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Warum Holdern nicht kam und auch in der nächsten Zeit fern blieb?
Daniella's Erbschaft hatte ihn für's erste genugsam beschäftigt. Er hatte niemals eine geringe Meinung von der Geschäftskenntniß des Banquiers Hirsch gehabt, aber dennoch übertraf das Ergebniß bei weitem seine Erwartungen.
Auch Daniella hatte nicht geahnt, daß die Hinterlassenschaft ihres Vaters eine solche Höhe erreichen, daß sie nach Millionen zählen würde. Am Gelde selbst hing sie nicht; sie betrachtete es nur als Mittel zum Zweck, und dieser Zweck war schrankenlose Freiheit in Förderung der Ziele, die sie sich gesetzt. Mit Hunderttausenden für eine Ansicht eintreten, einer ihrer Ideen die Pfade ebnen zu können, ohne von kleinlichen Rücksichten behindert zu werden, das war es, was in ihren Augen dem Gelde Werth verlieh. Sie war sich darüber klar, daß nur noch das Leben in der Weltstadt für sie Leben hieß, daß keine andere Atmosphäre ihr mehr zusagen würde. Es kostete ihr daher auch nichts, sich gänzlich von ihrer Heimath loszulösen, und sie vollführte das in möglichst kurzer Frist. Wie allen leidenschaftlichen Menschen, genügte ihr nur sofortiges Handeln und rasche Erfüllung ihrer Wünsche. Für sie gab es niemals Uebergangsperioden; was sie für erreichbar und wünschenswerth hielt, das suchte sie ohne Zögern in's Leben zu rufen.
Ihre definitive Uebersiedelung nach Paris und die ihrer neuen Situation entsprechende Einrichtung hatten nur kurze Zeit erfordert. Ein elegantes Hotel in einer der angenehmsten Lagen nahm sie jetzt auf, und ihr Hausstand wurde auf entsprechendem Fuße eingerichtet.
Bei Holdern hatte die ungeahnte Höhe ihres Reichthums alle bisherigen Bedenken beseitigt und seinen Entschluß zur Reife gebracht. Er hielt es seitdem aber für gerathen, Daniella möglichst wenig aus den Augen zu lassen. Eine junge Dame, so schön, so reich, so fürstlich etablirt, so vollkommen frei und unabhängig, mußte selbst in der Weltstadt die Augen vieler auf sich ziehen, die Wünsche vieler wecken – und Weib bleibt Weib, wie Holdern sich kaltblütig sagte. Das leichte Spiel der Eitelkeit hatte indessen für Daniella das Anziehende verloren, gleichwie ihre Leidenschaft für die Kunst verraucht war, sobald ein auf Ernsteres gerichteter Ehrgeiz sich ihres Geistes bemächtigt hatte. Selbst der Ruf einer Récamier oder einer Herz würde sie jetzt nicht mehr befriedigt haben.
In der Strömung unserer Zeit mag es liegen, daß alle nur philosophirenden und theoretischen Bestrebungen keine Bewegung mehr hervorrufen; über Systeme à la Rousseau sinnt man eben so wenig mehr nach, wie man noch Geschmack an Idyllen und Schäferspielen hat. An die Stelle schöngeistiger Spielereien und philosophischer Träume ist jetzt eine materielle Richtung getreten, welche dahin drängt, selbst den noch unreifen Gedanken gleich in's Leben zu übertragen.
Der Nimbus des von der Fama noch gesteigerten Reichthums machte Daniella mehr und mehr zum Mittelpunkte ihrer Partei, welche in der Seine-Stadt überhaupt den geeignetsten Boden zu ihrer Entwickelung fand. Es war eine Zeit gewesen, wo der Mann, der anscheinend mit so stolzer Sicherheit die Zügel der Regierung führte, der dunkeln Elemente nicht hatte entbehren können, um seine kühnen Thaten zu vollführen. Sie waren ein Factor in seinen Berechnungen gewesen; als kühner Spieler hatte er alle Mittel gebraucht, die in seinem Bereich waren, und hatte gewähnt, die, welche ihm gedient, dauernd beherrschen zu können. Später aber vermochte er die Geister nicht wieder los zu werden, die er zuerst gerufen. Selbst während sie ihm dienten, hatten sie den Boden bereitet für die Ausführung der eigenen Pläne, und zur Zeit, da seine Macht anscheinend noch stark und glänzend da stand, wurden schon die Minen gelegt, die sie vernichten sollten.
Holdern hatte indessen mit dem ihm eigenen Tact in Daniella's Angelegenheiten gehandelt, durch nichts verrathend, welches persönliche Interesse er daran nehme. Ihre Beziehungen waren ganz die gleichen geblieben.
Holdern war ganz der Mann danach, der Sache in dieser Weise ihren Lauf zu lassen. Er hatte die Zuversicht, daß Daniella ihrer Freiheit müde werden würde, wenn erst ihr Ehrgeiz Zeit gehabt, sich auszuleben.
Holdern und Daniella waren in gewisser Beziehung so gleich geartete Naturen, daß sie vollkommen wußten, was sie einander bieten durften. Der Name Rother's war zwischen ihnen nicht wieder genannt worden. Wenn auch Daniella mit der Erinnerung an die mit Rother durchlebte Zeit ganz brechen wollte, konnte sie doch – widerspruchsvoll, wie das menschliche Herz ist – den Wunsch nicht unterdrücken, zu erfahren, ob derselbe seinen Entschluß ausgeführt habe. Auf der Rückreise von ihrer Vaterstadt machte sie also einen Umweg und gönnte dem alten Veitel die Freude, sich einige Augenblicke in ihrem Glanze zu sonnen. Mit Sicherheit hatte sie darauf gerechnet, daß Jetta ihr von Rother reden würde; die Alte versagte sich auch die kleine Rache nicht, so bald als möglich zu erzählen, wie Rother, allen Verlockungen zum Trotz, seinem Beruf gefolgt sei und sogar in einen Missions-Orden zu treten gedenke. Wie sehr Jetta die glückliche Wendung pries, war sie doch empört, nach dem, was einst zwischen den beiden vorgefallen, wie sie wähnte, daß Daniella's Züge so kalt blieben, und daß sogar ein Lächeln die schönen Lippen kräuselte, als sie beschrieb, welchen Gefahren er vielleicht entgegengehe. Aus Jetta's Reden entnahm Daniella, daß Rother wahrscheinlich in Paris weile, und sie vermuthete, daß er in jenes Ordenshaus eingetreten sei, das sie damals zusammen besucht hatten. Obschon sie nach ihrer Rückkehr in die Weltstadt es sich insgeheim sehr angelegen sein ließ, etwas Gewisses darüber zu erfahren, gelang es ihr nicht, ihn aufzufinden.
Er war ihr dennoch näher, als sie ahnte. In demselben Viertel, wo Daniella's fürstliche Villa lag, hatte auch Rother Aufnahme gefunden. Er lebte bei jenem Pfarrer, den er im Hohenwaldau'schen Hause kennen gelernt hatte und bereitete sich in eingehenden Studien zu seinem künftigen Berufe vor. Das kleine Studirzimmer des angehenden Ordensmannes war freilich weniger bunt, als das des jungen Gymnasiasten einst gewesen. In jenen Tagen wandelte sich die sonnige Heiterkeit des Jünglings in die ernste Befriedigung des Mannes, der eine hohe Aufgabe klar vor sich sieht. Aber Naturen wie Rother werden auch dem äußern Leben nie fremd: immer wieder tritt es an sie heran.
Der Verkehr des Pfarrers mit den untern Schichten der Pariser Bevölkerung erfüllte Rother mit dem lebhaftesten Interesse. Alle Schäden und Leiden des arbeitenden Theiles der menschlichen Gesellschaft waren da vor ihm ausgebreitet. Ungesucht trat die sociale Frage ihm wieder nahe. Der Pfarrer kannte aus täglicher Erfahrung die reißenden Fortschritte, welche die vernichtenden Tendenzen gerade in den Arbeiterkreisen machten. Die geheime Verbindung, von welcher diese Bestrebungen ausgingen, hatte unzweifelhaft ihren Sitz in der Hauptstadt selbst, und man mußte den Eifer und die Geschicklichkeit bewundern, mit denen man nach allen Richtungen vorging. Gleichwie de Bussy Helene mitgetheilt hatte, so erwähnte auch der Abbé Rother gegenüber oft, daß Frauen die eifrigsten und wirksamsten Beförderer seien.
Helenens Brief, der in diese Zeit fiel, paßte zu den Wahrnehmungen dieser Art nur allzu gut. Da ihre Angaben sich auf die Aussage de Bussy's stützten, waren sie kaum zu bezweifeln, und Rother wurde tief dadurch ergriffen. Er dünkte sich fast verantwortlich für Daniella's Heil. Seit ihrer Kindheit schien dieser stolze, trotzige Geist gewissermaßen in seine Hände gelegt. Aber er stand jetzt auf so sicherm Boden, daß nur auf kurze Frist der Gedanke an sie ihn zu verwirren vermochte. Daniella's ganzes Sein trat ihm jetzt klarer entgegen. Der Geist, welcher ihm so hoch, das Fassungsvermögen, welches ihm so klar, der Wille, der ihm so unerschütterlich erschienen war, sie wurden jetzt richtiger von ihm gewürdigt: ihre Handlungen waren stets nur augenblicklichen Impulsen entsprungen.
Was Helene anbetraf, so war es ihm freilich erst räthselhaft, wie Daniella's Beziehungen sie ihn solcher Weise persönlich berühren sollten. Es wurde ihm jedoch klar, als er Erkundigungen über dieselbe einzog und sofort auf den Namen von Holdern stieß, der fast stets mit ihr im Zusammenhang genannt wurde. De Bussy hatte auch darin recht: man sah ihn allgemein als den begünstigten Bewerber um ihre Hand an. Ein Gerücht davon mußte zu Helene gedrungen sein. Rother wußte, wie schmerzlich Helene es empfinden würde, da seine Unterhaltung mit Velden ihm den Schlüssel dazu gegeben. Aber er hoffte, daß seine Mittheilungen ihr die Augen öffnen würden.
Daniella's Salon war von dem Kreise, in welchem sie sich früher bewegt hatte, sehr verschieben. Man sah in den glänzenden Räumen nicht mehr die heitern, unbefangenen Künstler-Physiognomieen, denen die Musen die heiterste Sorglosigkeit verleihen, nicht das fröhliche Leben, bei welchem aller Ehrgeiz darauf hinausgeht, in humorgewürzter, gesellschaftlicher Unterhaltung einander zu überbieten. Geistvolle, bedeutende Köpfe waren dort zu finden, manch' sprühendes Auge schien viel zu verheißen; aber das Feuer, das darin glühte, hatte etwas Unheimliches, und die träumerischen Stirnen schienen weniger den Idealen nachzuhängen, als über finstere Pläne zu grübeln. Die Gesellschaft vertrat jetzt weniger verschiedene Geistesrichtungen, als daß sie aus den verschiedensten Nationalitäten zusammengesetzt war. Vom düster drein schauenden Polen und gewandten Italianissimo mit scharf geschnittenem Verschwörer-Antlitz bis zum kalten, stoischen Engländer, der, mag er noch so sehr Verschwörer sein, doch nie in seinem Aeußern es verräth, war fast jeder Volksstamm dort vertreten. Einige gehörten dabei ihrer äußern Bildung nach kaum in den Gesellschaftskreis einer Dame. Aber Daniella hatte sich schon daran gewöhnen müssen, daß bei Weltverbesserungsplänen alle kleinlichen Rücksichten auf Standes- und Bildungs-Unterschied zu schweigen haben.
Als Rother auf Helenens Wunsch die neue Anknüpfung mit Daniella suchte, waren eben jene Tage angebrochen, welche die Christenheit alljährlich der Erinnerung an das große Erlösungswerk weiht.
Es liegt ein tiefer Sinn darin, der Abtödtung der Natur und des Fleisches gerade jene Tage zu weihen. Die Einschränkung des persönlichen Willens durch das Gebot des Gehorsams, die Unterjochung des natürlichen Menschen durch die Entsagung ist eine passende Vorbereitung auf die Feier der Erinnerung an jenes große Werk, wo ein Gott es auf Sich nahm, demuthsvoll die Schuld einer Welt zu sühnen, wo Er starb, um dem Menschen das übernatürliche Leben wiederzugewinnen. Jahrhunderte hindurch hatte das Andenken an jenes Ereigniß den Erdkreis mit heiligem Schauer erfüllt, und selbst diejenigen, welche vom Glauben sich abgewandt, beugten sich noch vor der Erhabenheit des Gedankens, den dieses Geheimniß in sich schließt.
Schon seit einigen Jahren hatte man indessen begonnen, in jenen Kreisen, die sich vorzugsweise die der »starken Geister« zu nennen liebten, den Gesetzen der herrschenden Religion wie den Gefühlen der Gläubigen durch möglichst ostensible Demonstrationen entgegenzutreten. Gerade an dem Tage, den die Christenheit dem Gebete besonders weiht, pflegten sie sich bei einem Mahle zu vereinigen, das dem Geiste der Trauer und der Buße Hohn sprechen sollte. Wie weit Daniella auch schon in dem Kampfe gegen positive Religion vorangegangen war, sie hatte bisher an diesen Manifestationen keinen thätigen Antheil genommen, hatte sich von jeder thätigen Theilnahme fernzuhalten gewußt. Sie verachtete das kindische Getreibe, und die Rohheit, die darin lag, widerte sie an. Nicht ganz umsonst hatte sie das Christenthum näher kennen gelernt: sie konnte Haß empfinden, aber sie wollte nicht verhöhnen.
Eine kleine Gesellschaft, welche aus den hervorragendsten esprits forts bestand, hatte sich an einem Morgen der letzten Fastenwoche bei ihr eingefunden. Man bot alle Beredtsamkeit auf, um Daniella zur Theilnahme an dem Feste zu bewegen. Holdern war wie gewöhnlich an ihrer Seite, der einzige Schweigsame in der bewegten Gruppe. Mehrere Damen befanden sich darunter, die mit aller Fertigkeit weiblicher Zungen und jenem Uebereifer, den eben auch nur ein Weib zu zeigen vermag, wenn es für eine Meinung eintritt, für jene Demonstrationen kämpften und Daniella dafür zu gewinnen suchten. Diese liebte am wenigsten die Damen ihrer Partei, deren viele mit kühner Folgerichtigkeit das Princip der ungebundenen Freiheit aus der Theorie in das Leben übertrugen. Ermüdet von dem Wortschwall, der auf sie eindrang, lehnte sie zurück. Sie war nicht mehr die gleiche wie früher; ihre Züge traten schon schärfer hervor als in ihrer Jugendblüthe, und wie einst bei dem Kinde, hatten die Augen eine fast unheimliche Größe. Die Zeit hatte sie schon berührt, wenn auch leise; dieses früh selbständige, bewegte Leben hatte den Zauber der Jugend von ihr abgestreift.
Für Dr. Josephson aber war sie das Ideal der Schönheit geblieben. Sein Auge wandte sich kaum von ihr ab; aber die Eifersucht schlug scharfe Krallen in sein Herz, wenn er Holdern's kaltblütige Anmaßung beobachtete.
Holdern betheiligte sich nicht an dem Streite, weil seinem Sinne diese unnütze Demonstration, wie er sie bezeichnete, zuwider war. Er wollte selbst nicht daran Theil nehmen, und bei den Absichten, die er in Bezug auf Daniella hegte, wünschte er nichts weniger, als daß sie sich daran betheilige.
Was seine Stellung zu Daniella betraf, konnte er sich nicht verhehlen, daß er wenig oder keine Fortschritte gemacht. Manches in seiner Lage ließ ihn jetzt ernstlich wünschen, daß die Sache endlich zum glücklichen Abschluß komme, da viele seiner kühnen Berechnungen darauf basirten. Seine Schwester wies ihn in ihrer kategorischen Weise stets von neuem darauf hin. Er war dadurch der launenhaften Schönen gegenüber zaghafter geworden, da sie anscheinend nur noch ihren social-politischen Träumen lebte.
»Gehen Sie nicht, auch ich werde keinen Theil daran nehmen,« hatte er ihr eben zugeflüstert, da er in Daniella's Zügen las, daß sie schwankte.
Aber so leise Holdern geredet, hatte Dr. Josephson doch seine Worte gehört, und sie fielen gleich zündenden Funken in seine leidenschaftliche Seele. Nicht minder durch die vollkommene Hingabe, welche er für die Sache empfand, wie durch seine lebhaft erregte Eifersucht ließ er sich zur schärfsten Antwort hinreißen. Er erklärte die beabsichtigte Demonstration für eines der wichtigsten und nothwendigsten Mittel, um gerade in dieser Zeit zu beweisen, daß die Menschheit mit allem kindischen Wahn gebrochen habe. Mit den bittersten Worten verurtheilte er diejenigen, welche zu schwach seien, dies offen zu bekennen. Manche, meinte er, plötzlich sehr deutlich werdend, schlössen sich ihnen freilich aus persönlichen Motiven an, wagten aber nicht, mit ihrer frühern Partei es zu verderben. Wer nicht gleich ihm dem Volke, dem Proletariat entstamme, fürchte beständig, demselben anheim zu fallen. Einer goldenen Aussicht zu lieb wage mancher zeitweise viel und trüge die Maske, in der er zu gefallen hoffe. Aber mit Herz und Seele gehörten diese Leute der Sache niemals an. Solche Demonstrationen aber seien der Probirstein für sie.
Dr. Josephson's Anspielungen ließen Daniella plötzlich aufsehen; fragend richtete sie den Blick auf ihn wie auf Holdern, da es unverkennbar war, daß er letzterm eine Anschuldigung entgegengeschleudert. Eigenthümlich frappirte sie in diesem Augenblicke der Gedanke, daß sie nie über Holdern's Verhältnisse nachgedacht habe. Ihres vorsichtigen Vaters Anschauungen und dessen Lobpreisungen über Holdern's günstige pecuniäre Lage hatten den Gedanken bei ihr nicht aufkommen lassen. Die Besitzungen, welche er sein nannte in jenem soliden Lande, die Beziehungen, die er dort zu den angesehensten Familien hatte, seine Kaltblütigkeit bei Geldfragen und seine Betheiligung an so vielen Unternehmungen – alles das hatte sie in der Annahme bestärkt, Holdern sei ein reicher Mann.
Gewisse Augenblicke öffnen uns seltsam die Augen. Sie sah, daß Holdern bei Josephson's unerwartetem Angriff sehr bleich wurde – ein verwundbarer Punkt mußte bei ihm getroffen worden sein. Was würde er erwidern?
Aber das Glück war Holdern günstig. Ehe er antworten konnte, trat eine Ablenkung ein, indem ein Diener eine Karte brachte, welche einen neuen Besuch meldete. Daniella warf zuerst nur einen zerstreuten Blick auf das ihr dargereichte einfache kleine Blatt. Doch dann schien die Reihe des Erschreckens an sie gekommen. Die Karte entglitt ihr, als habe sie eine glühende Kohle berührt. Holdern, welcher noch neben ihr stand, beugte sich nieder und hob dieselbe auf. Als er den Namen erkannte, den sie trug, überflog ein ironisches Lächeln seine Züge. Auch er staunte, diesem Namen gerade in diesem Augenblicke wieder zu begegnen. Konnte Daniella noch mit ihm in Verbindung sein? Er wußte, daß dieser Einfluß, wenn auch in einer Hinsicht jetzt ungefährlich, doch bei Daniella stets zu fürchten sei.
Anscheinend ohne Daniella weiter zu beachten, hielt er die Karte wie spielend in der Hand und wandte sich an Dr. Josephson.
Als habe dessen Rede ihn gar nicht berührt, griff er bloß auf die besprochene Feier zurück. Seine Ueberzeugung hinsichtlich jener Feier sei zwar eine andere, wie er offen bekennen wolle, sagte er; aber er unternahm es nie, die Entschlüsse schöner Frauen zu bestimmen, da dieselben meist auf geheimnißvollen Gründen beruhten, die zu erforschen man nicht wagen dürfe. So schmeichelhaft es für ihn sein würde, könne er doch den Widerstand der liebenswürdigen Wirthin seinem Einflusse nicht zuschreiben; sie pflege aus eigenster Meinung zu handeln. Aber in einem Punkte, fügte er lächelnd hinzu, sei er mit Dr. Josephson völlig einverstanden: daß es eine Macht gebe, die kaum zu bekämpfen sei und die unermüdlich immer ihren Einfluß wieder geltend zu machen suche. Er gab dabei Daniella die Karte zurück, als habe er sie nur in der Zerstreuung behalten.
Diesmal faßten Daniella's Finger die Karte fast krampfhaft. Holdern hatte geschickt ihre Gedanken zu lenken gewußt. War es in Wahrheit wieder diese Macht, die ihr nahte? Wollte dieselbe unter Rother's Gestalt von neuem ihren Einfluß geltend machen?
Der Diener, welcher an der Thüre auf Bescheid harrte, wagte jetzt seine Frage zu erneuern, da er fürchtete, überhört worden zu sein. Er fügte hinzu, der Herr habe gebeten, falls die Dame jetzt Abhaltung habe, ihm nur Tag oder Stunde zu bestimmen, wann er wiederkommen dürfe, da er vielleicht bald die Stadt verlasse.
Holdern hatte sich abgewandt; aber Daniella wähnte seinen dunkeln Blick zu fühlen und glaubte wieder sein »Poveretta« zu hören.
Einige Augenblicke noch wand Daniella wie spielend die Karte um ihre Finger. Mit fester und klarer Stimme ertheilte sie dann dem Diener die Antwort, sie könne den Herrn weder jetzt noch später empfangen. Unmittelbar darauf wandte sie sich der Gesellschaft wieder zu, als habe nur das Gleichgültigste sie für einen Augenblick in Anspruch genommen. Sie zerriß nicht einmal die Karte, sondern legte sie kalt zur Seite, so daß alle andern den Namen ebenfalls lesen konnten. »Anton Rother« lautete so einfach und bescheiden, daß der Uneingeweihte bei der kalten Abweisung, die dem Besucher geworden, nur annehmen konnte, er zähle zu den vielen, die sich an Leute von Reichthum und ausgezeichneter Stellung heranzudrängen suchen.
Dr. Josephson durfte heute befriedigt sein. Die Huld der Dame hatte ihm wenigstens lange nicht so geleuchtet, wie nach jener Discussion, und er konnte sich Holdern gegenüber siegreich fühlen. »Sie werden mein Ritter sein bei jenem Oppositionsmahl, für das sie so eifrig plaidirten,« sagte sie zu ihm, als er sich verabschieden wollte. Sein strahlender Ausdruck zeigte genugsam, wie hoch er diese Aufforderung zu schützen wußte.
»Ihrer Freundschaft werde ich es also nicht auferlegen dürfen,« wandte sie sich an Holdern, als auch dieser sich vor ihr zum Abschied verbeugte. »Ihre aristokratischen Freunde würden wohl eben so viel Anstoß daran nehmen, als die frommen – und ich werde den Probirstein Dr. Josephson's nicht anlegen dürfen. Comtesse Helenens fromme Augen würden sich bei Ihrem nächsten Besuche schaudernd von Ihnen abwenden,« fügte sie spöttisch hinzu.
Holdern sah sie an, als suche er ihre Meinung zu verstehen. »Die frommen Freunde geben uns wenigstens weniger leicht auf; sie kehren im heiligen Eifer stets zurück,« erwiderte er mit Beziehung. »Um nicht ganz zu den schwachen Geistern gezählt zu werden, werde ich Ihnen auch dahin folgen, Daniella! … Ihnen überall hin!« setzte er leise hinzu, mit jenem leidenschaftlichen Tone, den seine Stimme anzunehmen wußte.
Aber die Wirkung war diesmal nicht ganz die erwartete. »Sie sind ja sehr fügsam geworden,« sagte sie, und ein eigener Ausdruck flog über ihr Antlitz.
Dr. Josephson's Anspielungen hatten ihren Gedanken eine seltsame Richtung gegeben.
Sie hatte die freien Tendenzen, denen Holdern zu huldigen schien, bisher für die seinen gehalten und das Band darin gesehen, welches ihn mit ihr verbinde; sie hatte mit der Selbstliebe, die der Mensch stets besitzt und zu der eine schöne, geistreiche Frau sich wohl am leichtesten berechtigt sieht, gewähnt, ihn an sich gefesselt zu haben. Darin hatte der Zauber bestanden, den er für sie gehabt. Als Nebenbuhler Rother's hatte sie ihm viel verziehen – der Glücksjäger aber würde wenig Gnade vor ihren Augen gefunden haben.
Holdern hatte an jenem Tage eine Aufforderung zum Bleiben erwartet, aber sie wurde ihm nicht. Daniella verlangte danach, allein zu sein, befreit von den Menschen, die sie bedrückten; sie wollte aufathmen, ohne sich Zwang auflegen zu müssen. Rother's plötzliches Auftauchen war nicht so spurlos an ihr vorüber gegangen, als sie es äußerlich gezeigt. Er war gekommen und ohne ihn nur gehört zu haben, hatte sie ihn zurückgewiesen. Er war gekommen gerade in dem Augenblicke, wo sie einen Schritt weiter auf jener Bahn gethan, von der er sie hatte zurückhalten wollen. In dem einen Augenblick glaubte sie, ihre Entschiedenheit habe ihr Erleichterung gebracht; im nächsten hatten die alten Gefühle wieder Macht genug gewonnen, daß sie sehnsüchtig daran zurückdachte, wie sie jetzt wohl nimmer dies Antlitz mehr sehen, diese Stimme mehr hören werde. Es war ein Chaos von Gefühlen was sie durchwogte – aber sie blieb trotzdem ihrem stolzen Ausspruch getreu, der die Reue als Schwäche verwarf.
Wenige Tage später erschien sie als die gefeierte Königin jenes Festes und nur stolze Befriedigung war auf ihrem Antlitz zu lesen bei den Huldigungen, die man ihr darbrachte und die sie wie etwas ihr Gebührendes hinnahm. Vorzugsweise ihr wurde Weihrauch gestreut; Hymnen waren auf sie gedichtet worden, auf sie, das starke Weib, das so kühn mit Hand anlegte bei dem Aufbau des Reiches der Zukunft, des Reiches der Freiheit, der Alleinherrschaft des Geistes. Als die erste Priesterin des neuen Bundes wurde sie proclamirt. Vielleicht lag einige Absichtlichkeit in den Huldigungen, die man ihr widmete. Es hatte viele Mühe gekostet, ihren Widerstand zu besiegen, sie vollkommen an die Partei zu fesseln, und außer ihrer geistigen Thätigkeit wußte man sehr wohl die materiellen Mittel zu schätzen, welche sie der Partei bieten konnte.
In jeglicher Huldigung liegt für den Menschen ein süß berauschendes Gift. Auch auf Daniella verfehlte es seine Wirkung nicht. Dennoch durchzuckte es sie unheimlich, als Dr. Josephson im wilden Hohne des Fanatismus den Becher erhob, ihn den neuen Kelch des neuen Bundes nennend, der auch erst mit Blut gefüllt werden müsse, ehe die neue Wandlung der Welt sich vollziehen könne, mit Blut, welches die düstern Mären fortwasche, die sich dem freien Genusse entgegenstellten. Weiter gehend, als es bis dahin geschehen, ergriff er in grauenhafter Nachahmung den Kelch und bot ihn den Genossen, auf daß auch für sie dieses Mahl ein Symbol der Einigung werde, gleich jenem des Nazareners.
In diesem Augenblicke erhob sich vor Daniella's Augen wie mit einem Zauberschlage jenes andere Mahl, dem sie als Kind einst beigewohnt hatte – die tiefe Stille, die demüthig geneigten Häupter, der feierliche Gesang und das Bekenntniß menschlicher Schwäche, das sie damals so erniedrigend gefunden hatte. In charakteristischem Gegensatze sah sie hier die hoch aufgerichteten Gestalten, hörte das wilde Beifalljauchzen, das antwortete.
Aber der Augenblick war nicht zum Nachdenken angethan. Sie bemerkte, wie Holdern ironisch lächelte, als jetzt der Redner sich vor ihr auf die Kniee warf, ihr, der Königin des Festes, den Trunk zuerst zu credenzen.
Sie konnte sich nicht weigern, Bescheid zu thun, obschon es ihr widerstrebte. Schaudernd erinnerte sie sich der alten Sage, daß man durch einen Trunk den Geistern der Finsterniß unwiderruflich sich ergebe. Und doch hoffte sie wiederum, dieser Trunk werde alle Erinnerungen auslöschen.
Erst im Morgengrauen kehrte Daniella von dem wüsten Gelage heim. Holdern gab ihr das Geleit. Sie hatte seine Begleitung fast dankbar angenommen. Seine kalte, vornehme Ruhe hatte ihn vortheilhaft ausgezeichnet inmitten dieser lauten, erregten Gestalten, und er war in ihren Augen dadurch wieder an Werth gestiegen. Bleich und fröstelnd in der scharfen Morgenkühle lehnte sie zurück, in das Leere starrend, als vermöge sie die Augen nicht zu schließen. Plötzlich aber fuhr sie auf: ein junger Mann schritt dicht an dem Wagen vorüber. War es ihre erregte Phantasie, welche ihr dieses Antlitz überall vorspiegelte – das Antlitz des Mannes, den wiederzusehen sie so sehnlichst gewünscht, und den sie doch abgewiesen hatte? Gewaltsam schloß sie die Augen.
Der Trunk hatte nicht die Zauberkraft gehabt, dies Antlitz zu bannen; es blieb vor ihrem geistigen Auge, während sie vergeblich Ruhe suchte auf ihren Kissen.
Daniella hatte indessen nicht geirrt: es war wirklich Rother gewesen, welcher ihr begegnet war. Er kehrte eben heim von der frommen Nachtwache, die in der Charfreitagsnacht so manches gläubige Gemüth sich auferlegt. Man hatte ihm bei seinen Nachforschungen Daniella's Equipage bezeichnet, die durch ihren Luxus leicht kenntlich war. Unwillkürlich warf er einen Blick hinein, als sie jetzt an ihm vorbeifuhr. Er erkannte Daniella – und Holdern neben ihr. Angewidert wandte er sich ab; ein tiefes Gefühl der Wehmuth beschlich ihn, sie so wiederzusehen.
Ueber die schnöde Abweisung, welche er von ihr erfahren, war er kaum erstaunt gewesen; sie stand im Einklang mit ihrem Wesen, das keinen Halt mehr hatte, seitdem sie einmal den abschüssigen Weg betreten. Dennoch war es ihm schmerzlich gewesen, zu erkennen, daß jetzt ihm keine Einwirkung auf sie mehr möglich sei. Daß er sie in Begleitung Holdern's gesehen, war ihm die vollkommenste Bestätigung dessen, was er in dieser Beziehung gehört hatte; und was schon am folgenden Tage die Zeitungen über jenes Fest berichteten, stimmte vollkommen damit überein.
Jetzt mußte er eine andere Freundespflicht erfüllen, indem er an Helene schrieb.