antwort schuldig blieb.

Einer der andern Herren bemerkte, er habe auch schon von der jungen Dame gehört: man habe sie ihm neulich im Boulogner Wäldchen gezeigt. »Sehr schön, sehr elegant, orientalischer Typus,« erklärte der junge Mann. »Man habe ihm ihren Namen genannt, der klinge israelitisch.«

»Papa,« sagte plötzlich Helene ganz erregt, »das ist gewiß Daniella, Rother's Bekannte.«

» C'est cela! Daniella! So wurde sie genannt,« bestätigte der Herr. »Fräulein Daniella …«

»Hirsch,« ergänzte Helene. »Sie ist keine Bornstädterin. Sie stammt aus Berlin; doch war sie viel in Bornstadt bei ihrem Großvater. Ihr Lehrer in der Musik ist ein guter Freund von uns.«

»Ganz recht,« sagte der andere Herr. »Ein deutscher Baron soll sie auch hier eingeführt haben. Man sagt, er besuche sie oft, es wäre eine unglückliche Liebe, seine Familie widerstrebe der Heirath.«

»Nein,« entgegnete Gaston de Bussy; »mir sagte man, es sei ein deutscher Künstler, der ihr gefolgt sei.«

»Ich glaube, das sind lauter Verwechselungen,« meinte Helene. »Herr Rother, von dem ich sprach, und den man wohl damit meint, ist kein Baron. Er ist ein lieber Bekannter und Jugend-Gespiele von uns; jetzt ist er Künstler geworden. Das beiderseitige musikalische Talent vermittelte, als Fräulein Hirsch in Bornstadt war, ihre Bekanntschaft. Später war er zu Berlin viel im Hause ihres Vaters, und ein Mal sind sie zusammen in einem Wohlthätigkeits-Concert aufgetreten. Jetzt ist Herr Rother mit meinem Bruder auf Reisen, kann sie also hier nicht aufgesucht haben. Onkel, entsinnst du dich noch,« wandte sie sich zu dem Hausherrn, »wie vor Jahren schon zu Asten die Rede war von dem talentvollen kleinen Judenmädchen? Hermann Velden zürnte damals darüber, daß Rother ihr Musikunterricht ertheilte.«

»Ah! dann macht sie ihrem Lehrer alle Ehre,« meinte einer der Franzosen. »Sie hat vor kurzem bei Madame d'Anvers deutsche Musik vorgetragen – es war in der That ravissant! Jedermann war hingerissen von ihrem Spiel. Ein englischer Nabob soll ihr gleich seine Hand angetragen haben.« Alles lachte.

»Wie kommt sie aber in die Cirkel unserer guten d'Anvers?« frug Hohenwaldau. »Und gar, wenn sie im Verdacht steht, ein esprit fort zu sein.«

»Und Israelitin!« ergänzte Gaston de Bussy etwas herb.

»Madame d'Anvers war entzückt von der Liberalität, mit der Fräulein Hirsch an allen guten Zwecken – selbst kirchlichen – sich betheiligte, entzückt noch von ihrer Liebenswürdigkeit, und glücklich, eine solche Kraft für ihre musikalischen Abende gewonnen zu haben.«

»Ach, Onkel,« sagte Helene, »ich wollte, wir könnten sie auch kennen lernen. Das würde mich sehr interessiren! Rother sprach stets so viel von ihr. Im vorigen Herbst, da sie sich in Bornstadt aufhielt, hat er sie öfter gesehen. Ich dachte damals schon, er würde sie bekehren. Die Oberin im Lazareth glaubte es auch; sie behauptete sogar, sie mehrfach in unserer Kirche gesehen zu haben. Ein Mal traf ich damals mit ihr im Hospital zusammen. Für die Lazarethe entwickelte sie eine fabelhafte Thätigkeit.«

»Ihre Bekanntschaft zu machen wird nicht schwer sein. Ich brauche Madame d'Anvers nur einen leisen Wink zu geben, daß wir die junge Dame hier zu sehen wünschen.«

»Das hätte ich mir nie gedacht, daß ich nach Paris reisen müßte, um die Bekanntschaft der Enkelin des alten Veitel aus der Domgasse zu machen, den mein Vater noch mit dem Bündel auf dem Rücken gekannt«, sagte Graf Asten lachend.

»Comtesse Helene wünscht gewiß den Bekehrungsversuch fortzusetzen,« meinte Gaston de Bussy ein wenig spitz. Ihm schien der Plan, die Bekanntschaft der schönen israelitischen Künstlerin zu machen, nicht zuzusagen.

Die Antwort wurde Helenen indessen erspart, da eben ein neuer Besuch angemeldet wurde.

»Holdern also endlich auch angelangt! Dieser Ueberall und Nirgends,« sagte der Graf, dem der Hausherr die Karte des Besuchenden überreicht hatte.

»Wohl auch wieder ein Jugendgespiele,« murrte Gaston de Bussy, dem es nicht entgangen war, daß Helene den Ankommenden mit wahrhaft strahlendem Antlitz empfing. Gaston war schon in dem Stadium, daß er eifersüchtig über ihren Gesichtsausdruck wachte. Während die andern jungen Leute Helene verschleiert und kühl fanden wie einen Nebeltag ihrer Heimath, hatte er in den braunen Augen den warmen Strahl entdeckt, der weniger nach außen glänzt, aber aus der Tiefe der Seele stammt. Was hätte er darum gegeben, diesen Strahl auf sich zu lenken! Erstaunt nicht minder wie enttäuscht war er, zu sehen, wie freigebig sie ihr liebliches Lächeln dem Baron zuwandte.

Freundlich empfing auch Baron Hohenwaldau den eintretenden Holdern. »Also doch noch eingetroffen, trotzdem das Champ de Mars seinen Zauber schon eingebüßt hat und einem verrinnenden Traume gleicht?«

»Die Behauptung, daß das Champ de Mars mit seinem Zauber-Tempel mich hierher ziehe, habe ich niemals aufgestellt,« versicherte Holdern in jenem Tone, der stets Helenens Herz höher schlagen ließ. »Meine Bewunderungsfähigkeit ist dafür schon zu sehr abgenutzt. Aber Sie, Comtesse, sind Sie von all' den Herrlichkeiten der Königin der Städte erdrückt und verzückt, oder betrauern Sie, nicht in diesem Sommer ihre Pracht-Entfaltung gesehen zu haben? Baronin Werthern ist davon ganz hingerissen.«

»Nein, ich betrauere nichts,« meinte Helene. »Hier bleibt immer genug zum Bewundern. Gegen das Erdrücktwerden aber schützt mich mein guter Onkel mit seiner charmanten Häuslichkeit, in der man sich so heimisch fühlt. Wir genießen alles mit Ruhe. Die Ausstellung mit ihrer Anhäufung von Sehenswerthem würde mir, glaube ich, wenig Interesse abgewonnen haben.«

»Helenens echt conservativer westfälischer Sinn schätzt nur, was Jahrhunderte überdauert,« scherzte Hohenwaldau. »Wir müssen sie wirklich etwas französiren.«

»Comtesse Helene würde gewiß von der erhabenen Feierlichkeit in Rom begeistert worden sein,« warf Gaston de Bussy ein. »Das war in Wahrheit ein Schauspiel edlerer Art, als alles Prunken menschlichen Könnens, das hier verherrlicht wurde, und das in vieler Beziehung etwas Unnützes hat. Mahnte es mich doch oft an die Anbetung des goldenen Kalbes, wenn ich sah, wie der wahre Zweck des Ganzen doch nur der Erwerb elenden Mammons war, indeß dort der ehrwürdige Greis, welcher zur ewigen Stadt rief, nur die höchsten Ziele im Auge hatte. Comtesse Helene, Sie hätten dem Moment anwohnen müssen, als alle diese Zeugen des Glaubens St. Peter's Grab umstanden, um St. Peter's Nachfolger zu huldigen!« schloß er mit jenem Ausdruck in Ton und Blick, den nur das französische Wort exaltation ganz bezeichnet. Er sah dabei zu Helene hinüber, wohl überzeugt, mit seinen Ansichten bei ihr Anklang zu finden.

Helene sah aber in dem Augenblick nur den kalten, ironischen Blick, den Holdern unter seinen buschigen Brauen her auf den jungen Franzosen sandte.

Gaston fand sich abermals enttäuscht. Denn Helene erwiderte, sie sei dem Weltgeist nicht so abhold, daß sie seine mächtige Entfaltung nicht zu bewundern, seine großartigen Schöpfungen nicht anzuerkennen vermöge. Von dem Feste in Rom habe Rother ihr so ausführliche Beschreibungen gesandt, daß sie sich der Täuschung hingeben könne, selbst dort gewesen zu sein. Ablenkend wandte sie sich dann an Holdern und fragte ihn, ob er schon wisse, daß Rother's gute Bekannte, Fräulein Daniella Hirsch, sich in Paris befinde; die Herren hätten ihr eben mitgetheilt, daß sie sogar hier Aufsehen errege durch ihr Talent und ihren Geist sowohl wie durch den Luxus, mit dem sie sich umgebe; Rother könne auf seine Schülerin wirklich stolz sein.

Holdern verhielt sich, als ob die Nachricht über Daniella ihn wenig interessire. Er bemerkte nur, Papa Hirsch müsse sehr gute Geschäfte gemacht haben, daß er seinem Töchterlein solche Extravaganzen erlaube; daß aber der schöne Trovatore in der Ferne weile, sei zu bedauern.

Helene meinte dagegen, es sei gar nicht unmöglich, daß Rother in nächster Zeit nach Paris komme; ihr Vater hege die Hoffnung, ihn mit Herbert noch hier zu sehen.

Helene war gesprächiger und zugänglicher während Holdern's Anwesenheit. Er aber schien wenig davon berührt. Sie hatte sich jetzt zum Grundsatz gemacht, ihn nicht durch Aeußerungen zu strenger Ansichten zurückzustoßen; sie hoffte, dies Entgegenkommen werde ihn für das, wofür ihn zu gewinnen sie ihr Herzblut hingegeben hätte, empfänglicher machen.

Inmitten der Wonne, die sie über Holdern's Gegenwart empfand und die sie viel vergessen ließ, fühlte sie doch das Bedürfniß, nach ihrem alten Freunde Velden zu fragen, als Holdern angab, eben aus der Heimath zu kommen, und den Namen Burghof verschiedene Male nannte. Dennoch hätte sie an Holdern ungern die Frage gestellt. In diesem Augenblicke kam der Baron ihren Gedanken zuvor, indem er sich an den Grafen wandte und um Velden's Adresse bat. Er habe demselben eine wichtige Mittheilung zu machen, sagte er, die den jungen Baron vielleicht zum Millionair machen könne; nur fürchte er, Velden sei, gleich dem Comte de Bussy, ein zu abgesagter Feind der neuen Zeit und des Weltgeistes.

Der Comte de Bussy versicherte sofort mit großer Lebhaftigkeit, er sehe es als das größte Compliment von Seiten des Barons an, daß dieser ihn gleich als einen Feind des Zeitgeistes erkannt habe. Helene indeß meinte, Velden mit seinen hohen und doch so praktischen Ansichten werde gewiß stets das Richtige ergreifen; sie wünsche nichts inniger, als eine recht glückliche Wendung für seine Verhältnisse.

Helene schätzte sich glücklich an dem Tage. Holdern sprach nicht von Abreise; er schien seinen Aufenthalt in Paris auf unbestimmte Zeit ausdehnen zu wollen. Die Einladung des Barons zu seinen wöchentlichen geselligen Abenden nahm er an und versprach sogar, für den heutigen Nachmittag einer Fahrt zur Besichtigung einiger Sehenswürdigkeiten sich anzuschließen.

Trotzdem hatte Helene am Abende dieses Tages die Empfindung, als sei sie innerlich gequält, geistig gebrochen. Sie hatte immer ablenken, immer einlenken, immer beschwichtigen müssen, da Holdern's sarkastische Bemerkungen mit Gaston de Bussy's Auffassungen fortwährend im Gegensatz standen. Helene grollte darob dem armen Grafen, wie sehr sie seine Ansichten und seine Freimüthigkeit unter andern Umständen bewundert haben würde. Sie hatte Lust, ihn tactlos und seine Begeisterung übertrieben zu nennen, obgleich es ihr vielleicht schwer gewesen wäre, zu beweisen, wodurch er dieses harte Urtheil verdient habe. Sie faßte den Vorsatz, die Begegnung der beiden Männer möglichst zu verhindern. Aber sie wollte sich nicht eingestehen, daß de Bussy's einziger Fehler darin bestanden hatte, Holdern entgegenzutreten.

Als sie ihr Haupt auf das Kissen senkte, wußte sie kaum, warum nach dem glücklichen Tage – wie sie ihn doch immer wieder zu nennen versuchte – die Augen ihr so feucht waren und das Herz so schwer.


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